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Meitcige zu Ar. 189 des Gnzthäters.

Neuenbürg, Donnerstag den 2. Dezember 1897.

Hlnterhattender Teil.

Eine schaudervolle Nachtfahrt.

Aus dem Englischen von C. Vilmar.

(Nachdruck verboten.)

KO. Im vorigen Herbst erhielt ich eine Einladung zu meinem Großvater nach Dublin. Meine Eltern und ich, ihre einzige zweiund- zwanzigjährige Tochter, leben auf einem großen Landgut in der Nähe von London. Mutter sah mich ungern reisen. Ich glaube, daß die den Frauen eigene Divinationsgabe sich bei unseren Müttern in verstärktem Maße ausgeprägt findet, und irgend eine dunkle Vorahnung Mutter damals bewog, allerhand Bedenken gegen diese überaus einfache und bequeme Reise zu äußern, Bedenken, die absolut nicht stichhaltig erschienen, da ich bereits viel gereist und ein durchaus unerschrockenes, beherztes Mädel bin.

Wenn Du nun schon allein reisen sollst und mußt, Killy, solltest du lieber den Tageszug benutzen." meinte sie besorgt.

Aber warum denn?" gab ich zurück.

Tagesreisen auf bekannten L-trecken sind nicht nur langweilig, sondern auch schnöde Zeit- Verschwendung, während man nachts das An­genehme mit dem Notwendigen, Schlaf und Reise sehr gut vereinen kann. Bitte, sag' nichts mehr dagegen, liebe Mutter, sondern laß mich ruhig mit dem Abendzuge fahren und morgen früh mit Großvater frühstücken!"

Zwar machte sie keine weiteren Ein­wendungen, aber ich hörte sie in einer gewissen Tonart seufzen, die meinen Eigensinn und meine stete Abneigung gegen Vernunftgründe härter verurteilte, als ein Meer von Vorwürfen. Dennoch beharrte ich auf meinem Willen.

Meine Sachen wurden gepackt und abends brachte Vater mich nach Station Euston.

Du solltest lieber in ein Damenkoupö gehen, Kitty," äußerte mein Vater, als ich im Begriffe war, einzusteigen.

Diese Zumutung entsetzte mich fast.

Kannst Du mir wirklich etwas so Alt­jüngferliches zumuten?" rief ich.Nein Vater, durch weinende Kinder und alte Schwatzbasen will ich mir meine Nachtruhe nicht stören lassen. Ich habe mir bereits ein ruhiges Eckchen erkoren, wo ich ungestört zu schlafen hoffe."

Damit stieg ich in das Koup«, in dem zwei alte Herren sich's bequem gemacht hatten. In ihre Reisedecken gewickelt, okkupierten sie die beiden zugfreien Ecken. Ich war unempfindlich gegen Zug und nahm die dritte Ecke in Beschlag. Vater versorgte mich mit einer Anzahl Zeitungen und bald darauf ging der Zug ab.

Ich übeiflog die Zeitungen, deren Inhalt nichts Interessantes bot. Dann sah ich mir meine Reisegefährten an. Mein Gegenüber war sehr dick und rot und schnarchte bald in Dur und bald in Moll. Fast bereute ich. nicht in ein Damenkoupö gegangen zu sein, zumal auch mein zweiter Geführte sich als eine keineswegs angenehme Reisegesellschaft erwies. Er schien einen rabiaten Schnupfen zu haben, hustete und schnäuzte sich abwechselnd und sah sich fort- während ängstlich überall um, ob cs vielleicht von irgendwo ziehen könne. Sein Fenster sowie das auf seinem Ende bistndliche Ventil halte er fest geschloffen und ließ jetzt kein Auge von dem zweiten, über meinem Kcpse angebrachten Ventil; ich aber war fest entschlossen, dieses nötigenfalls mit meinem Leben zu verteidigen.

Das rhytmische Rasseln der Räder wiegte mich allmählich in Schlaf. Ich erwachte erst, als der Zug in Chester einlief, und fand meine beiden Reisegefährten im Begriff, ihre Decken und Gepäckstücke zusammen zu lesen.

Falls Sie weiter reisen," wandte der Schnarcher sich zu mir,so haben Sie hier zehn Minuten Aufenthalt und vollauf Zeit, eine Tasse Thee zu trinken."

Ich dankte ihm und begab mich, seinem Vorschläge folgend in das Wartezimmer, dessen Büffet von einem durstenden, hungrigen, ungeduldigen Menschcnknäucl umlagert war. trank eine Tasse Thee und nahm mir ein großes Siück Kuchen ins Koupo mit. Dorthin zurück- gekehrt, gewahrte ich in der Ecke, die der Hustende zuvor inne gehabt, einen Haufen Decken und einen großen schwarzen Koffer.

Im selben Moment kam der Schaffner, dessenFürsorgeVatermich nachdrücklich empfohlen, um sich noch meinen etwaigen Wünschen zu erkundigen, und bemerkte, daß der Expreßzug jetzt vor Holyhead nicht mehr halten würde.

Vielleicht wäre es Ihnen lieb, wenn ich die Wagenthür schließe, damit niemand mehr hier hinein kann." meinte er.Der Zug ist heute Nacht nicht sehr besetzt, und es ließe sich daher leicht machen."

Ich deutete lächelnd auf die Bagage in der andern Ecke.Es dürste zu spät sein "

Thut nichts; falls Sie wünschen, bringe ich das Gepäck dort in einen anderen Wagen."

Nein, nein, danke," cntgegnete ich.Ich habe keine Scheu vor Reisegesellschaft."

Im selben Augenblick erschien der Besitzer der Gepäckstücke, ein großer, in einen weiten Mantel gehüllter Herr, dessen Mund und Kinn durch einen breiten Shawl verhüllt war. Der Schaffner musterte ihn, wie mir schien, mit mißtrauischen Blicken. Das belustigte mich, denn ich zähle keineswegs zu der albernen Mädchensorte, die in jedem Manne, der ihren Weg kreuzt, einen Bewunderer oder Jnsultanten wittert. Ich machte dem Fremden daher ruhig Platz, damit er zu seinem Sitz gelangen konnte und dankte dem Schaffner lächelnd für seine Fürsorge.

Gleich darauf fuhr der Zug weiter. Der Herr in der Ecke wickelte sich aus seinem Shawl heraus, faltete diesen zusammen und legte ihn in seinen Koffer. Als er sich dann auch seines Mantels entledigt hatte, entpuppte er sich als ein gut aussehender junger Mann von etwa achtundzwanzig Jahren mit rabenschwarzem, kühn geschwungenem Schnurrbart, kurzem, spanischen Spitzbart und schwarzen, durch, dringenden Augen, die mich unausgesetzt fixierten und mir ein steigendes Unbehagen erregten.

Was fällt Dir ein, Kitty. fängst Du etwa an, nervös zu werden?" raisonnierte ich innerlich. Warum soll er Dich nicht ansehen, wcnn's ihm gefällt? Sieht doch die Katz' den Kaiser an! Nimm also an, der Mann dort sei eine wohl­erzogene Katze und Du der Kaiser. Mag die Katze doch gucken, so lange es ihr gefällt, den Kaiser soll das nicht stören!"

Da ich indes fühlte, daß ich unter dem Blick jener forschenden, dunklen Augen unmöglich schlafen könne, nahm ich einen Roman und eine kleine Leselampe aus meinem Handkoffer, be­festigte letztere an der Fenstcrleiste, zündete sie an und vertiefte mich in meine Lektüre.

Gestatten Sie, daß ich das Fenster öffne?" klang es plötzlich aus der anderen Ecke.

Bitte, versetzte ich mit einer leichten reservierten Verneigung, welche der Katze zu verstehen geben sollte, daß sie Distanze zu halten habe, und versenkte mich von neuem in mein Buch.

Der Expreßzug sauste jetzt mit äußerster Schnelligkeit dahin und die durch das offene Fenster verursachte Zugluft machte sich bald unangenehm bemerkbar.

In der Absicht, den Fremden zu bitten, er möge das Fenster wieder schließen. wandte ich mich um. Doch der Anblick, der sich mir bot, jagte mir einen jähen Schauer durch die Glieder.

Ec hatte seinem schwarzen Koffer eine große, blitzende Scheere und ein Rasiermesser entnommen, das er soeben flink und behutsam an einem Lederriemen schärfte, welchen er an einem der Fensterknöpfe befestigt hatte.

Dabei begegnete mein Auge dem seinen, welches mich halb lauernd, halb grimmig anstarrte.

Das Unheimliche der Situation bewog mich, mein Buch zu schließen. Mil fest ver­schlungenen Händen und laut klopfendem Herzen verharrte ich vollkommen reglos in meiner Ecke. Der Schein der Leselampe fiel voll auf mein Gesicht; als ich es merkte, löschte ich sie aus.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die Lampe wieder anzündeten." bemerkte der Fremde gleich darauf.Thun Sie es sofort es ist keine Zeit zu verlieren."

Ich verstehe Sie nicht, mein H.rr," cntgegnete ich, bemüht, einen möglichst kühlen, hochmütigen Ton anzuschlagen, den das Beben meiner Stimme indes Lügen strafte.

(Schluß folgt.)

Weihnachts-Geschenke. Von einer Hausfrau geht uns folgendes Schreiben mit der Bitte um Abdruck zu: In vier Wochen ist Weih­nachten. und das heimlich ersparte Geld soll zu Nutz und Frommen des verehrlichcn Herrn Ge- mahls und der lieben Kmderschar an den Mann gebracht werden Die innersten Herzenswünsche, soweit sie auf Schlafrock und Zigarren, auf Spielzeug und Süßigkeiten sich beziehen, werden mit einem außerordentlichen Aufwand von diplo­matischem Scharfsinn zu erspüren gesucht, und mit der Schlauheit eines Indianers horcht man auf die leiseste Andeutung irgend einer Idee, deren Ausführung dem oder jenem besonders er­freulich swäre. Aber gerade dieses für jedes Ge­müt' anziehende Grübeln und Spüren zu anderer Freude bringt im praktischen Leben eine Gefahr mit sich: man sucht und denkt so lange, bis das Fest vor der Thür steht, bis zur Aus­führung der geplantenThal" nur noch eine ganz kurze Zeit bleibt, man stürzr nervös von einem Geschält in das andere um überall zu hören, daß gerade das, was man sucht, vor ein paar Tagen bereits vergriffen ist. Kauft also zeitig ein, verehrte Milschwestern im Haushalt, ob es sich um Kleiderstoffe oder sonst nützliche Sachen, um einen originellen Artikel oder um Spielsachen handelt. Wer lange wartet, erhält in den meisten Fällen nur eine Ware, die übrig geblieben ist, er versäumt beim Aussuchen den Anschluß, und Schenker wie Beschenkte haben von der Weihnachtsfreude viel Aerger. Gerade jetzt ist noch die beste Zeit zum Einkauf, jetzt sind die Läden und Warenlager noch überfüllt, die Ware noch nicht ausgesucht, und man erweist sich und dem Kaufmann einen Gefallen, wenn man gleich thut, was man in wenigen Wochen doch thun muß. Also noch einmal: Geld in den Beutel und erwerben, was man erwerben mag. Dann kann man mit sicherer Festfreude den schönen Abend erwarten, an dem die Gaben unter dem kerzenstrahlenden Tannenbaum aufge­baut werden, uns und den Unfern zur Freude.

Berlin, 28. Nov. Ein Berichterstatter derKreuzzig." weiß folgendes zu erzählen: In einem Wirtshaus zu Rixdorf hat der Wirt einen großen gelben Hund in der Be­dienung der Gäste derartig ausgebildet, daß er (der Wirt) selbst ruhig hinter dem Ladentisch bleiben kann und nur die bestellten Waren den Gästen zu überreichen braucht. Auf den Pfiff eines Gastes erscheint der Hund sofort mit einem Theebrett in der Schnauze, um auf einem Zettel die Bestellung entgegen zu nehmen und sie seinem Herrn zu übermitteln. Später nimmt er auch die Bezahlung entgegen, und weiß genau, wer ihm ein Geldstück zum Wechseln übergeben hat. Das Trinkg'ld für die geleisteten Dienste fordert er nicht von den Gästen, sondern vom Wirt, der ihm die Gänge ab und zu mit einem Stück Wurst entschädigt.

Einen milden Winter prophezeit, im Gegensatz zu Falb und Habenicht, der englische Astronom Max Dowat, der aus dem Vor­handensein von zahlreichen Sonixenflccken einen solchen für West Europa herleitet. Falb