Berlin, 30. Dez. Das Berliner Tageblatt meldet aus N ew y o rk: Präsident Castro hat auf die Rückgabe seiner Flotte verzichtet und willigt in ständige Abzüge von den Zollhauseinnahmen ein bis zur Tilgung aller Forderungen. Diese Nachgiebigkeit dürfte das Resultat der Fortschritte der Rebellen und einer Hunger-Emeute in La Guaira sein. Die letztere soll die Landung britischer Truppen veranlaßt haben.
Zum Fall Krupp. Der „Generalanzeiger für Essen und Umgegend" teilt folgendes mit: „Zur Beschaffung von Material im Falle Krupp hatte der Berliner „Vorwärts" Herrn Gradnauer nach Capri geschickt, der jedoch, wie zu erwarten war, nichts Belastendes gegen Herrn F. A. Krupp hat erfahren können. Noch vor Rückkehr des Herrn Gradnauer ist auf Grund des von ihm erstatteten Berichts ein Beschluß der sozialdemokratischen Fraktion gefaßt worden, daß die ganze Angelegenheit als Privatsache des „Vorwärts" zu betrachten und jede Verantwortung der Partei für dieselbe abzulehnen sei. Auch solle von einer Agitation gegen den § 175 des St.-G.-B. aus Anlaß dieses Falles abgesehen werden. Ferner solle, falls die Partei im Reichstage oder in der Gerichtsverhandlung dazu provoziert werde, eine dahinlautende Erklärung abgegeben werden. Ein hervorragender sozialdemokratischer Abgeordneter hat in einer Unterhaltung über diese Angelegenheit des „Vorwärts" die Aeuße- rung gcthan: „Uns egal, die Sache geht die Partei als solche nichts an." Gradnauer wußte nach seiner Rückkehr von Capri keine Herrn Krupp belastende Thatsache zu berichten, die geeignet gewesen wäre, eine Unterlage für die schmählichen Verläumdungen des „Vorwärts" zu bieten, obwohl sich viele Personen zur Abgabe von Aussagen an ihn herandrängten, auf die er jedoch wegen ihrer Unwahrheit verzichten mußte."
Leipa (Böhmen), 30. Dez. DaS Hochwasser hat hier und in der Umgebung großen Schaden angerichtct, zahlreiche Brücken wurden weggeschwemmt. Viele Fabriken stehen unter Wasser. Augenblicklich ist ein langsames Zurückgehen des Hochwassers zu konstatieren und man hofft, daß nunmehr die Gefahr für die Stadt vorüber ist.
London, 29. Dez. Im City-Roadarbeits- haus in London befindet sich eine Frau Lydia Carr, die in den nächsten Tagen 104 Jahre alt wird. Sie lebt bereits seit 20 Jahren in dem genannten Armenhaus und ist fast die ganze Zeit bettlägerig gewesen, hat aber immer noch Erinnerung an ihre Vergangenheit. Daß die Eitelkeit auch in diesem hohen Alter den Menschen nicht verläßt, geht wohl daraus hervor, daß die alte Dame, als man sie photographieren wollte, eine Wärterin bat, ihr zu dem Zwecke Uhr und Kette zu borgen. In demselben Armenhaus lebt ein 80 Jahre alter Neffe von ihr.
London, 30. Dez. König Eduard wird in den ersten Märzwochen sich an die Riviera begeben und vor Cannes an Bord seiner Jacht wohnen.
New - Iork, 30. Dez. Die Verspätung der Antwort Castros auf den Schiedsgerichtsvorschlag ruft in Washington Aufsehen hervor, obwohl man weiß, daß der Präsident von der Hauptstadt abwesend ist. Der Minister des Aeußern hat Bowen genaue Instruktionen erteilt und ihn von dem Resultat der Verhandlungen mit London und Berlin in Kenntnis gesetzt, sowie beauftragt, die Verhandlungen in Caracas zu leiten und die Unterzeichnung des Protokolls zu veranlassen, welches fertig gestellt werden muß, bevor die Angelegenheit dem Haager Schiedsgericht unterbreitet weichen kann.
Konstantinopel, 30. Dez. Nach telegraphischer Meldung des Inspektors Hilmi-Pascha wurden in der Zeit vom 12.—22. ds. Mts. 64 Räuber in den verschiedenen Distrikten der europ. Türkei verhaftet; ferner werden 177 Uebel- thäter, darunter 23 Christen, wegen verschiedener im Vilajet Kassobo begangener Verbrechen eifrig verfolgt.
Kerurischies.
Auch eine Weihnachtsfeier. Aus Neapel kommt die entsetzliche Nachricht, daß nach dem Weihnachtsfeste die Chirurgen vom Hospital bei Pellegrini 13 Hände amputieren mußten, da leider die Unsitte herrscht, alle kirchlichen Feste mit Schießen, Knallen und Feuerwerk zu feiern, je mehr Lärm, desto besser. Nun hatten die Bauern der Umgegend sogar einige Tynamitkörper unter den explosiven Stoffen, und diese richteten das Unheil an, da sie mit grenzenloser Unvorsichtigkeit gehand- habt wurden. Die amputierten Glieder, sämtlich in eine Kiste gepackt, sind auf dem Kirchhof begraben worden.
Kurze Nachrichten aus den Vereinigten Staaten. Im Jahre 1902 sind 30,000 Menschen aus den Vereinigten Staaten nach Kanada ausgewandert, wo Regierungsländereien noch zu haben sind. — Nur noch 269,000 Indianer sollen in den Vereinigten Staaten leben. Feuerwasser und Krankheiten haben furchtbar unter den Rothäuten aufgeräumt. — Im Staate Washington (am Stillen Ozean) sind Tausende von Zentnern der besten Acpfel unter den Bäumen verfault, da der Preis so niedrig ist, daß die Transportkosten nicht gedeckt werden.
— Empfehlenswertes Schema für Mahnbriefe. Ein junger Lebemann stellt seiner Zeitung den folgenden von seinem Schneider erhaltenen Mahnbrief zur Verfügung: „Wer war es, der im Sommer mich dazu zu bewegen wußte. Ihnen einen Anzug auf Kredit zu liefern? Sie, Herr A. Wer versprach mir hoch und heilig, bis zum 1. Dezember zu bezahlen? Sie, Herr A. Wer war es aber, der nicht bezahlte? Das waren Sie, Herr A. Wer ist also ein elender Betrüger und großer Lump? Ihr ergebener Hansen, Schneidermeister."
Dresden, 29. Dez. Vorgestern ist das sächsische G es amt Ministerium als sogenannter Kronrat zu einer Sitzung zusammengetreten, in der es sich mit der kronprinzeßlichen Angelegenheit beschäftigt hat. Die bisher der Prinzessin immer noch sympathische Stimmung im Volke beginnt nun uwzuschlagen. So lange die wahren Beweggründe ihrer heimlichen Entfernung noch nicht ganz feststanden, fand man nicht genug Worte des Mitleids, der Verteidigung, ja der Bewunderung für den einstigen Liebling der Dresdener. Jetzt ändert sich das und macht eine überschwängliche Verehrung, die sogar alle Schuld auf die hiesigen Familienangehörigen wälzte, mehr und mehr der Entrüstung darüber Platz, daß sie als Frau, Mutter und Fürstin auch dem sächsischen Volke für all' seine Liebe schlecht gedankt und die auf sie gesetzten Hoffnungen schwer getäuscht hat. Wohl mag ihr das Leben am hiesigen Hofe zuletzt unerträglich geworden sein, wohl mag sie es insbesondere bitter empfunden haben, daß unter dem jetzigen König nicht ihr, der Kronprinzessin, sondern der Prinzessin Mathilde die erste repräsentative Stellung übertragen worden, aber das ist die Folge, nicht die Ursache ihres Thuns gewesen, das nunmehr durch ihre letzte der Sitte widersprechende Handlung gekrönt worden ist.
Dresden, 30. Dez. Das amtliche Dresdener Journal meldet: Nachdem der Kronprinz die Absicht kund gegeben hat, die bei seiner Ehefrau entstandenen Ehe-Verirrungen auf rechtlichem Wege zum Austrag zu bringen, ist von dem König gemäs den Bestimmungen des sächsischen Hausgesetzes vom 20. August 1879 ein besonderes Gericht von 7 Richtern niedergesetzt worden, bestehend aus dem Neichs- gerichtspräsidenten und 6 Richtern für Ehesachen. Ueber das Verfahren hat der König besondere Vorschriften getroffen. Der Klageantrag ist auf Aufhebung der Ehe gerichtet.
Berlin, 27. Dez. In dem Hanse Trabc- nerstraße 39 in der Villenkolonie Grunewald wurden der Portier Karl Weber, seine Frau und sein 16- jähriger Sohn Karl in ihren Betten erstickt aufgefunden. Wiederbelebungsversuche waren erfolglos. Es liegt Vergiftung durch Kohlengas vor. Das Haus ist mit Zentralheizung versehen. Der Einfülldeckel im Heizungsraum war schlecht verschlossen. Die den Heizraum von der Weberschen Familie trennende Verbindungsthür war offen geblieben, so daß die dem Ofen entströmenden Kohlengase in die Wohnung drangen.
Berlin, 29. Dez. Die Berliner Maschinenbau-Aktiengesellschaft vormals L. Schwartzkopff wurde kürzlich durch einen ungetreuen Expeditionsbeamten, welcher mit der Abfertigung der ein- und ausgehenden Sendungen beauftragt war, mittelst gefälschten Frachtbriefes um den Betrag von etwa 30,000 geschädigt. Der betreffende Beamte ist der Staatsanwaltschaft übergeben worden und befindet sich in Untersuchungshaft.
und erklärte sich und seine Geschwister für völlig befriedigt; die Zinsenfrage überhaupt nur zu berühren, kam ihm gar nicht in den Sinn.
Der Rechtsanwalt hoffte, seinem Auftraggeber in allernächster Zeit Recknung oblegen zu können. Die Regulirung werde bald geschafft sein, meinte er, Schwierigkeiten mache in einzelnen Fällen nur noch die Legitimation der Erben inzwischen verstorbener Gläubiger, aber auch das wäre bald erledigt. Einzelne alte Gläubiger seien ohne bekannte Erben verstorben, die müßten natürlich ausscheiden, und eine Tilgung dieser Forderungen seien leider unmöglich. „Leider," bekräftigte Mister Grant, „leider, das bedauere ich sehr. Da kann ich Herrn Kramer eben nun nicht helfen."
„Das läßt sich nicht ändern," entgegnete der Rechtsanwalt. „Uebrigens herrscht Helle Freude in Lcnzhcim ob dieser unerwarteten Bezahlung verjährter, schmerzlich betrauerter Forderungen. Man ist Ihnen besonders dankbar, Herr Grant, daß Sie zu dieser Erledigung der höchst unerquicklichen Geschichte Ihre Hand geboten haben, und man wird Ihrer stets mit herzlichen Gefühlen gedenken, auch wenn Sie längst nicht mehr hier sind."
„O, das soll mich freuen," antwortete Mister Grant und schüttelte dem Rechtsanwalt die Hände. „Ich kann nicht sagen, daß dieses Geschäft mir sehr angenehm ist, aber um der Lenzheimer willen, die mich so überaus liebenswürdig unter sich ausgenommen, habe ich den Wunsch des mir unbekannten Herrn Kramer nicht ablehnen zu sollen geglaubt. Sobald Sie mir Rechnung abgelegt, reise ich ab, Herr Rechtsanwalt, ich sehne mich allmählich wieder nach Chicago und Milwaukee zurück, dieses lange Nichtsthun ist doch gegen meine Natur. Auf Wieder» sehen I"
„Wie ist's mit Schwester Emma?" fragte Mister Grant, nachdem er ein Couvert mit Banknoten auf den Schreibtisch des Arztes gelegt.
„Ich weiß es nicht," entgegnete der Geheimrat. „Ihre Stellung beim Roten Kreuz hat sie aufgegeben, sie kann es nicht überwinden, daß der schuldbeladene, von Flüchen verfolgte Mensch, der vor über dreißig Jahren aus Lenzheim geflohen, ihr Vater ist. Dieser G-danke erdrückt sie, sie fürchtet den Blick jedes Lenzheimers, sie glaubt, daß jeder mit Fingern auf sie zeigt. Nirgendwo läßt sie sich sehen. In einem kleinen Hause neben dem Spittel hat sie sich ein Hinterstübcken gemietet. — Gott weiß, was aus ihr wird. Sie lehnt jede Hilfe, jeden Trost ab."
„Aber ihr Vater bezahlt doch jetzt seine Schulden," warf Mister Grant ein.
„Das lhut er ja. wie man sagt," antwortete der Geheimrat ochselzuckend. „Aber das kann den Gedanken des unglücklichen Mädchens eine andere Richtung nicht geben. Sie ist in ihrem heiligsten Gefühl verletzt. Wie eines verklärten Helden hatte sie stets ihres Vaters gedacht, in der schönsten Zeit seines LebenS durch ein mißgünstiges Geschick dahingerofft. Mit einem Heiligenschein hatte sie sein Bild umkränzt, alle Tugenden, die e n Menschenleben verschönern können, ihm angedichtet. Und nun ist sie jäh aus ihrem Himmel gestürzt.
Mister Grant war bei diesen Worten des Arztes sehr unruhig geworden. Er hatte plötzlich keine Zeit mehr. So schnell wie möglich wollte er, wie er sagte, seine Zelte in Lenzheim abbrechen und nach Amerika zurückkehren, aber vergessen würde er nie, was er dem Herrn Geheimrat schulde. Nur mit seinem Leben könne seine Dankbarkeit enden. Dann noch ein kräftiger Händedruck, und die Thür hatte sich hinter dem Amerikaner geschloffen.
„Nur dies eine noch," sagte sich nun Mister Grant. „Das Letzte — dann mit vollen Segeln nach Hause! Und mit mir soll sie reisen, die meine Tochter sein wird, die ich lieben will wie mein Kind, die mich verehren soll wie einen Vater." (Fortsetzung folgt.)