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Beilage zrr Me. 98 des Gnzthirlees.

Neuenbürg, Mittwoch den 25. Juni 1902.

ksx Dsuglas oder Gasthaus Reform?

Am 1. Mai verhandelte das Preußische Ab­geordnetenhaus über den Antrag des Grafen Douglas,die K. Staatsregierung aufzu- fordern, ein Gesetz zur Verhütung und Einschränkung des schädlichen Genusses alkoholartiger Getränke vorzulegen" und nun hat auch bereits das Herrenhaus den Antrag v. Levetzow auf Bekämpfung des über­triebenen Alkoholgenusses angenommen, der mit der Fassung des vom Abgeordnetenhaus ange­nommenen Antrags Douglas übereinstimmt. Es war nicht zum erstenmal, daß sich das Parla­ment mit dieser Frage beschäftigte, aber nie vor­her wurde dieselbe mit so strenger, sittlich-ernster Sachlichkeit behandelt wie dieses Mal. Während früher manche Abgeordnete die Frage mit schlechten Witzen erledigen zu können glaubten und auf der Tribüne des Parlaments Aeußerungen fielen wie:Das Bier, das nicht getrunken wird, hat seinen Beruf verfehlt", besprachen in jener Sitz­ung am 1. Mai die Abgeordneten aller Parteien das Thema mit dem Ernste, der ihm zukommt. Beim Lesen der Verhandlungen bekam man den Eindruck, daß es endlich auch die deutschen Par­lamentarier gemerkt haben, daß es eine Alkohol­srage giebt und daß man mit der Lösung dieser brennenden Frage nicht mehr länger warten darf. Wenn die gelesenste Wirte-ZeitungDas Gast­haus" über jene Sitzung spottet und die Rede des Grafen Douglas alsKapuzinerpredigt" bezeichnet, so beweist dies nur, daß sich der An­trag auf der richtigen Bähn bewegt, denn nicht einmal der Wahleinfluß der Wirte kann die Abgeordneten jetzt mehr bewegen, die Alkohol­frage als eine ,,guantite nögliZeudw" zu be­handeln.

Was verlangt nun die lex Douglas? Fusel­freiheit des Branntweins, Verbot des Branntweinverkaufs an Angetrunkene, Trunksüchtige und Personen unter 16 Jahren und Verbot des Ausschanks und Verkaufs von geistigen Getränken in den späten Abend- und frühen Morgen­stunden, sowie während des sonn- und festtäglichen Hauptgottesdienstes, ferner Aufklärung der Jugend in der Schule, und zwar in den höheren Klassen, mög­lichst durch Aerzte, über die schädlichen Folgen des übertriebenen Alkoholgenusses.

Wir sind nicht in dem Maße Optimist, um von diesem Gesetz die Beseitigung des übertriebenen Alkoholgenusses zu erwarten; aber es ist wenig­stens ein Anfang gemacht, und Regierung und Volksvertretung in Preußen haben dadurch be­wiesen, daß sic den guten Willen haben, die Bewegung gegen den Alkoholismus, diese natio­nale Gefahr, zu unterstützen und in mLZuw

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Freilich gäbe es vielleicht für Regierung und Abgeordnete andere Mittel und Wege, um wirk­samer zu helfen als durch obige Vorschläge. In ihrer Macht läge es, keine Gesetze zu dulden, wodurch die Trunksucht vermehrt wird, und ein Konzesstonssystem zu beseitigen, das die Quelle aller Üebel ist.

Es ist der kleine tz 33 der Gewerbeordnung, welcher unser ganzes deutsches Gasthauswesen regelt und beherrscht. Nach ihm kann jeder be­liebige Privatmann den Ausschank und Klein­verkauf geistiger Getränke betreiben, wenn sein Lokal gewissen bescheidenen Anforderungen genügt, und wenn ihm nicht gerichtlich nachgewiesen wer­den kann, daß er ein ganz schlechter Kerl ist. Nun besteht freilich die berühmteBedürfnis­frage", die allzugroßem Unheil Vorbeugen soll, aber sie versagt in jedem Falle. Entweder man wendet sie schlaff an, läßt sie zur Komödie wer­den: dann werden so viele Wirte konzessioniert, daß sie ihr Auskommen nicht finden und alle lauteren und unlauteren Mittel anwenden müssen, um Gäste in ihre Wirtschaft zu ziehen, sie mög­lichst lange darin festzuhalten und zu möglichst

großem Konsum zu veranlassen. Die Wirte werden durch diese übermäßige Konkurrenz kor­rumpiert und die Gäste auch. Wird aber die Bedürfnisfrage ernst genommen und gewährt man nur selten eine neue Konzession, so wird für die konzessionierten Wirtschaften ein Mono­polpreis geschaffen (ähnlich wie bei den Apo­theken), und wenn sie diesen haben, so muß die Verzinsung dieses Monopolpreises herausgewirt- schaftet werden. Und das geht nicht ohne größt­mögliche Steigerung des Ausschanks alkoholischer Getränke. DieseMonopolpreise" haben aber auch zur Folge, daß der eigentliche Wirt heute keine Wirtschaft mehr erwerben kann, er kann sie nur noch als Pächter oder Wirtschaftsführer bekommen. Wer soviel Geld hat, wie in unseren Tagen eine bessere Wirtschaft kostet, der spielt nicht den Wirt; der Berufswirt aber mit einigen 1000 Vermögen kann nur noch dem Namen nach Besitzer eines Gasthofes werden, während die wirklichen Besitzer die Brauereien sind, die natürlicherweise in denselben möglichst viel von ihrem Getränke absetzen wollen. Wenn Häuschen im Wert von 10000 durch die Schnaps­konzession 70 000 ^ wert sind, wie der Abge­ordnete Vorster Beispiele aus den rheinischen Jndustrieorten anführte, so kann der Inhaber einer solchen Wirtschaft die Zinsen aus 70000 Mark nicht auf anständige Weise Herauswirt­schaften. Hier handelt es sich nicht um ein deutsches Volkslaster", um dendeutschen Teufel, von dem Luther spricht, sondern hier handelt es sich um eine verfehlte gesetzliche Bestimmung, welche diese Wirtshausmisere gezeitigt hat.

Wenn man nun fragt, wie Abhilfe schaffen, so verweisen wir auf ein Land, wo eine Wirt­schaft keinen höheren Wert hat, als das Bäcker­oder Metzgerhaus nebenan, Schweden-Nor­wegen. Dort kann man lernen, wie man den Verkauf alkoholischer Getränke auf die mindeste schädliche Weise regelt, wie man die wilde Speku­lationssucht von diesem für das Volkswohl so schädlichen Handel fernhält und wie man die enormen Einnahmen an diesen Getränken anstatt einzelnenBierkönigen" der Allgemeinheit zugute kommen läßt. Das wäre dadurch möglich, wenn man den Gemeinden das Recht erteilen würde, neue Konzessionen nach dem skandinavischen System zu vergeben und die alten aufzukaufen. Dieses Gotenburger Ausschanksystem be­steht darin, daß der Ausschank von spirituösen Getränken in einer Stadt oder einem bestimmten Landbezirk einer Aktiengesellschaft übertragen wird, deren Aktionäre aber nur eine bestimmte Dividende (56 °/o) von dem Gewinn erhalten, während der übrige Reingewinn für allgemeine Zwecke verwendet wird. Im Jahr 1875 wurden z. B. in Stockholm alle nicht privilegierten Schankgerechtigkeiten von einer Aktiengesellschaft übernommen und im Jahr 1886 waren von 987 Schankgerechtigkeiten 902 in Händen der­artiger Gesellschaften.

Die Resultate dieses Systems sind in der That so glänzende, daß sie zur Nachahmung auffordern. Die Gotenburger Gesellschaft hat die Anzahl der Schankstellen im Zeitraum von 20 Jahren von 61 auf 19 beschränkt; während in Schweden innerhalb 10 Jahren 103 private Ausschankgerechtsame eingezogen wurden, ver­mehrten sich diejenigen der Gesellschaften nur um 23. Diese Regelung hatte hauptsächlich ein Sinken in der Konsumtion des Branntweins hervorgerufen. Ueber die Verwendung des Überschusses gelten verschiedene Bestimmungen. In Schweden fallen desselben an die Stadt, */s an das Landsting und '/s an den Landwirt­schaftsverein in der Provinz. In Norwegen wird über den Ueberschuß entweder nur von der Generalversammlung oder von der Gesellschaft in Verbindung mit den kommunalen Behörden verfügt. Der Nettogewinn der norwegischen Ge­sellschaften betrug 1889: 1 143 409 Kronen (über 22 Mill. Mark). Beseitige man also jenen

tz 33 der Gewerbeordnung und damit die Ueber- tragung des Getränkehandels an ein gefährliches Schacher und Spekulationssystem, bei dem weder Wirte noch Gäste gedeihen, und schaffe man ge­sunde Zustände auf diesem Gebiet nach dem Muster Skandinaviens.

Württemberg.

Der württembergische Schutzverein für Handel und Gewerbe in Stuttgart veröffent­licht folgende Warnung: Ueber die Internationale Portrait-MonopoleBrillant" in Stuttgart sind uns in den letzten Tagen mehrfache Beschwerden zugegangen. Die Firma beschäftigte sich mit Vergrößerungen von Photographien. Die Hau­sierer derselben suchen dadurch Bestellungen zu erlangen, daß sie den Leuten gegenüber behaupten, die Bilder kosten nichts. Werden hierüber von seiten der besuchten Privatpersonen Zweifel ge­äußert, weil niemand umsonst arbeiten könne, so bemerken die Hausierer, daß der Portrait- MonopoleBrillant" große Mittel zur Ver­fügung stehen und dieselbe zunächst zu Reklame­zwecken die Bilder umsonst liefere. Bei der Ab­lieferung der Bilder erst wird dann das Ver­langen gestellt, einen Rahmen hierzu gegen gute Bezahlung abzunehmen. Wird dies verweigert, dann erfolgt die Erklärung, daß in diesem Falle das Bild nicht unentgeltlich geliefert werde, viel­mehr 7.50 -//L koste. Falls sodann das Bild nicht ohne weiteres übernommen und bezahlt wird, so erhält der Besteller ein gedrucktes, vom Prozeßbevollmächtigten der Internationalen Por­trait-MonopoleBrillant" unterzeichnetes Schrift­stück, in dem Klage angedroht wird. In dem­selben heißt es u. a.:Da Sie laut Abmachung mit dem Reisenden die Photographie-Vergrößerung bei obiger Firma bestellt und geliefert erhalten haben, aber Annahme verweigerten, mache ich Sie darauf aufmerksam, daß Sie gesetzlich ver­pflichtet sind, das Gratis-Portrait mit einem zu bezahlenden Rahmen anzunehmen, da Sie aber einen solchen nicht bestellen wollen, so ist die Gratisofferte richtig und haben Sie für je ein Portrait ohne Rahmen 7.50 zu zahlen, während Ihnen das Portrait fix und fertig mit Rahmen in verschiedenen Preislagen geliefert werden würde. Die Firma ist bereit, die Rahmen­muster nochmals vorzulegen." In dem wir dieses Geschäftsgebahren zur allgemeinen Kennt­nis bringen, ersuchen ivir gleichzeitig, etwaige weitere Beschwerden über die genannte Firma der Geschäftsstelle des Württembergischen Schutz- Vereins für Handel und Gewerbe in Stuttgart mitzuteilen.

Tübingen, 21. Juni. (Strafkammer.) Wegen Betrugs und Diebstahls stand heute vor den Schranken des Gerichts die Zigeunerin Ottilie Mai von Nöttingen O.A. Neresheim. Die Betrogene ist die Prievatiere Rosa Feigel in Tübingen. Diese sagte zur Sache unter Eid aus: Am Georgiimarkt 1898 sei auf ihrem Zimmer eine Zigeunerin erschienen und habe ihr gesagt, im Feigel schen Hause liege viel Geld vergraben, das man finden könne; sie (die Feigel) müsse aber sämtliches Geld, das sie besitze, ihr aushändigen und dazu noch 17 Gegenstände. Alles komme in eine Kirche; sie werde das Geld und die Gegenstände wieder zurückerhalten; wenn sie aber das Geld nicht hergebe, dann werde ihre (der Feigel) kurz verstorbene Schwester, keine Ruhe finden und feurig im Hause herum­gehen. Die Feigel ging auf den Schwindel ein und händigte der Zigeunerin 200 sowie verschiedene Bettstücke und Kleider, 17 Stück, aus. Die Zigeunerin verschwand. Das Geld kam seither nicht zurück, dagegen erschien bei der Feigel am Georgiimarkt 1902 wiederum eine Zigeunerin, nach Ansicht der Feigel dieselbe Person wie 1898 und teilte ihr mit, heute seien es gerade 4 Jahre, daß sie bei ihr gewesen sei und das Geld erhalten habe, dasselbe liege in einer Kirche bei einem Geistlichen, jetzt sei die Zeit gekommen, wo sie das Geld wieder erhalten