477
Beilage zrr Me. 98 des Gnzthirlees.
Neuenbürg, Mittwoch den 25. Juni 1902.
ksx Dsuglas oder Gasthaus Reform?
Am 1. Mai verhandelte das Preußische Abgeordnetenhaus über den Antrag des Grafen Douglas, „die K. Staatsregierung aufzu- fordern, ein Gesetz zur Verhütung und Einschränkung des schädlichen Genusses alkoholartiger Getränke vorzulegen" und nun hat auch bereits das Herrenhaus den Antrag v. Levetzow auf Bekämpfung des übertriebenen Alkoholgenusses angenommen, der mit der Fassung des vom Abgeordnetenhaus angenommenen Antrags Douglas übereinstimmt. Es war nicht zum erstenmal, daß sich das Parlament mit dieser Frage beschäftigte, aber nie vorher wurde dieselbe mit so strenger, sittlich-ernster Sachlichkeit behandelt wie dieses Mal. Während früher manche Abgeordnete die Frage mit schlechten Witzen erledigen zu können glaubten und auf der Tribüne des Parlaments Aeußerungen fielen wie: „Das Bier, das nicht getrunken wird, hat seinen Beruf verfehlt", besprachen in jener Sitzung am 1. Mai die Abgeordneten aller Parteien das Thema mit dem Ernste, der ihm zukommt. Beim Lesen der Verhandlungen bekam man den Eindruck, daß es endlich auch die deutschen Parlamentarier gemerkt haben, daß es eine Alkoholsrage giebt und daß man mit der Lösung dieser brennenden Frage nicht mehr länger warten darf. Wenn die gelesenste Wirte-Zeitung „Das Gasthaus" über jene Sitzung spottet und die Rede des Grafen Douglas als „Kapuzinerpredigt" bezeichnet, so beweist dies nur, daß sich der Antrag auf der richtigen Bähn bewegt, denn nicht einmal der Wahleinfluß der Wirte kann die Abgeordneten jetzt mehr bewegen, die Alkoholfrage als eine ,,guantite nögliZeudw" zu behandeln.
Was verlangt nun die lex Douglas? Fuselfreiheit des Branntweins, Verbot des Branntweinverkaufs an Angetrunkene, Trunksüchtige und Personen unter 16 Jahren und Verbot des Ausschanks und Verkaufs von geistigen Getränken in den späten Abend- und frühen Morgenstunden, sowie während des sonn- und festtäglichen Hauptgottesdienstes, ferner Aufklärung der Jugend in der Schule, und zwar in den höheren Klassen, möglichst durch Aerzte, über die schädlichen Folgen des übertriebenen Alkoholgenusses.
Wir sind nicht in dem Maße Optimist, um von diesem Gesetz die Beseitigung des übertriebenen Alkoholgenusses zu erwarten; aber es ist wenigstens ein Anfang gemacht, und Regierung und Volksvertretung in Preußen haben dadurch bewiesen, daß sic den guten Willen haben, die Bewegung gegen den Alkoholismus, diese nationale Gefahr, zu unterstützen und in mLZuw
V6l V0I1Ü886 8Ut 68t.
Freilich gäbe es vielleicht für Regierung und Abgeordnete andere Mittel und Wege, um wirksamer zu helfen als durch obige Vorschläge. In ihrer Macht läge es, keine Gesetze zu dulden, wodurch die Trunksucht vermehrt wird, und ein Konzesstonssystem zu beseitigen, das die Quelle aller Üebel ist.
Es ist der kleine tz 33 der Gewerbeordnung, welcher unser ganzes deutsches Gasthauswesen regelt und beherrscht. Nach ihm kann jeder beliebige Privatmann den Ausschank und Kleinverkauf geistiger Getränke betreiben, wenn sein Lokal gewissen bescheidenen Anforderungen genügt, und wenn ihm nicht gerichtlich nachgewiesen werden kann, daß er ein ganz schlechter Kerl ist. Nun besteht freilich die berühmte „Bedürfnisfrage", die allzugroßem Unheil Vorbeugen soll, aber sie versagt in jedem Falle. Entweder man wendet sie schlaff an, läßt sie zur Komödie werden: dann werden so viele Wirte konzessioniert, daß sie ihr Auskommen nicht finden und alle lauteren und unlauteren Mittel anwenden müssen, um Gäste in ihre Wirtschaft zu ziehen, sie möglichst lange darin festzuhalten und zu möglichst
großem Konsum zu veranlassen. Die Wirte werden durch diese übermäßige Konkurrenz korrumpiert und die Gäste auch. Wird aber die Bedürfnisfrage ernst genommen und gewährt man nur selten eine neue Konzession, so wird für die konzessionierten Wirtschaften ein Monopolpreis geschaffen (ähnlich wie bei den Apotheken), und wenn sie diesen haben, so muß die Verzinsung dieses Monopolpreises herausgewirt- schaftet werden. Und das geht nicht ohne größtmögliche Steigerung des Ausschanks alkoholischer Getränke. Diese „Monopolpreise" haben aber auch zur Folge, daß der eigentliche Wirt heute keine Wirtschaft mehr erwerben kann, er kann sie nur noch als Pächter oder Wirtschaftsführer bekommen. Wer soviel Geld hat, wie in unseren Tagen eine bessere Wirtschaft kostet, der spielt nicht den Wirt; der Berufswirt aber mit einigen 1000 Vermögen kann nur noch dem Namen nach Besitzer eines Gasthofes werden, während die wirklichen Besitzer die Brauereien sind, die natürlicherweise in denselben möglichst viel von ihrem Getränke absetzen wollen. Wenn Häuschen im Wert von 10000 durch die Schnapskonzession 70 000 ^ wert sind, wie der Abgeordnete Vorster Beispiele aus den rheinischen Jndustrieorten anführte, so kann der Inhaber einer solchen Wirtschaft die Zinsen aus 70000 Mark nicht auf anständige Weise Herauswirtschaften. Hier handelt es sich nicht um ein „deutsches Volkslaster", um den „deutschen Teufel, von dem Luther spricht, sondern hier handelt es sich um eine verfehlte gesetzliche Bestimmung, welche diese Wirtshausmisere gezeitigt hat.
Wenn man nun fragt, wie Abhilfe schaffen, so verweisen wir auf ein Land, wo eine Wirtschaft keinen höheren Wert hat, als das Bäckeroder Metzgerhaus nebenan, Schweden-Norwegen. Dort kann man lernen, wie man den Verkauf alkoholischer Getränke auf die mindeste schädliche Weise regelt, wie man die wilde Spekulationssucht von diesem für das Volkswohl so schädlichen Handel fernhält und wie man die enormen Einnahmen an diesen Getränken anstatt einzelnen „Bierkönigen" der Allgemeinheit zugute kommen läßt. Das wäre dadurch möglich, wenn man den Gemeinden das Recht erteilen würde, neue Konzessionen nach dem skandinavischen System zu vergeben und die alten aufzukaufen. Dieses Gotenburger Ausschanksystem besteht darin, daß der Ausschank von spirituösen Getränken in einer Stadt oder einem bestimmten Landbezirk einer Aktiengesellschaft übertragen wird, deren Aktionäre aber nur eine bestimmte Dividende (5—6 °/o) von dem Gewinn erhalten, während der übrige Reingewinn für allgemeine Zwecke verwendet wird. Im Jahr 1875 wurden z. B. in Stockholm alle nicht privilegierten Schankgerechtigkeiten von einer Aktiengesellschaft übernommen und im Jahr 1886 waren von 987 Schankgerechtigkeiten 902 in Händen derartiger Gesellschaften.
Die Resultate dieses Systems sind in der That so glänzende, daß sie zur Nachahmung auffordern. Die Gotenburger Gesellschaft hat die Anzahl der Schankstellen im Zeitraum von 20 Jahren von 61 auf 19 beschränkt; während in Schweden innerhalb 10 Jahren 103 private Ausschankgerechtsame eingezogen wurden, vermehrten sich diejenigen der Gesellschaften nur um 23. Diese Regelung hatte hauptsächlich ein Sinken in der Konsumtion des Branntweins hervorgerufen. Ueber die Verwendung des Überschusses gelten verschiedene Bestimmungen. In Schweden fallen desselben an die Stadt, */s an das Landsting und '/s an den Landwirtschaftsverein in der Provinz. In Norwegen wird über den Ueberschuß entweder nur von der Generalversammlung oder von der Gesellschaft in Verbindung mit den kommunalen Behörden verfügt. Der Nettogewinn der norwegischen Gesellschaften betrug 1889: 1 143 409 Kronen (über 22 Mill. Mark). Beseitige man also jenen
tz 33 der Gewerbeordnung und damit die Ueber- tragung des Getränkehandels an ein gefährliches Schacher und Spekulationssystem, bei dem weder Wirte noch Gäste gedeihen, und schaffe man gesunde Zustände auf diesem Gebiet nach dem Muster Skandinaviens.
Württemberg.
Der württembergische Schutzverein für Handel und Gewerbe in Stuttgart veröffentlicht folgende Warnung: Ueber die Internationale Portrait-Monopole „Brillant" in Stuttgart sind uns in den letzten Tagen mehrfache Beschwerden zugegangen. Die Firma beschäftigte sich mit Vergrößerungen von Photographien. Die Hausierer derselben suchen dadurch Bestellungen zu erlangen, daß sie den Leuten gegenüber behaupten, die Bilder kosten nichts. Werden hierüber von seiten der besuchten Privatpersonen Zweifel geäußert, weil niemand umsonst arbeiten könne, so bemerken die Hausierer, daß der Portrait- Monopole „Brillant" große Mittel zur Verfügung stehen und dieselbe zunächst zu Reklamezwecken die Bilder umsonst liefere. Bei der Ablieferung der Bilder erst wird dann das Verlangen gestellt, einen Rahmen hierzu gegen gute Bezahlung abzunehmen. Wird dies verweigert, dann erfolgt die Erklärung, daß in diesem Falle das Bild nicht unentgeltlich geliefert werde, vielmehr 7.50 -//L koste. Falls sodann das Bild nicht ohne weiteres übernommen und bezahlt wird, so erhält der Besteller ein gedrucktes, vom Prozeßbevollmächtigten der Internationalen Portrait-Monopole „Brillant" unterzeichnetes Schriftstück, in dem Klage angedroht wird. In demselben heißt es u. a.: „Da Sie laut Abmachung mit dem Reisenden die Photographie-Vergrößerung bei obiger Firma bestellt und geliefert erhalten haben, aber Annahme verweigerten, mache ich Sie darauf aufmerksam, daß Sie gesetzlich verpflichtet sind, das Gratis-Portrait mit einem zu bezahlenden Rahmen anzunehmen, da Sie aber einen solchen nicht bestellen wollen, so ist die Gratisofferte richtig und haben Sie für je ein Portrait ohne Rahmen 7.50 zu zahlen, während Ihnen das Portrait fix und fertig mit Rahmen in verschiedenen Preislagen geliefert werden würde. Die Firma ist bereit, die Rahmenmuster nochmals vorzulegen." — In dem wir dieses Geschäftsgebahren zur allgemeinen Kenntnis bringen, ersuchen ivir gleichzeitig, etwaige weitere Beschwerden über die genannte Firma der Geschäftsstelle des Württembergischen Schutz- Vereins für Handel und Gewerbe in Stuttgart mitzuteilen.
Tübingen, 21. Juni. (Strafkammer.) Wegen Betrugs und Diebstahls stand heute vor den Schranken des Gerichts die Zigeunerin Ottilie Mai von Nöttingen O.A. Neresheim. Die Betrogene ist die Prievatiere Rosa Feigel in Tübingen. Diese sagte zur Sache unter Eid aus: Am Georgiimarkt 1898 sei auf ihrem Zimmer eine Zigeunerin erschienen und habe ihr gesagt, im Feigel schen Hause liege viel Geld vergraben, das man finden könne; sie (die Feigel) müsse aber sämtliches Geld, das sie besitze, ihr aushändigen und dazu noch 17 Gegenstände. Alles komme in eine Kirche; sie werde das Geld und die Gegenstände wieder zurückerhalten; wenn sie aber das Geld nicht hergebe, dann werde ihre (der Feigel) kurz verstorbene Schwester, keine Ruhe finden und feurig im Hause herumgehen. Die Feigel ging auf den Schwindel ein und händigte der Zigeunerin 200 sowie verschiedene Bettstücke und Kleider, 17 Stück, aus. Die Zigeunerin verschwand. Das Geld kam seither nicht zurück, dagegen erschien bei der Feigel am Georgiimarkt 1902 wiederum eine Zigeunerin, nach Ansicht der Feigel dieselbe Person wie 1898 und teilte ihr mit, heute seien es gerade 4 Jahre, daß sie bei ihr gewesen sei und das Geld erhalten habe, dasselbe liege in einer Kirche bei einem Geistlichen, jetzt sei die Zeit gekommen, wo sie das Geld wieder erhalten