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praktische Leben eist unsere Zeit erfaßt, stehe ich wohlwollend gegenüber.
Den Anlauf, den Gewerbe und Handwerk heute zu ihrem Emporkommen genommen haben, verfolge ich mit großem Interesse, möchte aber hiebei vor allzugroßem Vertrauen auf staatliche und behördliche Maßregeln warnen.
Einen gleichen Hinweis auf Selbsthilfe und Entfaltung des bürgerlichen Gemeinsinns möchte ich geben in Beziehung auf die Entwicklung Ihrer Stadt im Fremdenverkehr. Gerne würde ich die Führung übernehmen, aber jeder einzelne müßte zu Opfern an Geld und häuslicher Bequemlichkeit bereit sein, wenn wir's den Fremden bei uns bequem machen !und den weiten Vorsprung anderer Städte hereinholen wollten. In eben dieser Absicht auf Belebung unserer Stadt würde ich mich mit Freuden Bestrebungen zur Verfügung stellen, welche die in Ihren wohkorganisierten Vereinen lebendigen Kräfte dazu benützen wollten, Calw für die engere und weitere Umgebung zu einem gern besuchten Mittelpunkt' der Verehrer des Gesangs ernster und heiterer Richtung, des Turnens und der Natur zu machen.
Habe ich Ihnen so die Grundlinien gezeichnet, welchen ich auf den Hauptgebieten der Stadtverwaltung folgen würde, so will ich Ihnen noch schildern, inwiefern ich ein unabhängiger Mann und von wem ich abhängig bin.
In privater Beziehung stehe ich völlig unabhängig da. In der kurzen Zeit meines Hierseins habe ich keine Verbindungen eingegangen, die mir in der unparteiischen Führung des Amtes hinderlich sein müßten. Fürchten Sie auch nicht, daß meine bisherige Stellung als Staatsbeamter eine gewisse Abhängigkeit von oben nachwirken ließe.
In politischer Beziehung bin ich eine Null. Erschrecken Sie nicht über diesem wenig schmeichelhaften Geständnis. Ich meine, einer der bestehenden politischen Parteien gehöre ich nicht an. Eine politische Ueberzeugung habe natürlich auch ich. Sie ist die überzeugte Freude am Deutschen Reiche in seiner jetzigen Verfassung.
Warum denn nicht? Sollen wir schmollend bei Seite stehen, da ein Gewaltiger, die unfruchtbaren Träume seines Volkes abschüttelnd, ein Deutschland in den Sattel gehoben hat, das gezeigt hat, daß es reiten kann?
Habe ich Ihnen bisher darzuthun versucht, daß ich ein unabhängiger Mann von selbstständigen Anschauungen bin, so will ich Ihnen noch meine Abhängigkeit zeigen. Sie liegt in meiner religiösen Ueberzeugung. ES widerstrebt Ihnen und mir, das Heiligste was der Mensch hat, seine religiöse Ueberzeugung, fein Verhältnis zu Gott, wie eine schillernde Ware auf dem Verkaufstisch auszubreiten, um Liebhaber anzulocken. Ich trage Gott im Herzen und nicht auf den Lippen. Aber ich bekenne, daß ich mir täglich meiner Abhängigkeit von Gott bewußt bin. Sie werden zugeben, daß ein so geartetes Abhängigkeitsbewußtsein nur rin guter Dämpfer für etwaige selbstherrliche Anwandlungen eines Lebenslänglichen sein kann. Wenn ich mich dann im besonderen bekenne als einen evangelischen Christen, so übersehe ich hiebei keineswegs den Grundsatz des Würit. Verf.-Gesetzes von 1861: Die staatsbürgerlichen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Also unparteiische Behandlung aller Bürger und ihrer religiösen Interessen ohne Rücksicht auf ihr Bekenntnis.
Nun können Sie sich nach dem Gesagten eine Vorstellung machen von dem Geiste, der auf Ihrem Rathaus herrschen würde, wenn Sie mich dorthin berufen. — Glauben Sie nicht, daß mich meine Jugend die große Verantwortung unterschätzen ließe, die ich mit der Vertretung Ihrer Stadt übernehmen würde. Zu deutlich steht mir dazu das Bild des Mannes vor Augen, den sie vor wenigen Wochen erst zur letzten Ruhe begleitet haben.
Ich bin am Schluffe. Es war für mich ein schwerer Entschluß, mein Innerstes so freimütig vor Ihnen zu entfalten.
Sie würden es gewiß begreiflich finden, wenn ich wünschte, es nicht vergeblich gethan zu haben.
Allein angesichts der großen Entscheidung, vor welcher Ihre Stadt steht, geziemen sich keine selbstsüchtigen Wünsche. Mich beseelt nur der eine Wunsch: „Möge die Wahl, die Sie am 11. September treffen, zum Wohl und Segen Ihrer Stadt ausschlagen!
Verwaltungsaktuar Staudenmeyer:
Meine verehrten Mitbürger! Vor einer überaus wichtigen Entscheidung steht die hiesige Bürgerschaft. Handelt es sich für sie doch um die Frage, in wessen Hände sie die durch den Tod ihres seitherigen Stadtschultheißen Haffner erledigte Stelle eines Vorstandes der hiesigen Stadt legen will. Mehr als 40 Jahre lang und darunter eine lange Reihe von Jahren hindurch als Stadtschultheiß hat der Verstorbene in der hiesigen Stadtverwaltung gewirkt und ich bin gewiß nicht der Letzte, der die
große Arbeitskraft und die überaus großen Verdienste des Verstorbenen um die hiesige Stadt rückhaltslos anerkennt. Wenn in einzelnen öffentlichen Fragen unsere Ansichten auch einigemal auseinander gingen und wir dieselben — wie es sich für Männer geziemt — beiderseits mit Entschiedenheit, sowohl in der Oeffentlichkeit als in gegenseitiger mündlicher Aussprache vertraten, so hat dies doch der gegenseitigen persönlichen Wertschätzung keinerlei Abbruch gethan.
In welch manchfache Beziehungen ein Ortsvorsteher zu den Einwohnern seiner Gemeinde zu treten hat und wie wichtig es daher ist, daß er die Verhältnisse des Einzelnen sowohl, als die der Stadt selbst, deren Vermögen er mit dem Gemeinderat und Bürgerausschuß zu verwalten hat, genau kennt; von welchem Einfluß auf Ordnung und gute Sitten es ist, ob der Ortsvorsteher die ihm anvertraute Polizeigewalt mit dem richtigen Verständnis
— Ernst mit Milde gepaart — und der in allererster Linie nötigen Unparteilichkeit ausübt; wie sehr in Betracht kommt, ob auch der einfache mit den Gesetzen weniger vertraute Bürger, ohne Furcht unfreundlich ausgenommen zu werden, jederzeit zu seinem Ortsvorsteher auf das Rathaus kommen darf, wohin nach alter, guter schwäbischer Sitte die Bürger mit ihren Anliegen zu kommen gewöhnt sind, dies alles meine Herren, brauche ich Ihnen nicht besonders zu sagen, das wissen Sie selbst so gut wie ich und dies macht die Abgabe Ihrer Stimme für jeden Einzelnen von Ihnen zu einem wichtigen, entscheidenden Akte.
Aber auch für uns, die wir uns um die erledigte Stelle heute bewerben, ist die Sache von großer, folgenschwerer Wichtigkeit; wissen wir doch, daß demjenigen von uns, auf den die Mehrzahl der hiesigen Bürger am Wahltage ihre Stimme abgeben werden, damit ein arbeitsreiches, verantwortungsvolles Amt zufällt und wohl keiner von uns Kandidaten hat sich dieser Erkenntnis verschlossen.
Mir wenigstens, meine verehrten Herren und Mitbürger, wurde der Entschluß, mich um die Stelle zu bewerben, sehr schwer und nur nach reiflichster Uebcrlegung und gewissenhaftester Selbstprüfung habe ich nach vorausgegangener Aufforderung verschiedener Freunde mich zur Bewerbung entschlossen und so stehe ich nun hier und bitte um Ihr Vertrauen.
Ich selbst bin Ihnen ja kein Fremder und fast mein ganzes Leben, während dessen ich nur 4 Jahre zu meiner dienstlichen Ausbildung auswärts zubrachte, liegt wie ein offenes Buch vor Ihnen.
Als Sohn eines kinderreichen Handwerkers hier geboren und erzogen, habe ich schon frühzeitig die Sorgen und Mühen des arbeitenden, werkthä- tigen Standes kennen gelernt.
Mit manchen von Ihnen bin ich auf der Schulbank gesessen, hier habe ich, nachdem ich eine selbständige Stellung mir errungen hatte, meinen Hausstand gegründet und inmitten Ihrer Kinder habe ich die 2 Kinder, die uns geschenkt wurden, zu braven, brauchbaren Menschen heranzuziehen gesucht.
Seit mehr als 22 Jahren bekleidet ich das Amt eines Verwaltungsaktuars in einer größeren Anzahl von Gemeinden des hiesigen Bezirks und wenn Sie.Erkundigungen in den betreffenden Gemeinden einziehen wollen, wie man daselbst mit meinen Dienstleistungen und über die Art und Weise, wie ich mit den Gemeindekollegien und den sonstigen Einwohnern dieser Orte Verkehre, zufrieden ist, so glaube ich, werde ich mich des Zeugnisses, das mir von dort erteilt werden wird, gewiß nicht zu schämen brauchen.
Sie wissen, daß ich mich für öffentliche Dinge und insbesondere auch für städtische Angelegenheiten von jeher sehr interessiere, daß ich mich von jeher bereitwilligst zur Verfügung stellte, wo es galt, dem einzelnen Bürger, oder Vereinen und Gesellschaften
— ohne Rücksicht auf soziale und politische Stellung - irgend einen Dienst zu erweisen, und nach meinem Grundsatz: „Stets offen und ohne Menschenfurcht grad aus!" habe ich aus meiner Ueberzeugung und meinen Ansichten in öffentlichen Dingen noch nie ein Hehl gemacht.
So bleibt nur noch 1 Punkt, der, wie ich weiß, von mancher Seite Beanstandung findet und der — wie ich Ihnen offen sagen will — auch mir selbst anfänglich am meisten Bedenken verursachte, übrig, und das ist der Umstand, daß ich Katholik bin.
Gestatten Sie, verehrte Herrn und Mitbürger, daß ich diesen Punkt aufrichtig und rückhaltlos mit Ihnen bespreche.
Sie wissen, daß mein verstorbener Vater, aus dem Oberland gebürtig, der katholischen Religion angehörte, während meine verstorbene Mutter, als Calwer Kind, evangelisch war.
UnterdemEinflußderbeiderseitigen Verwandten wurde von meinen Eltern vereinbart, daß die etwa zu erwartenden Kinder männlichen Geschlechts auf
die Religion ihres Vaters, die Mädchen aber in der ihrer Mutter getauft und erzogen werden sollen.
Diese bezüglich der Taufe gewissenhaft gehaltene Vereinbarung übersah aber leider, daß Taufe und religiöse Erziehung 2 ganz verschiedene Dinge sind, weil — wie Jedes von Ihnen aus seiner eigenen Kindheit eS weiß, es doch fast ausschließlich die Mutter ist, die ihr Kind die ersten Gebete stammeln lehrt und den Samen der Religion und Gottesfurcht in die Herzen ihrer Kinder aussät.
Bei diesen Verhältnissen und da zudem eine katholische Kirche und Schule hier noch fehlten, war es doch ganz selbstverständlich, daß ich mit meinen 3 andern Brüdern gleich den 3 evangel. Schwestern ganz nach evangelischen Grundsätzen erzogen wurde und daß wir auch in der Schule bis zum Konfirmandenunterricht den evangel. Religionsunterricht mit unseren Mitschülern genossen haben und wenn ich heute — nach 31 Jahren — in den s. Z. in der Schule gelernten Sprüchen und Liedern ein Examen oblegen müßte, so glaube ich darin keine ganz schlechte Note davonzutragen.
Wenn nun auch die gemischten religiösen Bekenntnisse weder zwischen meinen Eltern und unter uns Geschwistern niemals zu Differenzen geführt haben, so war es bei dem inneren Zwiespalt, in den ich selbst durch die Art und Weise meiner religiösen Erziehung kam, selbstverständlich, daß, als aus der mit meiner Ehefrau in der hiesigen evangel. Stadtkirche geschloffenen Ehe 2 Kinder hervorgingen, ich solche in der Konfession- ihrer Mutter — also evangelisch — taufen und erziehen ließ. So wie ich aber aus eigener innerster Ueberzeugung in meiner eigenen Familie weitgehendste Toleranz übte, so wird mir hier jedermann auch die Bethätigung derselben gegen meine Mitbürger gerne zugestehen müssen und niemand wird mir beweisen können, daß ich je einmal einen Arbeiter oder Handwerksmann feines religiösen Bekenntnisses wegen bevorzugt oder zurückgesetzt hätte.
Gleichwie ich mich mit meinen evangelischen Mitbürgern im Glauben an Einen und denselben Gott einig weiß, so wird wohl auch niemand, der mich kennt, mir die gemeine Gesinnung zutrauen, daß ich im Falle meiner Wahl meine amtliche Stellung zur Verfolgung besonderer religiöser Zwecke mißbrauchen würde, ganz abgesehen davon, daß nach den bestehenden Gesetzen den bürgerlichen Gemeindebehörden ein Einfluß in kirchlichen Dingen gar nicht mehr zusteht, da die beiderseitigen Kirchengemeinden ihre Angelegenheiten seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 14. Juni 1887 durch ihre eigenen kirchlichen Organe besorgen.!
Nach ernstlicher Prüfung all dieser Verhältnisse habe ich deshalb auch die feste Ueberzeugung erlangt, daß mir mein Glaubensbekenntnis in der gewissenhaftesten Ausübung der Pflichten eines Vorstehers der hiesigen Stadt in keiner Weise hindernd im Wege stände, denn andernfalls würde es mir meine Ehre verbieten, in eine Bewerbung um diese Stelle überhaupt einzutreten.
Und vollends die da und dort schon ausgesprochene Befürchtung, als ob im Falle meiner Wahl zu dem neuen, vielumstrittenen Mädchenschulhaus in der Badgasse hier, gleich auch noch ein katholisches Schulhaus gebaut werde, fällt in sich selbst zusammen, wenn man bedenkt, daß ja nicht der Ortsvorsteher, sondern die gleichfalls durch die Bürgerschaft direkt gewählten Mitglieder des Gemeinderats und Bürgerausschusses den Bau von Schulhäusern beschließen und ich glaube, daß die Stadtgemeinde mit den Schulden vom letzten Schulhausbau noch so stark belastet sein wird, daß es einem verständigen Menschen ohne Not wohl kaum einfallen wird, an den Bau weiterer Schulhäuser zu denken.
Als Voraussetzung für den Anspruch auf die Errichtung und Unterhaltung einer eigenen katholischen Volksschule verlangt der Art. 13 des Volks- schulgesetzcs von 1836 das Vorhandensein von mindestens 60 Familien, die am persönlichen oder dinglichen Gemeindeverband teilnehmen, d. h. entweder Bürger sind oder als Grundbesitzer oder Gewerbetreibende Steuer bezahlen. Zur Zeit dürften kaum 8 solcher katholischen Familien vorhanden sein, und nach menschlichem Ermessen wird die Voraussetzung für eine katholische Volksschule in Hunderten von Jahren hier noch nicht zutreffen.
Ein Programm über in der Stadt oder von der Stadtverwaltung auszuführende Neuerungen oder Projekte Ihnen zu unterbreiten, ist nicht möglich, ohne sich der Gefahr auszusetzen, Hoffnungen zu nähren und Versprechungen zu machen, die vielleicht nie erfüllt werden können.
Als Grundsätze, von denen ich mich im Falle meiner Wahl bei Führung des Amtes leiten lassen würde, möchte ich Ihnen nach kurz folgende bezeichnen:
1. Strengste Unparteilichkeit und freundliches Entgegenkommen in Allem und gegen Jedermann. Hohe und Niedere, Arme und Reiche sind vor dem Gesetze gleich.