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Fernsprecher Nr. 4.
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Neuenbürg, Samstag den 6. Mai 1905
63. Jahrgang.
RunSschau.
Der Reichstag nimmt am 10. Mai seine Sitzungen wieder auf; die wichtigste Beratung, die ihm bevorstcht, betrifft jedenfalls die Reichsfinanzreform.
In der Presse sind bereits Einzelheiten über die angeblich in Aussicht genommene Reichs-Erbschaftssteuer mitgeteilt worden. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" bemerkt demgegenüber, daß die Reichs-Filianzreform bisher nur in vorläufigen Grundzügen erörtert ist und weder über die Reform im ganzen noch über einzelne Steuerprojekte Beschlüsse gefaßt sind.
Das Kaiserpaar hat in der abgelaufenen Woche seinen Aufenthalt in Italien mit dem Besuche der altberühmten Lagunenstadt Venedig zum Abschluß gebracht und weilt zur Stunde wieder auf deutschem Boden. Die Majestäten erfreuen sich des besten Wohlseins, ebenso die kaiserlichen Prinzen.
König Friedrich August von Sachsen hat soeben dem verwandten Wiener Hofe einen mehrtägigen Besuch abgestattet. Der erlauchte Gast fand am kaiserlichen Hofe eine ebenso auszeichnende wie liebenswürdige Aufnahme; vielbemerkt wurde nament. lich der überaus herzliche Verkehr Kaiser Franz Josefs mit dem sächsischen Monarchen.
Fünfundzwanzigpfennigstücke. Auch die Berliner Handelskammer hat sich in ihrer letzten Sitzung für die Prägung von Fünsuudzwanzigpfennig- stückeu ausgesprochen. Der bezüglich; Beschluß wurde mit großer Mehrheit gefaßt.
Der Pariser „Matin", das anerkannt offiziöse Organ des Ministers des Auswärtigen, Delcasss, hat vorige Woche einen giftgeschwollenen Artikel gegen Deutschland veröffentlicht, weil dieses absolut nicht zu bewegen sei, den Franzosen seine Vorschläge bezüglich Marokko zu machen. Auf diesen Artikel hin sind an der Pariser Börse die Kurse beträchtlich gefallen, weil die Kapitalisten schon eine Kriegs- androhung in dem Artikel erblickten. Sowohl Del- casse, als der Ministerpräsident Rouvier, haben sich deshalb beeilt, den „Matin" zu desavouieren und öffentlich zu erklären, daß das Ministerium mit diesem Artikel nicht einverstanden sei. Damit ist nun freilich die öffentliche Meinung in Paris, namentlich in den Reihen der Sozialisten, durchaus nicht beruhigt und es wird wahrscheinlich in einer der nächsten Sitzungen der Deputiertenkammer zu scharfen An- griffen auf Delcasse und Rouvier kommen; man liest vielfach in französischen Blättern die Vermutung, daß Delcassös Ausscheiden aus dem Amt nunmehr unvermeidlich geworden sei. Der Artikel des Pariser Blattes hat in Deutschland keinerlei Eindruck hervorgerufen, da Deutschlands Position in der marokkanischen Frage allzu klar ist, als daß hieran noch irgend etwas zu ändern oder zu deuten wäre.
Die französische Advokatenkammer hat beschlossen, nach Durchführung des Gesetzes betreffend Ae Trennung von Kirche und Staat, alle diejenigen Geistlichen, welche das Examen eines äoetor iuris bestanden haben, neben Ausübung ihres Geistlichenamts auch zur Advokatur zuzulassen.
In Washington ist ein internationaler Elsenbahnkongreß zusammengetreten. Der Präsident der amerikanischen Abteilung deS Eisenbahnkongresses, Fish, wies in einer Ansprache darauf hln, daß auf dem Kongresse zum ersten Male Deutschland und Kuba durch Delegierte vertreten seien. George Westinghouse hob hervor, daß ein neues Zeitalter für die Eisenbahnen bevorstehe infolge der Ersetzung des Dampfes durch die Elektrizität. Mit dem genannten Kongresse ist eine Ausstellung von Eisen- oahmnaterialien verbunden, die am Mittwoch vom Präsidenten der Atchinson-Topeka-Savta- Fe-Etsenbahu, dem jetzigen Marineminister Morton, eröffnet wurde.
Der russisch-japanische Krieg.
Auf dem Kriegsschauplatz in der Mandschurei wiederholt sich zur Zeit wieder das längst bekannte Schauspiel, daß die Russen einzelne vorgeschobene Positionen der Japaner angreifen und, wenn die Japaner zurückgehen, Siege nach Hause melden. Aber alle diese kleinen Erfolge der Russen sind seither von den Japanern selbst herbeigeführt worden, damit sie um so ungestörter mit großen Truppen- Massen die Russen umgehen und womöglich auch von hintenher angreifen können. Diese Vorgänge spielten sich genau so wie jetzt auch vor der Schlacht bei Mukden und noch früher bei Liaojang ab.
Von irgend einem Zusammenprall der japanischen und russischen Flotte hört man immer noch nichts. Der russische Admiral RostjestwenSky soll sich von der Kamranhbucht entfernt haben und nach den Philippinen abgedampft sein, um aus Umwegen nach Wladiwostock zu kommen. Das sind aber lauter Vermutungen. Wo die japanische Flotte ist, wissen nur die Japaner selbst und diese geben prinzipiell keine Nachrichten aus.
Das Ergäuzungsgeschwader der baltischen Flotte unter Admiral Nebogatoff, das nach englischen Blättermeldungen bereits Ende voriger Woche das südchinesische Meer erreicht haben sollte, hat, wie jetzt feststeht, erst Freitag früh 5'/s Uhr Sivgapore Passiert. Das Geschwader mit seinen teilweise sehr veralteten Schiffen hat also zur Durchquerung des indischen Ozeans vier volle Wochen gebraucht, d. h. eine Woche mehr als Roschdjestweriskys Flotte von Madagaskar nach Singapore.
Schiller, ei« Prophet für unsere Zeit.
Zur Feier seines Todestages am 9. Mai 1905.
Bon Dr. S. Fant, Nagold.
Wer hätte vor wenigen Jahren noch geglaubt, daß das Gedächtnis von Schillers Todestag die ganze deutsche Nation zu einmütiger Begeisterung entflammte? Schon schien es, als wäre der Einfluß Schillers für immer dahin. In seinem Lustspiel „Jugend von heute" bringt O. Ernst eine Szene, welche die geringschätzige Ablehnung Schillers drastisch bezeugt. Ein junger Literat, der dem „Uebermenschentum" huldigt, wird von einer befreundeten Familie aufge- fordert, mit ins Theater zu gehen. Schillers Wallen- stein wird gegeben. Er will nicht. „Schiller?", sagt er, „pah, Blech!" — Und es handelt sich bei dieser vielfach zu Tage tretenden Ablehnung Schillers nicht etwa um ein künstlerisch-literarisches Urteil mit Bezug auf anerkannte Schwächen der Schillerschen Dichtung. Sondern wie eine der besten neuesten Literaturgeschichten sagt: „Der neueste Sturm und Drang hat ihn nicht nur als Dichter, sondern selbst als Persönlichkeit zu den Toten geworfen."
Woher das Wiedererwachen an seinem Todestag? Darüber sich zu besinnen, wäre eine interessante Aufgabe. Doch jetzt wollen wir uns vor allem darüber fteuen, daß Schiller noch lebt in unserem Volk und wenn sich dies Leben anläßlich der Schillerfeier aüfs neue kräftig regte, so wäre das vom größten Segen. Denn Vieles und Großes hat Schiller uns zu sagen und zu geben.
Vor allem durch seine Persönlichkeit. Ihm ist das Lebensglück nicht in den Schoß gefallen, wie seinem größeren Freund Göthe. Schon seine Jugend war nicht leicht. Wohl hatte er treubesorgte Eltern, eine gemütvolle Mutter, einen verständigen Vater. Aber das bescheidene, einstöckige Geburtshaus in Marbach a. N. hat keinen Ueberfluß beherbergt. Und dann das unstete Wanderleben! Zuerst nach Lorch, wo der Vater beim Herzog um sein rückständiges Gehalt nachsuchen mußte, „da er als ehrlicher Mann auf diese Art unmöglich länger bestehen könne." Dann nach Ludwigsburg. Endlich die Erziehung in der Karlsschule auf der Solitude und dann in Stuttgart, die ohne Rücksicht aus die Neigung des Knaben ihm
den Beruf vorschrieb! Und nun die schweren Kämpfe um seine innere Freiheit und äußere Existenz, die Flucht aus Stuttgart, die wenig befriedigende Stellung in Mannheim, bis er endlich an Körner, dem Vater des bekannten Sängers der Freiheitskriege, den treuen aufopfernden Freund fand, der ihn aller äußeren Not entriß und zugleich innerlicb klärte und festigte. Auch in Weimar mußte sich Schiller seine l Stellung erst erkämpfen. Erst nach 7 Jahren wurde er der vertraute Freund Göthes, der er dann blieb i bis zu seinem frühen Tode. Und das eheliche Glück, das ihn seit 1790 mit der feinsinnigen Lotte von Lengcfeld verband, wurde schon im ersten Jahre der Ehe getrübt durch eine ernstliche Krankheil, die seine Gesundheit so zerrüttete, daß er sich nie wieder ganz erholte. — So war dem Dichter eia Leben des Kampfes beschicken. Aber gerade dadurch wuchs seine sittliche Kraft und das macht ihn um so bewundernswerter. — Wie das Leben, so ist auch Schillers Dichten ein Beweis unermüslicher, treuer Arbeit. Das unmitttelbare, leichte und freie künstlerische Schaffen war Schiller versag!. Aber was ihm von der Natur versagt war, ersetzte er durch sein Streben. Die Stoffe zu seinen Dichtungen mußte er erst suchen und die edle Sprache, deren Wohllaut und Gedankenreichtum so leicht und schnell den Weg zum Volke fand, mußte er sich erst bildeu. So können wir auf die Persönlichkeit Schillers das Wort Göthes anwenden:
„Wenn einen Menschen die Natur erhoben,
Ist es kein Wunder, wenn ihm viel gelingt.
Man muß in ihm die Macht des Schöpfers loben,
Der schwachen Ton zu solcher Ehre bringt.
Doch wenn ein Mann von allen Lebensproben Die sauerste besteht, sich selbst bezwingt,
Dann kann man ihn mit Freuden andern zeigen Und sagen: das ist er, das ist sein eigen!"
Und wie von seiner Persönlichkeit, so gölten von seiner Dichtung die Worte Göthes:
Er mochte sich bei uns im sichern Port Nach wildem Sturm zum dauernden gewöhnen. Indessen schritt sein Geist gewaltig fort Ins Ewige des Wahren, Guten, Schönen,
Und hinter ihm in wesenlosem Scheine Lag, was uns alle bändigt, das Gemeine.
Die Begeisterung fürs Ideale ist der Grundzug aller dichterischen Erzeugnisse Schillers. Im Idealen liegen die Werte und Freuden des Lebens. Wohl hat Schiller auch die sinnlichen Genüsse in Liebes- und Trinkliedern gefeiert. Ja in dem Jugend-Drama „Die Räuber" kommt der wilde Drang nach ungezügelter Freiheit in drastischen Worten zum Ausdruck. Aber je mehr und mehr war des Dichters Leyer gestimmt auf die Ver- herrlichung alles wahrhaft Großen und Guten. Da ist die Fülle der Freuden.
Aus der Wahrheit Feuerspiegel lächelt sie den Forscher an. Zu der Tugend steilem Hügel leitet sie des Dulders Bahn. Auf des Glaubens Sonnenberge sieht man ihre Fahnen wehn. Durch den Riß gesprengter Särge sie im Chor der Engel stehn.
Wie zart und keusch ist die Schilderung der Liebe: O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen, der ersten Liebe goldne Zeit! Das Auge sieht den Himmel offen, es schwelgt das Herz in
Seligkeit;
O daß sie ewig grünen bliebe, die schöne Zeit der jungen Liebe!
Die echte Liebe bleibt: „die Leidenschaft flieht, die Liebe muß bleiben!" Ueberhaupt ist das ganze Lied von der Glocke ein Hymnus aus echtes, deutsches Familienleben. „Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn", das ist des Dichters Glaube, die Treue der Ehegatten, die Treue der Freunde.
Vor allem aber ist Schiller der Dichter der Freiheit. Nach Freiheit dürstete seine jugendliche Seele unter dem strengen Erziehungszwang der Karlsschule. Und da kam dann das jugendliche Kraftgefühl in den „Räubern" mit solch elementarer Macht zum Ausbruch, daß das ganze Drama den Kampf der Freiheit gegen allen Zwang der Ordnung in Staat und Familie verherrlicht. Aber schon der jugendlich stürmische Geist erkannte die notwendigen Schranken allen Freiheitsdrangs, wenn er zuletzt