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eitage zu Wr. 156 des Anztbäters.
Neuenbürg, Dienstag den 5. Otober 1897.
Das Koalitionsrecht.
Einer der wichtigsten Beratungsgegenstände auf der soeben in Köln abgehaltenen Versamm- lung des „Vereins für Sozialpolitik" bildete das Koalitionsrecht und die Koalitionsfreiheit der Arbeiter. Das Referat des Geheimen Justiz- rats Prostssor Dr Löning in Halle über diesen Gegenstand enthält mancherlei Gesichtspunkte, die der Zustimmung aller staatserhaltcnden Kreise sicher sein dürsten. Der Verfasser läßt sich nicht blos von theoretischen Erwägungen leiten, sondern hat daneben auch den Erfahrungen des praktischen Lebens einen maßgebenden Einfluß auf die Gistaltung seiner Ansichten und Forderungen verstattet. Besonders ein Umstand verdient in dieser Hinsicht Beachtung.
Der Terrorismus der koalierten Arbeiter ist, wie jeder unbefangene Beobachter des modernen wirtschaftlichen Lebens zugeben muß, in bedrohlichem Wachstum begriffen. Wenn, wie dies in Gera seitens des Holzarbeiter Verbandes geschehen ist, die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter einfach erklären, die Arbeit niederlegen zu müssen, falls die außerhalb des Verbandes stehenden Arbeiter nicht entlassen würden, so bedeutet ein solches Vorgehen in seinen Folgen doch nichts anderes als die Vernichtung jeglichen Unternehmerrechts und zugleich die Aufhebung der persönlichen Freiheit des einzelnen Arbeiters. Dem letzter» Zwecke dient auch die lange Reihe von Einschüchterungen und Vergewaltigungen, denen die Arbeitswilligen bei allen größeren Arbeitseinstellungen der letzten Zeit ausgesetzt gewesen sind.
Den Streikenden ist das Verständnis dafür abhanden gekommen, daß es ein einfaches Gebot der Gerechtigkeit ist, die Freiheit, die man für sich selbst in Anspruch nimmt, auch andern Leuten zuzugestehcn. Selbst vor schweren Ber- gehen und Verbrechen scheuen die Streikenden nicht zurück, um die Beteiligung an der Arbeitseinstellung zu erzwingen. Professor Löning er- kennt diese Thatsachen unumwunden an; maßgebend für ihn sind insbesondere die Erfahrungen, die der große Ausstand der Hamburger Hafenarbeiter 1896/97 gebracht hat. Und ln der That, die blutigen Ereignisse von damals reden eine deutliche Sprache. Aber auch zahlreiche andere Orte sind bereits der Schauplatz ähnlicher Dinge geworden. Im Bielefelder Maurer- stretk hat das Verhalten der Streikenden zu vielfachen Aburteilungen geführt; im oberschles- sischen Kohlenrevier sind neuerdings arbeitende Bergleute von ihren streikenden Genossen überfallen und mit Steinen geworfen worden; während des Ausstandes der Baggerarbeiter in Harburg wurde ein Arbeiter von feiernden Burschen mit Messern arg zugcrichtet. So ließe sich die Reihe noch endlos verlängern.
Angesichts solcher Erfahrungen wirst nun Löning die Frage auf, ob durch die Bestimmungen des deurfchen Strafgesetzbuches und der G?- werbcordnung die Freiheit der Willensentschluß ung für diejenigen Arbeiter, welche sich an einer Koalition nicht beteiligen oder einen Streik nicht mitmachen wollen, genügend geschützt sei, und er gelangt zu einer verneinenden Antwort. Auf Grund dieses Urteils fordert er daher eine Verschärfung der betreffenden Strafbestimmungen, um die perjönliche Freiheit der Arbeiter gegen Angriffe, die von den Arbeitern selbst ausgehcn, wirksamer als bisher zu sichern. Indem der Staat die Koalitionsfreiheit gewährt, ist er auch verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß nicht von einem Teile der Arbeiter gegen den andern ein Koalitionszwang ausgeübt werde.
Die Ueberzeugung von der Notwendigkeit eines ausreichenden Schutzes des einzelnen Ar- beiters wider die Vergewaltigung organisierter oder streikender Genossen dürfte unter den Männern des praktischen Lebens allgemein verbreitet fein.
Unterhaltender Heil.
Die letzten Gravensteiner.
Kriminal-Novelle von C. M e e r f e l d t.
(Fortsetzung)
Um dieselbe Zeit, als sich im Bibliothekszimmer seines Schlosses diese kurze, leidenschaftliche Szene abspielte, unternahm der Besitzer des ausgedehnten Ritterguts, alter Gewohnheit folgend, seinen Jnspektionsritt durch die Felder, Schon vor mehreren Jihren hatte der Oberst von Gcaoenstein beim Tode seines untrer- heirateten älteren Bruders, dessen einziger Erbe er war, seinen Abschied genommen, um sich mit ganzer Kraft der Verwaltung seiner großen Besitzungen widmen zu können, und er wurde unter den großen Grundeigentümern der Provinz mit Recht als einer der rührigsten und erfolgreichsten angesehen. Alle seine Beamten kannten ihn als einen aufmerksamen und strengen Herrn, dem man wegen seiner Unnachsichtigkeit wohl wenig Zuneigung entgegengebracht haben würde, wenn er nicht zugleich ebenso gerecht als streng gewesen wäre.
Auch heute hatte der Oberst — er ließ sich nur mit diesem militärischen Titel anreden
— bei seinem Ritt wiederholt Veranlassung zu Unzufriedenheit und Tadel gehabt, und nicht eben m der besten Stimmung wendete er sein Pferd zum Heimritt. Auf dem breiten Wege, der am Rande des Waldes hinlief, holte er einen rüstig ausschreitenden Mann ein, dessen von Wind und Wetter tüchtig mitgenommenen Jägeranzug, ebenso wie die Doppelbüchse, welche er auf dem Rücken trug, den berufsmäßigen Waidmann erkennen ließen. Er schien in Gedanken verloren zu sein und hatte das Näherkommcn des Reiters auf dem weichen Sandboden Wohl überhört. Erst als ihm der Oberst einen kurzen Gruß zurief, drehte er sich um und lüftete ehrerbietig seine Mütze. Die beiden Männer mochten wohl in gleichem Alter sein, die Gesichter Beider hatte die jahrlange Einwirkung von Sonne und Luft gebräunt, und bei Beiden hatte sich der blonde Schnurbart schon mehr als zur Hälfte grau gefärbt. Sie halten in Haltung und Bewegungen viele Aehnlichkeit miteinander und cs schien auch, als wenn dem Oberst gerade diese Begegnung lieber sei, als irgend eine andere.
„Guten Tag, Herr Förster," sagte er. „Verwünscht schwüle Luft heute. Ich wollte, wir bekämen ein tüchtiges Donnerwetter!"
„Daran wird es nicht fehlen!" gab der Andere zurück. „Es zieht noch vor abends herauf, Herr Oberst!"
„Sollte mir lieb sein, wenn Sie recht prophezeihen!" Es thut not, daß die Luft gereinigt wird!"
„Ja, das thut not, Herr Oberst!" antwortete der Jäger mit beinahe rauhem Ton und mit einem Seufzer, der wenig zu dem harmlosen Gegenstand ihres Gespräches Possen wollte. Dann ging er eine gute Strecke schweigend neben dem Reiter her, der sein Pferd jetzt zu langsamer Gangart angehalten hatte und der nach einer Weile fragte:
„Wie steht es mit den Wilderern, Förster?
— Haben Sie wieder etwas von Ihnen gemerkt?"
„Leider ja! Aber der Kerl ist mir heute noch einmal entwischt!"
„Haben Sie vielleicht schon einen bestimmten Verdacht?"
„Einen ganz bestimmten. Herr Oberst!"
„Es kann doch am Ende nur einer von meinen Gutslcuten sein! Aber an Geschicklichkeit scheint cs ihm nicht zu fehlen, wenn nicht einmal Sie ihn zu erwischen vermögen! — Bin doch neugierig, gegen wen sich Ihr Argwohn richtet,"
„Der Herr Oberst wissen es, ehe ich cs gesagt habe! — Aber was hilft es. da Sie mir's jetzt so wenig glauben werden als früher!"
Herr von Gravenstein runzelte die Stirn und strich sich ungeduldig den Schnurrbart.
„Wollen Sie mir schon wieder mit dem alten Liede kommen, Hagemelster? — Sie müssen wahrhaftig einen grimmen Haß auf den Martin haben, wenn Ihr Verdacht immer auf ihn fallen kann. — Und doch haben Sie ihm noch niemals eine Ungerechtigkeit Nachweisen können!"
„Er ist eben mit allen Hunden gehetzt, Herr Oberst. UebrigenS habe ich gegen ihn keinen grimmigeren Haß, als gegen jeden anderen Schleicher und hinterlistigen Hallunken."
„Nun nun, von einem Menschen, dem man nichts Uebles Nachweisen kann, sollte man nicht mit so harten Worten reden, Förster! Sie wissen, daß ich es nicht gern höre, und daß ich dem Martin überdies zum Dank verpflichtet bin! — Er hat mir einmal das Leben gerettet!"
Das hätte jeder Andere auch gethan, der an seiner Stelle gewesen wäre, und Sie haben es hundertfach vergolten, Herr Oberst. Fragen Sie nur den Burschen, wo er mit all dem Gelde geblieben ist! Und geben Sie nur einmal Acht, wie er Ihre Güte und Nachsicht mißbraucht! Nach meinem dummen Verstand sollte auch die größte Dankbarkeit einmal ein Ende haben!"
„Lassen wir das gut sein, Hagemeister," siel ihm der Oberst nicht ohne einigen Unwillen in's Wort. „Ich weiß wohl selbst, was ich zu thun habe. Wenn Sie den Martin erst einmal wirklich bei einer Schlechtigkeit ertappt heben, können wir ja weiter darüber reden!"
„Ich denke, es wird nicht mehr gar zu lange währen bis dahin. Ich habe es mir fest vorgenommen, dem Burschen noch auf die Schliche zu kommen, ehe ich fortgche!"
„Ehe Sie fortgehen? Was soll das heißen, Hagemeister?"
Der Oberst hatte sein Pferd angehalten, und auch der Förster blieb stehen; aber er blickte nicht zu dem Reiter hinauf, sondern sah starr geradeaus in den Wald hinein, als er langsam und mit harter Betonung sagte:
„Ich wollte cs mir auf eine bessere Gelegenheit aussparen, Herr Oberst; aber da es mir nun doch einmal so über die Zunge gelaufen ist, mag es auch gleich jetzt gejagt sein. Ich wollte nämlich gehorsamst um meinen Abschied gebeten haben, und zwar, wenn es sein kann, so bald als möglich!"
Der Gutsherr stützte die Hand auf den Schenkel und sah den Förster einige Sekunden lang sprachlos an; dann aber polterte er in seiner Ucberraschung beinahe heftig heraus:
„Ja, was ist denn das? — Reitet Sie der Teufel, Hagemeister, daß Sie mir mit solchen Sachen kommen, Sie wollen Ihre Entlassung haben, — Sie, der Sie auf diesem Gute ausgewachsen sind, — Sie, der mir von meinem seligen Bruder als sein bester Freund an's Herz gelegt wurde und den ich selbst immer als meinen treuesten und redlichsten Beamten geschätzt habe? Ist Ihnen Ihr Gehalt zu gering oder Ihre Wohnung zu schlecht, so kostet cs Sie nicht mehr als ein Wort, und cs soll gebessert werden! Worüber haben sie zu klagen — wie?"
„Nicht über mein Gehalt und nicht über meine Wohnung, Hcrrr Oberst! Das wäre schon Alles recht aber —"
„Nun aber? — Heraus mit der Sprache! — Sie sind doch sonst, jo weit ich Sie kenne, nicht der Mann, der mit der Wahrheit lange hinter dem Berge hält! Was für ein „aber" giebt es also?"
„Es lhäte nicht gut, wenn ich länger hier bliebe, Herr Oberst! — Es wird mir nicht leicht, zu gehen, nein, wahrhaftig nicht, das mögen Sie mir immer glauben! Aber ich bin es meiner Reputation schuldig, meiner Achtung für Sie und der Seelenruhe meines einzigen Kindes!
„Der Teufel mag Ihre rätselhaften An-