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eitage zu Wr. 171 des Knzthüters.

Neuenbürg, Sonntag den 31. Oktober 1897.

Deutsches Zteich. Schwurgerichte.

Zwei Urteile deutscher Schwurgerichte be­schäftigen die öffentliche Meinung. Sie betreffen den Wahrspruch der Geschworenen in zwei Mordfällen. In dem einen Falle wurde einem Barbier in Berlin vorgeworfen, seine erwachsene Tochter absichtlich aus der im vierten Stock belegenen Wohnung in den Hof geschleudert und dadurch ihren Tod herbeigeführt zu haben. In dem andern Falle handelte es sich um die Er­mordung eines Soldatrn in Kolmar im Elsaß. In beiden Fällen hatten die Geschworenen auf Nichtschuldig erkannt, obwohl der objektive That- bestand, welcher der Anklage zu Grunde lag, gar keinen Zweifel an der Schuld der Ange­klagten zuließ. In Berlin hatten die Ge­schworenen mutmaßlich sinnlose Trunkenheit des Angeklagten als sirafeausschließenden Umstand angesehen; in Kolmar scheint die nationale Leidenschaft die kühle Beurteilung der Ge­schworenen gefesselt zu haben.

Da die Geschworenen nicht verpflichtet sind, ihren Wahrspruch näher zu begründen, entzieht sich hier und dort das Motiv ihrer Entscheidung einer Erörterung. Aber in beiden Fällen wider­spricht dieselbe dem Rechtsbewußtsein des Volkes, und insofern ist sie geeignet, die allgemeinen Rechtsanschauungen zu verwirren und die Recht­sprechung der Schwurgerichte im gesunden Volks­urteil herabzusetzen.

Viele Geschworene lassen sich leicht durch äußere Umstände, durch das Verhalten des Angeklagten während der Verhandlungen, durch geschickte Einwirkung der Verteidigung auf ihr Temperament u. s. w. in der nüchternen Wür­digung der thatsächlichen Verhältnisse beeinflussen und leicht für die Vorstellung gewinnen, daß sie überhaupt berufen sind, Gnade anstatt des Rechts walten zu lassen. Nur so wird es erklärlich, daß ihre Wahrsprüche oft dem Recht und auch dem Rechtsgefühl des Volkes direkt widersprechen.

Der Geschworene hat indessen ganz und gar nicht die Aufgabe, schuldige Personen ihrer Bestrafung zu entziehen und seiner Gnade zu unterstellen. Das Begnadigungsrecht ist ein ausschließliches Recht der Krone, und wer es ihr aus irgend welchen, noch so entschuldbaren Gründen zu entziehen sucht, begeht einen unzu­lässigen Eingriff in die verfassungsmäßigen Rechte des Staatsoberhaupts. Die bürgerliche Rechts­gemeinschaft hat ein unmittelbares Interesse daran, daß jede Rechtsverletzung auch eine Sühne nach den Vorschriften des Gesetzes erhält. Die Geschworenen sollen hierzu Mitwirken und zwar in der Art, daß sie im Einzelfalle alle Umstände berücksichtigen, welche aus den Willen des Thäters eingewirkt haben. Sie können gegebenenfalls ebenso gut zur strengsten wie zur mildesten Beurteilung aller Thatumstände gelangen. In allen Fällen soll in ihrem Wahrspruch das Recht eine Anerkennung und das Rechtsempfinden oes Volkes einen klaren Ausdruck erhalten.;

Finden die Geschworenen, daß der Einzel­fall zwar strafbar, aber unter menschlicher Würdigung aller Verhältnisse eine mildere oder andere Sühne verdient, als das Gesetz zuläßt, so können sie den Thäter der Gnade des Kaisers empfehlen, sie selbst haben kein Recht zur Be­gnadigung. Darnach bemißt sich das Amt der Geschworenen ganz bestimmt. Es ist ein inhalts­reiches Ehrenamt, und so berührt auch, sein Mißbrauch peinlich. Wahrsprüche, wie öle in Rede stehenden, sind geeignet , die Einrichtung der Schwurgerichte minderwertig zu machen, und das liegt nicht im allgemeinen Interesse.

Staats lotterien. Ein Antrag im bayerischen Landtag auf Einführung einer Klassinlotterie nach preußischem Muster in Bayern hat eine entschiedene Zurückweisung von seiten des Ministers Freiherrn v. Riedel erfahren.

I Dies gab der freisinnigen Presse hinreichenden Anlaß, über die Lotterie, besonders die vom Staate geleitete, den Siab zu brechen und die Aufhebung der preußischen Staatslotterie zu foidern. Es giebk in allen Parteilagcrn Gegner des Lolt rieipikls. Aber die preußische Slaals- lottcrie ist ein so alles Institut und beruht auf so soliden Grundlagen, daß sie den gegen das Lollcriewesen gemeinhin geltend gemachten Ein­wendungen cnlrückl ist. Daß durch die preußische Lotterie die Spielleidenschast des Volkes genährt wird, ist ein Vorwurf von nur theoretischer Berichtigung; praktisch hat er keine Bedeutung. Mit dem Hazndspiel kann die preußische Staats- lottcrie auch nicht entfernt in Verbindung ge> bracht w.rden Wohl ober kommt sie einem angeborenen Zuge der Menschennatur entgegen, indem sie der Hoffnung des geplagten Menschen auf eine B.sserung seines Loses Rechnung trägt. Der Staat giwinnl aus seiner Lotterie eine E nnahme von etwa lO Millionen Mark, welche den Charakter einer freiwilligen Steuer der Bürger tiägt. Sie müßte anderweitig gesetzt werden, wtnn die Staatslotterie beseitigt würde und darüber würden sich wahrscheinlich die Gegner d-s Lotteriefpiels riech mehr entrüsten. Man kann die Neueinsührung einer Staats lotterte beanstanden. Aber wo sic durch eine langjährige Tradition gerechtfertigt ist, sprechen für d-n Fortbestand gute Gründe.

Betriebsunternehmer und Krankcnversicherungsgesetz In den Kreisen der kleinern Betriebsunternehmer bestiht noch hier und da die Ansicht, daß, wenn sie die bei ihnen beschäftigten versieh rungs pfl chtigen Arbeiter nicht bei der Krankenkasse anmcld.n, eine Verpflichtung zur Zahlung der Kasscnbeilräge auch nicht bestände. Wenn ver­schiedene Ortskranklnkassen immer noch zu der Klage Anlaß haben, daß die Bestimmungen des Krankenversichcrungsgesetzes über die Anmeldung der versicherungspflichtigen Personen durch die Arbeitgeber vielfach nur ungenügend beachtet würden und ihnen hierdurch Beiträge entgingen, zu deren Bezug sie berechtigt sind, so dürfte die Ursache davon recht oft auf jene Anschauung zurückzusühren sein. Es darf deshalb darauf aufmerksam gemacht werden, daß nicht die Anmeldung bei der Kasse, sondern der Ein­tritt in die versichcrungspflichtige Beschäftigung die Versicherung begründet. Unterstützungs berechtigt ist also im Eckrankungssalle auch ei» nicht angemeldeter Arbeiter. Jeder Arbeitgeber, für dessen Arbeiter eine Orrskrankenkasse oder die Gemeindekrankenversicherung zuständig ist, hat die Beipflichtung zur Anmeldung und Ab- Meldung aller seiner Arbeiter, die nicht einer die gesetzlich vorgejchriebenen Mindestleistungen ge­währenden Hilfskasse angehören. Die Meldung muß, falls das Statut nichts anderes bestimmt, innerhalb dreier Tage seit dem Beginnen oder der Beendigung der Beschäftigung erfolgen.

Zu diu Gewohnheiten vieler Deutschen gehört die Klage über diehohen Steuer u." Und doch sind wir unvergleichlich weniger be­lastet, als die Bewohner anderer Länder In Italien beispielsweise Hot der Staatsbürger dem Fiskus 20 P>oz. von seinem Einkommen abzugebcn, soweit cs aus den Zinsen von Staatspapiercn und vom Staate garantierten Schuldentiteln stammt, 15 Proz., soweit cs aus andern Kapitalsanlogen. Aktien, Obligationen von Aktiengestllschasten, Hypotheken u. s w. heirührt. Der Gewerbetreibende und der Fabrikant haben 10 Proz., der Arzt, der Advokat, der Arbeiter, überhaupt jeder, dessen Einkommen der Ertrag seiner Arbeit ist, 9 Proz und der Staatsbeamte 7'/» Proz. zu bezahlen. Da sind doch wir Deutschen wahrlich besser daran; denn zu der dirrkten Einkommensteuer, die der Staat erhebt, gesellen sich in Italien die Kommunal- Abgaben in der Gestalt der Lassa äi tauüglia und die zahllosen, ungeheuer hohen indirekten Abgaben, welche die dem Volke unentbehrlichsten

Verbrauchsartikel, das Brot, das Salz, den Zucker, das Petroleum, auf Preise treiben, welche die in Deutschland üblichen um das Vielfache überlrrffen

Eine für sämtliche Konsumvereine und diesen in Einrichtungen und Zielen nach stehende Genossenschaften bedeutsame Ent­scheidung hat das Oderlandisgericht in Posen in der Reoffionsinstan; gefällt. Es waren l7 Verkäufer und Verkäuferinnen, sowie 16 Vor­standsmitglieder der Posencr Beamien-V.reinig- ung, weil sie Backwaren, die in der eigenen Bäckerei hergestellt waren, an Nichtmitglieder verkauft hatten, in den ersten beiden Instanzen zu Geldstrafen verurteilt worden. Das Ober- landcsgcricht entschied nun im Gegensatz zu den beiden Vorinstanzen dahin, daß die Vereinigung in Bezug auf den Verkauf von selbst hergestilltcn Backwaren mcht als Konsumverein, sondern als Produktiv Genossenschaft anzusehen sei. Die Urteile der Vortnstanzcn wurden deshalb auf­gehoben und die Angeklagten, unter denen sich höhere Verwaltungs- und Gerichlsbeamte be­fanden, freigrsprochen. Dieses Urteil ist durch cin w iteres R.chtsmittel nicht mehr anfechtbar.

lieber die Höhe des Finderlohns herrschen im Publ kam häufig irrige Anschau­ungen. Das neue bürgerliche Gesetzbuch schafft hierin Wandel. Vom 1. Januar 1900 av beträgt derselbe vom Wert der Sache bis 300 Mark 5 Mk. vom Hundert, von dem Mehrwert 1 vom Hundert, bei Tieren 1 vom Hundert. Der Anlpruch auf Finderlohn ist ausgeschlossen, wcnn der Finder die Anzeigcpflicht (unverzügliche Anzeige) verlrtzt oder den Fund aus Nachfrage verheimlicht.

Unterhaltender Heil.

Die letzten Gravensteiner.

Kriminal-Novelle von C. Meerfeld t.

(Fortsetzung)

Das Wiedersehen zwischen Vater undTocht.r gestaltete sich zu einer wahrhaft erschütternden Szene. Dem harten Manne liefen die Hellen Thränen über die weltergebräunten Wangen, als er sein Kind in die Arme schloß; denn sie allein hatte während dieser unendlich langen, ^ schlaflosen Nacht alle seine Gedanken bcschä>ligt. Auch L sdeth drängle die Thränen, die ihr heiß in die Augen stiegen, nicht zurück und barg ihr Köpfchen lange schluchzend an des Vaters Brust. Ader sie hatte sich gelobt, ihm seine entsetzliche Lage nicht durch das Jammern und Wehklagen noch unerträglicher zu machen, und so zwang sie sich denn bald wieder zur Fassung und Ruhe, und so unsäglich schwer cs ihr auch wurde, es gelang ihr doch, als sie das liebliche Antlitz zu ihm erhob, unter Thränen zu lächeln und ihn mit fester Stimme zu bitten, daß er sich um sie nicht ängstigen möchte, da sie seiner baldigen Heimkehr gewiß sei.

Aber nicht wahr, lieber Vater." fügte sie hinzu,ich darf inzwischen unsere Hadseligkenen zusammenpacken, damit wir noch in der nämlichen Stunde, in welcher sich dieser unglückselige Irr­tum aufgeklärt hat, das Gat und die Gegend verlassen können. Nicht wahr wir werden weit von hier Weggehen, recht, recht weil?"

Der.strr schaute sie an unv streichelte jaust ihr jkid.nweiches Haar.

Darüber laß uns reden, mein K>nd, wenn ich meine Freiheit wieder erlangt habe," sagte er.Auch mich scsselt hier nichts mehr; denn cin Oct, an dem mir das gescheh n konnte, muß mir wohl der verhaßteste auf der ganzen Welt sein. Alur trotzdem" und eine finstere Ent­schloss, nhcit klang dabei aus seinen Worten trotzdem werde ich nicht eher von hier gehen bis der Mörder des Oberst wirklich gesunden ist, und bis alle Diejenigen, welche mit teuflischer List dieses Schicksal mir bereitet haben, ihrer gerechten Strafe überliefert sind. Diese grauen, volle Nacht soll ihnen wahrscheinlich nicht ge-

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