Beilage z« Ur 146 des Gnzthälers.
Neuenbürg, Mittwoch den 17. September 1902.
Ausland.
Eines neues französisches Geschütz. Seit mehreren Jahren ist die französische Heeresverwaltung bemüht, die Ausrüstung der Artillerie zu vervollkommnen, und hat jetzt durch die Konstruktion einer neuen Kanone wiederum einen bedeutenden Fortschritt in diesen Bestrebungen zu verzeichnen. Während die schweren Geschütze anderer Nationen in der Minute nur zwei Schüsse abgeben können, ist man im stände, mit der neuen französischen Kanone, deren Rohr einen Durchschnitt von 75 mm hat, bis zwanzig Schüsse in derselben Zeit abzugtben. Außerdem ist es durch eine Bremsvorrichtung möglich geworden, jede Schwankung zu verhindern, und die Stahlschilde schützen die Bedienungs-Mannschaft vor den feindlichen Kugeln. Durch schnelle Folge der Geschosse ist es einer feindlichen Abteilung fast unmöglich gemacht, ohne große Berichte aus dem Feuer zu kommen, während es bei gewöhnliche« Kanonen immerhin durchführbar ist, durch eine Schwenkung Deckung zu erlangen. Die Probe auf die Verwendbarkeit des Geschützes ist bereits in dem Feldzug gegen China mit großem Erfolg gemacht worden, indessen stellten sich der- völligen Ausnutzung der neuen Waffe die schwierigen Terrainverhältnisse in den Weg. Das zerklüftete Gelände erschwerte den Transport ganz bedeutend. Die deutsche Heeresverwaltung hat sich mit dieser neuen Erfindung bereits eingehend beschäftigt, und vielfach ist die Ansicht zu Tage getreten, daß man ähnliche Geschütze auch bei uns herstelle. Italien hat bereits damit Versuche gemacht, jedoch die französische Konstruktion in einem ihrer wichtigsten -veile nicht übernommen, nämlich einer Bremse, die den Rückschlag der Kanone verhindert. Die Wirkung der Geschosse soll eine verheerende sein, da sie eine eminente Durchschlagskraft besitzen. Hoffentlich dient diese neue furchtbare Waffe aber nur dazu, um die Wahrheit des alten Spruches zu bestätigen: „81 vis pueem, para bollum!"
New - Aork, 15. Sept. Hier herrscht eine außerordentliche Kälte; an verschiedenen Orten sank das Thermometer mehrere Grad unter Null während in anderen Gegenden Schneefall eintrat. Der kalte Luftstrom erstreckt sich bis nach dem nördlichen Texas und macht eine baldige Beendigung des Bergarbeiterstreiks notwendig, da die Kohlenpreise fortwährend im Steigen begriffen sind. In vielen Ortschaften ist es unmöglich, Anthracitkohle zu erhalten.
New-Jork, 16. Sept. Im Staate Washington sind infolge von Waldbränden viele Menschen umgekommen. Bis jetzt sind 38 Leichen aufgefunden worden; außerdem werden noch viele Pflanzer und Einwohner vermißt. Der angerichtete Schaden in den Nutzholzbeständen ist bedeutend.
Charkow, 16. Sept. Im Dorfe Mereva sind 114 Bauerngehöfte niedergebrannt. Der Schaden wird auf mehr als 200 000 Rubel geschätzt.
Unterhaltender Heil.
Auf dunklen Pfaden.
35 Roman von E. Eiben.
„Nimm den kleinen goldenen Schlüssel, der an meiner Uhrkette hängt und öffne die Schatulle."
„Johann, dies Gold soll Dein sein! Hörst Du? Dein! Du wirst reich!"
„Du mußt mir dafür einen Dienst erweisen." Johann starrte ihn fragend an und setzte langsam die Schatulle auf den Nachttisch. Ein Seufzer entglitt dabei seinen Lippen.
„Nein, gnädiger Herr!" stammelte er. „Das kann kein guter Dienst sein, wofür Sie mir so viel Gold geben wollen!"
„Doch, Johann, doch!" widersprach Olaf. „Du irrst! Ich fühle, daß es mit mir zu Ende geht. Dir will ich's vertrauen: Gift schleicht durch meine Adern. Der Tod pocht schon mit
seinen Knochenfingern an meine Brust. Johann, ich vertrau' Dir's, aber erst nach meinem Tode darfst Du davon sprechen': Feodora, meine Braut, hat mich vergiftet!"
„Geh', eile, hole Dr. Brahms und den Gefängnisgeistlichen. Störe sie aus ihrem Schlafe, reiß' sie aus den Betten, wenn sie nicht kommen wollen. Sie müssen erscheinen, Du mußt sie mir bringen! Hörst Du? Du mußt! Aber heimlich, niemand darf etwas davon erfahren. Merk' Dir das! Dies ist der Dienst, den ich von Dir fordere, wofür Du all' das Gold haben sollst."
„Ja, gnädiger Herr! Ich werde Flügel haben. Ich will die Herren zu dem Schlosse bringen, ohne daß ein Mensch etwas davon erfährt."
Er wollte gehen.
„Verschließe erst die Schatulle," befahl ihm Olaf. „Nimm den Schlüssel an Dich, lass' sie hier aber stehen. In Gegenwart des Doktors und des Geistlichen will ich erklären, daß ich Dir die Schatulle mit dem Inhalte schenke. Man könnte sonst nach meinem Tode glauben, Du habest mich bestohlen."
Johann verschwand. Olaf versank in einen tiefen Halbschlummer. Eine gewisse Befriedigung erfüllte ihn. Ihm war's, als sei plötzlich eine Last von seinem Herzen genommen worden. Es war eine Befriedigung, wie er sie früher nie gekannt hatte. Er war jetzt zweifellos überzeugt, daß er dem Tode verfallen sei. Er glaubte, die Schatten seiner Opfer seien erschienen, um ihn zu holen in das düstere Reich des Todes.
Der Gewissenswurm regte sich in seinem Herzen, nagte und fraß. Er fühlte, daß er nicht eher von dieser Welt werde scheiden können, als bis er ein Geständnis seiner Schuld abgelegt habe.
Johann schlich unhorbar den mit einem dicken Läufer gelegten Flur hinunter, stieg einige Stufen, welche in das Erdgeschoß führten, hinab und verließ durch eine Hinterthür, zu der er den Schlüssel besaß, das Schloß.
Er zog aus der Wagenremise einen Wagen, der auf Gummirädern lief, hervor. Alsdann holte er aus dem Stalle ein Pferd, spannte es vor den Wagen, nahm das Pferd bei der Trense, führte es im Schatten der Bäume durch den Park, einen Reitweg entlang, auf die Landstraße. Nun nahm er erst auf dem Bocke Platz. Er ergriff die Zügel und feuerte das Pferd durch Zurufe zur schnellsten Gangart an.
Eine Viertelstunde später hielt der Wagen vor dem Hause des Doktor Brahms.
Johann sprang vom Bock, zog die Nachtklingel.
Gleich darauf wurde ein Fenster im ersten Stock geöffnet.
Doktor Brahms blickte heraus, fragte: „Was giebt's denn?"
„Sie sollen sofort zu einem Schwerkranken kommen, zu Baron Olaf auf Schloß Bärenfeld, er wurde vergiftet," lautete die Antwort.
„Gleich, gleich!" entgegnete hastig der Doktor.
Sein Haupt verschwand am Fenster.
Fünf Minuten später trat er aus der Hausthür.
„Was? Baron Olaf vergiftet?" fragte er. „Wie ging das zu?"
„Ich weiß es nicht, Herr Doktor," erwiderte Johann. „Ich soll Sie heimlich ins Schloß bringen, niemand soll etwas davon erfahren. Auch den Gefängnisgeistlichen soll ich holen."
„Wie wurde der Baron vergiftet?" fragte der Doktor nochmals, spannungsvoll erregt. „Durch Unvorsichtigkeit oder durch fremde Hand?"
„Was mir der Baron sagte, wage ich nicht zu wiederholen, Herr Doktor."
Johann überlegte einige Sekunden lang, dann versetzte er:
„Ich glaube, es Ihnen doch mitteilen zu dürfen. Der Baron dürfte es Ihnen auch Wohl nicht verhehlen, er meinte, Fürstin Feodora, seine Braut, habe ihm das Gift beigebracht."
„Die Fürstin?!" rief der Doktor grenzenlos überrascht, indem er mit einem Satze in den Wagen sprang und sich niederließ. „Vorwärts!
Erst den Pastor geholt und so schnell, als das Pferd nur laufen kann, zurück nach Schloß Bärenfeld."
Das Gefährt rollte durch die Stille der Nacht auf den Straßen dahin. Am Marktplatz in einem Eckhause wohnte Pastor Gittermann. Der Doktor war eher als Johann aus dem Wagen und riß ungestüm an der Nachtglocke.
Der Doktor trommelte mit gekrümmten Fingern an eine Fensterscheibe der zur ebenen Erde gelegenen Wohnung.
„Schnell Ehrwürden aus dem Schlafe geweckt, er muß mitkommen zu einem Sterbenden!"
Die Haushälterin nickte und verschwand. Der Doktor ging ungeduldig auf der Struße auf und ab. Er befand sich in höchster Seelenerregung.
Er wollte eben an s Fenster trommeln, zur Eile mahnen, als die Hausthür aufgeschlossen wurde und der Geistliche, in einen Mantel gehüllt, heraustrat.
„Wohin soll's denn gehen, Herr Doktor?"
Der Doktor schob ihn statt aller Antwort in den Wagen.
„Nur hinein! hinein! Ich erzähle Ihnen alles unterwegs."
Vorwärts ging's wieder durch die stille Nacht.
Der Doktor erzählte dem greffen Geistlichen, was geschehen war.
„Ich habe die feste Ueberzeugung, Baron Olaf will Ihnen ein Bekenntnis ablegen," sagte der Doktor zum Schluß. „Ich ahne, niemand anders als Feodora und er begingen jene Ber- brechen, welche die Verurteilung Kurt s und Maries zur Folge hatten."
Der Geistliche war auf's Tiefste erschüttert. Er faltete die Hände, murmelte:
„Herr, mein Gott, wie wunderbar sind doch Deine Wege! — Am Nachmittag traute ich Kurt und Marie in der Gefängniskirche," setzte er, zum Doktor gewendet, hinzu, „und morgen früh um die achte Stunde sollen beide den Tod erleiden."
Vermischtes
Stuttgart. fLandesproduktenbörse f Bericht vom 15. Sept. von dem Vorstand Fritz Kreglinger. In der abgelausenen Woche verblieb die Stimmung im Getreidegeschäft bei guter Frage, in fester Haltung. Offerte aus Rumänien fehlen und ist der Einlauf wiederum mehr auf amerikanischen Weizen angewiesen. An hiesiger Börse bleibt effektive Ware für den nötigen Bedarf gut gefragt bei unveränderten Preisen. Mehlst reise pr. 100 Kilogr. inkl. Sack: Mehl Nr. 0 : 28 50 4 , bis 29 Nr. 1 : 26 50 ^ bis 27
— Nr. 2: 25 bis 25 50 ^. Nr. 3:
23 50 bis 24 ^ — 4 ,, Nr. 4: 20 50 bis
21 — 4 s. Suppengries 28 50 «l. bis 29
Kleie 9
Mühlhausen, 15. Sept. Unter der Spitzmarke „Die Metzger rüsten ab" schreibt die „Oberels. Landesztg.": Eine angenehme Ueber- raschung haben am letzten Samstag viele Metzgermeister ihren Kunden bereitet, nämlich durch Ankündigung eines Preisabschlags für Schweinefleisch. Die alten Preise, 70 das Pfund für Magerfleisch und 72 für Speck, werden wieder eingeführt. Mancher wurde zu diesem Vorgehen veranlaßt, als er sah, daß sein Kollege heimlicher- weise das Schweinefleisch zu den alten Preisen abgab, und gilt's dem Hinz, so gilt's auch dem Peter, er kann ffichs auch leisten, war der Schluß des Kalkulierens — zur Freude seiner Kunden.
Colmar, 14. Sept. Kleine Ursache, große Wirkung kann man von einer drolligen Geschichte sagen, die sich gestern hier ereignete. Eine Magd schüttelte eine Bettvorlage aus dem Fenster mit solchem Schwünge aus, daß ein harmlos seines Weges geführter Ochse darob in Aufregung geriet und scheute. Er retirierte mit aller Macht, rannte an einen mit Eiern gefüllten Wagen, warf diesen um und die Eier gingen in die Brüche. Jetzt wendet sich der Eigentümer der Eier an die Herrschaft der Magd um Ersatz seines Schadens.