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Meilcrge zu Wr. 74 des Anzthülers.

Neuenbürg, Samstag den 12. Mai 1900.

Württemberg.

Stuttgart, 10. Mai. Kammer der Ab­geordneten. Präsident Payer eröffnet die 113. Sitzung um 9 ff; Uhr. Frhr. v. Gaisberg be­richtet über eine Anzahl von Eingaben um Ein­führung einer progressiven kommunalen Umsatz­steuer der Warenhäuser usw. Er führt aus, diese Warenhäuser seien schädlich wegen ihrer Lockartikel, Zeitungsreklamen und anderer Mittel die Käufer irrezuführen, dem Publikum durch marktschreierische Auslagen in den Schaufenstern die Beurteilung der Waren zu erschweren, durch Verdrängung vieler Kleinkaufleute den Mittel­stand ruinieren und zwar nicht bloß Kaufleute, Handwerker, Hausbesitzer, Bauunternehmer usw., wodurch die Steuerkraft der Gemeinden benach­teiligt werde, ferner die Menge der unselbst­ständigen Existenzen vernichten und die Möglich­keit selbständig zu werden, zahlreichen Leuten erschweren, weiterhin Gewerbe und Industrie von sich abhängig machen, die Arbeitslöhne Herab­drücken, die Zahl der Konkurse vermehren und die freie Entwicklung von Handel und Gewerbe knebeln. Endlich klage man auch mit Recht über die Feuergefährlichkeit der Warenhäuser. Den Begriff eines Warenhauses für den Gesetzgeber klar festzustellen, sei sehr schwer. Es handle sich dabei nicht bloß um sogen. Ramschbazare und die Unlauterkeit im Geschäftsbetrieb. Warenhäuser und Konsumvereine dürfen auch nicht in einen Topf geworfen werden. Die Umsatzsteuer mit der gewerblichen Ertragssteuer zu kombinieren sei schwer. Die Umsatzsteuer verstoße gegen die Prinzipien der Gewerbeordnung, sei unwirksam und könne die zum Großbetrieb drängende Ent­wicklung doch nicht aufhalten. Eine Umsatzsteuer verhindere auch die freie Konkurrenz und er­schwere die freie Entfaltung von Intelligenz, Unternehmungsgeist und Fleiß. In der Kom­mission habe Rembold den Antrag auf Berück­sichtigung der vorliegenden Eingaben im Prinzip gestellt, aber dieser Antrag sei mit 7 gegen 5 Stimmen abgelehnt worden. (Heute liegt ein Antrag Kiene u. Gm. vor, die Petitionen, soweit sie die Warenhäuser betreffen, der Regierung zur Berücksichtigung, soweit sie die Konsumvereine betreffen, zur Kenntnisnahme zu übergeben). Die Kommission sei zu dem Antrag gekommen, sämt­liche Eingaben, soweit sie die Besteuerung der Warenhäuser, Bazare u. Filialgeschäfte betreffen, der K. Regierung zur Erwägung, soweit sie die Konsumvereine betreffen, zur Kenntnisnahme zu übergeben. Vizepräsident Dr. Kiene be­leuchtet in längerer Rede die große Schädigung des Mittelstandes durch die Bazare. Die Vor­teile für das kaufende Publikum in Waren­häuser seien sehr relativ und nicht nur von kurzer Dauer und werden durch die Nachteile weit überwogen. Es sei Pflicht des Gesetzgebers, hier Wandel zu schaffen. Auf steuerpolitischem Gebiet seien die allerdings schweren Mittel hiezu zu finden. Redner empfiehlt den Kleingewerbe­treibenden und dem.kaufmännischen Mittelstand den genossenschaftlichen Zusammenschluß und die Selbsthilfe. Verkehrt sei es, immer erst abzu­warten, was für Gesetze andere Länder machen. Hiedurch werde eine kostbare Zeit vergeudet. Wäre das Publikum sozialpolitisch besser ge­schult, so wäre es heute in einer besseren Lage. Der Staat müsse durch eine Sondergesetzgebung helfen, aber auch die Bedrohten sollen sich zu­sammenschließen. Egger betont, daß der Staat die Pflicht habe, die vielen Kleingewerbetreiben- dm zu schützen. Das Gebühren der Waren­häuser, die jetzt allmählich sogar in die Ober­amtsstädte einziehen und alle Geschäftsleute zu ruinieren suchen, grenze stark an unlautern Wett­bewerb. Die progressive Umsatzsteuer sei keine Erdrosselungssteuer, aber die Geschäftshäuser Drüben eine fortgesetzte Erdrosselung der kleinen Geschäftsleute. In anderen deutschen Staaten sei bereits geschehen, was wir jetzt thun wollen. Nur solche Leute verteidigen die Warenhäuser,

die den Nutzen davon haben neben einer großen politischen Partei, die immer noch mehr Unzu­friedene schaffen wolle. Redner bittet um An­nahme des Antrags Kiene. Schmidt-Maul­bronn wird gleichfalls für den Antrag Kiene stimmen, aber zum Teil aus andern Gründen. Es sei auch ein Krebsschaden, daß die kleinen Geschäfte so überhand nehmen. Die Waren­häuser werden die Wirkung der progressiven Steuer von sich abwälzen und zwar auf die Schultern ihrer Lieferanten, welche dafür die Arbeitslöhne herabsetzen, und auf die Schultern der eigenen Angestellten, die jetzt schon Hunger­löhne haben. Man sollte auch die Versandthäuser hier hereinziehen, sowie Beamten- und Offiziers- Vereine u. dgl. Weil es der erste Schritt auf der Bahn ist, wird Redner für den Antrag Kiene stimmen, aber wer A sage, müsse auch B sagen. Schaible bezeichnet es als eine ernste Pflicht des Staates, dem Kleinen zu helfen. Bei der Biersteuer habe man es auch so gemacht. Redner wird für den Antrag Kiene stimmen. Bericht­erstatter v. Gaisberg bestreitet, daß die Waren­häuser allein den Rückgang des Mittelstandes verschuldet hätten. Die Steuerpolitik solle den Großbetrieben das Leben nicht erschweren oder es gar vernichten. Mit dem Programm des Abg. Schmidt-Maulbronn würde man zu be­denklichen Resultaten kommen. Dr. Hieber er­klärt namens der deutschen Partei, daß sie für den Zentrumsantrag stimmen werde, obgleich sie teilweise auf dem Boden des Berichterstatters stehe. Jedenfalls könne diesem Landtag kein Gesetzentwurf mehr vorgelegt werden. Die Unter­bindung der Großindustrie nach dem Rezept des Abg. für Maulbronn wäre eine Versündig­ung. Das Prinzip der Barzahlung in den Warenhäuser sei anerkennenswert. Einen Teil der Schuld am Ruin des Mittelstandes tragen die Warenhäuser, aber was letztere für Stutt­gart geworden, sei Stuttgart in den letzten zehn Jahren für das Land geworden. Die Erhaltung des Mittelstandes sei eine ernste Pflicht für Re­gierung und Stände. Wenn die Warenhäuser einmal die kleine Konkurrenz erdrückt haben, so werden sie sich zu Ringen zusammenschließen und die Preise diktieren. Eine Abhilfe sei sehr schwer, schon deshalb, weil der BegriffWarenhaus" schwer zu definieren sei. Manches könnte schon jetzt unter das Gesetz gegen den unlauteren Wett­bewerb ausgenommen, das Publikum sollte besser erzogen werden. Der genossenschaftliche Zu­sammenschluß und eine Hebung des Kreditwesens wären gleichfalls Mittel zur Besserung. Ein Hauptmittel wäre aber eine progressive Umsatz­steuer, dadurch könnte man wenigstens den Pro­zeß verlangsamen und dem kleinen Gewerbetreib­enden Zeit zur Organisation verschaffen. Würt­temberg sollte kein Eldorado für die Warenhäuser werden. (Beifall.) Finanzminister v. Zeyer verspricht eine genaue Untersuchung der Sache, aber einzelne Petitionen gehen zu weit. Die schlechte Lage des Mittelstandes komme auch zum Teil von der eigenen Konkurrenz her, was der Minister durch statistische Zahlen zu beweisen sucht. Die Erdrückung der Warenhäuser sei eine einfache aber unrichtige Lösung der Frage. Frag­lich sei es auch, ob man die Bazarinhaber anders behandeln dürfe, als die Großkapitalisten in andern Branchen. Trotz aller Bedenken habe die Regierung schon im vorigen Jahr Erhebungen über die Zweckmäßigkeit einer den Umsatz berück­sichtigenden Steuer vornehmen lassen und darauf hin habe man die Geschäfte wesentlich höher taxiert. Ueber die nähere Regelung der Umsatz­steuer könne er heute noch keine Erklärung ab­geben. Schrempf hebt hervor, daß die Waren­häuser in der Kammer von keiner Seite in Schutz genommen worden sind. Damit seien diese schon verurteilt. Die zahlreich vorliegenden Beschwerden dürfe man nicht zu leicht taxieren, abnorme Zu­stände müssen herrschen, wenn sich Konkurrenten zu einem solch gemeinschaftlichen Schritt zu­sammengeschlossen haben. Die Warenhäuser ver­

mehren sich sehr rasch und wenn in diesem Haus nichts gegen sie geschehe, so werden sie in Würt­temberg wie Pilse aus der Erde schießen. Tausende von Kaufleuten erklären, die jetzige Besteuerung der Warenhäuser fei eine Ungerech­tigkeit und es müsse die kleinen Gewerbetreibenden überaus schmerzlich berühren, wenn der Staat ruhig zusehe, wie sie erdrosselt und ins Prole­tariat hineingestoßen werden. Die progressive Umsatzsteuer würde höchstens die Folge haben, daß die Besitzer der Warenhäuser zu den Millionen, die sie schon haben, nicht noch weitere hinzu- sügen können. So weit dürfe die Gewerbefrei­heit nicht getrieben werden, daß die Existenz eines ganzen Standes riskiert werde. Der Schutz der Schwachen müsse auch aus dem Gebiet des ge­werblichen Mittelstandes zur Durchführung ge­langen. Andere Staaten hätten bereits gezeigt, daß etwas geschehen könne. Ueber Definition brauche man nicht zu streiten. Der sich in Not befindliche kleine Mann frage nach Definition den Kuckuck. (Heiterkeit.) Andere Staaten haben gezeigt, daß Thaten geschehen können; man solle Bayern folgen; Bismarck habe 1895 zu einer Handwerkerdeputation geäußert: Der Staat habe kein Interesse daran, daß große Geschäfte ent­stehen; es solle diesen Großegoisten des Erwerbs die Lust an ihrem Betrieb durch eine Umsatzsteuer genommen werden. Aehnlich habe Miquel ge­sprochen. Er wäre erstaunt, vom Ministertisch zu hören, daß man erst abwarten wolle, wie sich die progressive Umsatzsteuer in Preußen bewähre. Minister v. Pischek führt aus, auch er habe keine Freude an den Warenhäuser, aber man solle den Wert der progressiven Umsatzsteuer nicht überschätzen, die überdies in unser Steuer­system nicht Paffe, weil man ein Geschäft nicht nach seinem Ertrag und gleichzeitig nach Umsatz besteuere. Wenn die Großbetriebe als Hecht im Karpfenteich die Leute aufrüttelten, so habe dies zum Teil auch eine gute Seite. Komme erst der Umsatz in das Steuerwesen hinein, so werde man bei den Warenhäuser nicht stehen bleiben können und das wäre gefährlich. Man sollte doch zunächst die Tragweite übersehen können. (Beifall). Abg. Kloß präzisiert seinen Stand­punkt. Er sei gegen beide Anträge, weil sie ungerecht seien. Nächste Sitzung Freitag 9 Uhr. Fortsetzung der heutigen Beratung.

In der folgenden (Freitags-)Sitzung wird die Beratung fortgesetzt, bis ein Antrag auf Schluß der Debatte angenommen wird. Der Antrag Kiene und Gen. vereinigt 37 Stimmen für und 37 gegen sich. Der Präsident giebt den Stichscheid mitNein", so daß der Antrag ab­gelehnt ist. Der Antrag der Kommission wird darauf angenommen. Die Abgg. der Volkspartei, welche für den Kommissionsantrag (Gaisberg) stimmen, haben ihre Abstimmung motiviert. Die Petitionen werden für erledigt erklärt.

Heilbronn, 11. Mai. In der gestern abend unter dem Vorsitz des Gemeinderats Schloß stattgefundenen Sitzung des Gemeinderats kam das Gesuch des Oberbürgermeisters Hegelmaier um Erhöhung seines Gehalts, welches zur Zeit 11000 ^ beträgt, zur Verhandlung. Die Etats­kommission beantragte, den Gehalt um 1000 ^ zu erhöhen, welcher Antrag nach längerer De­batte mit 9 gegen 6 Stimmen angenommen wurde.

Tübingen, 9. Mai. Wegen eines Ver­brechens der vorsätzlichen Brandstiftung wurde heute der Schreinerlehrling Karl Maier von Eckenweiler, O.A. Rottenburg, zu der Gefängnis­strafe von 1 Jahr und 2 Monate, abzüglich 1 Monat und 15 Tage Untersuchungshaft, ver­urteilt. Maier war bei Schreinermeister Lutz in Nagold in oer Lehre und hat, um das Lehr» Verhältnis lösen zu können, seinem Zugeständnis gemäß am II. Febr. ds. Js. abends die Säg- spähne unter der Werkstätte angezündet, so daß diese und das Gebäude in Brand gerieten und dieser nur durch die schnelle Hilfeleistung