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das uns das neue Jahr zu lesen geben wird, Interessanteres und Erfreulicheres Mitteilen wird, ob das Schauspiel, das es auf der kleinen Bühne .des Einzellebens und auf der großen Weltbühne aufführen wird, unterhaltender, herzerquickender, großartiger sein wird, wie das über welchem soeben der Vorhang sich senkt d Wer weiß es — aber man nimmt es an und ist, während man zum Beifallklatschen für das alte, langweilig gewordene Stück keine Zeit und Lust zu haben scheint, schon im Voraus für das neue sehr enthusiastisch gestimmt. Diese Empfänglichkeit für das Neue ist sicher ein hoch zu schätzendes Gut, das sich der Einzelne, wie auch unser Volk bewahren möge, aber gefährlich ist das Uebermaß dieser Eigenschaft, an welchem z. B. unsere westlichen Nachbarn kranken, von denen schon Cäsar sagte, daß sie sehr neuerungssüchtig seien. Es giebt Naturen, die jedem neuen Eindruck sofort erliegen, die, unfähig einer besonnenen abwügendeu Prüfung, das bewährte Gute, das, weil es eben etwas Altes ist, keinen Reiz mehr auf sie ausübt, sofort um ein fragwürdiges unerprobtes Neue preisgeben. Wie oft rächt sich diese Uebereilung durch Enttäuschung und schweren Schaden. Wie oft erkennt man, daß das lockend gleißende Gold in Wahrheit wertloses Blei war und wie oft ist auch das anscheinend Neue nur flüchtiger Sinneutrug, eine irreführende Maske, unter der sich Altes, wiederholt Dagewesenes verbirgt. Die Flattergeister, die Modeaffen, die blind hinter allem Neuen her sind, finden sich leider auf allen Gebieten; sie sind im gesellschaftlichen, künstlerischen, litterarischen und im politischen Leben anzutreffen. Sie sind oft lächerlich, oft lästig, oft aber auch gefährlich, da sie durch persönlichen Einfluß, oft auch durch unbestreitbares Talent wegführend auf andere wirken, die sich ihnen anschließend ein totes Idol für ein schöpferisch wirkendes, zukunfteroberndes Ideal nehmen und ewige oder doch noch lebendige Wahrheiten, unverbrauchte Errungenschaften in die Rumpelkammer verweisen, um dafür ein zweifelhaftes Gut, dessen Wert erst noch die Zeit vorweisen soll, einzutauschen. Mit welcher Leichtfertigkeit wird von diesen Neuigkeitsfanatikern oft pietätlos und sinnlos gegen ehrwürdig Altes, dessen Bestand zum mindesten als Gegengewicht gegen das Neue zu wünschen ist, Sturm gelaufen. Beispiele aus unserm öffentlichen und politischen Leben ließen sich leicht anführen, die da den traurigen Beweis liefern würden, daß man die Weisheit des Bismarck'schen Wortes: „tznleta non movere" vielfach nicht begriffen hat und beherzigt. Damit soll natürlich einem thaten- scheuen ängstlichen Quietismus nicht das Wort geredet werden und die grundsätzlichen Gegner und blinden Verwerfer des Neuen, jene bornierten, bequemen Naturen, die keiner Wandlung geneigt, keiner Weiterbildung fähig sind, denen das Alte unter allen Umständen auch das Gute, daS Neue das Schlechte und Verblichene ist, sie sind nicht minder eine Gefahr. Unter ihrer Herrschaft müßte das Leben, das
eben nur in der Bewegung, in der Weiterbildung besteht, versteinern. Die „gute alte Zeit", die so viele kenntnislose, unverständige Lobpreiser hat, kann nicht unser Ziel und Muster sein. Wir können den Blick nicht rückwärts, wir müssen ihn vorwärts lenken, in die Zukunft, in das unbekannte Neue, an dessen Gestaltung wir selbst arbeiten müssen. Die Erhaltung des Alten, das erhaltenswürdig und für eine segensreiche Zukunft notwendig ist, die Aufnahme des guten Neuen, des neuen, höheren Lebens Keime in sich birgt, möge ein sicher führender Instinkt, eine weise Erkenntnis, eine gewissenhafte Prüfung uns verbürgen. Möge in diesem Sinne uns, dem deutschen Volke beschieden sein
„Ein frohes neues Jahr!"
zv.
Tagesneuigkeiten.
Calw. Der Gesangverein „Konkordia" hielt am Stcphansfeiertag im dichtbesetztcu Dreiß- schen Saale seine diesjährige Weihnachtsfeier mit Gabenverlosung ab. Mit dem prächtigen Liede „Das ist der Tag des Herrn" von Kreutzer wurde die Feier eröffnet. Aus dem reichhaltigen Programm gefielen besonders drei Theaterstücke: „Prinzessin" Grete", von 10 Kindern und 2 Erwachsenen vortrefflich gegeben, ebenso das Stück „Tagblatt No. 367" und ein viel Heiterkeit hervorrufendes humorvolles Stück „Leutnant Degen und sein Bursche". Sämtliche Mitwirkenden wurden durch reichen Beifall erfreut. Nicht minder Anerkennung fanden die gesanglichen Leistungen, Chöre, Quartette und Soli's, so daß die Feier in allen Teilen befriedigte und jedem Teilnehmer in angenehmer Erinnerung bleiben wird.
Calw. Ein Künstlerkonzert ersten Ranges steht uns am 10. Januar in Aussicht und zwar in den vor mehreren Jahren hier gefeierten Geschwistern Boucher, die ihr Versprechen halten wollen. Die liebenswürdigen Pariserinnen haben ihren Wohnsitz bei Paris verlassen, um eine kleine Zwischen-Tournee im Schwabenland zu machen, bei welcher Gelegenheit sie auch unsere Stadt mit einem einzigen Konzert beehren wollen. Die Künstlerinnen, die inzwischen Amerika, Rußland, Frankreich mit einem großartigen künstlerischen und pekuniären Erfolg bereisten, haben sich ihrem Impresario zu einer 2. amerikanischen Gastspielreise verpflichtet wo neue Triumphe sie erwarten. Da die Leistungen der beiden Künstlerinnen allgemein bekannt sind, wollen wir nachstehend die Besprechung einer amerikanischen Zeitung folgen lassen. So schreibt der „Ncw-Aorker Herold": Gestern gaben die Geschwister Boucher ihr 3. und Abschiedskonzert vor einem ausverkauften Hause und ernteten wahre Triumphe. Man muß diese anmutigen Künstlerinnen nicht nur hören, sondern auch ihren Pariser Chic scheu und bewundern. Ueber die Leistungen der beiden Künstlerinnen haben wir nichts mehr zu sagen, was nicht bekannt ist und wollen nur von dem enorm gespendeten Beifall
und den herrlichen Blumenspenden berichten. Wie wir nachträglich erfahren haben, befanden sich unter den vielen Sträußen auch mehrere Geschenke so z. B. ein Brillant-Haarpfeil und ein massiv goldenes ziseliertes Armband als Anerkennung für die großen künstlerischen Leistungen. Das Publikum ließ die Künstlerinnen erst abreisen, nachdem der Impresario das Versprechen gegeben hatte, bald wiederzukommen. Wir hoffen, daß unser Publikum sich auf die Durchreise der Geschwister Boucher freuen und seine Anerkennung durch einen ausverkauften Saal zeigen wird."
Tübingen, 30. Dez. Die bekannte Riecker'sche Buch druck er ei mit dem Verlag der „Tübinger Chronik" ist samt dem Geschäftsgebäude heute um den Preis von 220,000 in den Besitz des Buchdruckereibesitzers Weil, Verlag der „Jagst-Zeitung" in Ellwangen übergegangen.
Oberndorf, 30. Dez. In Winzeln wurden beim Graben der dortigen Wasserleitung alemannische Reihengräber angeschnitten, in deren einem sich ein weibliches Skelett und einige Schmucksachen vorfanden: zwei silberne Armspangen wurden von der staatlichen Altertumssammlung erworben.
Fellbach, 29. Dez. Vorgestern abend gerieten auf dem Weg von Schmieden zum Bahnhof Zivilisten und Soldaten miteinander in Streit, wobei einer der ersteren, ein 19jähriger Bursche aus Münster, einen Nevolverschuß abfeuerte und einen Dragoner von Ludwigsburg am Hintcrkopf schwer verletzte. Der Verletzte wurde in das Bezirkskcanken- haus verbracht.
Heilbronn, 29. Dez. Ein Gerücht über Unregelmäßigkeiten im Ratskeller hat jetzt, nachdem es schon seit Wochen in der Stadt zirkulierte, eine so bestimmte Form angenommen, daß die Staatsanwaltschaft Untersuchung eingeleitet hat. Wie die „Neckarztg." berichtet, handelt es sich um einen Abmangel an Weinvorrat im Wert von mehr als 5000 „U. Das Fehlende ist durch eine aufmerksame Prüfung seitens des Geschäftsführers in einer Differenz zwischen der buchmäßigen Auslieferung aus dem Hauplkcller der Gesellschaft und dem tatsächlichen Bestand im Schankkeller festgestellt worden.
Pforzheim, 29. Dez. Als der Presserlehrling Th. Hofsäß, der in Pforzheim beschäftigt ist, auf dem Heimweg von Pforzheim nach Jspringen begriffen war, wurde er plötzlich von.2 älteren Personen angegriffen, die ihm seinen Wochenlohn ab- nahmen. Als er wieder zurück nach Pforzheim wollte, um den Ueberfall sofort anzuzetgen, hielten die Raubgesellen den Lehrling fest und drohten, ihn totzustechen, falls er sein Vorhaben ausführe.
Mannheim, 29. Dez. Nach der „N. B. LandeSztg." stürzte heute vormittag im Hof- und Nationaltheater bei der Probe zum Lustspiel „Im bunten Rock" Frl. Lißl von einem 2 Meter hohen Balkon herab und blieb bewußtlos liegen. Sie erholte sich bald und hat anscheinend keine Verletzungen erlitten.
Nachdruck verboten.
WerjäHvt.
Roman von Albert Schmidt.
(Fortsetzung.)
Und nun ging Mister Grant wieder gehobenen Schrittes durch sein Zimmer. Dann öffnete er seinen Koffer und schellte. „Ich möchte Herrn Mengerßen selbst sprechen," sagte er zu dem eintretenden Kellner im Frack.
„Ich reise mit dem Abendzug nach Berlin, mein lieber Herr Mengerßen," sagte er huldvoll zu dem Wirt. Ich bin möglichst bald wieder hier. Bei der Deutschen Bank liegen Briefe und Telegramme für mich, legen sie Sie mir aufs Zimmer. Und bitte, zählen Sie diese Noten nach. Sie nehmen sie in Ihr Verwahrsam, bis ich zurückkomme. Dies Empfangsbekmntnis unterschreiben Sie gütigst. So, ich danke. Dann wünsche ich auf meinem Zimmer zu speisen. Das Empfangsbekenntnis steckte er in sein Portefeuille, und Herr Mengerßen verließ das Zimmer. ES war ihm gar nicht besonders angenehm, eine solche große Summe fremden Geldes bei sich aufzubewahren, aber er konnte es seinem vornehmen Gast ja nicht abschlagen und beschloß zur größeren Sicherheit, niemandem, selbst nicht seiner Frau zu verraten, was Mister Grant ihm anvertraut.
Den Herren vom Stammtisch erzählte er, daß sein Gast mit dem Abendzug nach Berlin reise, aber bald zurückkomme.
„Wenn er nur wiederkommt," meckerte der kleine, malitiöse Stadtsekretär, und alles lachte. Nur Rechtsanwalt Thorbeck blieb ernsthaft.
„Er nicht wieder kommen?" entgegnet« Herr Mengerßen. „Er hat mir ja
sein ganzes Vermögen zur Aufbewahrung übergeben. Bergs von Banknoten. Run begreif' ich's, daß er das Geld immer mit vollen Händen ausgiebt. Es hat für ihn ja wohl gar keinen Wert! Ein Krösus ist er."
„Hm," machte der Rechtsanwalt Thorbeck, that einen guten Zug aus seinem Krug und zündete eine neue Cigarre an.
17. Kapitel.
Herr Mengerßen hatte eine schwere Geduldsprobe zu bestehen, denn Mister Grant kam immer noch nicht aus Berlin zurück, und Herr Mengerßen wurde von Tag zu Tag unruhiger über den Schatz, den er zu bewahren hatte. Mehrmals revidirte er täglich seinen Geldschrank und vergewisserte sich, daß die Banknoten noch vorhanden waren; Nachts nahm er sie mit sich in sein Schlafzimmer, denn seine Frau war ja selbstverständlich schon viel eher in das große Geheimnis eingeweiht worden, als er es am Stammtisch ausposaunt hatte. Er glaubte die Spannung kaum noch ertragen zu können, als endlich glücklicherweise Mister Grant wieder eintraf. Amerikanische Briefe lagen für ihn bereit, Geschäftsbriefe orien- tirten ihn über alles Wissenswerte und überzeugten ihn, daß die große Weizenspekulation des Hauses Grant, Pollet und Myers Aussicht auf einen kolossalen Gewinn bot.
Sein erster Gang führte ihn zum Rechtsanwalt Thorbeck, und er erfuhr, daß seine Geldsendung von Berlin eingetroffen war, und daß schon eine ganze Anzahl Kramerscher Gläubiger gegen Zahlung des Kapitals reine Quittung erteilt hatte. Herr Mengerßen war sehr glücklich, daß die Banknoten nun wieder aus seinem Gewahrsam verschwinden durften, aber noch glücklicher, als der Rechtsanwalt Thorbeck ihm für sich und sein« Geschwister eine namhafte Summe Geldes bezahlte, als den Betrag dessen, was Vater Mengerßen seiner Zeit in dem Kra- merschen Konkurse verloren hatte; gern und willig quittierte er über den Empfang