Meitclge zu Nr. 50 des KnzLbülers.
Neuenbürg, Mittwoch den 30. März 1898.
Anteryaltender Teil.
Der Wilddieb.
(Fortsetzung)
Zwölf Monate waren verstrichen. Edith lebte noch immer mit ihrem Vater in dem schmucken Häuschen. Georg Lachncr hatte sie einmal besucht, und der angenehme Kontrast, den er nun zu seiner früheren Erscheinung bildete, erfüllte den alten Waldhüter mit einem tiefen Gefühl der Achtung und Freundschaft für den jungen Mann.
Da kam eines Tages Georg wieder und zahlte voll Stolz das Geld zurück, das Ediths Vater ihm geliehen hatte.
Seitdem verging kaum ein Sonntag, an dem er nicht in des Waldhüters Wohnung kam.
Ungefähr um die Mitte des zweiten Jahres hörte Friedrich Hartig, daß das Gut Dornhof zu Michaelis zu verpachten sei Diese Nachricht schien einen ernsten Einfluß aus ihn zu haben; ost verließ ihn seine sonst stets treue, heitere Laune und er ging sinnend und nachdenklich einher.
Er holte seine ganzen Ersparnisse herbei und zählte die Goldstücke in kleinen Haufen aus den Tisch.
Endlich nach vielem Rechnen und vielem Schreiben in seinem Notizbuch steckte er das Geld m den Lederbeutel und mit dem Ausdruck des Zweifels und der Besorgnis auf seinem ehrlichen Gesicht begab er sich nach dem Schloß.
Mehrere Monate waren vergangen, seit er Herrn Wegener zuletzt gesehen hatte, und er war nicht auf die Veränderung vorbereitet, die während dieser Zeit mit jenem vorgegangen war.
Das war nicht mehr die runde, behäbige Gestalt von ehedem; die einst roten vollen Backen waren bleich und eingefallen, und die Stimme des alten Herrn klang schwach und matt.
„Nun. Friedrich Hartig, begrüßte er den Eintretcnden. „Ihr seid mir ja fast ein Fremder geworden!"
Dem Waldhüter wollten die Worte nicht recht aus der Kehle. Endlich stotterte er:
„Es thut mir leid, Herr — sehr leid — daß Sie so . . ."
„So krank aussehcn, wollt Ihr sagen — nicht wahr?" seufzte Herr Wegener. „Ja, früher oder später kommen wir alle an die Reihe. Lange wird es nicht mehr dauern, bis ich den letzten Schritt thue. — Was führt Euch zu mir?"
„Ich komme, Ihnen einen Pächter sür Dornhos zu empfehlen," sagte Hartig bescheiden, und ich möchte Ihnen sagen, daß Sie mir einen großen Dienst leisten würden, wenn Sie ihn annähmen."
„Er soll das Gut haben, Hartig!" versetzte Herr Wegener rasch. „Ich wünsche, Ihr verlangtet die Pachtung sür Euch selbst. Ich hätte Euch den Pachtzins zum Geschenk gemacht. Es wäre doch eine Vergeltung gewesen für — sür — nun, Ihr wißt, was ich meine — aber jetzt müßt Ihr ihm vergeben. Er ist vor einem höhern Richterstuhl sür seine Sünden zur Verantwortung gezogen worden . . . Möge der Allmächtige ihm gnädig sein!" setzte er traurig hinzu.
„Tot!" rief der Waldhüter aus. „Ihr Sohn ist tot?"
Der alle Herr verbarg sein Gesicht in den zitternden Händen und weinte wie ein Kind.
Mehrere Minuten vergingen . . . keiner der beiden sprach ein Wort.
Endlich unterdrückte der alte Herr gewaltsam seinen bittcrn Kummer und sagte, sich aufraffend:
„Ihr seid selbst Vater, Hartig, und werdet diese Schwäche vielleicht begreifen. Jetzt ist's vorbei, und wir können weiter vom Geschäft reden. Wer ist's für den Ihr das Gut haben möchtet?" Kenne ich ihn?"
„Derselbe, dessen Groß- und Urgroßvater das Gut einst besaßen," entgcgnete Hartig.
Jetzt ist er bei Gottfried Nolten in Derwitsch zweiter Verwalter. Für seine Rechtschaffenheit bürge ich. Sie werden in dieser Beziehung auch befriedigt sein, wenn ich Ihnen sage, daß er meine Tochter heiratet."
„Vollständig befriedigt, Hartig!" rief sein Herr. „Ihr braucht mir nichts weiter zu sagen. Das Gut ist sein."
„Der Kaufpreis ist, wie ich höre, dreitausend Mark," fuhr der Waldhüter, seinen Lederbeutel hervorziehend fort. „Die eine Hälfte habe ich mitgcbracht, die andere . . ."
„Sagt Eurer Tochter." unterbrach ihn Herr Wegener . . . „apropos, wie heißt sie?"
„Edith."
„Edith!" seufzte sein Herr. „So hieß auch meine arme Mutter! . . . Also saget Edith, daß ich ihr die andere Hälfte zum Hoch- zeitsgeschenk mache. Ach. Hartig," fuhr er mit erzwungener Munterkeit fort, „Ihr und ich haben beide die Liebe und Ehe kennen gelernt. Ich entsinne mich, daß Ihr mir einst sagtet, wir hätten als Knaben mit einander gespielt."
„Ja," versetzte dieser hastig, „aber das war vor vielen Jahren."
Und als wünschte er, dieses Thema fallen zu lassen, setzte er schnell hinzu:
„Vielleicht halten Sie Edith all der Güte nicht für wert, wenn Sie hören, wer ihr Bräutigam ist."
„Nun, wer ist es denn?" fragte Herr Wegener.
„Wer er ist, habe ich Ihnen bereits gesagt . . . er war der Wilddieb," versetzte Hartig.
„Der Wilddieb?" wiederholt jener starr vor Erstaunen.
Es bedurfte des Waldhüters ganzes Zart- gefühl, um den ernsten Verdacht, der bei diesem Geständnis in Herrn Wegener aufstieg, zu beseitigen. Als aber Friedrich Hartig Georgs traurige Ltbensgeschichle erzählte und von dem Umschwung, den sein Leben in den letzten zwei Jahren genommen hatte, sprach, da schwanden alle Zweifel.
Am folgenden Tage kam Georg in des Waldhüters Wohnung und traf Edith allein. Ihr Vater, sagte sie, habe wichtiger Geschäfte wegen ausgehen müssen.
Und die zwei jnngcn Leute setzten sich in die Fensternische, von wo man in das Thal sehen konnte, und entwarfen Pläne für die Zukunft, ohne zu ahnen, daß sie dem Hafen ihrer schönsten Hoffnungen so nahe waren.
Der Abend war schon weit vorgeschritten, als der Vater heimkehrte. Seine Augen verrieten eine ganz besondere Freude, als sie Ediths lächelndem Gesicht zum Willkommen begegneten. Als er sie an sich drückte und ihre glühenden Wangen küßte, wandte er sich zu ihrem Geliebten und sagte mit möglichst fester Stimme:
„Georg, ich habe lange meine Augen, aber nicht mein Herz vor derUeberzeugung geschlossen, daß Du und Edith einander liebt. Sie ist. seit ich ihre Mutter verlor, meine einzige Gefährtin gewesen, und von ihrer Kindheit an all die Jahre hindurch ist kein böses Wort zwischen uns gewechselt worden. Nimm sie, mein Sohn und laß sie als Deine Frau nie die Liebe ver- missen, die sie als Tochter hatte. Hier ist auch der Pachtvertrag von Dornhof, der einstigen Heimat Deiner Mutter. Er ist Dein, fuhr er fort, indem er dem jungen Menschen das Dokument reichte. Du hast durch Dein edles Verhalten alles wieder gut gemacht, und die Vorsehung und daS Gebet eines alten Mannes
mögen Dich für die Zukunft segnen."-
(Schluß folgt.)
Neuenbürg. Nach den Angaben des Kalenders hat der vielbesungene Lenz am 2l. März seinen Einzug gehalten, obgleich schon längst im milden Lcnzeswehen Schneeglöckchen läutet und die Weidenkätzchen in ihrem Silberschmucke prangen. Der vergangene Winter war ein recht schwacher Geselle: kaum einige Tage, und zwar noch
ausgangs Hornung und nachträglich im März wußte er seine Herrschaft zu behaupten, wie alle Winter der letzten Jahrzehnte mit wenigen Ausnahmen. Und daher wird immer und immer wieder die Frage aufgeworfen: Ist gegenwärtig das Klima unseres deutschen Vaterlandes einer Aenderung unterworfen? Vor zweitausend Jahren war unsere Heimat von fast undurchdringlichen Wäldern und weitausgedehnten Sümpfen bedeckt. Wogende Nebel hingen fast unaufhörlich in den Kronen der gewaltigen Baumriesen, und darüber zogen endlose Geschwader grauer, regenschwerer Wolken hin. Die feuchte Atmosphäre ließ die wärmenden Strahlen der Sonne nur selten auf den Erdboden gelangen. Für das Gedeihen des Weizens und edler Weinreben waren die Sommer zu rauh; die Winter brachten nach den Be- schreibungen römischer Schriftsteller den germanischen Gauen Schneemassen und Kältegrade, wie sie heute kaum aus dem Norden Skandinaviens gemeldet werden. Als später die Urwälder gelichtet, und die Sümpfe trocken gelegt worden waren, wurde auch Weinstock und Weizen in Deutschland heimisch; die saftigen Beeren und die mehligen Körner reiften im milden Sonnenglanze. Hieraus kann man sicherlich auf eine bedeutende Wärme-Zunahme schließen. Der Weinstock drang immer weiter nordwärts vor, bis in die Gegenden von Berlin und Thoru. Heute scheint er sich wieder auf dem Rückwege zu befinden, da in den genannten Gegenden die Trauben nur selten reifen, während dieses früher häufiger vorkam. Ein belgischer Wetterkundiger hat für die Gegend zwischen der Loire und Hannover nachgewiesen, daß daselbst in deu letzten Jahren die Durchschnittstemperatur um 2 Grad 0. gesunken ist. Ferner lehren Wetter- Beobachtungen, die sich ungefähr auf ein Jahrhundert erstrecken, daß in Norddeutschland der Dezember seit ziemlich 70 Jahren, der Januar seit 50 und der Februar seit 30 Jahren eine Neigung zum Wärmerwerden aufweisen. Wie selten haben wir schon seit vielen Jahren das Weihnachtsfest im vollen winterlichen Schmucke der Natur feiern können! Den höhern Winter- Temperaturen entsprechen niedrigere Sommer- Temperaturen, und beide sind bedingt durch den Feuchtigkeitsgehalt der Atmosphäre. Feuchte Luft vermindert im Sommer die Wärme-Einstrohlung und im Winter die Wärme-Nusstrahlung der Erde und wirkt auf die warme Erde adkühlcnd, auf die kalte mildernd ein. Die Luftfeuchtigkeit wird uns aber zum größten Teile durch Luftströmungen vom Atlantischen Ozean zugeführt, und in diesem ist einer der auf unser Klima einwirkenden Hauptfaktoren der Golfstrom. Während dieser noch vor einem Jahrtausend die Küsten Europas unberührt ließ und im hohen Norden Grönland bespülte und dieses zu einem grünen Lande machte, wendet er heute, abgelenkt durch die sich stetig vergrößernde Halbinsel Florida, seinen Lauf nach den Gestaden Europas. Von welch ungeheurem Einfluß der Golfstrom auf das Klima des Nachbarlandes sein muß, geht daraus hervor, daß er in einer Sekunde ungefähr 18 Millionen Kubikmeter von der Tropensonne erwärmtes Wasser nach Norden fließen läßt und daß er bis zu 60 Seemeilen pro Tag zurücklegt. Ihm haben wir es zuzuschreiben, daß unser Klima allmählich feuchter und die Differenz zwischen den höchsten und niedrigsten Temperaturen innerhalb eines JahreS langsam geringer wird.
Adolf Holzbock, ein bekannter Berliner Schriftsteller, hat die Verhältnisse der Spielbank von Monako vor kurzem einer eingehenden Untersuchung unterzogen, deren Ergebnisse er im „Beil. Lok. Anz." in einer Reihe von Aufsätzen niedergelegt hat. Der unbestechliche Beobachter liefert den Beweis dafür, daß die Bank gewinnen muß. daß alle Systeme, alle Kunstfertigkeiten ihr gegenüber nicht verfangen, daß alle, die in der Hoffnung» am Spieltisch