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mit demselben mehrere Tage lang ununterbrochen schreiben, während der Herstellungspreis auch nicht annähernd die Höhe der bis jetzt bekannten Füllfederhalter erreicht.
Cannstatt, 26. Sept. Vom Volksfest. Solche Menschenmengen haben sich kaum jemals auf dem Cannstatter Wasen gedrängt und geschoben, als am gestrigen Sonntag, dem ersten Volksfesttage. Schon vormittags strömten bei dem schönen Wetter die Festbesucher in Scharen herbei und nachmittags gab es oft kein Durchkommen mehr. Die Wirte haben glänzende Geschäfte gemacht. Alle Buden und Zelten waren den ganzen Tag gedrängt voll. Die Schaubuden hätten gewiß manchen Gast mehr bekommen, wenn das Publikum nicht förmlich an denselben vorbeigedrängt worden wäre. Für einen solchen Massenverkehr ist der Platz entschieden zu klein. Die wenigen Hauptverkehrswege sollten sehr viel breiter gehalten werden. Die Wirtschaftszelte werden darum Wohl späterhin mit ihrer Langseite an die Wege gestellt werden müssen, neckar- aufwärts läßt sich der Platz ja beliebig vergrößern. Von den größtenteils noch ungewalzten Straßen wird eine fast undurchsichtige Staubwolke in die Höhe gewirbelt, durch die die inein- andergekeilte Menge nicht wenig belästigt wird. Doch, was nimmt der Volksfestbesucher nicht alles in den Kauf! „Patscher" und sonstige belästigende Instrumente find diesmal glücklicherweise ferngehalten worden. Das harmlose Werfen mit bunten Papierstreifen gewährt auch Heuer wieder Vielen ein unschuldiges Vergnügen. Für die Beförderung ist seitens der Eisenbahnverwaltung bestens gesorgt. Auf der Bolksfestpoststelle werden ganze Unmengen Postkarten (natürlich fast lauter Ansichtskarten) eingeliefert. Am gestrigen Sonntag wurden nicht weniger als 16000 Stück 5-WMarken verkauft. Die Gesamtzahl der Karten und Briefe, die vom Platz aus zu expedieren war, soll 35—40 000 betragen haben, an deren Aufarbeitung die Beamten bis morgens 4 Uhr zu thun hatten. Wenn allgemeiner bekannt wäre, daß die auf dem Platze aufgegebenen Postsachen einen eigenen Stempel „Volksfestpoststelle" erhalten, würden gewiß viele Sendungen, die von Cannstatt oder Stuttgart aus abgeschickt werden gleich der Volksfestpoststelle übergeben werden. Die Firma Schönwalter hier hat am Samstag nicht weniger als 60000 Stück Ansichtskarten an Wiederverkäufer abgesetzt. Leider ist die Mehrzahl der zum Verkauf angebotenen Karten nicht derart, daß sie sich schicklicherweise in die Albums junger und älterer Damen aufnehmen lassen, was dem Handel immerhin Abbruch thut.
Heilbronn, 26. Sept. Eine erhebende Trauerfeier zu Ehren des verschiedenen Altreichskanzlers Fürsten Bismarck fand gestern vormittag 11 Uhr vor einer überaus zahlreichen Ver- samlung, worunter viele Damen bemerkbar waren, im großen Harmoniesaale statt. Derselbe war mit Trauerdekoration und der Büste Bismarcks geschmüßt. Die tiefempfundene Festrede hielt Prof. Knapp, der die Verdienste des großen Toten in würdigster Weise feierte.
Lauffen a. N., 23. Sept. Von einem hiesigen Händler werden gegenwärtig einige Hundert Paar Meisen, auch Rotschwänzchen, für Amerika zu kaufen gesucht. Nachdem seit einigen Jahren Alles aufgeboten wird, gerade diese nützlichen Vögel im Lande zu hegen und zu Pflegen, wäre deren Ausfuhr sehr zu beklagen. Aus den Kreisen unserer Obstbaumzüchter wird ein Protest dagegen erlassen.
Dettingen a. d. Erms, 24. September. Infolge der Fahrlässigkeit eines Radlers verunglückte kürzlich Direktor Saut er von der Papierfabrik z. Bruderhaus. Derselbe wurde, als er bei bereits eiugetretener Dunkelheit in Begleitung seiner Frau den Heimweg zur Papierfabrik angetreten hatte und sich am Ende des Dorfes befand, von dem Veloziped eines mit voller Geschwindigkeit ohne Beleuchtung und ohne Läutezeichen daherfahrenden Radlers mit voller Wucht erfaßt und zu Boden geschleudert. Der Verunglückte konnte sich infolge der erlittenen Erschütterung und einiger Verletzungen nicht mehr vom Boden erheben. Trotz der Hilferufe fuhr der rohe Bursche unbekümmert weiter. Derselbe
konnte bis jetzt nicht ausfindig gemacht werden. Auch dieser Fall zeigt aufs neue, daß man dem Leichtsinn und Uebermut solcher Radfahrer gegenüber ungenügend geschützt ist.
In Weingarten wurde am Donnerstag das Infanterieregiment Nr. 124 aus Ulm, das als Garnison an Stelle des Infanterieregiments Kaiser Wilhelm Nr. 120 tritt, festlich begrüßt.
Vom Schwarzwalde. Der Verein Schwarzwälder Gastwirte, dieser rührige Verein zur Förderung und Hebung des Fremdenverkehrs für den württembergischen und badischen Schwarzwald, hat in der jüngsten Nummer seines Vereinsorgans darauf hingewiesen, daß es vielfach vorgekommen ist, daß Hotels, namentlich mittleren Ranges durch marktschreierische Reklamen und übertriebene Empfehlungen, die oft nur auf Konkurrenzneid beruhen, die Gäste zu täuschen suchen. Mit Recht verurteilt der Vorstand ein solches Gebühren und ermahnt seine Mitglieder wiederholt und dringend, bei Abgabe von Prospekten oder sonstigen Auskünften stets der Wahrheit und Sachlage entsprechende Angaben zu machen, denn wenn ein fremder Gast in einem dergestalt empfohlenen Gasthofe Einkehr hält und er sich in seinen Anschauungen betrogen fühlt, wird er das Haus nicht nur bald wieder verlassen, sondern für immer meiden, zum Nachteile mancher anderer reellen Geschäfte. Der Verein Schwarzwälder Gastwirte, der z. Z. ca. 300 Mitglieder zählt, welche über den ganzen württembergischen und badischen Schwarzwald verzweigt und unter einander durch ein enges Band verbunden sind, bietet allen Fremden, die Einkehr in unserem schönen Schwarzwald mit seinen gigantischen Höhen halten, die sichere Gewähr, daß dieselben bei soliden Preisen beste Unterkunft finden. Verzeichnisse und Mitgliederlisten mit Orientierungskarte werden von der Geschäftsstelle in Hornberg unentgeltlich und gratis überallhin versandt.
Stuttgart. jLandesproduktenbörse. Bericht vom 28. Septbr. von dem Vorstand Fritz Kreglinqer.! Am Metreideweltmarkt brachte die abgelaufene Woche abermals erhöhte Preise für alle Fruchtgattungen, Rußland bot sehr wenig an, der Wasserstand des Rheins ist so klein, daß die Schifffahrt sür größere Fahrzeuge eingestellt werden mußte. Sofort greifbare Ware ist kaum erhältlich, die Mehlpreise sind im Verhältnis zum Einkauf noch nicht in Einklang zu bringen, doch halten die Müller fest auf heutige Notierung. — Mehlpreise pr. 100 Kilogr. inkl. Sack: Mehl Nr. 0: 3l ^ bis 32 ^ — ^i, Nr. 1: 29 ^ bis 30 ^
Nr. 2: 27 ^ 50 -4 bis 28 Nr. 3: 26 ^
bis 26 50 Nr. 4: 24 ^ bis 24 50
Suppengries 31 50 Kleie 8
Obstpreiszettel vom 26. Sept.
Stuttgart. Mo st ob st markt am Nordbahnhof. Zufuhr 1 W. aus Württemberg, 1 W. aus Bayern, 34 W. aus der Schweiz, zus. 36 W.-Ladungen zu je ca. 10000 Kilogr. Mostobst, die im Großen zu 580—720 und im Kleinen von 3 60 ^ bis 4 60 per
50 Kilogr. teils verkauft, teils angeboteu wurden. — Wilhelmsplatz. Zufuhr am 27. Sept. 1100 Ztr. Mostobst. Preis P. Ztr. 4 bis 4 80
Ulm, 27. Sept. Auf dem hiesigen Güterbahnhof stehen heute 6 Eisenbahnwagen Mostobst. Der Preis ist 4 -/Ki 40 bis 4 50 per Ztr. Handel lebhaft.
Ausland.
Wien, 26. Sept. Die aus Italien eingetroffene Antwort auf den russischen Abrüstungsvorschlag sichert die bereitwilligste Unterstützung zu. In Erwartung der Weisheit des Petersburger Cabinets werde es gelingen, dem Conferenz- programm einen Rahmen und eine Fassung zu verleihen, wodurch die Lösung der vorhandenen Schwierigkeiten erleichtert würde. — Im Reichsrat erschienen heute, entsprechend der Anregung des Präsidiums, auch die Sozialdemokraten in Trauer und hörten die Trauerrede stehend an. Nur ein Schönerianer demonstrierte mit einer Kornblume. Schönerer selbst fehlte. — Aus Petersburg werden baldige Zwangsmaßregeln der vier Schutzmächte angekündigt, welche die Entfernung der türkischen Truppen und Zivilbehörden aus Kreta bezwecken.
Paris, 26. Sept. Der Kolonialminister teilte eine Depesche aus St. Louis betr. die Niederlage Samorhs mit und erklärte entgegen den Meldungen einiger Blätter, die Regierung habe seit April von Major Marchand keine Nachricht mehr erhalten.
Der Antidreyfuspartei in Frans, reich ist der Kamm infolge der Stellungnah^ der Revisionskommission des Justizministerium? gegen die Revision des Dreyfusprozesses ftötz- lieh wieder bedeutend geschwollen. Dies rM- sich z. B. in der Versammlung, welche fft „Patriotischen Komites" von Paris am Sonntag unter Vorsitz des „Revanchedichters" Deroulede abhielten und in welcher Doroulsde und andere Redner unter dem lebhaften Beifalle der Versammlung gegen die Dreyfusiancr donnerten und hierbei auch den Ministerpräsidenten Bristol, wegen seiner revisionsfreundlichen Haltung schaff Mitnahmen. Schließlich faßte die Versammlung einen Beschluß zu Gunsten der Wiederherstellung der Patriotenliga, ein Beweis, daß sich du chauvinistischen Elemente jenseits der Vogesen wieder bedenklich rühren. Nach Beendigung der Versammlung kam es auf der Straße zu Gegenkundgebungen und einigen Zusammenstößen, die das Einschreiten der Polizei erforderten.
Paris, 26. Sept. Der Ministerrat hat heute beschlossen, die Akten des Dreyfus- prozesses dem Cassationshofe zu übergeben Die Revision des Dreyfusprozesses ist damit entschieden. Gleichzeitig hat der Justizminister den General-Procurator angewiesen, gegen alle Angriffe auf das Heer vorzugehen. Vor dem Ministerium fanden Kundgebungen zugunsten der Revision statt. Es ertönten Rufe: „Hoch Picquart! Hoch Vrifson! Hoch die Revision!'
Paris, 27. Sept. Im heutigen Minister- rat, in welchem Präsident Faure den Vorsitz führte, verlas der Justizminister Sarrien ein Schreiben, in welchem er dem Generalstaatsa»- walt am Cassationshofe das Gesuch betreffend die Revision des Dreyfus-Prozesses zu- stellte. Nachher fand zwischen Sarrien und seine» politischen Freunden eine Zusammenkunft statt Die letzteren beschworen den Minister, auf sein« Platze auszuharren und an der Seite Brissm- > gegen das Militärkomplot und gegen die Cleri- kalen zu kämpfen. Es scheint, daß Sarrien dkl Vorstellungen seiner Gesinnungsgenossen nach! geben und bleiben wird. I
Paris, 26. Sept. Im „Jntransigeantft teilt Rochefort mit, daß er dem Major Ester hazy eine Summe von 10000 Franken vorgk- streckt habe, um die Kosten seines ersten Prozeß» zu decken, und daß der „Jntransigeant" midi zwei andere Blätter dem sauberen Herrn bisz» dem Tage, wo er seine Pensivnsgelder beziehe» wird, eine monatliche Rente von 300 Franke» auszahlen.
Paris, 26. Sept. Am Samstag ist die Entscheidung des Cassationshofes wegen Verurteilung Zolas zu 30000 Franken im Prozesse der Schriftkundigen des Esterhazyprozesses gegen Zola in Kraft getreten. Ein Gerichtsvollzieher erschien in Zolas Wohnung zur Zustellung de» Urteils. Wegen Abwesenheit Zolas konnte aber die Summe nicht gezahlt werden.
Paris 27. Sept. Ueber Zola erfährt man, er werde solange von Frankreich fernbleibe», bis der Cassationshof sein Urteil in der Revision des Dreyfusprozesses gefällt hat.
Paris, 27. Septbr. In seinem Rundschreiben an die Generalstaatsanwälte sagt der Justizminister, infolge der jüngsten Ereignisse sei eine wahre Kampagne von Beleidigungen und Schmähungen gegen die Offiziere der Armee zu Tage getreten. Diese Angriffe zeigten einen Charakter von ausnahmsweiser Schwere um seien geeignet, die Disziplin zu vernichten, da» Vertrauen der Nation auf ihre Führer zu erschüttern und in die Nation den Samen der Desorganisation auszustreuen. Diese Angriff! seien künftighin umsoweniger entschuldbar, all die Dreyfus-Affaire jetzt in die richterliche PW getreten sei und weil demzufolge die Armee da gegen sie geschleuderten Verleumdungen nur Schweigen entgegensetzen könne. Infolge davon bittet der Justizminister die Staatsanwälte, gega alle in der Presse und in Reden gegen o> Armee begangenen Delikte nachdrücklich vorzugehen.
Fortsetzung in der Beilage.
Redaktion, Druck und Verlag von C. M«eh in Neuenbüpg.