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eitage zu Wr. 185 des Gnzthäters.

Neuenbürg, Donnerstag den 25. November 1897.

Württemberg.

Bi etig h ei m. 2t. Nov. Im Ochsen hatten sich gestern gegen 120 Ortssteuerbcamte eingefunden. Dieselben haben Beratungen ge- pflogen über Einreichung einer Eingabe an die Ständekammer, dahin gehend, es möchte der Einzug der Steuer wie bisher beim Amte der betr. Beamten bleiben, da dieselben durch eine Aenderung zu sehr in ihrem Einkommen ge­schmälert würden.

Von der Alb, 19. Nov. Forstwart Weber in Merklingen, einem allgemein beliebten Beamten, wurden vor ca. 8 Tagen 4 Bienen- stücke ausgeschwefclt. Nunmehr sind ihm alle seine Stöcke, 7 an der Zahl, die im Walde Lehr untergcdracht waren, verbrannt worden.

Neresheim, 21.Nov. Im benachbarten Frickingen machten in vor. Woche 2 Arbeiter beim Steingraben im Wald einen Fund von 18 Goldmünzen, die teils größer, teils etwas kleiner als unsere Doppelkronen, aber dünner als diese sind. Die eine Seite der Münzen trägt einen schönen männlichen Kopf, bartlos, die andere Seite einen Engel. Ans der Umschrift kann manJustinian" entziffern.

Vom Härtsfeld, 23. Nov. In dem Walde zwischen Elchingen und Beuren wurden letzter Tage dortselbst befindliche Grabhügel bloßgelegt. Die Vorgefundenen Gegenstände (Waffen, Keule, Aexte rc.) aus Stein lasten darauf schließen, daß cs Gräber aus der ältesten Zeit unserer Vorfahren, aus der sog. Steinzeit sind. Weitere Nachgrabungen dürften wohl noch manches Interessante zu Tage fördern.

Stuttgart. jLandesproduktenbörse. Bericht vom 22. November von dem Vorstand Fritz Kreglinger.j Am Weltmärkte hat sich im Gelreidegeschäft wenig ver­ändert, die Forderungen sind von allen Exportländern anhaltend fest bei knappem Angebot. Aus Argentinien lauten die Erntenachrichten noch widersprechend, jeden­falls wird dieses Land exportfähig sein, über die Qualitäten läßt sich heute natürlich noch nichts Be­stimmtes sagen. Der Bedarf bleibt ein guter, die Landmärkte sind gut befahren und finden die Zufuhren gute Aufnahme. Auf dem Hopfenmarkt war der Verkehr sehr lebhaft. Preise: prima 100125 -ts, mittel 70100 geringe 50-70««. Mehrpreise pr. 100 Kilogr. inkl. Sack: Mehl Nr. 0 : 34 «« ^ bis 35 «« -f, Nr. 1 : 32 bis 33 °«

Nr. 2: 30 50 bis 31 «« 50 Nr. 3: 29«« ^,

bis 29 50 Nr. 4 : 25 «« ^ bis 25 «« 50

Suppengries 34 «kt 50 4 ! bis 35 ^ 50 4 !. Kleie 8 «kt.

Ausland.

Die Dreyfus-Affaire soll, wie aus Paris gerüchtweise gemeldet wird, bereits zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Boisdeffre, dem Chef des französischen General­stabes, und dem Kriegsminister Billot geführt haben. Angeblich wurde der peinliche Auftritt dadurch herbeigeführt, daß Boisdeffre in scharfen Worten Einspruch gegen die von Billot veranlaßte Verhaftung seines Cabinelschefs, der anscheinend in die Dreyfus-Geschichte verwickelt ist, erhobtit hatte. Im klebrigen fluten die Nachrichten über die letztere wild durcheinander, es ist unmöglich in diesem Chaos eine bestimmte Richtungslmie zu erkennen. Zwar bemüht sich die halbamtliche Agenee Havas" durch die Erklärung, weder der Ministerpräsident noch der Kriegsminister haben eineUnterredung mitParlamentsmitgliedern über die Dreyfuß Angelegenheit gehabt, um die in Paris herrschende Erregung wegen derselben zu dämpfen, doch wird dieser offiziöse Be­schwichtigungsversuch nicht viel helfen, der Skandal ist eben schon zu groß geworden.

Paris, 23. Nov. DerFigaro" ist zu der Erklärung ermächtigt, daß, entgegen ander­weitigen Mitteilungen, in den Akten «scheurer- Kestners nicht von anderen Personen als von EstertztM die Rede ist. Die Streitfrage drehe sich Hur darum, ob Dreysus oder Esterhazy der Schuldige sei. Dasselbe Blatt erhält aus Berlin eine Zuschrift, wWach einer der geachtesten Militärattaches einer fremden Macht ausführt, daß die belastenden Schriftstücke, auf Grund

deren Dreyius verurteilt worden ist, niemals in deutschem Besitz gewesen, sondern das Werk eines Fälschers sind. Es handle sich deswegen nicht um einen Verrat, sondern um die That eines Schurken, der die Schriftstücke fälschte und die französische Regierung um den reichen Lohn, den er für seine Entdeckung erhielt, betrogen hat. Die Vermutung klingt nicht unwahrscheinlich. Sic ist bereits vor 2 Tagen von derStraß­burger Post" aufgestellt worden.

Ans Frankreich, 20. Nov. Auf dem von Laval in Versailles eintreffenden Zuge wurden vorgestern zwei Rekruten, welche sich während der Fahrt zum Fenster hinausgelehnt hatten, von einem vorbestausenden anderen Zuge erfaßt und enthauptet. Die blutüberströmten Leichen sanken zum Entsetzen der Mitreisenden in die Wagen zurück und wurden bei der Ankunft in Versailles zum Spital gebracht.

London, 20. Novbr. Große Scharen Menschen strömen heute zu der Brandstätte in der City, wo noch ein Dutzend Dampfspritzen Waffermassen in den glimmenden Feuerherd schleudern. Gegen 300 Firmen sind obdachlos, etwa 50 fünf- und sechsstöckige Lagerhäuser, die zum Teil für das Weihnachtsgeschäft mit Waren überfüllt waren, wurden ein Raub der Flammen. Tausende von Arbeiterinnen, Lagergehilfinnen und Arbeitern sind außer Beschäftigung. Eine ziemlich lebhafte Brise förderte ungemein die rasche Ausdehnung des Feuers durch umher- fliegende Funken. Die Löschmänner und die Zuschauer hörten sehr bald, wie feuerfeste Schränke hier und dort mit mächtigem Krachen durch die Fußböden in die Tiefe stürzten. Die Enge der Straßen behinderte die Anstrengungen der Feuerwehr, auch die alte Kirche St. Giles Cripplegate, wo Milton begrabe» liegt und Ceomwell getraut wurde, die bereits>im großen Londoner Brand Feuer. gefangen batte, geriet wieder in die g>ößte Gefahr, kam jedoch mit einem halb zerstörten Dachstuhl davon. Schließ­lich boten einen wirksamen Damm gegen das Forlschreiten d.r Flammen zwei große Tvch- und Mantel-Lagerhäuser, deren vom Spritzen reichlich mit Wasser getränkten Waren dem Feuer besser Widerstand leisteten, als Steine, Ziegel und Eisen. Erst gegen 10 Uhr gestern Abend vermochte der Feuerwehrchef zu sagen, daß die Feuersbrunst überwältigt sei. Der Gesamtschaden wird auf annähernd 100 Millionen Mark ge­schätzt. Zwei Federngeschäfte haben allein Feder Vorräte im Werte von 300000 «-L verloren. Eine Preissteigerung der Hutfedern wird die Folge sein, heißt es.

Melbourne, 22. Nov. Einer der mit ungeheueren Staubmassen einher­gehenden Weststürme hat in der Freitag-Nacht den nordwestlichen Teil der Kolonie Victoria verheert. Mehrere Städte sind verwüstet. In Simmera sind viele Kirchen und hervorragende Gebäude in Trümmer gelegt. In einer Vtadt erreichte der angerichtete Schaden die Höhe von einer Million Mark.

Zlnterhallender Heit.

Die Brüder Contarelli.

Ein Drama aus der Artistmwelt von Oscar Linden-

Vor etwa zehn Jahren tauchten unter der internationalen Artistenwelt, die Brüder Contarelli auf. Mit einem Schlage hatten sie sich als waghalsige Luflarbeiter einen berühmten Namen gemacht und die betten Männer wurden mit glänzenden Kontrakter fast überhäuft. Jeder, nur irgend einen vorzüglichen Ruf habender Zirkus, wollte die Cintarelli's haben und die verschiedenen Direktoren überboten sich gegen­seitig in den Honoraren. Es war daher kein gar zu großes Wunder, daß die beiden Artisten dadurch in ihren Engagements wählerisch vor- gingen und nur in Zirkussen ersten Ranges auflraten. Zu diesen >ehörte auch der Zirkus C.

Dorthin gingen die Contarelll's, aus

Rußland kommend, ins Engagement. Obwohl ihnen andere Angebote in großer Anzahl Vor­lagen, hatte es doch der jüngere der Brüder durchgesetzt, daß sie zu C.'s Gesellschaft betraten.

Der Grund hiefür sollte nicht lange dem älteren Contarelli ein Geheimnis bleiben.

Es war Miß Ellen Daoons. welche den schlanken und hübschen Pietro Contarelli mächtig anzog. Schon in den ersten Tagen, welche die Brüder bei C. verbrachten, kam es zwischen Pietro und seinem älteren Bruder Giovanni zu Zank und Streit. Die bisher in friedlicher Eintracht lebenden Artisten gerieten nun fast täglich in Meinungsverschiedenheiten, welche oft genügend in Tätlichkeiten ausarleten. Den Anlaß hierzu gab gewöhnlich das leichte, feuerigc Naturell Pietro's der den besonneren und kalt­blütigeren Giovanni unausgesetzt beobachtete und jede Gelegenheit eines Verkehres des Bruders mit Miß Ellen eifersüchtig betrachtete, um sich dann hinterher in bitteren Vorwürfen gegen seinen Genossen zu ergehen.

Miß Davons selbst ahnte den eingetretenen Zwiespalt der Brüder nicht und blieb sich in ihrem Benehmen gegen die Beiden gleich. Persönlich jedoch war die Kunstreiterin dem ruhigen Charakter Giovunni's gewogen, denn dieser sagte ihr mehr zu, als das stets aufgeregte und sofort entflammte Temperament Pietro's.

Dieser schien das zu fühlen, denn in den letzten Tagen wich er demonstrativ einem Verkehr mit der Engländerin aus.

So standen zwischen diesen drei Personen die Dinge, als ein Ereignis eintrat, das im Zirkus C. zu einer fürchterlichen Katastrophe führen sollte.

Es war unmittelbar vor Weihnachten. Direktor C. wollte eine außerordentliche Gala- Vorstellung veranstalten und es war ihm darum zu thun, daß bei derselben die einzelnen Mit­glieder seiner Gesellschaft mit neuen Trics das Publikum überraschen sollten.

Er wandte sich an die Contarelll's und diese sagten dem Direktor eine neue Nummer, und zwar^at sonsatioii" zu.

Giovanni hatte schon lange eine solche in Bereitschaft und setzte sich sofort, nachdem Direktor C. mit ihm gesprochen, mit Pietro in's Ein­vernehmen.

Mache was Du willst, ich bin bei Allem dabei," lautete des Bruders Antwort.

Schon am anderen Vormittag begannen die Contarelll's die Proben zu dem neuen Schaustück.

Es war eine halsbrecherische, Tod und Gefahr bringende Arbeit, welche die Brüder dem Publikum bringen wollten.

Von dem höchsten Punkte der Arena hingen lose zwei Seile in die Manege herab, in einem gegenseitigen Abstande von etwa fünf Metern und hier führten die Contarelll's ihre Arbeit in der Weise aus, daß der Aeltere den Jüngeren, der sich mit dem losen Seil zu ihm herüber­schleuderte, mit dem einen Arm auffing und dann sofort sich kräftig abstieß, um im Fluge auf das leere Seil Pietro's hinüber zu gelangen, worauf der Tric noch dreimal wiederholt wurde und zum Schluffe die beiden Brüder sich durch einsalto mortale" in das unten gespannte Sichechcitsnetz fallen ließen.

Daß diese gefährliche Arbeit Aufmerksamkeit, Ruhe und sicheres Auge erforderte, das wird man wohl begreifen und daß bei den Proben es manche Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden Artisten gab, war bei dem Naturell Pietro's etwas ganz selbstverständliches und zu dem trug der junge Mann eine sonderbare Er­regung zur Schau, welche selbst den sonst sehr kaltblütigen Giovanni befürchten ließ, daß die Sensationsnummer schändlich, mißlingen werde. Doch diese Befürchtung des Aelteren schwand schon nach der dritten Probe vollkommen und er gab sich über Pietro vollkommener Ruhe hin.