873

ihres Duftes sich bewegt. Es wird u. a. mit­geteilt, daß zu einem Kilogramm Rosenöl etwa 10000 Kilogramm frischer Blüten verwendet werden müssen, und daß an Stelle des früher bevorzugten persischen Rosenöls jetzt vielfach daS echt türkische und bulgarische, aus den Rosen- gärten von Kassanlik am Balkan, getreten ist. Es wurde auch auf Anregung des Gcoßherzogs vor etwa 10 Jahren ein Versuch unternommen, die Balkanrose bei uns zu pflegen und zu be­nutzen. Jedoch verringert sich der Oelgehalt der Rose im nördlichen Klima; immerhin ge­langen aber auch diese Rosen noch zur Ver­wendung.

Württemberg.

Weilheim a. T., 24, Nov. Kürzlich wurde über eine reichsaerichtliche Entscheidung berichtet, nach welcher die Stadtgemeinde Weil- heim mit ihrer gegen Stadtschultheiß Scheu gerichteten Entschädigungsklage (Seereinigungs- prozeß) abgewiesen wurde und gleichzeitig be­merkt. dctß die ganze Angelegenheit auf Partei- Politik zurückzuführen sei. Auch im Bezirks- amtsblatt wurde nach der Urteilsverkündtgung dieser Monstreprozeß ventiliert und kamen hiebei beide Parteien zum Wort. Die Gemeinderäte vertraten immer noch den Standpunkt, daß die ganze Schuld dem Stadtvorstand beizumessen sei, während letzterer in sachlicher Weise daS Gegenteil nachzuweisen suchte. Hierob ent- brannte wieder, wie schon so oft. ein heftiger Kampf zwischen Ortsvorsteher und Gemeinderat, als dessen nächste Folge eine im Tcckboten von 4 seitherigen Gememderäten erlassene Erklärung angesehen werden muß. daß sie eine Wiederwahl in den Gemeinderat nicht mehr annehmen,so­lange das Regiment des Stadtschultheißen Scheu dauert." Wenige Tage vorher aber war im Tcckboten zu lesen, daß keine Parteipolitik ge­trieben werde. Fürwahr nette Zustände.

Ehingen. 25. Nov. Ein kritischer Tag erster Ordnung scheint der heutige zu sein, aber nicht nach Falb, sondern nach Straubinger, denn nicht weniger als 26 Stromer wurden heute eingebracht zu Fuß und zu Wagen. Viele dieser Brüder sind alte gute Bekannte vom hiesigen Oberamtsdiener, die ihn teilweise mitMahl- zeit" begrüßten, wodurch sie ihre Stammange­hörigkeit ohne Weiteres verrieten. Im Stalle des Schäfers B. hier kam heute Nacht ein Junges" zur Welt mit 2 vollständig ausge- wachsenen Köpfen und 6 Füßen. Das Tier lebt und ist munter.

Ausland.

Angesichts der unbeugsamen Opposition der Deutsch-Oesterreicher gegen die Sprachen- Verordnungen Badenis scheint es den Tschechen nun allmählich doch etwas schwül zu werden, sie machen deshalb jetzt in ihrem Hauptorgan Vorschläge zu einer gesetzlichen Regelung der Sprachenverhältnisse in Böhmen und wollen jetzt wenigstens zugestehen. daß in den vor­wiegend von Deutschen bewohnten Bezirken die Amtssprache der Behörde ausschließlich deutsch sei; umgekehrt sollte diese Amtssprache ausschließ­lich tschechisch sein, wo die Tschechen die Mehr­heit haben. Auf diese Lösung der Frage könnten die Deutschen dann eingehen, wenn in das Ge­setz eine Bestimmung ausgenommen würde, daß die jetzt als deutsch erklärten Bezirke für alle Zeiten als deutsch gelten sollen, sogar dann, wenn die Tschechen die Majorität auf ihre Seile zu bringen suchen und zwar durch künstliche Einwanderung der Tschechen auf deutschem Gebiet.

Im österreichischen Abgeordneten­haus« ist es am Mittwoch in Abwesenheit des Präsidenten, der die Sitzung wegen großen Lärms unterbrochen hatte, zu Tätlichkeiten zwischen einzelnen Abgeordneten und infolge dessen zu einem förmlichen Kampfe czechischer Abgeordneter gegen Mitglieder der Linken ge­kommen. Es wurde mit den Fäusten geschlagen, es wurden Sessel geschwungen und Wassergläser geworfen. Das Handgemenge dauerte etwa 15 Minuten. Der Präsident erschien darauf wieder und erklärte unter stürmischem Lärm die Sitzung für geschlossen.

Die Dinge in Oe st erreich nehmen ein immer bedenklicheres Ansehen an. Man glaubte bisher, der Gipfel der parlamentarischen Ungeheuerlichkeiten sei mit den gestrigen und vorgestrigen Schlägereien im österreichischen Abgeordnetenhause erreicht worden. Weit gefehlt! Heute haben sich noch schlimmere Dinge zugetragen. Der Straßb. Post geht darüber am 26. Nov. nachm, folgendes Telegramm zu: W i e n. 26 Nov. Abgeordnetenhaus. Präsident v. Abrahamowicz erscheint 11,15 Uhr im Saale, beim Eintritt empfangen mit stürmischen Rufen: Abzug!" Die ganze Linke erhebt sich; zahl­reiche Abgeordnete schreien durcheinander. Nun spielt sich ein Auftritt ab, welcher sich, von der Tribüne gesehen, folgendermaßen darstellt: Sozialdemokrat Berner will sich auf den Präsident stürzen. Es enlspinnt sich ein Kampf zwischen ihm umd den Dienern. Sozialdemokrat Resel schwingt sich über die Ministerbänke und zerreißt die vor dem Präsidenten liegenden Papiere. Andere Sozialdemokraten eilen Berner zu Hilfe und besetzen die Präsidententribüne. Sie ver- langen Genugthuung darüber, daß Resel von einem Diener geschlagen worden sei. Der Präsident wird zur Flucht gezwungen. Zwischen Sozialdemokraten und anderen Abgeordneten entspinnt sich eine Schlägerei. Abgeordneter Berner wird hinaus gedrängt. Inzwischen erscheint die Polizei in einer Stärke von ungefähr siebzig Mann. Der Polizeikommissar fordert die die Präsidententribüne besetzenden Sozialdemokraten auf. die Tribüne zu verlassen. Die Sozial­demokraten leisten Widerstand, werden aber nacheinander von der Polizei mit Gewalt aus dem Saale geführt. Die Polizei bildet um die Pcäsidententribüne einen Ring. Alles dies spielte sich ab. bevor die Sitzung formell eröffnet wurde.

Wien. 26. Nov. Während der Lärm­szenen im Saale des Abgeordnetenhauses erhob sich auch auf der zweiten Galerie ein Tumult. Die Galerie wurde sofort geräumt, das Haus ist von der Sicherheitswache in allen Räumen besetzt. Die Thore sind geschloffen. Die Sitz­ung ist unterbrochen. Ein großes Wachausgebot bewacht das Haus.

In Frankreich neigt man in der Dreyfus- Angelegenheit mehr und mehr der Ansicht zu, daß die auf die Entdeckung von gefährlichen Spionen gesetzte hohe Regierungsbelohnung bis zu 100000 Franken einen oder ein paar Ehr­lose bestimmt hat, ein Komplott zu erdichten und die dazu nötigen Beläge zu fälschen. Auf diese Weise sei Dreyfus das Opfer niedrigster Geld­gier eines Schurken geworden. Es bleibt abzu­warten. ob der Gang der Dinge diese Annahme rechtfertigen wird. Jedenfalls ist die Erregung der gesamten Presse in der zivilisierten Welt über den Fall Dreyfus höchst charakteristisch. Rechtsirrtümer sind überall möglich und kommen leider Gottes! überall vor, und die unschuldig Beurteilten erfreuen sich mit Recht allgemeiner Sympathie. Aber die Aufbauschung des Falles Dreytus zu einer solchen Hauptaktion auch außerhalb Frankreichs ist offenbar nur erfolgt, weil der degradierte Hauptmann Dreyfus ein Jude ist, und die gesamte jüdische Presse für ihn Partei nimmt.

Paris, 26. Nov. General Pellieux empfing heute Vormittag den Obersten Pi cq uarl, Major Esterhazy kam um 11 Uhr zu dem General. Sein Besuch dauerte 1*/, Stunden. Wie verlautet wurde Esterhazy Picquart gegen­übergestellt. Ueber das Verhör des Obersten und über das Ergebnis der Gegenüberstellung ist noch nichts bestimmtes bekannt.

Die spanische Regierung ist einer großen Sorge enthoben. Sie hatte gefürchtet, General Weyler, der bisherige Oberkommandant auf der Insel Kuba, könnte ihr Schwierigkeiten be­reiten, oder gar an die Spitze eines karlistischen Aufstandes treten. Der nach Spanien zurückge­kehrte General hat aber der Regierung seine Loyalität zugcsichert. Auf der Insel Kuba selbst dauern die Kämpfe mit den Aufständischen fort» letztere haben schon wieder einige Tabak- und Zuckerpflanzungen verheert. Ihre Niederlage in kleinen Gefechten sind bedeutungslos, weil sie immer wieder an anderen Orten auftauchen. Die Amnestierung vieler gefangen gehaltener

Kubaner, die der Begünstigung des Aufstandes beschuldigt waren, haben den erwünschten Erfolg auch nicht gehabt, weshalb Marschall Blanco ohne Zweifel die Kampfart seines Vorgängers wird wieder aufnehmen müssen.

Hlnteryattender Teil- Wie ich meinen Schwager kennen ternte.

Das eine Zwillingskind bin ich, das andere ist meine Schwester Trudchen. Daraus, daß ich im Sommer 1870 als wohlbestallter Füsilier mit ins Feld abrückle, ist zu ersehen, daß ich nicht ebenfalls ein Mädchen bin, denn mit den Nachfolgerinnen einer Eleonore Prohaska gab sich das deutsche Heer damals wie heute grund­sätzlich nicht mehr ab. Trotzdem sehe ich meinem lieben Schwesterlein lächerlich ähnlich, imgroßen Jahre" noch viel mehr als jetzt, sintemalen die schönste Manneszierde Lippen und Wangen durchaus noch nicht überschatten wollte» als ich zum wirklichen Krieger aufrückle. Wir harrten eben des Befehls zum Abmarsch nach dem Bahn­hof, als noch eine Depesche an mich einlief: Soeben Trudchen mit Bauführer Richard Rie- mann verlobt, Bräutigam rückt auch ms Feld.

Innige Grüße

Vater, Mutter. Trudchen, Richard."

Erstaunt war ich nicht sehr, denn Trudchen konnte entschieden als ein sehr hübsches Mädel gelten, mit welchem Umstand ich als der andere Zwilling nicht prahlen will. Besagten Herrn Richard Riemann kannte ich nicht; das bereitete mir indessen keine Schmerzen. Aus Königlichen Bauführern können Königliche Baumeister. Bau­räte u. f w. werden, also Leute in recht ange­nehmen Stellungen, die im stände sind, ihren Ehefrauen ein solides Haus zu bauen. Ich kritzelte rasch einen tiefgefühlten Glückwunsch, den der gefällige Depeschenträger gleich mitnahm, und saß eine halbe Stunde später im Eilgut- wagen nach Paris. Leider fuhr der Zug nicht sofort nach seinem eigentlichen Bestimmungsorte durch. Es traten heftige Verkehrsstockungen an der französischen Grenze ein, die vermittelst Aussteigens und größerer Spaziergänge über- wunden werden mußten. Selbst diese Spazier­gänge stießen verschiedene Male auf Schwierig­keiten, und es ereignete sich auch häufig, daß infolge Ueberfüllung der Gasthöfe das reisende Publikum im Freien zu übernachten genötigt war. Bei Gelegenheit eines dieser billigen Fret- quartiere im wunderschönen Monat September goß es vom Himmel wies mit Waschkübeln her­unter. Mit unendlicher Mühe glückte es mir mit meinem Kochkameraden endlich unterZuhilfenahme nassen Holzes und feuchter Streichhölzer auf dem klatschnassen Boden des heiligen Frankreich einem trübqualmenden Feuerchen zu schwindsüchtigem Dasein zu verhelfen. Dem triefenden Brot­beutel entnahmen wir glitschigen speck und auf­geweichten Zwieback; nach fürchterlichem Husten und Pusten entwickelte sich aus diesen Genüssen schließlich wenigstens eine warme Suppe, welche ich allerdings später in den berühmtesten Koch­büchern niemals entdecken konnte. Sie schmeckte aber und das war schließlich der Zweck der Uebung. Nachher bummelte ich, da das Hinsetzen oder Legen in den braunen Matsch mir vor­läufig noch keine Freude machte, ein bischen im Biwack herum und entdeckte dicht hinter dem Platze unseres Bataillons das Lager einer Ponton- Kolonne. Ich hatte die säubern Wasser-Droschken aus Eisenblech noch nie in der Nähe gesehen und suchte nun mit begreiflicher Neugier meine militärische Wissenschaft zu bereichern. Hm» sollte das etwa nicht erlaubt sein? Ein großer, bärtiger Bizefeldwevel von den Pionieren be­obachtete mich so scharf, daß ich anfing, einiger­maßen verlegen zu werden. Durch einen raschen llmblick überzeugte ich mich, daß wenigstens anderthalb Schock meiner Füsilier-Kameraden dem gleichen Forscherdrang huldigten, der meine Brust durchströmte, ohne daß sie deshalb von Pionier-Bizefeldwebeln mit Blicken durchbohrt wurden.

Plötzlich schritt der argwöhnige Brücken­bauer geradeswegs auf mich zu. In nahm er­schrocken die Hände an die Ho>ennaht und richtete mich stramm auf.