An die Ortsvorsteher. Anlegung der Rekrutierungsstammrollen betreffend.
Es wird ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß in die Stammrollen auch die im Anstand geborenen Militärpflichtigen aufzunehmen sind und daher das Familienregister und die Bürgertiste in der Richtung durchzusehen ist, ob nicht solche vorhanden sind, welche außerhalb des deutschen Reichs geboren sind und die Württ. Staatsangehörigkeit noch besitzen.
- Calw, 3. Januar 1903.
K. Oberamt.
I. V.: Amtm. Rippmann.
Bekanntmachung,
betr. die Zurückstellung der zum einjährigfreiwilligen Dienst Berechtigten.
Nach 8 93 Ziff. 2 der Wehrordnung haben sich die zum einjährig-freiwilligen Dienst Berechtigten beim Eintritt in das militärpflichtige Alter, sofern sie nicht bereits vorher zum aktiven Dienst eingc- treten sind, sowie diejenigen Militärpflichtigen, welche die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Dienst bei der Prüfungskommissin nachgesucht haben, bei der Ersatz-Kommisston ihres Gestellungsorts schriftlich oder mündlich unter Vorlegung ihres Berechtigungsscheines, sofern ihnen derselbe bereits behändigt ist, zu melden und ihre Zurückstellung von der Aushebung zu beantragen, und zwar auch diejenigen, welche sich schon früher bei einem Truppenteil zum Diensteintritt gemeldet haben und aus irgend einem Grund abgewiesen worden sind. Calw, 3. Januar 1903.
K. Oberamt.
I. V.: Amtm. Rippmann.
Tagesneuigkeiteil.
Calw. (Vortrag über Handschriftendeutung.) Daß man aus der Handschrift eines Menschen dessen Charakter, Gemüt und Naturanlagen erkennen und ihm sagen kann, ob er eigensinnig, eifersüchtig, eitel, geizig, verschwenderisch, offen oder verschlossen, stolz oder bescheiden u. s. w. ist, dürfte noch vielen eine unbekannte Sache sein und doch ist es möglich, alle diese Eigenschaften genau zu erkennen. Ein hervorragender Vertreter und Kenner auf diesem Gebiet, Herr D.'Ammon aus Stuttgart wird darüber kommenden Donnerstag, den 8. Januar, im Georgenäum einen öffentlichen Vortrag halten, wozu Jedermann freien Eintritt hat. Bei diesem hochinteressanten Thema dürfte ein guter Besuch zu erwarten sein.
Nürtingen, 2. Jan. Die Frau des hier als Pensionär lebenden Schullehrers Wilhelm Gebhardt starb im Alter von 75 Jahren am 31. Dez. und sollte am 2. Januar beerdigt werden. In der Frühe des letzteren TageS starb auch der 84 Jahre alte Gatte und so beschlossen die Hinterbliebenen, die Ehegatten gemeinsam am 4. Januar ihrer letzten Ruhestätte zu übergeben. Beide Verstorbene waren nur kurze Zeit leidend.
Heilbronn. Im „Käthchen" ist gegenwärtig eine Schaustellung interessanter Art, und jedes, welches sie gesehen hat, ist in Staunen versetzt. Es sind drei Geschwister: ein 15jähriger Jüngling (hat ein Gewicht von 356 Pfund), ein Mädchen (178 Pfund schwer) von 5 und ein Knäb- chen (129 Pfund schwer) von 3 Jahren, welche die Natur durch einen Knochen- und Körperbau von ganz imenser Art ausgezeichnet hat. Die Kinder sind hübsch von Angesicht und haben ein frisches gesundes Aussehen, sind fröhlich und guter Dinge, gut gepflegt auch geistig sehr gut begabt; das interessante Geschwister-Trio, das zusammen 23 Jahre zählt und 663 Pfund wiegt, hat zu Hause in Ostpreußen, noch 4 weitere, aber ganz normale Geschwister, wie auch die Eltern (der Vater ist Wagnermeister) ganz normale Leute sind. Außer den vielen Professoren des In- und Auslandes wurden die Kinder bei ihrer Anwesenheit in Berlin von Geheimrat Prof. Rud. Virchow unter Anwesenheit von nahezu 400 Professoren in der anthropogischen Gesellschaft im Museum für Völkerkunde vorgestellt und als wirkliche Natur-Phänomen bezeichnet. Bei einer Reihe von europ. Höfen hatten die Kinder auch die Ehre, vorgestellt zu werden. (N. Ztg.)
Ulm, 2. Jan. Seit dem Sylverstertag nachmittags wird der katholische Pfarrer Volz in Gögglingen vermißt. Er hatte sich gegen 4 Uhr mit seinem Hündchen auf einen Spaziergang begeben, den er seiner Gewohnheit gemäß der Donau entlang nahm. Am Abend kam der Hund ohne den Herrn zurück. Sofort begaben sich die Leute auf die Suche. In der Nähe der Gögglinger Donaubrücke wurde der Ueberrock, der Hut, der Stock und das Brevier des Vermißten gefunden, von ihm selbst aber keine Spur entdeckt. Man nimmt an, daß der Geistliche in der Donau ertrunken ist. Er war seit längerer Zeit mit Kopfleiden behaftet, das er dadurch zu lindern suchte, daß er öfters den Kopf mit Wasser kühlte. Wahrscheinlich ist er bei einem solchen Versuch in die Donau gestürzt und nicht mehr herausgekommen. Trotz unausgesetzter Nachforschungen konnte die Leiche bis jetzt nicht gefunden werden.
Dresden, 2. Jan. Ueber den Gesundheitszustand des Königs Georg waren in den letzten Tagen, besonders in der auswärtigen Presse beunruhigende Mitteilungen enthalten. Wie die Dresdener Neuesten Nachrichten jedoch von maßgebender Stelle erfahren, giebt das gegenwärtige Befinden des Königs zu Befürchtungen keinen Anlaß. Der König hat sich infolge einer Erkältung eine starke Influenza zugezogen, die allerdings infolge der starken seelischen Erregung der letzten Wochen und auch infolge des hohen Alters des Patienten immerhin ernst genommen werden muß. Da auch der Magen nicht recht funktioniert, so ist ein Schwächezustand hervorgerufen. Die Funktionen der Lunge sind aber in keiner Weise beeinträchtigt, sodaß ernste Besorgnisse durchaus
nicht gerechtfertigt sind. Die in mehreren Zeitungen erwähnte Herzaffektion ist auf ein altes Leiden zurückzuführen, welches jedoch bisher in ernster Weise nicht hervorgetreten ist. Am gestrigen Vormittag wurde über das Befinden des Königs folgender Krankheitsbericht ausgegeben: In der vergangenen Nacht hat der König verhältnismäßig gut geschlafen. Das Allgemeinbefinden ist befriedigend, eine Abnahme des Katarrhs aber noch nicht zu konstatieren. Ueber das heutige Befinden wurde mittags 12 Uhr mitgeteilt, daß der Zustand des Monarchen unverändert ist.
Berlin, 3. Jan. Der angekündigten Reise des Kronprinzen nach Petersburg wird im Frühjahre eine Seereise im mittelländischen Meere folgen, bei welcher der Kronprinz Rom und andere Hauptstädte besuchen wird. Der Besuch in Rom wird, wie die National-Zeitung erfährt, nicht mit dem des deutschen Kaiserpaares zusammenfallen. Außer seinen persönlichen militärischen Begleitern sollen im Gefolge des Kronprinzen mit nach Petersburg gehen, der Kommandeur der 1. Garde-Jn- fanterie-Diviston, Generalleutnant von Moltke und Adjutant Major von Friedeburg.
Berlin, 3. Jan. Der Kronprinz wird auf seiner Petersburger Reise vom Kommandeur des märkischen Kürassierregiments Nr. 6 begleitet sein.
Berlin, 4. Jan. Die Morgenpost meldet aus Wien: Aus Salzburg wird berichtet, der Großherzog von Toskana sei bemüht, einen Ausgleich zwischen seinem Sohne, dem Erzherzog Leopold Ferdinand und dem Wiener Hofe anzubahnen. Die Ausschließung des Erzherzogs aus dem Kaiserhause soll rückgängig gemacht werden, sobald er endgültig Fräulein Adamovic aufgebe, nach Wien zurückkehre und reumütig Abbitte leiste.
Berlin, 3. Jan. Gestern Morgen wurde der Restaurateur Mich auf der Waisenbrücke von einem jungen Manne namens Otto v. Mansky aus Rache überfallen und durch zwei Revolverschüsse so schwer verletzt, daß er bald darauf verstarb. Der Thäter wurde verhaftet.
- Berlin, 3. Jan. Nach einem Telegramm des Lokalanzeigers aus Dresden erschoß sich in Monte Carlo der Leutnant Axel Oßmann vom 2. sächsischen Grenadierregiment. Das Motiv zur That ist unbekannt.
Wien, 2. Jan. Von der Kronprinzessin von Sachsen wird in der „Zeit" ein ungemein sympathisches Bild entworfen. Die Kronprinzessin sagte, ihr Mann habe sie weder mißhandelt noch bedroht, er liebe die Jagd und das Militär und kümmere sich sonst um weiter nichts. Er sei ein braver und guter Mensch und liebe sie gewiß auch jetzt noch. Trotzdem war sie unglücklich mit ihm, nicht nur durch seine derbe Zärtlichkeit, die für sie qualvoll war; er war auch machtlos, sie gegen die unterträgliche Aufsicht der Oberhofmeisterin zu schützen und im ganzen geboten am Hofe uneingeschränkt die Jesuiten. Sie
F<utüs1litr» Nachdruck virboten.
WerjährL.
Roman von Albert Schmidt.
(Fortsetzung.)
18. Kapitel.
Mister Grant ging schon geraume Zeit ungeduldig im Wartezimmer des Staatsanwalts umher, und noch immer kam der Diener nicht zurück, der ihn beim Doktor Mahlmann gemeldet hatte.
Er war sehr verdrossen — weniger über das lange Warten. Die ganze Scene mit Emma Kramer ging ihm, wie er allein mit sich war, wieder mit allen Einzelheiten durch den Kopf, und höchst unliebsame Gedanken knüpften sich daran. „Hochmütige Bettelprinzeß" nannte er Emma Kramer schon nicht mehr.
„Hat sie nicht ganz recht?" sagte er zu sich, und seine Stirn zog sich zusammen. „Seinen Vaterpflichten sich zu entziehen, feige in die Welt hinauslaufen, ohne Schutz und Hilfe die zurücklassen, für die man sorgen soll, nichts für sie thun, alles thun, um sie unglücklich zu machen — und nun Vaterrechte üben wollen, ernten, wo man nicht gesäet. Liebe verlangen von denen, die man mit Füßen getreten, Vaterfreude genießen, wo man's nicht wagt, die Vaterschaft zu bekennen? Sie hat recht gethan, Geoffrey Grant! Emma Kramer hat das Urteil gesprochen, und Emma Kramer ist ein großherziges Mädchen — o glücklicher Vater, dreimal gesegneter Vater, der solche Tochter sein eigen nennen darf der solches Mädchen an seine Brust drücken darf-"
„Der Herr Staatsanwalt läßt bitten," sagte der Diener und öffnete die Eingangsthür zum Bureau des Doctor Mahlmann.
„Ich freue mich, daß Sie kommen, Herr Grant," empfing ihn derselbe. „Ihr Bürgerbrief hat seine Schuldigkeit gethan. Wolle« Sie ihn wieder entgegennehmen? Bitte, setzen Sie sich."
„Um meiner Papiere willen kam ich gerade, Herr Staatsanwalt," da ich abreise," entgegnete Mister Grant. „Darf ich noch erfahren, welchen Erfolg mein Dazwischentreten gehabt?"
„Der junge Mann ist frei," entgegnete der Staatsanwalt feierlich. „Ihr Zeugnis hat die Pforten seines Gefängnisses geöffnet, und ich kann Ihnen sagen, Herr Grant, daß es mir eine herzliche Genugthuung gewesen ist, das Verfahren gegen ihn einzustellen. Ohne Ihr Zeugnis wäre der junge Mensch, gegen den alles sprach, unfehlbar verurteilt — wie ich jetzt zugestehen muß. unschuldig verurteilt. Selbst für einen Staatsanwalt ist es ein schönes Gefühl, wenn er aus voller Ueberzeugung für die Unschuld eintretcn kann."
„Er ist frei? Gottlob. Wo ist der junge Mensch?" fragte Mister Grant. „Er hat mir Interesse eingeflößt — vielleicht läßt sich etwas für ihn thun."
„Als ich ihm seine Freiheit verkündete," entgegnete der Staatsanwalt, „nahm ich Veranlassung, ihn auf seine Vergangenheit zurückzuführen — sie ist eben nicht ruhmwürdig, aber sie ist vielleicht ein bejammernswertes Produkt der ganzen Verhältnisse, in denen er geboren ist. Ich habe ihm ins Gewissen ge» redet, wie nur ein Vater cs kann. Er hat nicht alles in den Wind geschlagen. Er will in sich gehen — ob etwas daraus wird? Gott weiß es. Er bleibt noch einige Tage hier in der Herberge zur Heimat; ich habe ihm versprochen, daß der Verein für entlassene Sträflinge, besten Vorsitzender ich bin, sich für ihn interessieren werde. Einen Teil des von Ihnen empfangenen Geldes, Herr Grant, hat er mir eingehändigt, ich soll eS ihm bis auf weiteres aufbewahren; es will eS also wenigstens nicht vergeuden, und das ist schon ein kleiner Erfolg, mit dem