zu erkennen glaubte, nach welcher er in der Heimatsstadt vergeblich geforscht hatte und deren Bild keinen Augenblick aus seiner Erinnerung gewichen war. Rasch entschlossen befand er sich nach wenigen Sekunden an der Seite seines Vetters, welcher sich in höflich gebückter Stellung und schüchtern die Hände aneinanderrcibend, mit der Dame eben freundschaftlich unterhielt, Wolf­gong war enttäuscht. Allerdings sah er ein junges, anziehendes Mädchen vor. sich, welches mit seiner Unbekannten den dunklen, südlichen Teint, das tiefe Blauschwarz der üppigen Locken fülle, den glutvollen Glanz der großen dunklen Augen und sogar einen gewissen Familienzug gemein hatte; aber sie selbst war es nicht, und schon beim Nähcrkommcn hatte Wolfgang unter­schieden, daß ihre Gestalt wohl um einen halben Kopf dem hohen schlanken Wuchs jener Fremden nachstand.

Wolfgang, der sich nichts von seiner Ent­täuschung merken ließ und diesem Zusammen­treffen am Gartengeländer den Anschein des Zufälligen zu geben wußte, wurde von seinem Vetter der Geheimratstochler vorgestellt und hatte ihr in wenigen Minuten über die kunstge­rechte Anlage ihres Gartens, die Auserlesenheit der Zierpflanzen und den geschmackvollen Styl des Gartenpavillons mehr Angenehmes gesagt, als Vetter Rabeling mit all seinen ausgesuchten Schmeicheleien und Komplimenten in Jahren, f

Wolfgang wußte mit einer gewandten Rede- ! Wendung sich im rechten Augenblicke von der - Unterhaltung loszumachen, nachdem diese gerade ! so lange gewährt hatte, als es einer Dame von guter Lebensart hinter einem Gartevgitter und einem Fremden gegenüber schicklich erscheinen kann. Rabeling konnte nicht umhin, die feine gesellschaftliche Taktik seines Vetters zu be­wundern, besonders da er selbst, wenn ihm die Ehre eines Gesprächsaustausches mit der Nach- darin zu Teil wurde, nie das Ende zu finden! vermochte. Eine solche Auszeichnung war für! den Droguisten eine Seltenheit, um so mehr - erstaunte er, schon am nächsten Tage die Unter- l Haltung zwischen Wottgang und der vornehmen f Geheimratstochter sich wiederholen zu sehen. Damit aber noch nicht genug, erhielt Wolfgang ^ eine Einladung, den Nachbargarten in näheren ^ Augenschein zu nehmen, und so erlebte Rabeling - das Unerhörte, seinen Vetter Wolfgang in Be- f gleitung des Geheimrats und seiner Tochter ! zwischen den Blumengebüschen auf den gelben Sanvwegen lustwandeln zu sehen, die Rabeling's i Fuß, trotz langjähriger Nachbarschaft, noch nie ! betreten hatte. !

Unser Student wollte nur eine halbe Woche ( in der Residenz verweilen , allein seine Abreise j verzögerte sich von Tay zu Tag. Er war ein! täglicher Gast im Hause des Gcheimrats Kamm- s rodl geworden, der aus der hohen Bildungs-! stufe, die sich an jedem Worte verriet, sofort er- j kannte, daß der junge Mann aus guter Familie > stamme. Wolfgang fühlte sich von Albertine > Kammrodt eigentümlich angezogen. Er hatte sie ! gefragt, ob sie nicht eine Schw ster besitze, die > ihr ähnlich sei. Albertine bejahte. Ihre etwas ' größere Zwillingsschwester Friederike teilte mit, ihr die Achnlichkeit mit der verstorbenen Mutter, s einer M-xikanerin. deren Vater als m,x konischer Gesandter am hiesigen Hofe beglaubigt gewesen! war. Ein von Friederike vorhandenes Bild aus - ihrer Kinderzeit bot Wolsgang keinen Anhalt, ( er hätte es eher für das Albcrtine's gehalten. ! So genau auch Wolfgang's Beschreibung jener, fremden Dame aus Albertim's Zwillingsschwester paßte, so entschieden lag eine Anwesenheit der L.tzleren in Leipzig an jenem Tage außer dem Bereich der Möglichkeit Friederike war Schülerin eines süddeutschen Konservatoriums, an welchem das von ihr gewählte Instrument durch einen hervorragenden Meister vertreten wurde. Gerade an dem Unglückstage, wo Frau Ritter den Schlaganfaü gehabt, hatte Friederike von jener süvdeutlchen Residenz aus dem Vater brieflich zum Geburlsfeste gratuliert, das einige Tage später fiel. Es war also unmöglich, die junge Konservatoristin plötzlich nach Leipzig ver­setzt zu denken. Albertine'S Achnlichkeit mit jener Fremden übte auf Wolfgang einen geheimnis-

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vollen Reiz aus, dem er sich mehr und mehr hingab. In seiner Hoffnungslosigkeit, die unbe­kannte Behüterin der Mutter jemals wiederzu­finden. übertrug er seine dankbaren Gefühle auf Albertine, die so viele sympatische Züge mit Jener gemein hatte, nicht nur in Zeichnung und Farbe des Antlitzes, sondern zuweilen auch im Tonfalle der Stimme, auf Momente sogar in der Eigenart der Bewegung. Bei Wolfgang's täglichem Verkehr mit Albertine gewann die leibliche Wirklichkeit, die er mit seinen beiden Augen vor sich sah, allmählich den Sieg über die Erinnerung. Der Unterschied zwischen Beiden verschwamm mehr und mehr und bald war die Fremde vollständig in Albertine aukgegangen, so daß Wolfgang die trennenden Unterschiede in der äußeren Erscheinung beider sich nicht mehr zu vergegenwärtigen vermochte und sogar das Maaß verlor, um welches die Gestalt Albertincs gegen die ihrer Doppelgängerin abwich.

(Fortsetzung folgt.)

San Remo. Eine Gedenktafel für Kaiser Friedrich beabsichtigen, wie früher milgeteilt, die deutschen Krieger an der Villa Zirio in San Remo anzubringen; der jetzige Besitzer Comte de Villeneuve har bereits seine Einwilligung dazu gegeben. Der Vorstand des Verbands deutscher Kriegsveteranen hat zur Inschrift folgende Verse von Ernst von Wilden­bruch gewählt:

Wandrer, der du aus Deutschland herkommst! Hemme

den Schritt!

Hier der Ort, wo dein Kaiser Friedrich lebte und litt. Hörst du, wie Welle an Welle stöhnend zum Ufer drängt? Das ist die sehnende SeeleDeutschlands, die sein gedenkt Die Krieger Deutschlands ihrem Kaiser und Feldherrn.

Diese Jnschritt findet auf einer kunstvoll ausgeführten ehernen Tafel Platz. Die Tafel soll Ende August oder September fertiggestellt und angebracht werden.

Bismarck auf Wache. Nur Wenige werden es sein, die mit unserem Altreichskanzler ! dieerste Wache thaten". Zu ihnen gehört auch ! der pensionierte Königliche Förster Herr § Thiemann in Fortbrück bei Prechlau (West- ! Preußen). Der alte Herr erzählte laut dem ' GraudenzerGeselligen" folgenden, für Bis­marck karakteristischen Zug:Es war ein stür­mischer Tag, als der Einjährige Bismarck in Potsdam zum ersten Mal auf die Wache zog. Es war ein alter Brauch, daß Derjenige der zum ersten MalWache that", etwas ausgeben mußte. Auch Bismarck unterzog sich diesem alten Herkommen, er machte Alles mit. Als man in gemütlicher Stimmung war, bot ein Wachtkamerad dem Spender seine Brüderschaft an, allein Bismarck schlug das Anerbieten aus. Die fröhliche Stimmung war jedoch bald wieder hergestellt.

Um den Gewinn des großen Loses in einer auswärtigen Lotterie in der Höhe von 300000 »lL ist die Frau eines Gastwirts G. in Berlin gekommen. Die Frau hatte während zweier vorangeganger Ziehungen das Glück ge­habt. mit dem Einsätze herauszukommen. Bei der letzen Ziehung verbot ihr der Mann das Weiterspielen, und die Nummer wurde mit dem Haupttreffer gezogen! Alle Bemühungen, noch nachträglich Anrechte auf das gezogene Los geltend zu machen, blieben natürlich erfolglos. Man kann sich vorstellen, wie es den Leuten, besonders aber dem Manne zumute ist.

Explodierte Granate. In die Werkstälte des Klempnermeisters L. in Luckau brachte ein früherer Artillerist eine Granate, um sich daraus einen Zigarrenabschneider an­fertigen zu lassen. Als sich einer der Lehrlinge mit dem Geschoß zu schaffen machte, explodierte dasselbe mit einem furchtbaren Knall. Ein Sohn des Klempnermeisters ist getötet, ein Lehr­ling schwer, ein anderer leichter verletzt.

(Eine Erbschaft von mehr als vier Millionen) ist der Stadt Bergen in Südbelgien zugefallen. Wie aus Brüssel berichtet wird, starb dort in seinem Hause an der Avenue d'Havro ein ehe­

maliger Franzose, später naturalisierter Belgier' der Bergwerksingenieur und Professor an der Bergmännischen Akademie des Henneaaues Glöpj. Der Verstorbene war Junggeselle, «r vermachte seine sämtlichen Sammlungen an ^Mineralien Münzen, archäologischen Werken mfl> Objektes an Bildern und Bronzen der SKidt Beigem Die Sachen haben einen Wert von drei Millionen. Ferner schenkte er ein bares Kapital von Millionen zur Erbauung eines Altenleutehausez, das des Spenders Namen tragen wird.

Für die nächste Weltausstellung wird in Paris ein ungeheures Rad hergestcllt auf welchem die Gäste zu ihrem Vergnügen 100 Meter hoch in die Luft gehoben werden sollen. Die Achse dieses Rades wird durch ein Stück Eisen dargestellt, das 36000 Kilo wiegt. Es kam in den letzten Tagen auf dem Güler- bahnhof der Billette an und wurde Früh morgens um fünf Uhr auf einem großen Lastwagen mit 27 starken Pferden nach der Jnvalidenesplanade aeführt. Man hatte absichtlich die frühe Morgen­stunde gewählt, damit der unbehilfliche Last, wagen die Straßen leer finde und wenig aus- weichen müsse. Auf dem nicht sehr großen Platze des Palais Bourbon wurde jedoch der Wagen durch das entgegenkommende Fuhrwerk eines Metzgers genötigt, von der makadamisierten Straße auf die gepflasterte Nebenseite auszu­weichen. Dabei wurde das Pflaster eingedrückt, und die beiden Hinterräder fielen in ein Loch von zwanzig Centimetec. Man holte sofort Hebebäume herbei, aber erst nach drei Stunden gelang es, den Wagen zu heben, und um lg Uhr erreichte er endlich, von einer sehr großen Masse Neugieriger begleitet, den Ort seiner Bestimmung.

In der neuesten Nummer des praktischen Ratgebers im Ob st- und Gartenbau empfiehlt Direktor Hüntemann Hildcshausen allen praktischen Obstzüchtern, die ihre Obstbäume nicht besonders düngen können oder wollen, ihnen doch wenigstens zur Erzielung eines reichen Ansatzes von Blüten und Früchten eine Düngung von Kalk und Thomasmehl zu geben: M Zenter gebrannter Kalk und 1220 Zentner Thomasmehl für den Hektar in jedem Jahre!

(Unverbesserlich.) Milchhändler (der wegen Panscherei zu 100 Mark verurteilt wurde) zu seiner Frau:Du, Alle, jetzt heißts aber fest Wasser neinschütten, dis mir die 100 Mark wieder raushabn!"

(Prompte Auskunft.) Schutzmann (zum kleinen Mädchen, das sich verlausen hat):Nun sag' uns doch 'mal, Kleine, wo wohnst du denn?"Bei der Mutter!"Wo wohnt denn die Mutter?"Beim Vater!" Und wo wohnt der Vater?"Zu Hause!"

(Häusliche Szene.) Gatte (heimkehrend): Nun, wie geht's unserem Kleinen? Seinetwegen habe ich mich extra eine Stunde früher frei­gemacht!" Gattin:Nur seinetwegen? Nicht auch meinetwegen? Gatte:Nun, meinetwegen auch deinetwegen."

Telegramme.

Madrid, 14 April. Die hiesigen Blätter betrachten den Krieg als unvermeidlich. Die neuesten Meldungen aus Washington riefen hier eine tiefgehende Erregung hervor. Man protestiert ohne Unterschied der Parteistimmung gegen die verleumderische Unterstellung, daß die Maine-Katastrophe von spanischen Offizieren verursacht worden sei. Man könne den Nachweis erbringen, daß im Hafen von Havanna niemals ein Torpedo gewesen sei.

Madrid, 14. April. Der Ministerrat unter dem Vorsitz der Königin-Regentin beschloß, den Termin für die Eröffnung der Kammern abzukürzen und dieselben für.nächsten Mittwoch einzuberusen. Die Königin-Regentin unterzeich' nete das Dekret betreffend die Elöffnuvg einer Nationalsubjkription zur Vermehrung der Flotte.

Mit einer Beilage.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg