Wüi-Ilemberg.
Stuttgart, 8. Novbr. Die Abgeordnetenkammer hat ihre heutige Sitzung mit der Beratung der zu Art. 7 der Gemeindeordnung gestellten sozialdemokratischen Anträge ausgesüllt, die darauf hinauslaufen, die Erwerbung des Bürgerrechts zu erleichtern, und zwar in dem Sinne, daß es von jedem männlichen und weiblichen Gemeindeeinwohner ohne besondere Erteilung erworben werden soll, der Angehöriger des Deutschen Reiches ist, das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat und seit einem Jahr in dem Gemeiudebezirk seinen Wohnsitz hat, für die weiblichen Einwohner jedoch mit der Einschränkung, daß es nur ledigen und verwitweten zuteil werden soll. Die Rechte, die aus dem Bürgerrecht erwachsen würden, wären die Teilnahme an den Gemeindewahlen, die Befähigung zur Uebernahme unbesoldeter Aemter in der Verwaltung und Vertretung der Gemeinden, sowie die Berechtigung zur Teilnahme an den persönlichen Gemeindenutznngen. Diese Anträge, die von dem Abg. Tauscher begründet und von Hildenbrand mehrmals verfochten wurden, fanden im Hause keinerlei Beifall. Schock (VP.) bemängelte, daß durch die Anträge die Forderung der Landesangehörigkeit als Voraussetzung für die Teilnahme an den Gemeindewahlen beseitigt werde und sprach von einem .Altjungfernartikel". Liesching (Vp.) bezeichnete die Anträge als Inkonsequenz und Halbheit, weil die verheirateten Frauen von dem Wahlrecht ausgeschlossen werden. Die Zeit der einjährigen Gemeindeangehörigkeit sei zu kurz bemessen. So gut ein Arbeiter den Beitrag zur Parteikasse zahlen könne, ebenso gut könne er auch die Ausgabe für die Erwerbung des Gemeindebürgerrechts aufbringen. Schick (Ztr.) sah in den Anträgen eine Beschränkung des bestehenden Rechts, da die Erwerbung des Bürgerrechts durch Abstammung ausgeschlossen werde. Frhr. v. Ow (F. V.) betonte, daß die allgemeine Teilnahme an den Gemeindenutzungen ohne Gegenleistung zu deren Erschöpfung führen müsse. Dem Minister des Innern, Dr. v. Pischek, erschienen die Anträge sowohl aus prinzipiellen Gründen, sowie auch wegen verschiedener Unklarheiten im einzelnen nicht verwertbar. Er wies nach, daß die Anträge eine Prämie für spätes Heiraten darstellen, indem Frauen, die nach dem 25. Lebensjahr heiraten, das Wahlrecht besitzen, solche, die früher heiraten, aber nicht. Vizepräsident Dr. v. Kiene stellte fest, daß die vorliegende Frage mit Unrecht zu einer Arbeiterfrage gestempelt worden sei und daß die Forderung des Wahlrechts für Frauen über das Ziel dessen hinausschieße, was berechtigt ist. Auch die Abgeordneten Röder (D. P.)> Harttmann (Vp.), Maier-Rottweil (Ztr.) und Kraut (Fr. V.) sprachen sich gegen die Anträge aus, die denn auch schließlich nach vierstündiger Beratung mit großer Mehrheit abgelehnt wurden.
Stuttgart, 10. Nov. Die Abgeordnetenkammer hat hente die Beratung der Gemeindeordnung bei Art. 8 fortgesetzt, dessen erster Absatz dem Grundsatz der Selbstverwaltung der Gemeinden durch ihre Angehörigen gesetzlichen Ausdruck gibt.
Gin neugieriger Kunde.
Humoreske von Adolf Hhiek«.
-(Nachdruck verboten.)
In einer jener stillen Nachmittagsstunden, wo auch in flottgehenden Geschäften einige naschhafte Fliegen die einzigen Besucher zu sein Pflegen, saß der Kaufmann Künzel mit zufriedener Miene und einer Zigarre im Munde auf dem Sopha seines Ladenstübchens.
Er hatte eben wieder einmal — wie er dies gern tat — einen kleinen Ueberblick über seinen Umsatz und Reingewinn geworfen, und diese Bilanz war nicht schlecht ausgefallen.
Doch die Gedanken des jungen Mannes flogen weiter, er dachte an ein paar freundliche Augen und Lippen, er dachte daran, daß die von ihm erhoffte Verbindung mit dem jungen Mädchen ihn auch geschäftlich heben müßte.
Ja, mit mehr Kapital, was könnte er da anfangen, er könnte mehr im Großen beziehen, könnte Spezialitäten einführen.
Ach, die Liebe in so einträglicher Gestalt, wie lockte sie ihn in ihre süßen Bande!
Doch es lag noch ein Hindernis zwischen der Gegenwart und dem künftigen Hausvater und Klein- Grossisten, weilte sie doch fern, die kapitalkräftige Geliebte!
Wohlgefällig strich Künzel seinen großen blonden
Eine längere Debatte rief dabei die Frage hervor, ob die Selbstverwaltung den Gemeinden auch zur Pflicht gemacht werden soll, wie dies der Kommissionsantrag vorschlug. Die Erklärung des Ministers von Pischek jedoch, daß die Regierung daraus eine Erweiterung ihrer Machtbefugnisse den Gemeinden gegenüber ableiten würde, veranlaßte das Haus, nachdem sich die Abgeordneten Rembold-Aalen, v. Kiene. Haußmann-Balingen, Maier-Blaubeuren und der Berichterstatter Nieder in diesem Sinne ausgesprochen hatten, eine solche Verpflichtung für die Gemeinden nicht zu statuieren. Weite Kreise zog dann die Beratung des Absatzes 2, der den Gemeinden die Befugnis zuerkennt, zur näheren Regelung der ihre Verfassung und Verwaltung betreffenden Verhältnisse Ortsstatuten zu erlassen. Diese Bestimmung des Entwurfs hatte in dem Antrag der Kommission eine Erweiterung erfahren, die vom Regierungstische aus sehr energisch bekämpft wurde. Der Vorschlag der Kommission wollte nämlich die Gesetzzebungsgewalt der Gemeinden in lokalen Angelegenheiten auch auf andere Gesetzesvorschriften als die der Gemeindeordnung ausdehnen Dabei wurde dann gleich die eigentlich erst in Absatz 3 zu regelnde Frage der Genehmigung der Ortsstatuten hereingeworfen, wobei sich ein völlig verschiedener Standpunkt der Regierung und der Juristen des Hauses ergab Während die Regierung ein Mitwirkungsrecht für sich in Anspruch nimmt, will die Kommission nur ein Einspracherecht zugestehen, wenn die Gemeindesatzungen mit dem Gesetz in Widerspruch stehen, die Rechte dritter verletzen oder das öffentliche Wohl schädigen. Schließlich wurde Absatz 2 nach dem Antrag der Kommission angenommen und die Weiterberalqng auf morgen vormittag vertagt.
Stuttgart, 8. Nov. Sicherem Vernehmen nach werden die diesjährigen Hochwildjagden in Bebenhausen mit Rücksicht auf die Gesundheitsverhältnisse Seiner Majestät des Königs, die es fraglich erscheinen lassen, ob Seine Majestät an allen Jagden werden teilnehmen können, in beschränktem Umfang gehalten werden, insbesondere wird die Zahl der Einladungen eine kleinere sein.
Im Stuttgarter Ratskeller sind in den ersten 8 Tagen des Betriebs, vom 1.—8. November, 9200 Liter Wein, also über 30 Eimer ausgeschänkt worden.
Stuttgarter Schwimmbad, Balneologifches Institut. Vergangenen Sonntag nachmittag wurde die Anstalt von 3500 Personen besichtigt. Außer den ausgedehnten Baderäumen waren die Vorhallen, die „maurische Badrestauration", sowie der „silberne Hecht" dicht besetzt. — Der Schwimmerbund. Schwaben' hat sich unter Zusicherung der Mitwirkung des Stutt- zarter Damenschwimmvereins bereit erklärt, das bei der Eröffnungsfeier des Baineologischen Instituts abgehaltene Schauschwimmen und Springen nächsten Sonntag gegen mäßiges Eintrittsgeld, zum Besten des Unterstützungsfonds der Angestellten des Stuttgarter Schwimmbades, zu wiederholen. Zu diesem Feste mit vorheriger Besichtigung des neuen Balneo- logischen Instituts hat die Verwaltung Einladungen an die Mitglieder der Bürgerlichen Kollegien ergehen lassen.
Schnurrbart, denn dem hatte er doch meist seine Eroberung zu danken.
Da ging die Ladentür, und eS trat ein Herr ein, ein gutgekleideter, anständig aussehender Herr in mittleren Jahren.
Der Geschäftsinhaber, der sein Ladenmädchen auf die Post gesandt hatte, schoß mit der Miene eines Stoßvogels in den Laden und fragte höflich nach dem Begehr des Herrn.
Dieser ließ sich Zigarren vorlegen, kaufte verschiedene Sorten, wobei er sich als Kenner erwies, und schien nicht abgeneigt sein, Nachbestellungen zu machen.
„Ganz hübsches Städtchen, dies Rommersburg I" sagte er dann. „Was ist denn sonst hier los für jemand, der noch fremd ist? Wie kann man sich denn hier amüsieren?"
„O, in verschiedener Weise, mein Herr!" erwiderte Künzel höflich. „Wir haben hier ein Winter-Theater mit ganz tüchtigen Leistungen, eine gute Stadtkapelle, auch öfters Militärkonzert aus der benachbarten Garnison."
„So, so, das läßt sich ja hören! Ja, hier ist anscheinend Wohlstand zu Hause. Auch die geschäftlichen Verhältnisse scheinen nicht schlecht zu sein. Sie sind doch gewiß zufrieden?"
Ein Verdacht schoß Künzel blitzschnell durch den Kopf.
„Ein Konkurrent! Er kennt Zigarren, das ist ein Konkurrent!"
Einen Augenblick starrte er den Fremden etwas
Stuttgart, 8. Nov. Ein Schieferdecker ließ durch seinen Gehilfen und Lehrling verschiedene Re- Paraturen auf einem Dache vornehmen, unterließ es jedoch, die bei diesem Geschäft allgemein üblichen Vorsichtsmaßregeln zu beobachten. Von der Straße aus war nichts davon zu bemerken, daß auf dem Dach gearbeitet wurde und einer Zeitungsträgerin fiel ein Stein auf den Kopf; es dauerte 5 Wochen bis die Wunde verheilt war. Der Staatsanwalt beantragte bei der Verhandlung vor der Strafkammer gegen den Meister und den Gesellen eine Geldstrafe von je 300 gegen den Lehrling eine solche von 10 Die Strafkammer sah die Sache milder an und sprach den Meister frei, weil er seine Leute beauftragt hatte, die nötigen Vorsichtsmaßregeln zn treffen. Dagegen wurde der Gehilfe zu 30 ^ und der Lehrling zu 10 ^ Geldstrafe wegen Körper- Verletzung verurteilt.
Jlsfeld, 9. Nov. Die Jnterimskirche ist nun fertig und wurde am Sonntag vormittag ihrer N. stimmung übergeben. Am Weiheakt nahmen u. L, teil Oberkonsistorialrat v. Römer-Stuttgart, Prälat v. Wunderlich - Heilbronn, Dekan Knapp - Besigheim, Professor Köcklen-Stuttgart, der Erbauer der Kirche. Dekan Knapp sprach das Weihegebeit, Pfarrverwch Löbich hielt die Festpredigt. Nachmittags war eine Jugendfeier.
Ravensburg, 10. Nov. Stadtschultheiß Harrer in Schramberg hält dem Oberschwäbischen Anzeiger zufolge seine Kandidatur aufrecht und wird sich am Sonntag den hiesigen Wählern vorstellen.
Mühlacker, 7. Nov. Der anhaltend niedere Wasserstand der Enz, welcher selbst denjenigen des Jahres 1893 übertrifft, beginnt nach und nach zu einer wahren Kalamität zu werden, von welcher so- wohl die zahlreichen am Flusse belegenen Wasserwerke, als auch die Fischereiinteressenten und W/e/m- besitzer betroffen werden. Die Wassermenge, welche sonst unterhalb Niefern zirka 11000 SekundeM« beträgt, ist auf kaum die Hälfte zusammengegaligm, und weite Strecken des Flußbettes liegen trocken. Für die zahlreichen großen Mühlenwerke ist dies ein großer Nachteil, welchem die hiesige Kunstmühle zur Zeit durch die Errichtung eines größeren Maschinenhauses behufs Ergänzung der schwächer werdenden Wasserkraft durch Dampfbetrieb vorzubeugen sucht.
Bietigheim, 9. Nov. Am letzten Viehmark! ging hier ein Schreibbuch mit 350 Inhalt verloren, ebenso ein junges Rind. Das macht vcr „heurige Jahrgang".
Kus StaSt» Bezirk und Umgebung.
** Pforzheim, 8. Novbr. Unsere Theater- direktion zeigt sich in ihrem neuen Heim außerordent- lich rührig. Sie hat uns in den letzten Wochen mit mehreren Novitäten wie „. . . so ich dir" von Paul Lindau, „Es werde Recht" von Walter Bloew, „Höhenluft" von H. Stobitzer in durchschnittlich guter Ausführungen bekannt gemacht, außerdem eine Reihe von Neueinstudierungen geboten und schließlich uns auch wieder das Gastspiel der Karlsruher Hofschall, spielerin Frln. Lisa Podechtel vermittelt, welche sich von früheren Jahren schon großer Beliebtheit beim
blöde an, dann war sein Entschluß gefaßt. Na warte!
„Die geschäftlichen Verhältnisse?" begann er dann. „Ach du lieber Gott, was ist denn hier zu verdienen? Nicht die Butter zum Brote!"
„Ach, was Sie sagen!" erwiderte der Fremde etwas erstaunt.
„Die Konkurrenz ist ja zu groß, es sitzt einer auf dem andern. Und die Kundschaft, da muß mau sich vorsehen! Was es hier für Leute gibt! Kommt da vor ein paar Tagen eine Bauersfrau, kaust für etwa 8 -Ki Ware und tut sie in einen großen Topf, den sie in ihrem Korbe hatte. Sie will noch anderswo etwas holen und stellt daher den Topf einstweilen in die Ecke dort. Als sie nicht wieder kommt, sehe ich mir den Topf etwas näher an. Was denken Sie?" — hat der Topf keinen Boden, hat das Weibsbild die Ware im Korbe behalten: Und so sind sie hier alle, man setzt nur zu!"
„Nicht möglich!"
„Ach, miserabel, sage ich Ihnen! Und dann hier die Preise der Wohnungen, des Grünfutters und die Gastwirte! Wie ich herkam ging's gleich an. Komm ich da mit meinem Bruder, der sich das Geschäft mit ansehen wollte, hier in ein Hotel. U bestellte mir Schnitzel, mein Bruder nach eine« Weilchen dasselbe. Der Kellner bringt mir ei»t mittelgroße Portion, und ich esse sie. Mein Bruder wird ungeduldig und fragt den Kellner, wo seine Portion bleibe. Sagt der Mensch: „Ja, das war doch für zwei Personen!" Und so ist hier alles: