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MeiLcrge zu Wr. 73 des GnzthMers.

Neuenbürg, Mittwoch den 11. Mai 1898.

Württemberg.

Die Sammlungen zu Gunsten der Erricht­ung von Volksheilstätten in Württemberg haben einen erfreulichen Anfang genommen; es sind dem Verein neben größeren und kleineren Jahresbeiträgen schon mehrere ansehnliche Gründungsbeiträge zugekommen in Beträgen von 5000, 2000, 1000 u. s. f. Solche Zuwendungen sind um so erfreulicher und dankenswerter, als nach den anderwärts ge­machten Erfahrungen die Grunderwerbungs-, Bau- und Einrichlungskosten für eine auf 100 Kranke berechnete Heilstätte mindestens 300 000 betragen werden. Mit der Erstellung von Heil­stätten hat aber der Verein seine Aufgabe noch nicht erfüllt, vielmehr ist sein Streben auch darauf gerichtet, unbemittelten Kranken, sofern nicht Kassen für sie einzutreten haben, die Be­nützung der Heilstätten durch Uebernahme des Berpflegungsgclds oder eines Teils desselben, sowie durch Unterstützung ihrer Familien, soweit ein Bedürfnis dazu vorliegt, zu erleichtern. Daß hiezu fortwährend große und stetig sich steigernde Mittel erforderlich sein werden, ist leicht einzusehen, und deshalb sind dem Verein nicht bloß reichliche Gründungs-, sondern auch zahlreiche fortlaufende Beiträge für sein in hohem Grade gemeinnütziges Unternehmen sehr zu gönnen.

Ulm. 9. Mai. Die Armenbehörde Ulm hat für die Errichtung von Volksheilstätten in Ulm einen Beitrag von 2500 ^ verwilligt, welche dem für genannten Zweck gebildeten Landverein zufließt. Die Stadt wird voraus­sichtlich einen fortlaufenden Jahresbeitrag ver- «illigen.

Heubach, 10. Mai. Die schon zu Anfang April hier ausgebrochcne Hühnercholera dauert noch fort. In Ställen, wo diese einmal emgetreten ist, gibt es keine Hoffnung mehr, auch nur einige Tiere zu retten. Die Zahl der hier an dieser Krankheit verendeten Tiere dürfte mindestens 500 erreichen.

Stuttgart. (Landesproduktenbörse. Bericht vom g. Mai von dem Vorstand Fritz Kreglinger.j Die enorme Steigerung der Getreidepreise im Wochenverlaus kann durchaus nicht ganz auf Rechnung des amerikanisch-spanischen Krieges gesetzt Verden, zumal sich zeige, daß Spanien dem Getreide­handel Europas in der Hauptsache keine ernstlichen Hindernisse bereiten könne. Wohl verteuern erhöhte Schiffsfrachten und diverse Ausnahmespesen die Einfuhr, jedoch der eigentliche Grund der außerordentlichen Erhöhung von Weizen dürste in der Erkenntnis liegen, daß ganz Europa mit Getreide schwach versorgt ist, vorauf unser Marktbericht schon seit Wochen hingewiesen hat. Dazu kommt noch die Enttäuschung bezüglich der argentinischen Abladungen und der verhältnismäßig kleine Stock in Amerika. Frankreich, Italien und Spanien hat in Folge knapper heimischer Vorräte und Politischer Verhältnisse den Eingangszoll auf Getreide bis 30. Juni d. I. sistiert, dagegen hat die deutsche Reichsregierung und auch Oestreich-Ungarn abgelehnt, vorerst tue Getreidezölle aufzuheben. Wenn die Ver­hältnisse sich nicht verschlimmern, so ist diese vorläufige Ablehnung insofern gut zu heißen, als dadurch eme allgemeine Unsicherheit, wilde Treiberei und bannt Störung des Handels vermieden werden. Diejenigen Länder, die den Getreidezoll sistierten, beeilen sich nun in der kurzen Zeit bis 30. Juni.ihre Lager zu füllen und haben scharfe Einkäufe vorgenommen. Da jedoch die Gesamtvorräte wie bekannt ziemlich klein sind, wurde der Preis sprungweise erhöht. So zeigt die Notierung des Marktes in Newyork seit 8 Tagen M Mailieferung eine Erhöhung von 40 Cent per Büschel ca. 6 per 100 Kilo, wogegen Rußland wir etwa 2 ^ per 100 Kilo erhöhte, jedoch sind diese russischen Abladungen erst per JuniJuli zu vollziehen. 77 ,An unserem Markt wird eine Preiserhöhung für «eizen je nach Lieferungstermin von 2 bis 2.50 ^ per 100 Kilo zu konstatieren sein. Mehl- Preise per 100 Kilogr. inkl. Sack: Mehl Nr. 0 : 41 «lt - bis 42 ^s, Nr. 1 : 39 «6 bis

Nr. 2 : 37 «« 50 bis 38 50 «I, Nr. 3:

bis 37 Nr. 4: 32 «k bis

33 4 ,. Suppengries 41 SO ^ bis 42 SO

Kl-ie 8 ^ 70

Ausland.

Paris, 8. Mai. DerFigaro" schreibt: Thronrede Kaiser Wilhelms sei geeignet, bei den europäischen Staatsmännern heilsame Er- Tagungen und bei den meisten Völkern der

Erde ein Gefühl des Neides hervorzurufen. Die Thronrede fei eine sehr klare und dabei schlichte Aufzählung der offenkundigen Ergebnisse der kaiserlichen Politik. Diese Ergebnisse seien aber ausnehmend günstig. Dank dem politischen praktischen Geist, von dem die Politik erfüllt sei.

Paris, 10. Mai. D.r deutsche Bot- schofler Gras n st cr ist heute früh, dem kaiserlichen Rwe folgend, nach Metz abgereist.

Die Zusendung der Pläne über die Aus- gestaltung der Pariser Weltausstellung im Jahre 1900 ist von den französischen Aus­stellungs-Behörden und den Ausstellungs Kom­missariaten der einzelnen Länder für Ende Mai versprochen worden. Es wird auch dann in Deutschland mit der endgiltigen Verteilung der Plätze an die verschiedenen Fachgruppen voran­gegangen und die Entscheidung über die Zu­lassung getroffen werden können. Im übrigen arbeiten die verschiedenen Ausstellungs-Komites in allen Abteilungen eifrig fort. Der Reichs­kommissar Geh Regierungsrat Dr. Richter ge­denkt im Mai wieder nach Paris zu gehen und über einzelne Punkte mit den französischen Aus- stellungsbehörden noch Näheres zu verhandeln.

Paris, 9 Mai. Trotz des stürmischen Wetters, das gestern in New Aork herrschte, machte die Freude über die Nachrichten von den Philippinen sich Luft in allerhand öffentlichen Lustbarkeiten. Kanzelredner ermangelten nicht, sich über den Sieg von Cavite zu ergehen. Znd'ssen fürchtet man, das spanische Geschwader könnte den Auftrag haben. Kuba und Puerto- Rico ihrem Schicksal zu überlassen und auf New Jork zu steuern, um die Stadt zu beschießen. Man will dies sogar aus einem Briefe des früheren spanischen Gesandten Polo d'Jbernabe ersehen haben. Daher sind in New-Dork besondere Vorsichtsmaßregeln getroffen worden. Der Marinebehörde sind sechs Schlepper zur Ver­fügung gestellt worden, um bei Sandy Hook und Milles Point Wache zu halten. Sobald feindliche Schiffs sich näherten, würden die Batterien feuern. Die unklaren Meldungen aus Havona über Modr'd von Kämpfen, die zwischen den Batterien von Havana und amerikanischen Kriegsschiffen abermals, nämlich gestern, statt gesunden haben sollen, finden in Washington keinen Glauben. Besonders nicht die Meldung, wonach eines der Blockadcschiffe. dieCincinnati" oderMontgomeiy", so schwer beschädigt worden sei. daß es nach K y West habe geschleppt werden müssen; und vollends nicht die Vermurung der Spanier von einem Untergang desCincinnati".

New-Jork, 9. Mai. Wie aus Chicka- manga gemeldet wird, werden 40000 Freiwillige angeworbcn und mobilisirt werden. Damit würden mit den schon vorhandenen 10 Regie- mentern irregulärer Truppen die Slreitkräfte auf 50000 Mann gebracht werden.

In Washington traf am Sonntag der bisherige Gesandte in Madrid, Woodford, ein und begab sich sofort zum Präsidenten Mac Kinley, von dem er freundlich empfangen wurde. Mac Kinley habe sich dahin enschlosscn, die Landung auf Kuba eine Woche hinauszu schieben.

Hongkong, 10. Mai. Nach hierher gelangten Meldungen aus Manila hat Admiral Dcwey die Usberzeugung gewonnen, daß die Rebellen aus Manila auch für ihn gefährlich werden, sodaß w^der er noch die Spanier unter Umständen ihrer Herr bleiben könnten.

Die in Manila lebenden Deutschen, auch der deutsche Konsul Dr. Krüger, haben sich an Bord des vor Manila liegenden Kreuzers Irene" begeben.

Die Unruhen in Italien haben sich am Samstag und Sonntag in Mailand zu einem förmlichen Straßenausstand der dortigen Arbeiter mit den obligaten Barrikaden verdichtet. Am kritischsten scheint die Lage in der lombardischen Hauptstadt am Samstag gewesen zu sein, an welchem Tage cs zwischen dem Militär und den

Meuterern zu zahlreichen Zusammenstößen kam, alle Barrikaden mußten von dem Militär mit stürmender Hand genommen werden. Die Auf­rührer hatten zahlreiche Tote und Verwundete, doch wurden auch viele Soldaten durch Stein- Würfe u.s w. verletzt. Am Sonntag erneuerten sich die Straßenkämpfe, doch in schwächerem Maße; nach römischen Telegrammen war im weiteren Verlaufe des Sonntag die Ruhe in Mailand wwderhergestellt. Die Straßenmeute in dieser Stadt hatte übrigens mit der Brot­teuerung nichts zu thun, sie trug ausschließlich einen politischen Charakter Gerade in diesen bewegten Tagen für Italien ist in Turin die Erinnerungsfeier an die vor 50 Jahren erfolgte Eröffnung des subalpinen Parlaments mit einem am Sonntag im Palazzo Madama stattgefundenen Festakt begangen worden. König Humbert und die königliche Familie wohnten der Feier bei. Der König beantwortete die an ihn gerichtete Ansprache mit einer warmen patriotischen Rede, in der er auch die gegenwärtigen Unruhen im Lande streifte.

Madrid, 9. Mai. In LinareS kam es gestern zu einem ernsten Aufruhr. Die Volksmenge drang durch die Fenster in das Rathaus und plünderte dasselbe. Die Gens- darmerie drang den Ruhestörern nach und schoß auf sie. Diese antworteten mit Revolverschüssen, so daß die Gcnsdarmerie sich in benachbarte Straßen zurückziehen mußte. Die Aufrührer versorgten sich dann mit Munition und unter- halten ein erbittertes Feuer. 12 Personen wurden getötet, 50 verwundet. Gleiche Un­ruhen wurden aus Cadiz, Albacete und Marios gemeldet.

Paris, 9. Mai. Der von Basel kommende Schnellzug stieß heute Nachmittag bei der Station Foulain mit einem Personenzug iu einem Tunnel zusammen. Die Zahl der Toten wird auf 4, die der Verletzten auf 15 angegeben.

Davos, 3. Mai. Die Errichtung einer deutschen Heilstätte für minderbemittelte Lungen­kranke scheint jetzt gesichert. Ein im Februar d. I. in Berlin verstorbener Arzt aus Hannover hat letziwillig als Betriebsreserve 100000 ^ hinterlassen. Das Davoser Heilstättenkomite ver­fügt außerdem zur Stunde über ein Baukapital von 116000 vfL. so daß es zum Bau aus Deutsch­land nur noch weiterer 100000 «-6 bedarf. Somit kann die Verwirklichung der deutschen Heilstätte in Davos schon als gesichert angesehen werden.

Unterhaltender Teil.

Das Rätsel in Marmor.

Original-Novelle von Gustav Höcker.

(17. Fortsetzung)

Wolfgang wollte zunächst untersuchen, wie weit die Aufklärungen reichen würden, die der Bildhauer zu geben im Stande war, und in der Hoffnung, daß derselbe inzwischen von seiner Geschäftsreise zurückgekehrt sei» trat er den Weg nach dessen Atelier an.

Er überdachte unterwegs die Lage der Dinge, wie sie sich nach den neuesten Erfahr­ungen darstellte. Er hatte Albertineu aus Schonung bet dem Glauben gelassen, daß er auch ihrem Gemahl gegenüber für tot gegolten habe. Gerade das Gegenteil jedoch, nämlich die für Wolfgang noch immer unerklärliche Jnscenierung seines Todes, glaubte er als das wohlüberlegte, planvoll durchgeführte Werk des Vetters erkennen zu müssen, welcher in seiner Sucht nach Reichtum den flüchtigen, vom Vater­lande losgeriffcnen Erben eines bedeutenden Vermögens für tot ausgegeben hatte, um als einziger Verwandter Frau Ritters die Erbschaft für sich selbst zu sichern. Durch die falsche Nachricht von dem Ableben der Mutter schnitt er von vornherein die Möglichkeit ab, daß ein Brief Wolfgang's an die Mutter seinen Plan vereiteln könne. Hätte Wolfgang während