Beilage m Ur. 106 des GnithiUers.

Neuenbürg, Mittwoch den 9. Juli 1902.

Anstand.

Die chinesische Regierung hat die auf Deutschland kommende fällige Quote der Kriegs­entschädigung im Betrage von 5 000 000 richtig in Gold bezahlt. Die Meldungen, wo­nach sich China weigern sollte, seinen vertrags­mäßigen Verpflichtungen wegen Zahlung der Kriegskostenentschädigung nachzukommen, sind also wohl unzutreffend.

Diejenigen deutschen Kriegsgefangenen, welche auf eigne Kosten heimzukehren wünschen, sind, wie dieNordd. Allg. Ztg." mitteilt, auf Anweisung der englischen Regierung an die zu­ständigen Kolonialbehvrden den deutschen Kon­suln in Kolombo. St. Helena, Hamilton (Ber­mudas) und Bombay zur Verfügung gestellt worden. Die deutschen Konsuln haben den Auf­trag erhalten, diesen Gefangenen thunlichst be­hilflich zu sein. Nach den vorliegenden Nach­richten befinden sich in den Gefangenenlagern auf Ceylon 110, auf St. Helena 72, auf den Bermudas-Inseln 23 und in der Umgegend von Bombay, soweit bis jetzt ermittelt, etwa 40 Deutsche. Außerhalb dieser Konsular-Bezirke sind keine deutschen Gefangenen.

London, 5. Juli. Auswanderung eines Burenführers. Wie die Daily Chronicle aus Lourenzo Marques gemeldet wird, reist der frühere Staatssekretär der Transvaalrepublik, Reitz, heute mit zwei Söhnen nach Holland ab, um dort mit seiner Familie zusammen zu treffen und sich später in der niederländischen Kolonie Sumatra niederzulassen.

Die böse amerikanische Konkurrenz. Die Unterhandlungen über die Errichtung einer großen Werft in der Nähe von Rom, welche die Herstellung von Kriegsschiffen und den Ausbau derselben in Italien selbst bezweckten, sind gescheitert, da amerikanischerseits weit billigere Bedingungen für die Lieferung von Kriegsschiffen, Panzer­platten usw. vorliegen. Selbst das Versprechen, den italienischen Werften von Terni die Lieferung von Panzerplatten für die italicn. Kriegsschiffe zu übertragen, konnte der Marineminister nicht halten, weil wiederum Amerika seine Panzerplatten weit billiger zu liefern, sich erbot.

Der Schwarzwald.

ii.

Der 3. Abschnitt der Schrift ist den klima­tischen Verhältnissen gewidmet. Es liegt in der Natur der Sache, daß in einem Gebiet von so großer räumlicher Ausdehnung und namentlich von so wechselnder Höhenlage die Temperatur­verhältnisse in weiten Grenzen schwanken müssen. Hier möge es genügen, die auf einen 30jährigen Durchschnitt sich gründenden (in Celsiusgraden ausgedrückten) Ziffern für Freudenstadt anzu­geben. Es beträgt in Freudenstadt bei einer Meereshöhe von 733 Meter die mittlere Jahres­temperatur 6,7°, das Monatsmittel des Juli 15,8 und dasjenige des Januar 1,6°. Vergleichungsweise beziffern sich in Stuttgart bei einer Meereshöhe von 254 Meter die mitt­lere Jahrestemperatur zu 9.8 und die Monats­mittel des Juli zu 19,3°, des Januar zu 0,8°. Betreffend sodann die Niederschlagsverhältnisse, so wirken zwei Faktoren, die beträchtliche Er­hebung über die Meeresfläche und die den herr­schenden Regenwinden annähernd entgegenkehrte Richtung des Gebirgszugs, zusammen, um den Schwarzwald zu einem der niederschlagreichsten Gebiete in Deutschland zu stempeln, was für- die Waldvegetation von großer Bedeutung ist und die ungünstige Beschaffenheit des Bodens im Bereich des Buntsandsteins bis zu einem ge­wissen Grade ausgleicht. Während der Durch­schnitt der jährlichen Regenmenge für ganz Deutschland 0,66 Meter beträgt, fällt die mitt­lere jährliche Niederschlagsmenge des ganzen Grundstocks des Schwarzwalds, abgesehen von dem nordöstlichen Gebirgsteil, in den Rahmen

von 1,21,4 Meter, also so ziemlich dem doppelten Betrag des Durchschnitts für Deutschland ent­sprechend. Dieses große Gebiet schließt zwei kleinere in sich, in welchen die Ziffern noch höher ansleigen. Das eine umfaßt den Höhen­zug Kniebis-Hornisgrinde mit einer Regenhöhe von 1,41,6 Meter, das andere den Feldberg­stock nebst Umgebung mit einer solchen von 1,61,8 Meter, so hoch, wie in den höchsten Erhebungen der Alpen. Andererseits gehen die Ziffern im nordöstlichen Schwarzwald erheblich herab, so im Enzgebiet, soweit solches zum Schwarzwald gehört, auf 0,81 Meter und im Gebiet der mittleren und unteren Nagold auf 0,70.8 Meter.

Eingehend sind in der Schrift die Bewaldung und die Bestandesarteu behandelt. Obgleich der Schwarzwald unstreitig den gut bewaldeten Mittelgebirgen beizuzählen ist, so können doch die an den NamenSchwarzwald' anknüpfenden in Laienkreisen vielfach verbreiteten Vorstell­ungen über denunermeßlichen Waldreichtum" vor der nüchternen statistischen Ziffer nicht be­stehen. Für den badischen Anteil des Schwarz­walds wird die Bewaldungsdichte zu 48°/» der gesamten Bodenoberfläche angegeben, für den württ. Schwarzwald die beträchtlich hohe Be­waldungsziffer von 64°/». Die Ziffern für die einzelnen Oberamtsbezirke, bezw. für die noch in den Schwarzwald fallenden Teile von solchen sind folgende: für Neuenbürg 76°/», Freuden­stadt 71°/«, Calw 67°/». Nagold 47°/«, Sulz und Oberndorf ;e 37°/,. Im württ. Schwarz­wald steht die gesamte Waldfläche mit ver­schwindenden Ausnahmen im Hochwaldbetrieb. Auch rücksichtlich des Anteils der hauptsächlichsten Bestandesarten (Holzarten) an der gesamten Waldfläche sind die an den Namen Schwarz - Wald" anknüpfenden landläufigen Vorstellungen nach verschiedenen Richtungen einzuschränken. Im württ. Schwarzwald tritt uns die Wahr­nehmung entgegen, daß das Vorherrschen des Nadelholzcharakters in erheblich stärkerem Maße ausgeprägt ist als im südlichen Gebirgsstock. Es entfallen nämlich auf das Nadelholz 95°/ auf das Laubholz aber nur 5°/, der Wald­fläche. Unter den Nadelhölzern steht die Tanne voran, indem sie 40°/, der Waldfläche einnimmt; im Enzgebiet wird dieser Durchschnitt noch er­heblich überschritten. Das Hauptgebiet der Tanne bilden die Enzreviere des Neuenbürger Forstes; sie bedeckt dort jetzt noch 54°/, der Waldfläche. Dieselbe Ziffer zeigt das obere Kinziggebiet. Es schließen sich an die auf der Hochebene östlich von Freudenstadt gelegenen Reviere (Freudensladt selbst, Pfalzgrafenweiler usw.) in welchem die Tanne noch 45°/, der Waldfläche einnimmt. Im Murggebiet dagegen und ebenso im Nagoldgebiet geht der Anteil der Tanne je auf 30°/, herab. Die zweite Stelle nimmt die Fichte mit 32 °/, der Waldfläche ein; am stärksten ist dieselbe im Murggebiet vertreten, wo sie 52°/, der Fläche einnimmt; dies erklärt sich aus der' beträchtlichen Meereshöhe des größten Teils der Murgreviere des Forstes Freudenstadt, die sich an den Höhenzug Kniebis- Hornisgrinde anlehnen. Auch im Nagoldqebiet ist die Fichte mit der ansehnlichen Ziffer von 35°/,, im Enzgebiet aber nur mit 14°/, ver­treten, wobei das Eingreifen der Forstkultur mit, in Rechnung gezogen ist. Es reiht sich an die Forche mit 23°.,. Das hauptsächlichste Gebiet derselben ist die Hochfläche zwischen Enz und Nagold, wo sie gegen 50°/, der Waldfläche einnimmt. In den Enzrevieren des Forstes Neuenbürg bedeckt die Kiefer 24°/, und in den Murgrevieren des Forstes Freudenstadt 17 Proz. der Fläche. Der Anteil des Laubholzes erhebt sich über den Durchschnitt von 5 Proz. im Enz­gebiet (bis 8 Proz.), kommt dem Durchschnitt ziemlich gleich im Nagoldgebiet, geht aber bis auf 2 Proz. herab im Forstbezirk Frendenstadt, insbesondere im Murggebiet.

Vermischtes.

Berlin, 4. Juli. Fast selbstverständlich ist es für den Berliner, daß jeder reist, wenn der Sommer mit den Ferien naht. Die Berliner Kinder vorab haben kaum ein Verständnis dafür, daß es überhaupt Menschen geben kann, die keine Sommerreise machen und derjenige, dessen Eltern nicht in der Lage dazu sind, rechnet mindestens mit einer Ferienkolonie, womit viele tausend Kinder unbemittelter Eltern bedacht werden. Wer aber gar keine Aussicht hat, sich eine Reise leisten zu können und wäre es auch nur bis Pankow oder Lichtenberg, der läßt wenigstens auf einige Wochen die Rolläden vor den Fenstern herunter, um den Schein desVereistseins" zu erwecken. Der 4. Juli, als der Beginn der Schulferien, entführt die ersten Sommerfrischler in Sonderzügen nach der Schweiz und Tirol, wohin aber in der Regel nur größere Kinder mitgenommen werden. Wo solche noch in kleinerem Zustande vorhanden sind, wird die See bevorzugt und da setzt die Springflut ein, die sich vom Stettiner Bahnhof aus in vier bis fünf aufeinander folgenden Schnellzügen an die Ostseeküste ergießt. Seitdem seit zwei Jahren auch die auf der Insel Wollin gelegenen Seebäder mittels der Eisenbahn zu erreichen sind, hat die Benutzung der Dampfschiffe mehr und mehr nachgelassen, trotzdem die Fahrt über das Stettiner Haff von manchem bevorzugt wird. Swinemünde, Ahlbeck und Heringsdorf werden von den Berlinern mit Vorliebe aufge­sucht. Die Mehrzahl erscheint ohne das Ober­haupt der Familie, das von den Geschäften in der Großstadt zurückgehalten wird und nur Sonntags sich den Seinen widmen kann, sodaß auch er seinen Vorteil von der Sonntagsruhe hat. Eine kleine Welle im Sommerverkehr setzt dann noch mit dem 15. Juli ein, wo der Jurist in den Genuß der Gerichtsferien eintritt. Als­dann wird Berlin immer leerer, sodaß man in

und kaum noch ein Haus gewahr wird, wo nicht sämtliche Rollläden heruntergelassen sind. Unter dem Regiment der Sommerfrische leiden die kleinen Geschäftsleute am meisten und der Kaufmann an meiner Straßenecke, der mit Kolonialwaren handelt, rechnet sein Geschäfts­jahr nur zu 9 Monaten, denn in der übrigen Zeit ist der größte Teil seiner Kundschaft ver reist, aber das Steuerzahlen geht ruhig seinen Gang. Hoffentlich ist das Wetter den Sommer­frischlern und Ferienkolonisten einigermaßen hold.

Wienwillwachsen. Die größere Einwohner - zahl Berlins macht ihm schon lange Schmerzen. Deshalb beschäftigt in diesen Tagen eine wichtige Angelegenheit den Wiener Gemeinderat: die Ein­verleibung von zwölf Gemeinden am linken Ufer des.Donaustroms. Da alle Beteiligten einverstanden sind, dürfte die Einbeziehung der zwölf Donau- emeinden voraussichtlich binnen kurzer Zeit eine eschlossene Sache sein. Durch diese neuerliche Erweiterung der Stadt wird Wien einen Flächen- inhalt von 332,13 Quadratkilometern umfassen und nach London, das mit seinen fünf Distrikten und Vororten 343 Quadratkilometer bedeckt, zur zweitgrößten Stadt Europas aufrücken. Das Gebiet von Wien umfaßt dann eine Fläche, die etwa ein Viertel von Hohenzollern bedeckt.

AusOe st erreich, 5. Juli. In den Blättern stand dieser Tage zu lesen, daß vom 1. August d. I. ab der erste weibliche Stationschef in Oester­reich eine Wienerin in der Station Vilpian der Bozen-Meraner Bahn Dienst thun soll. Hierzu wird derNationalztg." von der Direktion der Achenseebahn geschrieben:Der erste weibliche Stationschef in Oesterreich ist eine Tirolerin, die mit Genehmigung des k. k. Eisenbahnministeriums bereits seit 8. Mai d. I. in der Station Achensee der Achenseebahn in Tirol Dienst thut, jedoch ohne die rote Dienstmütze, dagegen mit der vor­geschriebenen roten Armbinde."