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für die Lese, eine wirkliche Lese in des Wortes strengster Bedeutung; denn bei den vielen faulen Trauben müssen die gesunden Beeren förmlich „herausgelesen" werden. Die Qualität ist etwas besser als die des vorigen Jahres. Der Most wiegt nach Oechsle 65—75 Grad; es giebt aber auch solchen zu 60 Grad. Die Preise stehen auf 10—10 40 ^ die 50 Liter. Käufer haben sich so viel eingefunden, daß sie in Anbetracht des geringen Ertrages kaum alle befriedigt werden dürften.
Ein Brief aus San Franziska.
Von einem in San Franzisko wohnenden Deutschen ist einem Freunde unsers Blattes folgender bemerkenswerte Brief zugegangen, den er uns zum Abdruck freundlichst überlassen hat und den wir unsern Lesern nicht vorenthalten wollen:
Vom Krankenbett aus schreibe ich Ihnen folgende Zeilen, schwer bekümmert, denn es ist wirklich ern wahrer Jammer, was man hier in Amerika als Deutscher alles anhören muß, noch dazu meist von amerikanisierten Landsleuten. Alles, was sich in Deutschland ereignet, wird hier aufs strengste kritisiert und mit besonderer Vorliebe ins Lächerliche gezogen.
Wirklich Deutsche trifft man hier in Amerika sehr wenige, dagegen massenhaft Amerikaner deutscher Herkunft, die meistens das Deutschtum nach kurzem Aufenthalt abgestreift haben und es sorgfältig vermeiden, in Kleidung und Be- nehmen ihre Abstammung erkennen zu lassen. Freilich viele haben Ursache dazu, besonders wenn sie keinen Militärpaß besitzen; nun, an denen ist auch nicht viel verloren, denn wer seinem Kaiser im Frieden nicht freiwillig dienen will, der taugt auch im Kriege nichts. Solche Leute fühlen sich in Amerika mit ihren sozial- demokratischen Ansichten viel wohler und sind da auch besser aufgehoben.
Was mich hauptsächlich veranlaßt, die Zeilen an meine Landsleute im deutschen Reiche zu richten, ist die dringende Frage der Verstärkung unserer Flotte. Die hierfür unumgänglich notwendige Ausgabe scheint mir aus bloßem Oppositionsgeist nicht bewilligt worden zu sein. Die Lage in Europa ist doch wahrlich kritisch, und Feinde haben wir genug, Freunde aber nur sehr wenige. Und wie steht es dem gegen- über mit unserer Flotte? Soviel ich weiß, kommen wir mit unserer Flotte erst in sechster Linie; Länder mit weniger Einkünften sind uns voraus; da sollte es schon der Ehrgeiz verbieten, einer Vergrößerung unserer Seemacht entgegenzutreten. Ein Land, das mit Recht behaupten kann, das beste Heer der Welt zu haben, soll mit seiner Kriegsflotte nicht ins Hintertreffen kommen. Die deutsche Flotte soll vielmehr dem deutschen Landheere ebenbürtig sein. Noch ist es Zeit, uns vorzusehen, schafft also eine Kriegsflotte! Das Material ist da, das Geld bleibt im Lande, und es kommt dem Arbeiter zu gut.
Drum, wer es gut meint mit seinem Vaterlande, wer treu zu Kaiser und Reich steht, der sorge mit dafür, daß Deutschland auch eine Kriegsflotte erhält, die seiner Macht und den Gütern enspricht, die es im Auslande zu schützen hat. E. Weins.
Württemberg.
Aalen, 26. Sept. Gestern abend 8 Ui Uhr hat der Stuttgart-Nördlinger Schnellzug Nr. 79 zwischen Eissingen und Aalen bei dem Bahnwärterposten Nr. 82 ein mit 4 Pferden bespanntes Mühlefuhrwerk überfahren. Die dienst- thuende Bahnwärtersfrau hatte vergessen, die Barrieren zu schließen. Sie wurde auf der Stelle getötet und hinterläßt 7 Kinder. Auch 1 Pferd des Fuhrwerks wurde getötet und der beladene Wagen völlig zertrümmert. Der Fuhr, mann blieb unverletzt, ebenso das Personal und die Reisenden des Schnellzugs. Dagegen wurde die Lokomotive erheblich beschädigt und war mit Wclschkorn und Kernen wie übersät. Der Zug- sichrer versuchte vergeblich, den Zug noch rechtzeitig zum Stehen zu bringen. Wohl durch das rasche und energische Bremsen wurde der Zug beim Wiederanfahren in zwei Hälfte zerrissen; die Lokomotive kam nur mit den 3 ersten Wagen
in Aalen an, die 4 nachfolgenden waren stehen geblieben und mußten mit einer besonderen Maschine von hier aus abgeholt werden. Der Schrecken der Reisenden war begreiflicher Weise groß.
Besigheim, 26. Sept. Gestern nach- mittag hatte der 79 Jahre alte Briefträger Röhrichs hier das Unglück unter den um 4.15 Uhr in der Richtung von Besigheim nach Heil- bronn kursierenden Zug beim Einfahren desselben in den Bahnhof zu geraten, wodurch ihm beide Füße oberhalb des Knöchel abgefahren wurden. Das Unglück ist wohl dadurch entstanden, daß der Bedauernswerte, der auch etwas schwerhörig ist, der Meinung war, der Zug komme auf dem linken Geleise, während gestern erstmals wieder das rechte Geleise benützt wurde.
Ravensburg, 25. Sept. Ein hiesiges Dienstmädchen sollte in einem Laden etwas holen. Während das Ladenfräulein hinausging, konnte sich das naschhafte Mädchen nicht enthalten, in der Meinung, es sei ein Honigtopf, in den zunächst stehenden Hafen zu langen und zu schlecken. Aber der Topf hatte Schmierseife enthalten und auf das Geschrei des enttäuschten Mädchens kam der Ladenbesitzer hinzu und mit einer kräftigen Strafpredigt über ihre unbezwingbare Naschhaftigkeit entließ er sie.
Weingarten, 25. Sept. Zwei alte Weiblein haben dieser Tage durch bie Mitwirkung der hies. Behörde aus der Alters- und Jnvaliditätsversicherung 480 bezw. 380 er- halten. Die Freude ver armen Arbeiterinnen kann man sich denken.
Ausland.
Wien, 25. Septbr. Heute mittag fand zwischen dem Ministerpräsidenten Grafen Badeni und dem nationalen Abgeordneten Wolf, ein Pistolenduell zu den schwersten Bedingungen statt. Der Grund des Duells waren verschiedene Schmährufe wie Wortfuchserei, welche Wolf dem Ministerpräsidenten zugerufen hatte. Beim ersten Kugelwechsel traf die Kugel Wolfs den Grafen Badeni beim Handgelenk und ver- mundete ihn leicht. Man hofft, daß oie Knochen nicht zersplittert sind und daß sich der Graf bald erholen wird. Das Duell erregt hier viel Aufsehen und hat die parlamentarische Krise noch verschärft.
New-Jork, 24. Sept. Infolge einer Explosion von Gasolin entstand eine große Feuersbrun st in Bainbridge (Ohio). Der ganze Ort steht in Flammen. Bisher sind zehn Tote aufgefunden. Biele Personen sinv verwundet.
Die Engländer haben in Indien einen Sieg errungen. Nach Berichten aus Simla fand der erwartete Kampf mit den Mohmands unter dem Mullah von Hadda am Donnerstage statt. Er endete mit einem vollkommenen Siege der Truppen des Generals Elles. Die Engländer vermögen indessen der Siegesnachrichten, ganz abgesehen davon, daß jeder Tag sich in ihr Gegenteil verkehren kann, nicht recht froh zu werden. Ein noch schlimmerer Feind als die aufrührerischen Stämme an der Grenze ist die Pest, über deren Ausbreitung eben jetzt wieder bedenkliche Nachrichten kommen.
Zlnterhaltender Teil.
Der Regimentsbefehl.
Humoreske von Alex. Zimmern.
(Nachdruck^verboten.i
Regimentsbefehl. Es sind mir in letzter Zeit mehrmals Mannschaften begegnet, deren Regimentsnummern auf den Achselklappen aus Metall bestanden. Ich bitte die Herren Bataillonskommandeure darauf zu achten, daß derartige Vorschriftswidrigkeiten nicht mehr zu Tage treten.
C.. 4. Juli 1876. v. Bock.
Oberst u. Regimentskommandeur.
Bataillonsbefehl. Ich ersuche die Herren Hauptleute um strengste Revision der eigenen Sachen ihrer Mannschaften. Besonders sei auf die Regimentsnummern aus Metall, die getrennten Rockschüße, die hohen aufzuknöpfenden Aermelaufschläge, die Stege an den Hosen, die
schmalen Koppel und Seitengewehre hingewiesen. Ich werde in Zukunft scharf auf die Anzüge der Leute mein Augenmerk richten und jeden Verstoß gegen die vorschriftsmäßige Bekleidung streng bestrafen.
C.. 4. Juli 1876. v. Kotze.
Major u. Bataillonskommandeur.
Kompagniebefehl. Das Tragen eigener Bekleidungsstücke ist von heute ab verboten. Diejenigen Mannschaften, welche sich bisher eigener Sachen bedienten, haben dieselben morgen Mittag beim Appell vorzulegen.
C. 4. Juli 1876
von der Brincken, Hauptmann u. Kompagniechef.
So ungefähr war der Wortlaut der drei Befehle, welche am 4 Juli 1876 bei der Parole- Ausgabe die Mannschaften des xten Regiments zu C. in unerfreulicher Weise überraschten. Hauptsächlich die Einjährig-Freiwilligen waren von dieser die Erscheinung ihres äußeren Menschen wesentlich beeinträchtigenden Verordnung wenig erbaut; bedeutete eine solche boch für sie das ewige, nunmehr auch außerdienstliche Tragen der Kommiskluft und die Unmöglichkeit, fernerhin dem Verlangen des Regimentskommandeurs zu entsprechen. der sich mit Vorliebe den 'Einjährigen gegenüber die Redensart bediente: „Die Einjährig-Freiwilligen meines Regiments müssen stets wie aus dem Ei gepellt aussehen!"
Gar bald wurde konstatiert, daß die Veranlassung zu diesem Befehl durch zwei jüdische Gemeine, Söhne wohlhabender Eltern in einer nahe gelegenen Großstadt, gegeben worden war und so manche, absolut nicht mißzuverskehende Bemerkung wurde ihnen dafür zu teil. Was half aber alles Raisonnieren; der Befehl war gegeben und mußte bei der bekannten Strenge im xten Regiment unverweigerlich befolgt werden. wollte man nicht die ganze milttärische Laufbahn auf das Spiel setzen.
Nun befand sich unter den fünfzehn Freiwilligen. die ihre einjährige Dienstpflicht bei diesem Regiment erfüllten, in der 11. Kompagnie ein Kamerad, der durch seine originellen Einfälle schon oft über heikle Situationen hinweggeholfen halte. Auf ihn richteten sich denn erwartungsvoll und hoffnungsfreudig alle Blicke, als die schwarz-weiß Beschnürlen in ihrem besseren Kommisanzug vollzählig zum gemeinsamen Mittagstisch angetreten waren.
Jedermann fühlte sich offenbar unbehaglich in der Dienstuniform und dennoch jwollte keiner als erster seiner inneren Empörung Ausdruck geben. Und so löffelte man die ewig gleiche Suppe aus, ohne den Befehl mit einer Silbe erwähnt zu haben; sehnsüchtig erwartete jeder den Augenblick, welcher die brennende Tagesfrage endlich aufs Tapet dringen würde. Endlich half ein gütiger Zufall. Einer der Anwesenden begoß sich den Rock mit Suppe und sein Nachbar, eia ziviliter etwas geckenhafter Jurist griff die Gelegenheit auf und warf den Funken mit erhobener Stimme in die Gesellschaft: „Kamerad, machen Sie sich kernen Fleck auf die Extra-Uniform! Na, meine Herren, was meint Ihr denn eigentlich zu dem heutigen Regimentsbefehl? Quetscht Euch doch mal aus; wir sind ja hier unter uns. Es ist doch rein unmöglich, daß wir außerhalb des Dienstes in diesem Habitus herumlaufen." Jetzt erwartete man das erlösende Wort vom Kameraden Grundmann — so hieß jener, als strammer Soldat bekannte Freiwillige der 11. Kompagnie — aber dieser ließ sich das eben aufgetragene Gemüse mit ^Beilage gut schmecken und kümmerte sich anscheinend gar nicht um die allgemeine Unterhaltung.
Emige trommelten ob dieser Gleichgiltigkeit schon vor Aerger und Ungeduld ganze Armeemärsche auf Tisch und Teller, bis sich sein Nach- bar und Intimus, ein Dr. Phil., endlich mit einem sanften Rippenstoß und den Worten an ihn wandte: „Donnerwetter, Menschenskikkd, höre doch ein bischen zu. Wir besprechen hier Dinge, oie wichtiger sind als Maccaroni mit Cotlellettes. Du mußt helfen, mußt Rat schaffen!"
Wie aus einem Traume erwachend, fragte Jener: „Um was handelt es sich denn?"
„Nun, um den heutigen Regimentsbefehl?"