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bestieg die leidende Frau eines Postboten das Gefährt, um mit dem Schnellzug ab Station Ummendors nach Ravensburg zu einem Arzte zu fahren. Unterwegs wurde der Zustand der Frau schlimmer, und zum Schrecken der Insassen sank sie plötzlich tot vom Sitze. Die Passagiere verlangten fln ihrem Schrecken vom Postillon, daß die Frau sofort aus dem Wagen gebracht werde. Dieser aber konnte dem Wunsche auf freier Strecke nicht entsprechen, und so fuhren denn die erschütterten Insassen mit der Leiche bis zur Station. Wie sie versichern, wird ihnen diese Fahrt unvergessen bleiben.
Vom Oderland, 13. April. In W. war Musterung; ein strammer Bursche war gerade an der Reihe. Auf die übliche Frage des Arztes, ob er einen Fehler anzugeben habe, antwortete er laut, aber etwas zögernd: „ja. ich höre nicht gut!- »Haben Sie ein Attest ihres Schultheißen oder eines Arztes?- fragte der Arzt etwas lauter als gewöhnlich. »Nein", war die ebenso laute Antwort des anscheinend wirklich nicht gut hörenden Rekruten, dem es schon lange ein Kreuz war. daß er dem Baterlande zwei Jahre opfern solle. Der Arzt legte dem Burschen ein silbernes 20 Stück auf die Achsel und hieß ihn vorwärts marschieren in der Richtung gegen den aufgestellten Landjäger. Der pfi'fige Bursche dachte: »Halt, auf den Witz falle ich nicht herein- und richtig, als das Zwanzgerl auf den Boden fiel, that er als ob er es nicht bemerkt habe und marschierte ruhig weiter. Da hörte er, wie der Arzt zum Offizier in ziemlich flüsterndem Tone sagte: »Es ist schade um den sonst kräftigen Burschen, daß wir ihn freigeben müssen." Diese Worte zauberten ein stillvergnügtes Lächeln aus dem Gesicht des Rekruten hervor, weshalb ihn der Landjäger, bei dem er nun avgekommen war, fragte: „Was freut Sie so." worauf er sagte: »Ich Hab' grad' g'hört, wie der Doktor g'jagt hat, ich werd' frei!" Da nach menschlichem Ermessen nur ein ganz gut Hörender das, was der Doktor gesagt hatte, vernehmen konnte, so war der schlaue Bursche nun doch gefangen und wurde auch für zum Militär tauglich erklärt und zwar zur Kavallerie.
Ausland.
Paris, 13. April. Das »Journal Offi- ciell" veröffentlicht das am 23. Juli 1897 in Paris zwischen Frankreich und Deutschland abgeschlossene Abkommen, durch das die Grenze zwischen Dahomcy und dem deutschen Tongo- Gebrele, bezw. oen betreffenden Hinterländern festgesetzt ist.
Paris, 13. April. In dem heute vormit- tag abgehaltenen Mt nisterrat teilte der Minister des Aeußern, Hanotaux. mit, daß China sich mit den Forderungen Frankreichs vollkommen ein» verstanden erklärt habe. Frankreich erhält 1. die pachtweise Ueberlassung einer Bucht an der Südküste Chinas; 2. bas Recht zur Anlage einer Eisenbahn, um Tonking mit Iuenamfu über den Roten Fluß zu verbinden; 3. die Be» stcherung, daß China seine an Tongkmg grenz- den Provinzen niemals veräußern wird; 4. die weitere Bindung Chinas, niemals einer anderen Macht die Insel Hainan avzutreten; 5. ein Abkommen wegen Errichtung des Postverkehrs.
Paris, 13. April. Ein Erlaß räumt die Kammerwahlen auf den 8., die Stichwahlen auf den 28. Mai an.
Roubaix, 11. April. Bei der Ankunft der an dem Wcttfayren zwischen Roubaix und Paris beteiligten Motorwagen brach das Dach einer Schaubude ein, auf dem sich etwa 100 Personen befanden; 10 wurden verletzt, 4 davon schwer.
In P e t e r s b u r g hat die Geheimpolizei 86 Personen verschiedener Gesellschaftsklassen verhaftet. Aus den Vorgefundenen Broschüren und Büchern soll hervorgehen, daß die Ve» hafteten sich sozialdemokratischer Agitationen schuldig gemacht haben. In Moskau, Kiew und Odessa sind gleichfalls Verhaftungen vorgenommen.
In diesem Frühjahre werden die Arbeiten ""dem V erbindungskanal d es Baltischen Meeres mit dem Schwarzen
Meere beginnen. Der Kanal beginnt bei Riga und endet in Cherson. Die Kosten sind auf 200 Millionen Rubel berechnet.
Der spanisch-amerikanische Kon- slikt ist zwar noch nicht zum Kriegsausbruch gelangt, aber jeder Tag kann die Kriegserklärung bringen. Die europäischen Großmächte haben bei der Washingtoner Regierung sehr freund- schastliche Vorstellungen im Sinne der Friedens- erhaltung gemacht, aber die Amerikaner wissen, daß das europäische Konzert von süßen Worten nicht zu strengen Thalen übergeht, und so werden sie wohl den Krieg erklären, freilich nicht der Präsident Mac Kinlcy. sondern das Re Präsententenhaus und der Senat, an welchen Mac Kinley eine Botschaft richtete, die alles Menschenmögliche an Heuchelei, Entstellung der Thatsachen u. s w. zusammentrug. um den Amerikanern ein scheinbares Recht zur Befreiung Kubas mit Waffengewalt zu geben. Einem Wunsch des Papstes entsprechend, hatte sich die spanische Regierung noch am Karsamstag ent- fchlosfen, auf der Insel Kuba alle Feindseligkeiten einstellen zu lassen, aber der dortige In» surgentenführer Moximo Gomez erklärte, sicher auf amerikanisches Betreiben, er nehme den Waffenstillstand gar nicht an, und wenn er die spanischen Truppen wieder angreift und diese sich verteidigen, so kommt wieder die amerikanische Phrase: »Wir müssen dem Gemetzel ein Ende machen!" Seit den Zeiten Ludwig XIV. von Frankreich ist kein Krieg mehr mit so frivolen Gründen vom Zaune gerissen worden, wie der fast unabwendbar erscheinende Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien.
Washington, 13. April. DaS Ab- geordnetenhaus hat heute nach stürmischer Debatte den von der Mehrheit des Ausschusses beschlossenen Bericht, worin die Unabhängigkeit Kubas erklärt und verlangt wird, Spanien solle sich sofort von der Insel zurückziehen, und worin dem Präsidenten die amerikanischen Streitkräste zur Verfügung gestellt werden, mit 324 gegen 20 Stimmen gebilligt. Der Minder- hcitsbericht, der auch die Anerkennung der gegenwärtigen kubanischen Republik forderte, war mit 191 gegen 150 Stimmen abgelehnt worden. Der Senat traf heute noch keine Entscheidung und hat sich vertagt.
Washington, 13. April. Die politischen Führer der beiden Häuser betrachten den Krieg als unvermeidliches Ergebnis dieses Beschlusses, falls Spanien Kuba nicht aufgebe. Die repu- blikanischen Mitglieder des Ausschusses im Repräsentantenhause gaben ihre Zustimmung, falls die Notwendigkeit eintreten sollte, eine weitere Kriegssteuer von 100 Millionen für das Jahr nufzuerlegen und etwanigenfalls eine neue Anleihe in BondS, die 500000000 einbringen soll.
Die Pforte ist sehr besorgt, daß sie mit ihren Oberhoheitsrechten aus Kreta gegenüber der den Kretern zugestandenen Selbstverwaltung nicht zu kurz komme. Sie giebt in einem an die türkischen Botschafter im Auslande abge- sandten Rundschreiben zwar der Erwartung Aus druck, daß die Einführung der Kreta gewährten Autonomie bald möglichst erfolge, wünscht aber zugleich, daß hierbei die Souveränitälsrechle der Pforte voll aufrecht erhalten würden. Diese Wahrung der türkischen Oberhoheilsrechte dürfte bei der Durchführung der kretischen Autonomie allerdigs ein fchwieriges Stück Arbeit abgeben. — Die Pforte machte den Botschaftern der Mächte mittels Runonote die Mitteilung, daß nach einer Depesche Edhem Paschas die Fort- setzung der Grenzregulierungsarbeiten in Thessalien am 22. d M. möglich sein werde und ersucht, die Militärattaches wieder nach der thessalischen Grenze abzusenden.
Anterhaltender Teil.
Das Rätsel in Marmor. ^
Original-Novelle von Gustav Höcker.
(3. Fortsetzung)
Die Kunst der Aerzte vermochte gegen Frau Ritter's Fußlähmung nichts auszurichten. Man riet ihr endlich den Gebrauch einer Heilquelle. Daher reiste sie nach einem Kurorte und Wolfgang begleitete sie. Als ec die Mutter gut
untergebracht und in einer ihr zusagenden Gesellschaft sah, reiste er zurück. Wenn er einen kleinen Umweg nicht scheute, so hatte er die Wahl zwischen zwei Routen, von welchen die weitere über die Residenz führte. Wolfgang war zwar während seiner Ferien schon vielfach auf Reisen gewesen, er hatte die Schweiz, Italien und Griechenland besucht, aber die Residenz nur ein paar Mal gesehen, und das war schon lange her. Jetzt wollte er die Gelegenheit benützen» seine flüchtige Bekanntschaft mit der Hauptstadt zu erneuern und zugleich einem dort wohnenden Vetter einen Besuch machen. Es war der Sohn von Frau Ritter's verstorbener Stiefschwester und der einzige Verwandte von dessen Existenz Wolfgang und seine Mutter Kenntnis halten. Der Vetter. Franz Rabeling, lebte in sehr bescheidenen Verhältnissen und fühlte sich im Bewußtsein seiner Unbedeutendheit durch die ihm von dem reichen Verwandten erzeigte Ehre nicht wenig geschmeichelt und gehoben. So beschränkt die Räumlichkeiten seines uralten, baufälligen Hauses waren, das nur zwei Fenster Front besaß. so ließ er es sich doch nicht nehmen, seinen vornehmen Besuch bei sich zu beherbergen, dessen Generosilät ihm ohnehin gute Tage bereitete.
Noch unverheiratet und um einige Jahre älter als Wolfgang, hatte Rabeling den erlernten Apothekerbecuf aufgegeben und ein Droguen- geschäft begonnen, um eine selbstständige Existenz führen zu können. Er sann Tag und Nacht, wie er es ansangen solle, um das Geschäft in die Höhe zu bringen. Wo ein neuer Gewinn versprechender Handelsartikel auftauchte, da griff er zu, und so kam es, daß seine Praxis sich nicht nur auf die üblichen Droguenwaren erstreckte, sondern auch Haarsärbe-, Barterzeugungs- und eine Menge anderer Geheimmittel in ihr Bereich zog, die seinem Geschäfte einen etwas schwindelhaften Anstrich gaben. Für Wolfgang war die Menjchenspezies, die er rn seinem Vetter kennen lernte, neu und sogar erheiternd. DaS untersetzte Männchen mit der mopSarlig aufgestülpten Nase, der niedrigen Stirn und den kleinen, braunen, schlau blinzelnden Augen, über welchen sich die kurzen buschigen Brauen wie zwei große schwarze Kleckse ausnahmen, bereitete Wolfgang Ergötzen, namentlich wenn Rabeling auf das von ihm erfundene Putzpuloer zu sprechen kam, von dessen unvergleichlichen Vorzügen die einschlägigen Behörden der Slaatselfeabahnen und des Kriegsminlsteriums zu überzeugen sein höchstes Streben war. Er zappelte sich förmlich ab, einer hohen Aristokratie zum Bewußtsein zu bringen, daß es in der Residenz einen Mann, namens Franz Rabeling, gebe, welcher die beständige Ehre hatte» für König und Vaterland (unter welchem letzterem er die Aristokratie und die Armee verstand) in unlerthänigster Loyalität zu ersterben. Wo immer er sich in der Ocffent- tichkeil zeigte, schnappte er nach Gunst und Protektion, wie ein Hund nach Fliegen. Man konnte ihn auf der Straße keine zwei Minuten verfolgen, ohne daß man ihn nicht mehrere Kratzfüße hätte machen sehen. Sogar leer fahrenden Hof-Equipagen erwies er ehrfurchtsvolle Re« oerenz; cs war ja nicht unmöglich, daß Kutscher oder Leibjäger ein Wort zu seinen Gunsten ein» legen konnten, oder daß Jemand aas der hohen Aristokratie es sah und, gerührt durch solche, sogar auf das königliche Stalllnvenlar sich erstreckende Pietät, sich nach dem Manne erkundigen könne, um zu hören, was sich für ihn thun lasse.
Da RadelingS unmittelbarer Nachbar nichts Geringeres als ein Geheimrat war, so versäumte er natürlich keine Gelegenheit, dem hochgestellten Beamten und seiner Familie seine Devotion zu Füßen zu legen, wobei er es ziemlich bequem hatte, indem ein Teil des vornehmen Nachoar- gartens, in welchem sich der Geheimral mit seinen Angehörigen zu ergehen pflegte, an Rabeling's Hof stieß und von demselben nur durch ein eisernes Geländer getrennt war.
Des Vetters Hefe Bücklinge, die Wolfgang von dem auf den Hof hinausgehenden Fenster seines Zimmers betrachtete, lenkten seine Aufmerksamkeit auf die Person, der diese Huldigung galt, und er fühlte plötzlich etwas wie Herzklopfen, als er in derselben jene Person wieder