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2. Fernhaltung jeder Parteiwirtschaft von dem Rathause.

Die Gemeindewahlen sollten nicht nach dem politischen Parteistandpunkt, sondern nur im Hinblick auf die persönliche Tüchtigkeit des Einzelnen erfolgen.

Absolute Fernhaltung des Stadtvorstandes vom politischen Parteigetriebe. Der Ortsvorsteher soll über, den Parteien stehen.

3. Friedliches Zusammenwirken mit den bür­gerlichen Kollegien bei allen Beratungsgegenständen. Jede Meinung hat das Recht sich geltend zu machen und zum Wort zu kommen.

4. Wichtige, tiefeinschneidende Fragen sind in öffentlicher Sitzung beider Kollegien, zu der die Bürgerschaft öffentlich einzuladen ist, zu beraten und der Beschlußfassung zu unterstellen.

5. Von wichtigeren Beschlüssen der Kollegien ist, wie dies anderwärts zum Teil bereis geschieht, der Bürgerschaft durch das Lokalblatt kurz Kenntnis zu geben, damit solche an den öffentlichen Angelegenheiten mehr Interesse gewinnt und über städtische Angelegenheiten mehr als seither orien­tiert ist.

6. Weise, vernünftige Sparsamkeit in allen Zweigen der Verwaltung; strenge Kontrole über die Empfänger städtischer Almosen sowohl, als ins­besondere auch über die von auswärts neu hieher ziehenden, mittellosen Familien, damit solche nicht der Stadt zur öffentlichen Armenunterstützung an­heimfallen.

Zur Kontrole empfiehlt sich die Aufstellung von sog. freiwilligen Armenpflegern, die ihr Amt als Ehrenamt verwalten, je für einige Straßen oder einzelne Teile der Stadt.

7. Förderung aller auf die Erziehung und Heranbildung der Jugend gerichteten Bestrebungen, Einrichtungen und Anstalten.

8. Kräftige Hebung des Fremdenverkehrs, der eine so wichtige Einnahmequelle für viele hiesige Geschäfte geworden ist.

9. Unterstützung der wirtschaftlich Schwachen, Hebung des Handwerks, Förderung von Handel und Industrie.

Und nun meine verehrten Herren und Mit­bürger, lassen Sie mich zum Schluffe kommen.

Offen und ehrlich, ohne jeden Hintergedanken habe ich Ihnen meine Verhältnisse geschildert und die hauptsächlichsten Gesichtspunkte bezeichnet, nach denen ich mich im Falle meiner Wahl richten würde; können Sie mir so wie ich nun einmal bin und ich bin zu alt und zu knorrig gewachsen, um mich in meinen Ansichten und Grundsätzen noch umbiegen zu lassen Ihr Vertrauen schenken, wird es mich freuen und mir ein Sporn sein, meine ganze Kraft, mein ganzes Können einzusetzen für das Blühen und Gedeihen unserer guten Stadt Calw, meiner geliebten Vaterstadt!

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Was die andern Herren Kandidaten anlangt, so kann es uns nur mit Stolz erfüllen, daß der über hohe und höchste Referenzen verfügende Herr Rechts­anwalt Dr. Priester aus Frankfurt unserer schönen Gegend zulieb Stadtvorstand in Calw werden möchte. Leider hat genannter Herr kein Programm entwickelt wie dies die Kandidaten Wann er und Fack gethan haben, aber auch diesen Herren dürften es leicht werden, den Ausfall der engern Wahl jetzt schon zu erraten. Bezüglich der zwei ernstlich in Frage kommenden Kandidaten müssen wir uns wegen der gleich ausgezeichneten Reden und aus andern naheliegenden Gründen eines Urteils über das mut­maßliche Resultat der Wahl am 11. September enthalten. Auch wir wünschen, daß dieser wichtige Tag uns und unserer Stadt zum Segen werden möge. , -

x Liebenzell, 28. Aug. Gestern abend fand im Saale des Unteren Bades eine musikalisch-dramatische Abendunter- Haltung statt, die nicht nur von hiesigen, sondern auch von Hirsauer Kurgästen sowie von einer grö­ßeren Anzahl Liebenzeller und Calwer Musikfreun­den besucht war. Der Saal war bis zum letzten Platz gefüllt. Ein überaus reichhaltiges, dabei mannigfaltiges Programm hielt die Zuhörer von V->9 Uhr bis nach 11 Uhr in gespanntester Auf­merksamkeit versammelt, und lebhafter Beifall wurde von ihnen den ausübenden Künstlern und Dilletan­ten gespendet. Chefredakteur Treutler aus Neu­stadt a. H., der die Unterhaltung arrangiert hatte, gab in einer humoristischen Ansprache den Zweck des Unternehmens bekannt und führte während des Abends die Regie. In zuvorkommendster, liebens­würdigster Weise hatten eine Künstlerin von Beruf und der großherzogl. Hofopernsänger Hr. Erl aus Mannheim ihre Mitwirkung zugesagt und rauschen­

der, nicht endenwollender Applaus lohnte die Beiden für ihre vorzüglichen Darbietungen. Als Mitwir­kende sind weiter in gesanglich äußerst anerkennens­werter Weise zu nennen: Frau Oberförster Lechler, Frau Motz, Frl. Klara und Eugenie Maischhofer aus Liebenzell, Frl. Bonhöf er aus Nürtingen und Frau Treut! er aus Neustadt. Als gute vielver­sprechende Violinspielerin bewährte sich die zwölf­jährige Klara Fischer, Tochter des Herrn Ober­amtsrichters Fischer in Calw; neben ihr zeigte sich Herr Fritz Böhm aus Stuttgart als ein vollendeter Violinspieler,- der mit seinem herrlichen Vortrag stürmischen Beifall errang. Herr Bixner aus Mannheim brachte der Gesellschaft einen seltenen Genuß mit seinem meisterhaften Clarinettspiel und Frau Rottermund aus Stuttgart sowie Hr. Rektor Bonhöfer aus Nürtingen erwiesen sich in der Kla­vierbegleitung als treffliche Beherrscher dieses In­struments. Das ganze Arrangement darf als ein wohlgelungenes bezeichnet werden. Der Unterhaltung folgte der Tanz, der die Jungen bis nach 2 Uhr morgens zusammenhielt, gewiß ein Beweis dafür, daß man sich vorzüglich amüsierte. Das Rein­erträgnis mit der Summe von 220 ^ wurde dem hiesigen Verschönerungsverein zum Zwecke der Verbesserung der Wege, zur Aufstellung neuer Bänke u. s. w. übergeben.

Leonberg, 29. Aug. In der Sakristei der Kirche zu Friolzheim wurde diese Woche ein frecher Einbruchsdiebstahl versucht. Da es dem Dieb wegen der an den Fenstern angebrachten Eisenvergitterung nicht gelang, in das Innere zu kommen, drückte er die Scheiben des schönen Chor­fensters ein, fand aber überall verschlossene Thüren, so daß er mit leeren Händen abziehen mußte. Von dem Thäter hat man noch keine Spur.

Ludwigsburg, 29. August. In der Für st engruft der Schloßkirche in Ludwigsburg ^ wurde heute mittag die in Gmunden verstorbene Herzogin Albrecht von Württemberg in feierlicher Weise beigesetzt. Dem mit 6 Pferden bespannten Leichenwagen folgten der König von Württemberg, Herzog Albrecht, der Gemahl der Verstorbenen, der österreichische Thronfolger Erz­herzog Franz Ferdinand, die Erzherzöge Otto und Ferdinand, Prinz Max von Schaumburg-Lippe, Prinz Ernst von Sachsen-Weimar, der Erbprinz von Wied, die Herzöge Nikolaus, Robert und Ulrich von Württemberg, der kaiserliche Statthalter von Elsaß- Lothringen Fürst Hohenlohe-Langenburg, als Ver­treter des Kaisers Generalleutnant von Deines, als Vertreter des Großherzogs von Baden General­leutnant von Müller und als Vertreter des bayerischen Hofes der bayerische Gesandte Baron von der Zodten. Dem Trauergottesdienst in der Schloßkirche wohnten auch die Königin von Württemberg, die Erbprinzessin von Wied, die Erzherzoginnen Maria Theresia, Elisabeth und Maria Annunciata bei. Bischof vr. von Keppler-Rottenburg nahm die Einsegnung der Leiche vor. Eine Trauerrede mußte auf ausdrück­lichen Wunsch der Verewigten unterbleiben.

Heilbronn. Ledermarkt vom27. Aug. Die Zufuhren betrugen ca. 1800 Ztr., wovon jedoch mehrere größere Partien als unverkauft von den Eignern zurückgezogen wurden. Eigner konnten sich bei den immer noch sehr hohen Rohpreisen nicht entschließen, ihre Ware unter dem Preise abzugeben, welche zum fabrizierten Leder in gar keinem Ver­hältnis stehen. Die Lederhändler klagen sehr über schlechten Geschäftsgang und schlechtes Inkasso. Der Markt war in Wildoberleder überführt, während deutsches Rindleder und Zeugleder der Nachfrage kaum genügen konnten, infolge dessen letztere ihre bisherigen Preise behaupten konnten. Kalbleder und Schafleder waren angenehm und fanden schnell Nehmer. Es wurden verkauft und amtlich ver­wegen: 1. Sohlleder 14004 Pfd., 2. Schmal- und Wildoberleder 102687 Pfd., 3. Zeugleder 2925 Pfd., 4. Kalbleder 4328'/- Pfd., zusammen 123 944'/, Pfd. mit einem Gesamtumsatz von ca. 190 000 incl. Schafleder und Rohware. Der nächste Leder­markt findet am Dienstag, den 7. Okt. d. I. statt.

Besigheim, 21. Aug. Auf der Domäne Liebenstein brachte gestern vormittag ein auf dem Gut beschäftigtes Dienstmädchen einen Fuß in die mit Dampf betriebene Dreschmaschine, wobei derselbe vollständig abgerissen wurde. Nach An­legung eines Notverbandes wurde die Bedauerns­werte in das Krankenhaus nach Heilbronn verbracht.

Niederstetten, 29. Aug. Gestern und vorgestern wurden hier zwei junge Burschen von ca. 16 Jahren von dem hiesigen Landjäger festge­nommen und nach Langenburg eingeliefert. Die beiden Burschen sind beschuldigt, sich an einem Mädchen im Alter von 12 Jahren sittlich vergangen zu haben. Weitere Verhaftungen in dieser Sache sollen bevorstehen.

Baldern, 29. Aug. Dieser Tage wurde eine bettelnde Zigeunerin mit ihrem Kind verhaftet und im Ortsarrest untergebracht. Ihr Geliebter brachte sie in der Nacht wieder dadurch in Freiheit, daß er mit einem mächtigen Prügel das eiserne Gitter am Ortsarrest aushob. Am andern Morgen war der Zigeuner mit seiner Geliebten und dem Kind verschwunden.

B erli n, 29. Aug. Prinz H einri ch von Preußen wird in Begleitung seiner Gemahlin mit den beiden jüngsten Kindern nächste Woche nach Berchtesgaden übersiedeln, um dort bis zur voll­ständigen Wiederherstellung seiner Gemahlin ein paar Wochen Aufenthalt zu nehmen.

Berlin, 29. Aug. Nach einem Telegramm aus Leipzig ist die Theaterfahrt deutscher Künstler nach Paris auf die Zeit vom 16. März bis 1. Mai nächsten Jahres festgesetzt worden. Die französische Regierung hat den Teilnehmern an derselben Freifahrt auf allen französischen Bahnen zugestanden.

Berlin, 29. Aug. Der König von Italien stattete im Laufe des gestrigen Nachmittags dem Reichskanzler und mehreren Botschaftern Besuche ab. Bei der gestrigen Galavorstellung im König!. Opernhause gelangten zur Aufführung der 2. Akt von Aida und der 4. Akt von Carmen. Nach dem Aida-Akt fand im Foyer,Cercle statt, währenddessen der König, der fast ausschließlich mit der Kaiserin konversterte, auch den Reichskanzler ins Gespräch zog. Die Linden und die angrenzenden Straßen waren gestern bis in die späten Abendstunden hinein von einer zahlreichen Menschenmenge belebt. Heute vormittag findet eine Pürsche im Wildpark und nachmittags eine Rundfahrt auf der Havel bis zur Pfaueninsel statt.

Potsdam, 29. Aug. Heute morgen kurz nach 8 Uhr verließen der Kaiser und der König von Italien mit großem Gefolge das Neue Pa­lais. Tie hohen Herrschaften begaben sich zu Wagen durch den Park von Sanssouci zum Mausoleum, wo der König von Italien an der Gruft Kaiser Friedrichs III. und der Kaiserin Friedrich pracht­volle Kranzspenden niederlegte. Das Festprogramm für den heutigen Tag ist Folgendes: Heute mittag 1 Uhr Frühstückstafel im Neuen Palais, 5 Uhr Einnahme des Thees auf der Pfaueninsel, 7 Uhr Galadiner beim Prinzen Friedrich Leopold auf dem Jagdschloß Glienicke, anschließend daran das große Gartenfest auf Babelsberg. Das ganze Havelufer wird dabei festlich belcuchtet. Es wird auf Befehl des Kaisers ein großes Feuerwerk abgebrannt, dessen Kosten 100 000 betragen sollen. Gleichzeitig wird die große Fontäne,Geysir" genannt, die sich mitten in der Havel befindet, in Thätigkeit gesetzt, was seit dem Tode Kaiser Wilhelms zum ersten- male geschieht.

LmdmrtMtl. WkkMllm Calw.

Am Samstag, 20. September, vormit­tags 0 Uhr, findet auf dem Brühl in Calw eine

Jungviehprämierung

statt, wobei Preise zu 25 ^., 20 15 und

10 im Gesamtbetrag von 500 zur Vertei­

lung gelangen.

Zugelassen wird nur Jungvieh, männliches und weibliches, welches Mitgliedern des Vereins gehört und mindestens 3 Monate in deren Besitz ist. Dasselbe muß dem roten oder dem Fleckvieh angehören, mindestens 9 Monate alt und im Besitz sämtlicher Milchzähne sein. Die gleichzeitige Vor­führung je eines männlichen und eines weiblichen Tieres durch einen Besitzer ist gestattet.

Anmeldungen zur Jungviehprämierung wollen spätestens bis 15. September schriftlich bet dem Unterzeichneten gemacht werden und ist der Anmeldung ein Zeugnis des Ortsvorstehers darüber, daß der Anmeldende das betr. Tier mindestens 3 Monate lang im Besitz hat, beizuschließen.

Calw, 29. August 1902.

Vereinssekretär

Fechter.