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In ziemlich uninteressanter Weise spinnen sich im Reichstage die gesetzgeberischen Verhandlungen fort. Dieselben gelten bereits seit einigen Tagen vorwiegend der Spezialberatung der Novelle zum Gewerbeunfallversicherungsgesetz, mit der das Parlament anscheinend noch immer nicht fertig zu werden vermag. Auch die Mittwochssitzung war diesem spröden Stoff wiederum fast vollständig gewidmet, und zwar wurde in derselben die Erörterung der genannten von tz 60 bis mit tz 79 fortgeführt. Das Bild auch dieser Verhandlung war im Allgemeinen dasjenige der vorangegangenen parlamentarischen Debatten über dies sozialpolitische Thema; die durchgenommenen Paragraphen wurden fast sämtlich unter Ablehnung der von sozialdemokratischer Seite immer auf's Neue gestellten Abänderungsanträge in der Kommissionsfassung genehmigt. Nur bei tz 67 (Kapitalabfindung Rentenberechtiger) gelangte ein sozialdemokratischerseits beantragtes Amendement zur Annahme, außerdem wurden bei den Paragraphen 62 und 76 verschiedene von anderen Seiten des Hauses beantragte Abänderungen der Kommisfionsbcschlüsse gut geheißen. Im Uebrigen genehmigte der Reichstag am Mittwoch noch die Novelle zum Reichspostdampfergesetz in dritter Lesung endgiltig ohne jede Debatte.
Der Plan einer nochmaligen Sommer- vertagung des Reichstags soll endgiltig aufgegeben sein. Dem Vernehmen nach ist beabsichtigt, die Pfingstferien des Reichstages schon am Himmelfahrtstage beginnen zu lassen und das Haus etwa zehn Tage nach dem Pfingstfeste nochmals zu versammeln; in diesem nachpfingst- lichen Sessionsabschnitte sollen dann alle noch schwebenden Vorlagen zur Erledigung gebracht werden.
Die abgelaufene Woche hat eine abermalige Reichstagsersatzwahl gezeitigt, diejenige im Wahlkreise Oberkirch-Offenburg-Kehl. Das Ergebnis derselben besteht in einer zwischen dem Zentrumskandidaten Schüler und dem Kandidaten der Nationalliberalen Reinhard, vorznnehmenden Stichwahl, bei derselben dürfte der Zentrumsmann siegen, womit die Zentrumspartei das Mandat für den genannten badischen Reichstagswahlkreis behaupten würde.
Straßburg, 8. Mai. Ein schauerliches Familiendrama ereignete sich in Lemberg bei Bitsch. Der 28jährige verheiratete Zimmermann Schubert aus Niederbronn drang in einem Anfall von Wahnsinn nachts zwischen 12 und 1 Uhr, mit einem Revolver und einem kleinen Säbel bewaffnet, in das Haus seines in Lemberg wohnenden Schwiegervaters, des Hufschmieds Faber ein, tötete zunächst mit dem Säbel im Stalle einige Stück Vieh und steckte sodann das Haus in Brand. Als Faber aus dem brennenden Hause stürzte, versetzte ihm Schubert mit seinem Säbel einen Stich in die Brust, so daß Faber nach einigen Minuten verschied. Unmittelbar darauf brachte er dem Sohne Fabers 2 schwere Stichwunden bei. Das Haus Fabers sowie das Nachbarhaus wurde ein Raub der Flammen. Schubert machte nunmehr einen Versuch über die Grenze zu entkommen, wurde jedoch in Philippsburg in einem Eisenbahnzuge von einigen Gendarmen sestgenommen. Er leistete bei seiner Verhaftung heftigen Widerstand, verwundete einen der Gendarmen mit seinem Säbel und verübte einen erfolglosen Selbstmordversuch, indem er sich mit dem Säbel einen Stich beibrachte. In das Gefängnis zu Bitsch verbracht, machte Schubert abends seinem Leben durch Erhängen ein Ende.
Vom Bodensee, 7. Mai. Der badische Schwarzwaldverein hält seine Hauptversammlung am 27. Mai in Bückingen. Am Abend des Haupttages wird ein Ausflug zum Bergsee gemacht, wo eine Huldigung des Schwarzwaldvereins für den Dichter Scheffel stattfindet. Am 28. Mai wird ein Ausflug nach dem Soolfelsen und am, 29. Mai eine Fahrt durch das Murgthal nach Hottingen veranstaltet.
Vom Bodensee. In der Nacht zum 4. Mai wurde die alte Eisenbahnbrücke über die Murg bei Frauenseld abgebrochen und durch eine schon fertig montierte neue Brücke ersetzt. Um b/tii Uhr passierte der letzte Eisenbahnzug
die alte Brücke, und um 11 Uhr 20 Min. stand schon die neue Brücke auf dem Platze der alten.
In den Blättern liest man meist günstige Berichte über den bisherigen Verlauf der Obstblüte. Bleiben ungünstige Witterungsstörungen aus, so darf in diesem Jahre einer besonders reichen Obsternte entgegengesehen werden.
Ausland.
In Frankreich haben am Sonntag Municipal-Wahlen stattgefunden. Dabei ist es vielfach zu Ruhestörungen gekommen, so in Toulon. In Romans im Departement Drome wurden die Wahlprotokolle zerrissen, und die Polizei mußte einschreiten. In Paris verliefen die Wahlen in größter Ruhe. Während sonst im Lande die Republikaner stärker geworden sind, sind in Paris von den hier gewählten Stadtverordneten 23 schroffe, 8 weniger schroffe Nationalisten und nur 19 zuverlässige Republikaner. Die Nationalisten behaupteten alle ihre Sitze, gewannen neun Sitze den Republikanern ab, und erreichten, daß 11 Stadtväter, die bisher zweifelhaft scheinen mochten, sich mit einem nationalistischen Programm um die Stimmen der Wähler bewarben. Die nationalistischen Pariser Blätter erklären den Ausfall der Gemeinde- Wahlen als einen Triumph für ihre Partei und als ein Verdikt der Pariser Bevölkerung über die gegenwärtige Regierung. Der „Gaulois" erwartet von den Stichwahlen den Uebergang der Stadtverwaltung in die Hände der Konservativen und Nationalisten. Auch in Algier drang fast allgemein die antisemitische Wahlliste durch.
In Frankreich sind die Gemeinderats- Wah len vorgenommen worden. Während in den Provinzen die Republikaner die Mehrheit errangen, haben in Paris die Nationalisten große Erfolge zu verzeichnen. Die französischen Zeitungen bemühen sich, zu erforschen, wie dieser Rückfall in die Zeit Boulangers möglich war. Das Ausland hat mehr Interesse an der That- sache, daß es möglich war, und daß es so weit gekommen ist trotz der Ausstellung. Wenn solches während des Gottesfriedens geschieht, so erhält man einen Vorgeschmack, wie es werden mag, wenn die Weltausstellung erst die Thore geschlossen hat und im nächsten Jahre die Fehde aufs neue entbrennen wird.
Bom südafrikanischen Kriegsschauplatz.
In den maßgebenden Kreisen Englands thut man sehr erstaunt über die fast einmütige Verurteilung des Krieges Englands gegen die Buren seitens der öffentlichen Meinung Europas. Der Premierminister Lord Salisbury erklärte in einer Rede, die er auf dem in London am Mittwoch abgehaltenen Jahresbanket der „Primrose-Liga", der bekannten unionisch-konservativen Vereinigung, vom Stapel ließ, es sei die in vielen Ländern hervortretende feindselige Stimmung weiter Bevölkerungsschichten gegen Großbritannien wegen des jetzigen Bureukrieges völlig unbegreiflich, doch werde England mit dieser Stimmung eines Tages vielleicht rechnen müssen. -- Also selbst jetzt noch wissen sich die leitenden Staatsmänner Englands die Erbitterung, welche in Europa und Amerika gegen Albion wegen des Raubkrieges desselben gegen die schwachen Burenrepubliken herrscht, nicht zu erklären!
In Prätoria fand der formelle Schluß der Session von 1899 des Volksraads statt, und an demselben Tage noch wurde die neue Session eröffnet. Präsident Krüger drückte seine Freude darüber aus, die Sympathieen der ganzen Welt aus Seite der Buren zu sehen. Mit Genugthuung stellte er ferner fest, daß die Finanzen Transvaals in der Lage seien, die Anspannung durch den Krieg zu ertragen. Den Zustand der Minenbetriebe bezeichnete er als blühend. Nach der Mitteilung, daß die Session kurz sein und nur die wichtigsten Angelegenheiten erledigen solle, schloß Präsident Krüger, indem er den Segen des Himmels für die Buren erflehte.
Immer weiter müssen die Buren vor den mit Uebermacht gegen sie vordringenden Kolonnen der Roberls'schen Armee zmückweichen. Die Buren haben ihre Stellungen am Zandflnsse geräumt und gehen in der Richtung aus den
Baalfluß zurück. Bei Boschrand, südlich von Kronstadt, sollen sich starke Burenabteilungey verschanzt haben. Ladybrand und Vicksburg wurden von den Buren verlassen. Die Beamten derselben nahmen die Bücher und Dokumente mit, sie haben, wie englischerseits behauptet, sonst alles zerstört, was über die Entstehung des Krieges und die Bewaffnung der Buren mit Mausergewehren von Transvaal aus Ausschluß geben könnte. Von den Freistaatburen soll sich abermals eine große Anzahl den Engländern ergeben haben, ihre Waffen und Pferde ausliefernd. Diese Buren berichteten angeblich, daß zwischen den Transvaalburen und den Freistaatburen große Mißhelligkeiten herrschen, die vielleicht zur sofortigen und allgemeinen Unterwerfung der Freistaat-Bürger führen dürften. Letzteres ist aber nur ein Wunsch auf Seiten der Engländer.
Eine nüchterne Kritik über die Lage aus dem Kriegsschauplätze übt der militärische Berichterstatter des „Sunday Spezial". Derselbe schreibt: „Endlich! Endlich! Noch einmal befindet sich Lord Roberts auf dem Vormarsche... ä Berlin, gen Prätoria, d. h. mit der festen Absicht, Alles vor sich herzutreiben. Thut er das nicht, so wird es jedenfalls seine eigene Schuld sein, denn Alles ist zu seinen Gunsten... Weshalb sollten wir denn aber irgendwie zweifeln oder zögern und nicht an einen baldigen Triumph, einen spielend leichten Marsch zum Baalflusse, eine große Schlacht hinter diesem, und dann eine Kapitulation der Buren auf der ganzen Linie glauben? Aus dem sehr einfachen Grunde, weil in diesem Kriege mehr denn in irgend einem früheren nichts so sicher ist als das Unvorhergesehene. Gerade das Unerwartete ist stets eingetroffen, das, was der Mann aus der Straße niemals erwartete und eine selbstzufriedene Regierung nicht für möglich haten wollte, was aber einige wenige scharfsichtige Kenner aus den Karten vorhergesagt... Die Hauptschwierigkeit, welche Lord Roberts auflauert, wird die sein, den Feind zu packen... Standhalten u. den Kampf ausnehmen mit einem gutgerüsteten Feinde, der mit erdrückender Uebermacht auftritt, hieße diesem in dis Hände spielen und die eigene Vernichtung besiegeln. So thöricht werden die Buren nicht sein und deshalb mehr denn je eine Taktik des Ausweichens befolgen. Wie sie bei Wepener, Tabanchu und Brandfort uns ausgewichen, so werden sie immer und immer wieder dicht unter der Nase unserer Kavallerie verschwinden, um gleich darauf ebenso unaufhörlich in unserem Rücken wieder aufzutauchen.
Im „Standart" zu London liest man folgende Klage: „Die Geschicklichkeit, mit der die Buren mit Wagenzügen entschlüpften, wirkt niederdrückend auf die L-limmung der englischen Truppen. Als die Engländer in Smaldeel ankamen, sind die Buren mit ihren Ochsenwagen nur 5 Meilen von den Engländern entfernt gewesen. Die Engländer machten sich sofort an die Verfolgung, sie konnten aber keinen Pferdeschwanz, noch viel weniger einen ganzen Train finden."
Die Explosion in der Geschützfabrik in Johannesburg ist ein furchtbares Unglück gewesen. Bis jetzt sind 105 Tote unter den Trümmern hervorgezogen worden. Man befürchtet, daß man noch mehr Tote finden wird. Außerdem wurden 150 Personen verwundet. In einem von der Explosion mit betroffenen Hause wurden allein 37 Menschen getötet.
Mutmaßliches Wetter am 13. und 14. Mai.
l Nachdruck verboten.)
lieber Schottland, der oberen Nordsee und einem Teil von Norwegen behauptet sich noch immer ein Hochdruck von 765 mm. In Spanien ist derselbe auf gleichfalls 765 nun gestiegen. Eine schwache Depression im Südwesten von Großbritannien wird wohl bald aufgelöst werden und ebenso die Depression von 755 mm. lieber der Riviera und einem Teil von Oberitalien, dem inneren Rußland und über der Balkanhalbinsel zeigt sich noch eine Depression von gleichfalls 755 mm, die aber mehr und mehr abgeflacht wird. Unter diesen Umständen werden die gefürchteten Wetterheiligen kaum nennenswerte Schäden bringen. Für Sonntag und Montag ist bei mäßig kubier Temperalur trockenes und auch mehrfach heileres Wetter zu erwarten.
Mit einer Beilage.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.
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