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eitage zu Ar. 45 des Knzthciters.
Neuenbürg, Mittwoch den 19. März 1902.
Württemberg
Bor dem Rottweiler Schwurgericht wurde der „württcmbergische Kneißl" verhandelt. Derselbe hauste in den letzten Monaten des Vorjahres in der Gegend von Dormetingen und Schömberg, Rottweiler Oberamts. Sein Nachtquartier hatte er in einer selbstgegrabenen Höhle, von wo aus er seine Raubzüge unternahm und die ganze Gegend bestahl. In dieser Höhle fand man einen beträchtlichen Proviantvorrat. Als Nachtlager diente ihm ein gestohlenes Belt und selbst eine lebendige Ziege fand man in der Höhle, die den Räuber mit frischer Milch zu versorgen hatte. Der Ange klagte, erst 21 Jahre alt, namens Alois Weinmann, Mechaniker von Roßwangen, O.A. Rottweil, war als fahnenflüchtig ausgeschrieben und von Landjäger Sommer in Mössingen O.A. Rottenburg/ am 22. Okt. v. I. angehalten worden, ergriff jedoch die Flucht. Der Landjäger Holle mehrere Bürger herbei, die ihm bei der Verfolgung behilflich sein sollten. Der An geklagte feuerte auf seine Verfolger Revolverschüsse ab, ohne daß jedoch jemand verletzt wurde. Weinmann entkam an jenem Tage. Einige Tage darauf Prahlte er in einem Wirtshaus in Neukirch, OA. Rottweil damit, er gebe dem bayerischen Kneißl nichts nach rc., worauf er festgenommen wurde. Im letzten Monat hatte er wegen zahlreicher Diebstähle von der hiesigen Strafkammer eine Zuchthausstrafe von 6 Jahren erhalten. Jetzt nun stand die Schuldsrage auf vorsätzliche Tötung zur Verhandlung. Das Urteil lautete auf 10 Jahre Zuchlhaus, 16 Jahre Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und Stellung unter Polizeiaufsicht. Der Angeklagte machte sich nichts daraus, sondern meinte, wenn er wieder in Freiheit sei, dann werde er erst recht einen „Kneißl" abgeben. Auch in Rottweil unternahm er mehrere nächtliche Einbrüche. Einmal, so erzählt er, sei es ihm dabei schlecht eingegangen; er sei eingebrochen und als er das Zimmer betreten habe, sei er neben einem Sarg gestanden, vor dem ein Oellämpchen gebrannt habe, worauf er erschreckt die Flucht ergriff.
Stuttgart. fLandesprodultenbörse.f Bericht vom 17. März von dem Vorstand Fritz Kreglinger Die Notierungen für amerikanischen Weizen haben im Bocherwcrlaus eine kleine Abschwächung erfahren, doch sind die Forderungen fast ganz gleich geblieben Argentinien behauptct^ebenfalls vorwöchentüche Preise. Hier bleibt das Geschäft auf den nötigen Bedarf beschränkt bei unveränderten Preisen. — Mehlpreise ft. Ivo Kilogramm inkl. Sack: Mehl Nr. 0: 29 ««
- 4 bis 29 50 4,, Nr. I: 27 bis
2? 50 , Nr. 2 -. 25 «6 50 bis 2K ,
Nr. S: 24 bis 24^ 50 4,, Nr. 4: 21 ^
brs 21 «kt 50 «l. Suvpengries 29 «kt — «j bis 29 «kt SV Kleie 9 «kt 50
Ausland.
Plymouth. 17. März. Der Dampfer «Deutschland" ist um 12 Uhr 30 Minuten angekommen und setzte 1 Uhr 15 Minuten die Reise fort. Die Reise des Prinzen Heinrich ist ohne jede Störung bei günstiger Witterung verlaufen. Der Dampfer „Deutschland" legte die 3082 Seemeilen in 5 Tagen 12 Stunden 38 Minuten zurück. Bei der Ankunft begrüßte den Prinzen als Vertreter der deutschen Botschaft der Marineattach6 Kapitän zur See Koerper. Während der Fahrt bewegte sich der Pnnz mit größter Liebenswürdigkeit unter der Reisegesellschaft und zog wiederholt Passagiere, auch Amerikaner, in die Unterhaltung. Er erklärte sich öfters hochbefriedigt über die Amerika- mse. Dem Kapitän Albers äußerte der Prinz seine Anerkennung über die Leistungen des Dampfers „Deutschland". Der Kapitän wurde mehrfach zur Tafel zugezogen. Als der Dampfer eitersuhr, brachten die ausgestiegenen Passagiere Hochrufe auf den Prinzen ans.
- einiger Zeit kommen über Rußland
Nachrichten über Ruhestörungen und Kampfe m der Mandschurei. Da die Russen
Mandschurei nicht früher verlassen wollen,
als bis die Ruhe dort vollkommen wieder hergestellt ist, so dürften Meldungen von mandschurischen Unruhen in absehbarer Zeit nicht verstummen.
In den Wirren im nördlichen Südamerika giebt es wieder verschiedenes Neues zu verzeichnen. General Castro ist mit 400 Mann Regierungstruppen in Colon angekommen und von dort auf Panama vorgerückt. In dem großen Gefecht, das am 23. Februar bei Aqua- dulce zwischen den kolumbischen Regiernngs- truppcn und den Insurgenten stattfand, sind von den letzteren 550 Mann gefallen; unter den Toten befindet sich auch der Jnsurgentenoberst Uribe.
Vom Südende des Vierwaldstättersees, aus Flüelen, wird berichtet, daß l'/s Hektare Wald in das Gruonbachgebiet niedergestürzt sind. Man befürchtet, daß noch weitere Nachruischungen folgen. Wer einmal die überworfenen Schichten und Spaltungen jener Berge gesehen, muß sich wundern, daß das großartige Gewirr nicht schon längst abgestürzt ist.
Zenta, 18. März. Heute vormittag stürzte mit großem Krachen die 200 Meter lange Holzbrücke über die Theiß ein. Ein Transportdampfer, der darunterlag, ist vernichtet. Menschen sind, soweit festgestellt, nicht verunglückt.
Eine schwere Katastrophe wird vom oberen Amazonen ström, der Maranon genannt wird, gemeldet. Eine neue Brücke, die über den Strom erbaut worden ist, stürzte gerade bei ihrer Einweihung ein, wobei über 100 Menschen den Tod durch Ertrinken gefunden haben sollen.
Krieg Englands gegen die Buren.
Amsterdam, 15. März. Nach einem Privat-Telegramm wird gegenüber den Deutungen, die die Rede Richthofens im Reichstage in der ausländischen Presse erfährt, seitens der Umgebung Krügers aufs Bestimmteste versichert, daß weder die kämpfenden Burengenerale noch Krüger irgend eine Einmischung heute wünschen. Gewünscht werde nur, daß in Südafrika Ambulanzen zugelassen würden. Bei dem gegenwärtigen Stande des Krieges würde der Buren- Regierung sogar eine Intervention höchst unerwünscht sein, es sei denn, daß als Unterlage England die Unabhängigkeit garantiere. Da indessen in den letzten Tagen noch bestimmte gegenteilige Meldungen hierher gelangt sind, wünsche man die energische Fortsetzung des Krieges in der bestimmten Hoffnung, England werde früh oder spät gezwungen sein, seine Hartnäckigkeit aufzugeben. Krüger selbst äußerte: „Ohne Unabhängigkeit giebts keinen Frieden und wenn der Krieg noch Jahre dauert."
Die Reise des früheren engl. Generalissimus Wolseley nach dem Kap soll den Zweck haben, dem König vertraulich über die Lage auf dem Kriegsschauplätze zu berichten. Da derLordmitdem Kabinett schlecht steht, bemüht sich dieses, die Reise als Privatangelegenheit hinzustellen.
Mit der Britannic sind am Donnerstag 28 Offiziere und 650 Mann in Southampton cingetroffen. Dasselbe Schiff hat auf St. Helena 39 gefangene Buren, darunter die Generale Ben Viljoen und Erasmus, gelandet.
Der Bruder des seinerzeit auf der Burenseite gefallenen französischen Grafen Villebois Mareuil in Paris Hut ein Gesuch an die eng. lische Regierung gerichtet und gebeten, den Buren eine Ambulanz zur Verfügung zu stellen. Wie verlautet, soll dem Gesuch gewillfahrt werden.
Wiederum 5000 Mark, im Ganzen somit schon 10 000 -E, konnten, wie der „D. W." mitgeteilt wird, aus dem Erträgnis des Werkes „Der Burenkrieg in Bild und Wort" 'von Bley und Hoffmann (Preis 1 «/ti, I. F- Lehmanns Verlag, München, Heustraße 20) an die Burensammlung des Alldeutschen Verbandes abgeliefert werden. Da die Nachfrage noch ständig anhält, ist die Verlagsbuchhandlung in der Lage, noch 50 komplette Betten nach einem Konzentrationslager für Buren zu senden.
Unterhaltender Teil.
Ein Dämon.
Kriminal-Novelle von Ernst v. Waldow.
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Doch nicht lauge währt dieser fieberhafte Schlummer, ein wilder Schrei läßt sie daraus ausschrecken, schnell hüllt sie sich in einen Schlaf- rock ans weißem Kaschmir, der auf dem Stuhl an ihrem Bette liegt und eilt an die Thür, wo sie lauschend stehen bleibt. Es ist die Stimme Katharinens und die Kunos, des alten Dieners, sie vermischen sich, scheltend und schreiend.
Was ist da geschehen? Marie schiebt den Riegel vor und lauscht mit angehaltenem Atem.
Da erbebt sie bis ins Innerste, die Frau mit den stählernen Nerven, sie hat die senore, melodische Stimme Willfrieds vernommen; er that die Frage: was dieser Lärm zu bedeuten habe, der auch ihn aus dem Schlafe geweckt.
Marie springt von der Thür fort, da sie sich überzeugt hat, daß sie kein Wort des verworrenen Durcheinanders der gleichzeitig redenden Personen verstehen kann; sie eilt an den Spiegel und beginnt, ihr aufgelöstes Haar möglichst malerisch zu ordnen.
Welch' ein Weib! Vor einer Stunde erst haben ihre Hände das scheußlichste Verbrechen begangen, welches die Annalen der Geschichte menschlicher Verirrungen verzeichnen. — Die Entdeckung, daß ein Mord begangen ward, steht nahe bevor und die Mörderin, anstatt zu zittern vor dem Strafgerichte des Ewigen, der den Frevel, begangen im Heiligtum des HauseS, rächen wird — sie schmückt sich und tändelt vor dem Spiegel mit den Strähnen des üppigen Haares, um das Herz eines schönen Jünglings zu gewinnen, der fast ihr Sohn sein könnte.
Jetzt endlich ist die Frisur zu ihrer Zufriedenheit ausgefallen, sie eilt zur Thür, öffnet dieselbe hastig und ruft den Namen ihrer Kammerfrau.
„Gertrud! Gertrud!"
Die Dienerin, gleichfalls durch den Lärm vorhin erwacht, eilt hastig herbei. Sie sieht ihre Herrin halb bekleidet an der Thür stehen, mit müden Augen, gähnend und dabei noch ängstlich fragend:
„Sind Diebe eingebrochen, oder ist mein Gemahl kränker geworden?"
„Ach — ach — es scheint, daß ein Un- glück geschehen ist," stammelte die Zofe.
„So rede doch —"
„Gleich — Fräulein Katharine — der alte Kuno — sie streiten mit einander und der Herr — der arme Herr —"
„Mein Gatte!" ruft Frau Marie und fliegt an der erschreckten Dienerin vorbei in daS Vorzimmer. An der Thür des Wohngemaches tritt ihr Willfried entgegen. Er ist totenblaß und seine Stimme zittert.
„Nicht weiter, bitte, gnädige Frau —"
„Sie unterbricht ihn:
„Lassen Sie mich, Willfried! Soeben weckt mich Gertrud, sie spricht von einem Unglück von Katharine und meinem Manne — halten Sie mich nicht davon ab, meine Pflicht zu
thun — dort ist mein Platz, am Bette des Kranken!"
„Ich habe bereits nach dem Arzte ge-
sandt," erwiderte Willfried ausweichend, „Sie sollen auch alles erfahren, nur möchte ich Sie auf etwas Ungeheuerliches vorbereiten."
„Leopold ist tot — mein Gatte tot!" schrie Marie händeringend auf und sank, einer Ohnmacht nahe, in die sie stützenden Arme
Willfrieds.
Der junge Mann empfand ein tiefes
Mitleid mit der fast so starr und unbeweglich wie eine Leiche an seiner Brust ruhenden, gebrochenen Frauengestalt.
Mit sanfter Bitte sprach er ihr zu und bewog sie. ihre Kraft zusammenzuraffen, um sich von ihm zu einem Divan geleiten zu lassen.