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43.

Neuenbürg, Samstag dm 17. März 1906

64. Jahrgang.

rrunSschau.

Der Reichstag erledigte am Dienstag debattelos de» Gesetzentwurf über die Entlastung des Reichs- invalidenfonds, den Etat des allgemeinen Penstons- fonds und des Reichsinvalidenfonds in zweiter Lesung. Beim Etat des Reichsschatzamts kam es zu einer kurzen Silberdebatte, und daun folgte die zweite Be­ratung des dritten Nachtrags zum Kolonialetat. Abg. Erzberger (Ztr.) hielt seine übliche lauge Rede, in der er offen von einemVertuschungsshjtem" sprach, das in der Kolonialverwaltung Platz gegriffen habe. Abg. Bebel (Soz.) bekämpfte das herrschende Kolonial- system, das nur spekulativen Zwecken diene. Der stellvertretende Kolonialdirektor Erbprinz Hohenlohe- Langenburg wies die verschiedenen Angriffe zurück und verwahrte sich mit aller Entschiedenheit gegen den Vorwurf, ein Vertufchungssystem zu begünstigen. Am Mittwoch wurde der Antrag der Freisinnigen Vereinigung und der beiden Volksparteie», den Reichs­kanzler zu ersuchen, dahin zu wirken, daß die landes- aesetzlichk» Beschränkungen des Vereinsrechts für Frauen durch Reichsgesetz beseitigt werden, ange- nommen. Dagegen stimmten die Konservativen.

Nachdem Cornelius unschädlich gemacht worden ist, scheint nun auch Morenga, der letzte Gegner von Bedeutung, der Umklammerung durch unsere Truppen nicht mehr entgehen zu können. Major v. Estorff hat, wie berichtet wird, den Angriff gegen Morenga vorbereitet und den Kreis um die Stellung des Gegners am Oranjefluß immer enger gezogen. Allenthalben ist der Gegner zurück­gewiesen worden. Die linke Kolonne der Abteilung des Hauptmanns Sickert unter Oberleutnant Beyer stieß östlich von Pelladrift (am Oranje) auf den starken Gegner, der nach einem Gefecht seine Stellung in der Nacht zum 10. März räumte. Gefallen ist ein Unteroffizier; schwer verwundet wurde» 3 Mann, leicht: Leutnant Mannhardt und 3 Mann. Major Täubner mit der rechten Kolonne erreichte am 10. März abends den Oranjefluß, 12 üw östlich von Peladrift. Morenga soll sich zwischen beiden Kolonnen befinden. Die Abteilungen Erckert und Hornhardt hatten am 12. März bei Hartebeestmund ein Gefecht mit dem Feind, der geworfen wurde. Die Abteil­ung Erckert hat 10 leicht Verwundete, die Abteilung Hornhardt keine Verluste.

Eine Aufgabe vaterländischer Arbeit. Wenn man sieht, wie Frankreich in der Bevölkerungs­zunahme gegenüber dem deutschen Reiche ganz außer­ordentlich zurückgeblieben ist, so fragt man sich un­willkürlich, was hierbei die Hauptursache sein dürfte. Wir gehen wohl kaum fehl, wenn wir die Pflege des Körpers und den Sinn für die Natur für unseren Aufschwung mit hauptsächlich verantwortlich machen. Es wäre aber vollkommen falsch, wenn man in der Freude über diese Erkenntnis die Hände in den Schoß legen und die Dinge ihren Lauf gehen lassen wollte. Auch bei uns heißt es, auf dem Er­reichten weiterzubauen. Gerade das Deutsche Reich, dieses in die Mitte Europas, in das Herz der Welt gesetzte Staatsgebilde, dessen Grenzen von Feinden und übelwollenden Nachbarn reichlich bedroht sind, bedarf eines immer kräftigeren Nachwuchses. Die Quelle der Zufuhr an brauchbarem Soldatenmaterial darf nicht versiegen, zumal jetzt nicht, wo die drohen­den Wolken am politischen Gesichtskreis noch nicht völlig geschwunden find. Ist es darum nicht eine wahrhaft vaterländische Aufgabe wie keine zweite, das Heranwachsende Geschlecht zur körperlichen Er­tüchtigung heranzubilden? Die glühendste Vater­landsliebe vermag im Felde nichts auszurichten, wenn nicht der Mannschaft die nötige Kraft und Uebung zur Seite stehen, die schweren Anforderungen des Feldes, die anstrengenden Märsche, das auf­reibende Biwakieren, die wochenlaoge Anspannung des Körpers und der Sinne zu ertragen. Darum stähle sich unsere Jugend schon vor dem Eintritt in

die große Schule des Volkes, ins Heer, durch Turnen und Spielen, durch Schwimmen und Rudern, durch Klettern und Wandern, durch Marschieren und Singen in Gottes freier Natur. Sie treibe Sport und stärke den Mut, eingedenk des alten Spruches: »Es ist für das Vaterland, wenn wir zu spielen scheinen".

Die Katastrophe in Courrisres. In Frankreich und England herrscht über das Eingreifen der deutschen Bergungsmannschaft von derHibernia" eine Stimme des Lobes. Die französischen Blätter betonen den Wert dieser Aktion in dem gegenwärtigen Augenblick Politischer Spannung. DieDaily Mail" bemerkt in einem Leitartikel:Der einzige Lichtblick in dem tiefen Dunkel eines Unglücks, durch das mit einem einzigen Schlage mehr als 1100 Brotgewinner in der Blüte des Lebens dahingerafft wurden, war das ritterliche Verfahren des Bergungskorps der GrubeHibernia". DasHibernia "-Bergwerk steht sozusagen unter Kontrolle der deutschen Regierung und ist mit deutscher Gründlichkeit und Umsicht or­ganisiert. Es heißt, daß das Korps auf besondere telegraphische Anordnung des Kaisers von Köln »ach Courriores gebracht wurde, wo der Anblick der uni- formierten Deutschen, die zur Hilfe und Rettung der leidenden Menschheit marschierten, den willkommenen Beweis lieferte, daß solchen Katastrophen gegenüber die ganze Welt verwandt ist. Alle, die zugegen waren, als die deutschen Bergleute einfuhren, waren tief ergriffen von der Gewandheit, der Umsicht und der Tapferkeit, die sie an den Tag legten. Ein der­artiges Ereignis in dem kritischen Moment wie der augenblickliche wird viel dazu Zeitragen, die Spannung zwischen Frankreich und Deutschland abzuschwächen." Der Vorsitzende der französischen Parlameots- gruppe für internationale Schiedsgerichte richtete an den Führer der deutschen Rettungsmannschaft ein Dank-Telegramm.

Aus Leus wird berichtet, daß die deutsche Rettungsmannschaft in Courriores ihre Tätig, keit, aller Hindernisse und Schwierigkeiten ungeachtet, mutig fortsetzt und wieder eine Anzahl Leichen zutage gefördert hat Man spricht davon, daß in einer Gallerie der Grube 2 in Billy-Montigny die Rettungs­mannschaft in einer Tiefe von 440 Metern auf ein Knäul von über 100 Leichen gestoßen ist. In der Grube 3, von wo der Brand und die Explosion aus­gingen und wohin man sich endlich gewagt zu haben scheint, will man einen Haufen von über 300 ver- kohlten Leichen gesehen haben. Bis jetzt sind 323 Leichen zutage gefördert worden. Etwa 1000 dürften also noch unten modern. Die Beförderung der Leichen geht nur sehr langsam von statten. Nach Aussage eines der Pariser Feuerwehrleute, die der deutschen Rettungsmannschaft behilflich sind, dauert es gewöhn­lich zwei Stunden, bis eine Leiche von dem Ort, wo die Retter sich gegenwärtig befinden, bis zum Fahr- stuhl geschafft werden kann. Die zwei Mann, die am Hinteren Ende der Tragbahre schreiten, müssen alle zehn Minuten abgelöft werden, weil ihnen der Ventilator den Fäulnisgeruch der Leiche ins Gesicht jagt.

Lens, 16. März. Die letzte Nacht verlief sehr unruhig im Kohlenbecken von Pas de Calais. Heute morgen war die Stilllegung der Zechen voll­ständig durchgeführt. Die Zahl der gegenwärtig im Ausstand befindlichen Arbeiter beträgt 26000.

Lille, 16. März. Der Ausstand der Gruben­arbeiter breitet sich immer weiter aus. Die Zahl der ausständigen Bergarbeiter betrügt 16000. Die Führer der Bergarbeiter-Syndikate werden morgen eine Besprechung mit den Vertretern der Bergwerks­gesellschaften haben, um die Forderungen der Arbeiter zu erörtern.

Der sonst wenig deutsch-freundliche Matin widmet den deutschen Arbeiter-Wohlfahrts-Einricht- ungen, deren Vorzüglichkeit auch in Courrieres sich glänzend bewährt hätten, einen enthusiastischen Ar­tikel und richtet die dringende Mahnung an Frank­reich, ein solches Muster nachzuahmen. Das Feuer

in den Gruben wütet mit solcher Gewalt, daß man schon die Notwendigkeit erwägt, einen Stollen unter Wasser zu setzen.

Odessa, 16 März. Aus Sebastopol wird gemeldet, die Kassation des über den Leutnant Schmidt und Genossen verhängten Urteils stehe un­mittelbar bevor. Man hofft, daß das Todesurteil ab geändert werden wird.

In Madrid kam es zu einem Zwischenfall in der Kammer, denn Oberst Primoripera, der Neffe des gleichnamigen Generals, hieb dem Abgeordneten Soriana mit der Faust ins Gesicht und schlug ihm zwei Zähne aus. Es erhob sich ein oroßer Lärm und die Republikaner verließen die Sitzung, doch hofft man, daß ihr Fernbleiben, nur vorübergehend sein wird. Primoripera wird vor ein Kriegs- gericht gestellt.

Berlin, 16. März. DemVorwärts" zufolge finden am Sonntag, den 18. d. M., mittags, iu Berlin und Vororten 105 Versammlungen statt. Auf der Tagesordnung steht: Die bürgerliche Revolution der Jahre 1848/49 und das Preußische Dreiklasfen- Wahlrecht.

Die Ergreifung des Berliner Raubmörders Hennig, der sich bisher seiner Ermittelung und Verhaftung seitens der Polizei mit so außerordent­licher Kühnheit und Raffiniertheit zu entziehen wußte, ist am Mittwoch in Stettin endlich gelungen. Der Verbrecher wollte daselbst einen Fahrraddiebstahl begehen, und schoß, hierbei von einem Kriminalschutz, mann überrascht, auf letzteren und verwundete ihn, doch wurde der Verbrecher trotzdem von dem Beamten mit einem Knüppel niedergeschlagen. Dann wurde der Verbrecher nach der Polizeiwache gebracht, wo man bei dem sofort mit ihm angestellten Verhör in dem Ergriffenen den gesuchten Hennig erkannte. Er gab auch ohne weiteres zu, Hennig zu sein. Zu der Verhaftung Hennigs wird aus Stetin gemeldet: Der Schuß, den Hennig auf den Schutzmann ab- feuerte, traf die rechte Wange, glitt an dem Unter­kiefer ab, trat unterhalb des Ohres aus, traf noch einen Beamten der Wach- und Schließgesellschaft am linken Oberarm. Seit dem 9. Febr. war er in Stettin und verübte Diebstähle. Den letzten Diebstahl ver- übte Hennig in der Mittwochnacht bei einem Ge- schäftsreisenden Schultz, der abwesend war. Gegen 4 Uhr wachte Frau Schultz von einem Geräusch auf und »ahm Licht wahr. Sie fragte wer da sei. Da­rauf erschien am Türrahmen ein 30jähriger Man», der zu ihr sagte:Ihr Leben will ich nicht, ich will Geld". Die Frau gab die Schlüssel, worauf ihr der Verbrecher die Augen mit einem Taschentuch verband und sie in das Wohnzimmer führte, wo er alle Be- hälter durchwühlte. Schließlich riß die Frau die Binde ab und lief ins Vorzimmer, wo sieMörder! Räuber!" schrie. Hierauf ergriff der Einbrecher die Flucht. Nun hat die Frau den Hennig als den nächtlichen Gast wiedcrerkannt. Hennig ist am Don- nerstag abend in das Gefängnis des Landesgerichts Potsdam eingeliefert worden. In Stettin ist man sehr stolz darauf, daß dort die große Tat der Fest­nahme des gefährlichen Burschen geglückt ist. Dem Mut des Kriminalschutzmanns, der Hennig trotz der gefährlichen Situation festhiclt, wird allseitig, besondere Anerkennung gezollt. Der Polizeipräsident von Stettin sandte sofort ein Telegramm an den Minister des Innern, Freiherrn v. Bethmann-Hollweg, der seinerseits sofort den Kaiser von der Verhaftung Hennigs in Kenntnis setzte. Wie erinnerlich, hatte sich seinerzeit der Minister Vortrag über die Heunig- Affäre halten lassen, und auch der Kaiser halte einen Bericht eingefordert. Die Stettiner Polizei hat natürlich Vorsorge getroffen, daß ihr der Verbrecher, wie nach seinem Berliner Debüt ja befürchtet werden müßte, nicht entwischt. Hennig wurde an Händen und Füßen außerordentlich stark gefesselt und ständig von zwei bewaffneten Beamten bewacht. Hennig ernährte sich während seines Aufenthalts in Stettin