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Württemberg.

Reutlingen, 25. Oktbr. Am gestrigen Sonntag fand dahier die Herbstversammlung des Albvereins statt. Der Stuttgarter Frühzug brachte allmählich Hunderte von Alb- ausflüglern, von denen die Mehrzahl auf Station Metzingen zu genußreichem Bergstieg die Wogen verließ. Vorstand Camerer warf einen Rück­blick auf die Vereinsthätigkeit im vergangenen Jahr, die allenthalben größte Rührigkeit an den Tag lege. Auch künftig wolle der Verein rüstig, aber ruhig fvrtarbeiten. Namens des Heuberg- Baargaus bat Prof. Dr. H a a g - Rottweil um kräftige Unterstützung des Lembergturmbaues. Hs seien noch fast 1000 aufzubringen. Bei dieser Gelegenheit wird ausgesprochen, daß die Unterhaltung der Turmbauten Sache der Gaue sei. Die Auflage der Blätter des Vereins wird für 1898 auf 24000 Exemplare bemessen. Die Ausgabe der prächtigen fünffarbigen General­karte wird 1898 fortgesetzt Es kommen heraus Blatt 5, Stuttgart und 6. Ellwangen. Der vom Verein auf den Verbandstag Deutscher Touristen- Vcreine nach Koburg entsandte Rechner Ströhm- feld erstattete sodann über die dortigen Ver­handlungen und Beschlüsse eingehendes Referat. Man beschloß u. a., bei Regierung und Ständen in Verbindung mit dem deutschen Eisenbahn- Reformverein kräftigst auf Vereinfachung und Verbilligung der Tarife hinzuwirken. Die Reut- linger Versammlung billigt die Zustimmung ihres Vertreters. Bon besonderer Wichtigkeit war die nun folgende Eijenbahntariffrage. Vor­stand Camerer, Rechner Ströhmfeld u. A. sprachen in längeren Ausführungen darüber. Der Vorstand teilte als Antrag des Ausschusses mit, es soll durch eine Eingabe maßgebenden Orts auf Verbilligung und Vereinfachung des Personenfahrtarifs, sei es durch Einführung des verbesserten Kilometerhefts oder durch Herabsetz, ung der jetzigen Grundtoxe, hingewirkl werden. Ströhmfeld hatte in längeren Ausführungen die Verschiedenartigkeit der deutschen Tarifsätze, die Reformbestrebungen der Eijenbahnverwaltungen, unter denen die badischen und württembergischen in ihrer Bereitwilligkeit, den modernen Bedürf­nissen nach Möglichkeit Rechnung zu tragen, rühmend voranzustellen sind, endlich die Reform- thäligkeit der Vorkämpfer Jacob in Baden und Oberamtsarzt Dr. Mülberger in Crailsheim beleuchtet. Utopistisch sei der Zonentarif, ideal als Ziel die Kilometermarke. Der Antrag des Ausschusses wurde hierauf mit lautem Bei- fall angenommen

Stuttgart, 27. Okt. Baron v. Horn, um dessen Persönlichleit sich während seines hiesigen Aufenthaltes ein Kreis von Abenteuer­lichen Gerüchten gebildet, ist nicht, wie es hieß, umgekommen, sondern lebt herrlich und in Freuden in der Stadt Singapore, wo er sich den Namen eines Prinzen Tzaro beigelegt. Die Nachricht, daß Herr v. Horn neuerdings wieder zu Geld gekommen, wird seine vielen hiesigen Gläubiger zweifellos interessieren.

Weinsberg, 29. Oktober. Die gestern Mittag im Ratssaal stattgesundene Weinmost­versteigerung der Weingärtner - Gesellschaft hier war im Vergleiche gegen frühere Jahre sehr schwach besucht. Der Grund liegt wohl in dem geringen Quantum, welches Heuer seilgeboten werden konnte, nämlich nur 150 lll gegen fernd 830 lll und 1895 1270 lll. Die Steigerungs­lust war sehr flau.

In den Fürst!. Hohenlohe-Langenburg'schen Weinbergen bei Weikersheim beginnt die Weinlese erst am 1. November. Da die Weinberge noch vollständig belaubt sind, so haben die Trauben durch das so schöne Wetter der letzten Wochen noch sehr viel gewonnen. Der neue Wein kommt erst zur öfsentl. Versteigerung, nachdem er im geheizten Gähr- keller die stürmische Währung durchgemacht hat.

Ausland.

Paris, 29 Okt. Die Erklärung des bekannten und allgemein geachteten Senators Scheurer-Kestner, daß der wegen Spionage ver­urteilte Hauptmann Dreyfus unschuldig sei, ruft in Paris eine begreifliche Erregung hervor.

Man wird ruhig abwarten müssen, ob dem Senator und seinen Freunden die Beweisführung gelingen wird. Die Franzosen müssen jedoch in erster Linie in unparteiischer Weise Nach­forschungen anstellen, denn die zahlreichen Rechtsirrtümer der letzten Zeit beweisen jedoch, daß Menschen, selbst bei ihrer besten Ueber- zeugung, irren können.

In der französischen Hauptstadt ist nur noch eine Ruine von der wilden Thätigkeit der Kommunarden und ihrer Petroleusen übrig, nachdem die Ruinen des Tuilerien - Palastes gänzlich dem Erdboden gleich gemacht sind; es ist das Palais am Quai d'Ossay, worin 1870 der französische Rechnungshof sich befand. Die Orleans-Bahn will ihren Bahnhof, der bis jetzt ziemlich weit draußen an der Peripherie der Stadt liegt, bis in die Mitte der Stadt herein zu diesem Palais entlang der Seine führen und an der Stelle der Ruine einen prachtvollen Bahnhof errichten, der bis zur Ausstellung im Jahre 1900 fertig sein soll. Die Mehrheit der Dcputiertenkammer ist dem Projekt durchaus geneigt, die Ruine ist eben doch etwas häßliches und überdies will die genannte Bahngefellschaft über 7'/, Millionen dafür bezahlen. Einer der kommenden Männer Frankreichs, der schon bei der letzten Präsidentenwahl wohl stark in den Wurf gekommen war, Waldeck-Rousseau hat kürzlich in Reims eine Rede gehalten, worin er die Möglichkeit einer Koalition in der De­putiertenkammer zum Sturze des Ministeriums als vorhanden darstellte, für diesen Fall aber eine Auflösung der Kammer forderte, da nur ein stabiles Ministerium alle Beamtenverhält» nisse re übersehen und so Ersparnisse durch­führen könne, welche für Frankreich dringend nötig seien Der französische Handelsminister Boucher hat in Nancy eine Rede gehalten, worin er vom Nichtsvergessen und Jmmerhoffen sprach und so in ganz auffälliger und für einen aktiven Minister eigentlich unmöglicher Weise der Revanche-Idee Ausdruck gab. Ob der Vorgang zu Vorstellungen seitens der deutschen Botschaft führen wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls zeigt er, daß wir Deutschen in unseren militärischen Rüstungen nicht Nachlassen dürfen.

Die Kolomalgruppe der französischen Deputiertenkammer hat sich für Genehmigung des deutsch-französischen Togo-Abkommens aus­gesprochen. Dagegen beschloß sie, bezüglich der schwebenden Unterhandlungen zwischen Frank­reich und England wegen der Ländereien am Nigerbogen, den Minister Hanotanx zur ener­gischen Wahrung der dortigen Rechte Frankreichs aufzufordern.

Die italienische Regierung hat beschlossen. zweineueKriegsschiffeersterKlasse, die je 28 Will. Lire kosten sollen, bauen zu lassen.

Die Verhandlungen zu einem definitiven Friedensschluß zwischen der Türkei und Griechenland sind in Konstantinopel nun­mehr an einem sogenannten toten Punkt ange­langt. Vor dem König hatten die Griechen bei etwaigen Prozessen mit den Türken im ganzen türkischen Reiche eine besondere Gerichts­barkeit, welche ihnen die Piorte nicht mehr ein­räumen will. Die griechischen Unterhändler haben die Vermittlung der Botschafter der Groß­mächte angerufen, aber wenn die Türken fest auf ihrem Standpunkte verharren, werden sich die Griechen fügen müssen. Zur Lösung der kretischen Frage hat die Pforte ihre Vorschläge in folgende Punkte zusammengefaßt: Vollständige Autonomie der Insel unter Souveränität des Sultans, Ernennung des Generalgouverneurs, der türkischer Unterthan, wenn auch christlicher Religion sein soll durch den Sultan, Garantie des Lebens und des Eigentums der muselmani­schen Bevölkerung Kretas, Aufrechterhaltung von türkischen Garnisonen und Belastung türkischer Kriegsschiffe an den Punkten der Insel, wo sie nötig seien, Ausübung aller Rechte der Ver­waltung und Justiz im Namen des Sultans, Zahlung eines festen Jahreslributs an die Türkei und Beibehaltung der türkischen Flagge für alle kretischen Handelsschiffe. Nach der Aeußerung eines Botschafters in Konstantinopel soll die

kretische Frage binnen Monatsfrist gelöst sein. Wie aber die Großmächie sich zu diesen türkischen Vorschlägen stellen. ist bis jetzt noch nicht be­kannt.

In Washington haben vergangene Woche die Konferenzverhandlungen zwischen den Vertretern Nordamerikas Rußlands und Japans zur Regelung der Streitfrage der Robben, si scheret im BehringSmeere begonnen. England ist dieser Konferenz arollend fern­geblieben, da es die Interessen Rußlands und Japans im Behringsmecc nicht anerkennen will.

Aus Belgien, 28 Okt. In der Ort­schaft Bois de VlllierS wurde, wie aus Brüssel berichtet wird, der zweiunbneunzigjäbrige Haus- besitzer Diet, seine Frau und seine Tochter von einer Räuberbande erdrosselt und beraub t. Die Räuber, von denen bisher keine Spur zu finden ist, raubien eine große Summe Bargeld.

Kurdische Greuel. Die Kurden über­fielen in den persischen Grenzprovinzen zahlreiche christliche Dörfer. Mehrere Hundert Christen sind getötet worden. Rußland hat dagegen protestiert. Daß Rußland der Türkei gegenüber als Schutzmacht der persischen Christen auftritt (die bekanntlich meist von amerikanischen Missionaren bekehrt worden sind) ist bezeichnend für die Lage im Orient.

Neformationsfest.

Dein Wort ist unsers Fußes Leuchte,

Auf unserm Wege ist's ein Licht,

Wenn wir in seinem Scheine wandeln, So fehlen wir des Lichtes nicht;

Ihr Pilger, die ihr schweren Herzens Durch Wüstenei und Wildnis reist,

Folgt nur vertrauensvoll den Pfaden, Die euch das Wort der Wahrheit weist.

Es ist das Wort euch doch nicht ferne, Zu euern Füßen leuchtet's ja,

Und wenn ihr treulich darauf achtet,

So bleibt es euch beständig nah;

Kein Dunkel giebt's, das es nicht lichtet, Kein Schatten ist, der ihm nicht weicht, Auch ist kein Stern am weiten Himmel, Der nicht vor seinem Glanz erbleicht.

Wohlan, wir ziehn im Licht des Wortes, Wir wollen keinen Hellern Schein;

Nur fröhlich weiter! Denn wir werden Schon auf dem rechten Wege sein;

Du aber leuchte, Licht von oben,

Mir freundlich jetzt am dunkeln Ort,

Und wenn einst meme Augen brechen, So leuchte mir im Herzen fort!

Telegramme.

Berlin, 29. Okt. Nachdem der Bundes­rat seine Plenarsitzungen wieder ausgenommen hat, wird demnächst der Entwurf der Militär- strafprozeßocdnung zur Beratung und Beschluß- ! fassung gelangen. Damit ist die Vorlage des > Entwurfs an den Reichstag gesichert. Der Kaiser stattete heute Nachmiltag vor der Abreise nach Liebenberg dem Reichskanzler einen längeren Besuch ab.

Darmstadt, 29. Okt. Der Zar und die Zarin reisten heule Vormittag 10 Uhr ab, von dem Großherzog und der Großherzogin nach dem Bahnhof geleitet, wo die übrigen Fürstlichkeiten bereits sämtlich eingetroffen waren.

Eisenach, 29. Okt. Das russische Kaiserpaar ist pünktlich hier eingetroffen. Der Großherzog und der Erbgroßherzog begaben, sich in den kaiserlichen Wagen. Der Großherzvg überreichte der Kaiserin einen prachtvollen Blumenstrauß. Nach 20 Minuten reiste das Kaiserpaar weiter.

Karlsruhe, 29. Okt. Nach den letzten Wahlnachrichten haben die Nationalliberalen Lörrach-Land behauptet, Heidelberg-Land hat dagegen antisemitisch gewählt. Nach dem nun­mehr vorliegenden Gesamtergebnis der Wahlen wird die Zweite Kammer sich folgendermaßen znsammensetzen: 27 Nationalliberale, 21 Zen­trumsmitglieder, 5 Sozialdemokraten, 5 Demo­kraten, 2 Konservative, 2 Antisemiten und 1 Freisinniger.

Mit einer Beilage.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.