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schäfte der I. Kammer besorge, und suchte die Haltung derjenigen volksparteilichen Abgeordneten zu rechtfertigen, die im Jahr 1899 für den Abs. 2 gestimmt haben, indem er sagte, damals habe man die Hoffnung gehabt, daß dadurch die Steuerreform sofort zustande komme. Haug bemerkte, daß im Jahr 1899 nicht er, sondern sein f Bruder dem Landtag angehört habe. Die ganze reichhaltige Schale seines Spotts und seiner beißenden Ironie goß Gröber über die Deutsche Partei, den Bund der Landwirte und die Volkspartei aus, wodurch er öfters stürmische Heiterkeit im Hause erregte. Er betonte, das Volk wolle die Mühle nicht bloß klappern hören, es wolle auch Mehl sehen. Vor allem wolle das Volk den Schuldenabzug. Die Deutsche Partei habe sich in einestillschweigende Partei mit stillschweigenden Voraussetzungen" umge- wandclt. Der Abg. Liesching spreche immer vom Schwertziehen; aber wenn man das Schwert ziehe, dann dürfe man nicht bloß fuchteln; dann müsse es auch Blut geben, sonst lasse man das Schwert besser in der Scheide. Betz motivierte seine Abstimmung von 1899. Haußmann- Balingen entgegnete auf die Ausführungen v. Kienes und Gröbers, zog sich dabei aber auch eine Vermahnung des Präsidenten zu. Die Deutsche Partei, so führte er aus, müsse mit der Volkspartei zusammengehen. Der Finanz- minister v. Zeh er betonte, daß die Regierung kein Recht habe, die hohen Staatsbeamten, die als lebenslängliche Mitglieder in der ersten Kammer sitzen, zu beeinflussen. Die Regierung wolle die Reform zustandebringen; das sei aber nur möglich mit Art. 19. Wenn die Reform scheitere, tragen diejenigen die Schuld, die gegen den Art. 19 stimmen, v. Geß verteidigte noch­mals die Deutsche Partei gegen die Angriffe Gröbers. Vizepräsident Dr. v. Kiene hob noch­mals die Notwendigkeit hervor, die Steuerreform nicht scheitern zu lassen. Nunmehr war die große Redeschlacht geschlagen. Man schritt zur Abstimmung. Der Abs. 2 des Art. 19 wurde bei einer Stimmenthaltung (Frhr. v. Gemmingen) mit 47 gegen 34 Stimmen abgelehnt. (Dafür stimmten Zentrum und Ritter- und Prälaten bank außer Prälat v. Demmler und Kanzler v. Schönberg, dagegen alle anderen Parteien.) Ju der Gesamtabstimmung über das ganze Ge­setz in I. Lesung wurde dasselbe mit 70 gegen

2 Stimmen (v. Breitschwert, v. Gaisberg-Schöck- ingen) angenommen. Am Dienstag sollen die Kapitalsteuer und die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer zur Verhandlung kommen.

Stuttgart, 28. Juni. Mit Erlaß vom 19. ds. an das Präsidium des Württ. Krieger­bundes ist die Erwählung des Generalleutnants 5- ^rnff zum ersten Bundespräsidenten

vom König bestätigt worden. Beim hier abgehaltenen Jubiläumsbundesfest des Württ. Kriegerbundes sind einem Veteranen 3 Ehren­zeichen mit Ordensblech und Bändern, einem andren die Kriegsdenkmünze von 1870/71 und oie Centenarmedaille und einem dritten die Denk­münze von 1866 verloren gegangen.

Die Einnahmen der württemb. Eisen­oahnen im Monat Mai weisen, was den Personen- verkehr anlangt, eine Abnahme auf: gegenüber

3 371474 beförderten Personen im Mai des Vor- lahres sind es Heuer 3215 948. Dieser Ausfall wird teilweise gedeckt durch die Zunahme des Gütertransportes von 732661 auf 753422 Tonnen, so daß die Gesamteinnahmen dieses Jahres -m Monat Mai 4938000 gegenüber 4953000

im Vorjahr betragen, also nur einen Unterschied von 15 000 ^ zu Ungunsten dieses Jahres zeigen. Davon wurden aus dem Personenverkehr verein­nahmt 18 78 000 ^ (im Vorj. 1991000 ^), aus dem Güterverkehr 2 814000 ^ (2 716 000

Gasthausreform. (Eingesandt im Schw. Merkur.) An dem Schankwirtschaftsbetrieb zu rütteln, ist zwar eine heikle Sache. Dennoch haben 3 deutsche Männer, Dr. Bode-Weimar, Dr. Eggers-Bremen und Frhr. v. Diergardt im Posenschen, gewagt, dendeutschen Verein für Gasthausreform" zu gründen. Schon umfaßt derselbe mehrere hundert Mitglieder in Deutsch- land, auch in Württemberg, und Kaiser Wilhelm hat sich beeilt, sofort seine Befriedigung über diese Reformbestrebungen zu bekunden. Der

Verein, der das MonatsblattGasthausreform" ausgiebt (Redakteur und Vereinsleiter Dr. Bode) erstrebt die Gründung gemeinnütziger Gesellschaften nach Gothenburger (Schweden) System für Er­richtung von Gasthäusern ohne Trinkzwang mit nicht mehr als 4°/» Gewinn und Verwendung des Ueberschusses für Vcreinszwecke. Ferner die Einwirkung auf staatliche und städtische Behörden bei Konzessionserteilungen, insbesondere bei fis­kalischen Betrieben, betreffs der Qualifikation des Pächters, sowie andere öffentliche Einricht­ungen ins Leben zu rufen, um den Trinkgewohn­heiten entgegenzuwirken. Eine der Wirtszeit­ungen (Wiener Verlag) machte den vernünftigen Vorschlag, die Wirte sollen sich im eigensten Interesse diesen Vorgängen nicht entgegenstellen, sondern in ihren Geschäften Zimmer für genannte Zwecke reservieren. Darauf könnte eventuell ein weiteres Absehen gerichtet sein. Der neue Verein gründet sich auf die Bestrebungen des älteren gegen den Mißbrauch geistiger Getränke.

Mitteilungen der Zentralvermittlungs- stelle Stuttgart, für Obstverwertung vom 28. Juni. Weitere Angebote liegen bei uns vor: in Kirschen aus Dettingen u. T. (große Posten Frühkirschen, Strehles-Kirschen u. and. Sorten); in Prestlingen aus Gnadenthal bei Hall und ans Aalen; in Stachelbeeren (grüne zum Einmachen); in Johannisbeeren, rote, aus Winnenden, schwarze aus Aalen, schwarze, rote und weiße aus Tettnang. Nachfragen liegen vor: in Kirschen in Frühobst, alle Sorten und in täglichen Lieferungen, in Stachelbeeren, Johannisbeeren und Heidelbeeren. Obst - Preise. >Engros-Markt) bei der Markthalle am 28. Juni): Kirschen 1628, Prestlinge 2560 Stachelbeeren zum Einmachen 1520 Johannis­beeren 2840 Walderdbeeren- 4 Per Kilo.

Zufuhr schwach, Verkauf lebhaft.

Ausland.

London, 28. Juni. Prinz Heinrich von Preußen ist heute vormittag von hier abgereist.

London, 28. Juni. Seit die gestern im Laufe des Tages und spät abends ausgegebenen ärztlichen Berichte bekannt geworden sind, be­ginnt die heimliche Spannung, die bis dahin auf allen Gemütern gelastet hatte, etwas nachzulassen. Der erste Schrecken ist schwer zu beschreiben; er wird wahrscheinlich den Londoner Stadt- geschäften teuer zu stehen kommen. Wie von unterrichteter Seite verlautet, wurden in Trauer­sachen ganz ungeheure Abschlüsse gemacht, noch bedeutend mehr, als beim Tode der Königin Viktoria. Bei der nun erwarteten Genesung werden manche Firmen fast unter ihren Trauer­vorräten ersticken.

London, 28. Juni. Der Herzog von Connaught, der gegen 9ffs Uhr vormittags den Buckinghampalast verließ, erklärte:Der König hatte natürlichen Schlaf und befindet sich gut. Sein Zustand ist zufriedenstellend."

Von gut informierter Seite wird aus Kiel mitgeteilt, daß das Befinden des Königs Eduard, was seine Person betrifft, recht zu­friedenstellend sei. Sein Zustand als Kranker sei jedoch völlig derselbe, d. h. ernst geblieben. Am Sonntag oder Montag werde die kritische Phase der Krankheit erwartet, welche die Ent­scheidung bringen werde.

Die strenge Ausführung des französischen Vereinsgesetzes läßt sich das Ministerium Combes angelegen sein. Im Ministerium ließ Ministerpräsident Combes ein Dekret unterzeichnen, wonach die sofortige Schließung der Niederlass­ungen derjenigen Kongregationen angeordnet wird, die erst nach Veröffentlichung des Vereins­gesetzes eröffnet wurden ohne Einholung einer Genehmigung. Diese Niederlassungen, an Zahl ungefähr 130, sind auf 47 Departements verteilt.

Paris, 28. Juni. Bei der Paris-Wiener Automobil-Wettfahrt hat sich herausgestellt, daß die mit Spiritus betriebenen Maschinen den anderen überlegen sind. Dieses Resultat dürfte eine Umwälzung auf dem Gebiete der Automobil- Fabrikation Hervorrufen.

Der Zustand des Präsidenten Steijn schließt, wie dieNeederlandia", das Organ desAlgemeen Nederlands Verbond" mitteilt, jede Hoffnung auf Besserung aus. Steijn leidet an fort­schreitender Lähmung und wird Wohl noch ein längeres Krankenlager haben, bevor der Tod ihn erlöst. Vor etwa sieben Monaten hat der Präsident bei einem Sturz aus dem Wagen schwere innere Verletzungen bekommen, und wie­

wohl er später wieder hergestellt schien, wird sein Leiden wohl daraus hervorgehen. Steijn ist erst 46 Jahre alt.

New-Aork, 27. Juni. Das Mitglied der Handelskammer de Meduil erhebt schwere Be­schuldigungen gegen die Behörden von Martinique. Zur Zeit der Katastrophe habe die Wahlbewegung sie derart beschäftigt, daß St. Pierre viel zu spät Hilfe gebracht worden sei. De Meduil erklärt, viele Menschen hätten gerettet werden können.

Die Welt-Ausstellung in St. Louis wird nicht am 1. Mai 1903, sondern erst am 1. Mai 1904 eröffnet und am 1. Dezember 1904 ge­schlossen werden. Da aber am 30. April 1803 in Paris der Vertrag unterzeichnet wurde, durch welchen Frankreich das ungeheure Louisiana-Gebiet an die Vereinigten Staaten abtrat, wird zur hundert­jährigen Feier dieses Gedenktages am 30. April 1903 das Ausstellungsgelände im Forestpark von St. Louis in festlicher Weise eingeweiht werden.

Unterhaltender Heil.

Um einen Widder.

Novelle von Karl Bienen st ein.

12 (Schluß.)

Mit langsamem Schritte ging er fort dem Rasing- hofe zu, wo sein ältester Knabe im Dienst sein sollte.

Es war schon ganz dunkel, aber im Osten bekamen die Wölklein einen lichten Glanz von dem noch unsicht­baren, heraussteigcnden Mond. Nun führte der Weg durch ein kleines Gehölz, aus dessen tiesschwarzen Gründen ein einsames, schwermütiges Amsellied klang. Ab und zu stolperte der Fuß des Wanderes über eine Baumwurzel.

Dem Hosstetter kam es aber nicht zu Sinn. Er war ganz in seine Gedanken vertieft und das waren keine frohen. Er fühlte sich so armselig. Nirgends hatte er nun ein Heim und seine Kinder, zerstreut in der ganzen Gegend, mußten bei fremden Leuten ihr Brot jetzt schon verdienen. Wie wird es ihnen in Zukunft gehen?

Er sah keinen Ausweg, so sehr er auch seinen schmerzenden Kops zerquälte. Und was sollte er selbst thun? Als Taglöhner arbeiten? Wird man ihm nicht den Zuchthäusler fühlen lassen? Er reckte die Arme und dehnte die Brust, fühlte aber, daß nicht mehr der rechte Lebenssaft in seinen Gliedern sei. Alles, was an Kraft und Gesundheit in seinen Adern gerollt hatte, hatte ihn das Zuchthaus ausgejogen wie ein unersätt- licher Egel. Und wem hatte er das zu verdanken? dem Hofbauern.

Hosbauer," murmelte er,Dich möcht' ich jetzt da haben! Ich meine, ich wär' noch so stark!"

Der plötzliche Wutanfall rüttelte seinen Körper so mächrig, daß ihm die Knie schlotterten und er sich am Rande des Waldes, wo er nun angekommen war, auf einem Baumstrunk setzen mußte.

Unterdessen war ihm auch die Pfeife ausgegangne und er zündete sie von neuem wieder an. Das bren­nende Zündhölzchen warf er ins Gras, das nun gleich auflammte, da es von der großen Hitze ganz trocken war. Der Hosstetter verfolgte eine Weile dos hüpfende und huschende Fiämmchen, dann löschte er es mit einem Fußtrilt aus

Merkwürdig wie seine Knie zitterten und wie sein Herz schlug! Die frische, herbe Alpenl»ft, ganz unge. wohnt, machte ihn matt; außerdem brannte ihm der der Kopf von dem entwöhnten Tabaksgenuß, die Adern an den Schläfen tobten, es durchschauertc ihn wie Fieber.

Mittlerweile war der Mond heraufgestiegen und m seinem Hellen Lichte sah der Hosstetter einige hundert Schritte vor sich den Hosbauernhos, dessen Mauern weiß schimmerten.

Da drinnen schlief jetzt sein Todfeind und wußte nicht, daß derjenige in seiner Nähe weile, den er um alles, sogar um's Leben gebracht hatte. Denn der Hosstetter fühlte, daß es mit ihm unmöglich mehr lange dauern könne. Und daran war der Hosbauer schuld. Wenn er ihn einen Mörder nannte, so that er ihm gewiß kein Unrecht, weil er auch den Tod seines Weibes auf dem Gewissen hatte. Und was mußte die Arme gelitten haben, bis sie der Tod erlöste!

Der Hosstetter dachte auch daran, was seine Kinder durch den Tod der Mutter erlitten haben und schließ, lich kam er wieder auf sein verpfuschtes Leben zurück.

Das alles hatte der Hosbauer auf dem Gewissen. Und dafür sollte es keine Strafe geben? Bei Gericht nicht, er mußte sich jedenfalls selbst rächen. Aber wie? Er, ein armer Zuchthäusler, gegen den reichen Hosbauern l

Momentan ergriff den Hosstetter einen Schmmdel, daß er sich an den Strunk mit beiden Händen an- klammern mußte, um nicht rücklings hinabzusallen.

Dann schaute er wieder auf. Vor ihm leuchteten die weißen Mauern des Hosbauernhauses. Es war wie ein langer, brennender Streifen, aus dem bald da bald dort ein Flämmchen emporschlug.

Er sah scharf hin. Aber da war es nur wieder die leuchtende Mauer. Und Loch wieder! Rann es nicht wie ein glühender Strom das Dach herunter, spielte es nicht um den First wie ein Feuerschein?

Er stand aus und ging, ohne das Äuge von der schimmernden Mauer abzuwenden, näher. Immer näher kam er und das weiße Licht tanzte vor ihm hin und her, es huschte in den wehenden Bränden aus,