705

Aus Stadt. Berirk und Umgebung.

Auf den Beginn des Winterfahrplans der kgl. württ. Staatseisenbahnen, vom 1. Oktober 1897 an, sind die Einrichtungen zur gegenseitigen Verbindung der Postanstalten des Landes ent­sprechend geregelt worden. Die Postbotenfahrt von Schömberg nach Höfen und zurück unterbleibt für die Zeit vom 1. Dezember 1897 bis 14. Februar 1898, dagegen wird in der gleichen Zeit die Landpostbotenfahrt von Schöm­berg nach Neuenbürg und zurück auch Sonn- und Festtags ausgeführt.

Neuenbürg, 23. Sept. Die gestern hier unter dem Vorsitz des Bezirksschulinfpektors Uhl abgehaltene Bezirksschulversammlung wurde durch eine musikalische Aufführung in der Stadtkirche eingeleitet. Dieselbe war be- sonders von feiten der Frauenwelt zahlreich be­sucht und bot in schöner Abwechslung Orgcl- und Gesangvorträge. Letztere wurden von dem Lehrergesangverein u. einem Schülerchor unter der bewährten Leitung von Schullehrer Schramm zu allgemeiner Zufriedenheit ausgeführt. Die neue Walker'sche Orgel spielte Stadtpfarrcr Hartter von Herrenalb, ein längst erprobter Meister des Orgclspiels. Der OwoII-Fuge von Bach ließ der Künstler eine eigene Komposition, eine Figuration überVon dir, o Vater" und eine solche überIch ruf zu dir. Herr Jesu Christ" von Scyerlen folgen. Dem Ganzen aber setzte der vortreffliche Vortrag der Mendels- sohn'schen Figuration überVater unser im Himmelreich" die Krone auf. In der hervor­tretenden glänzenden Technik, in der feinen und abwechslungsreichen Registrierung, im Er­fassen und Durchdringen des geistigen Inhalts wie in der stimmungsvollen Wiedergabe des hervorragenden, schwierigen Werkes zeigte sich die vollendete Vortragskunst des Meisters. Markig setzte der Choral ein, fein und zart, durchsichtig und klar war das Pianissimo der ersten drei Bitten, charakteristisch gab die Tonmalerei des Lebens Müh und Not in der vierten Bitte wieder, tiefernst erklang das Büßlied, und mächtig brausten die gewaltigen Tonwellen der wilden Brandung gleich durch die Kirche, die Stürme des Lebens darstellend. Wie es wütete und wallete und endlich in einem stillen sanften Säuseln aus­klang! Fugenartig setzte der Choral noch einmal ein, ein wunderbares Tongewebe. Tröstlich gab das Amen den aufmerksam lauschenden Teil­nehmern einherzliches Wunsch- und Glaudens- wörtlein" mit auf den Weg. Innigen Dank dem Künstler» der das, was ihm Frau Musika geoffenbart, so herzerhebend und er- quicklich wiedcrzugeben versteht. Nach dieser weihevollen Einleitung begannen die Verhand­lungen im Rathaussaale. Der vom Bezirks- schulinjpektor gegebene Ueberstchtsbericht, welcher u. a. eine Abnahme der Schülerzahl (um 48. seit 10 Jahren um 850) feststellte, gab viel An­regung zu gegenseitigem Gedankenaustausch. An der lebhaften Debatte beteiligten sich auch in dankenswerter Weise die als Gäste anwesenden Herren Oberamtmann Pfl e id er er, Oberamts­arzt Dr. Süßkind und Stadtschultheiß Stirn. Sehr beklagt wurde u. a. die sich immer mehr geltend machende Ausnützung der schulpflichtigen Jugend zu gewerblichen Arbeiten. Arme Kinder, die mit 7, 8 und 9 Jahren vom grauenden Morgen bis zur Schulstunde und dann wieder bis tief in die Nacht hinein am Brett und vor der Lötlampe sitzen und arbeiten müssen und um des augenblicklichen materiellen Gewinnes willen körperlich und geistig Schaden leiden! Bei der ledigen Jugend findet sich so viel innere Ab­neigung gegen die Schule und Widersetzlichkeit gegen Geistliche und Lehrer. Lieber als die Schule ist solch 1416jährigen Bürschlein das Wirtshaus. Die Beratung des Lehrplans der allgemeinen Fortbildungsschule gab reichlich An­laß zur Besprechung solch betrübender Fälle. Wir möchten die Eltern auch an dieser Stelle bitten: Habt mehr acht auf eure Söhne und Töchter, wenn euch an ihrem wahren Wohl et­was gelegen ist! Ein gehöriges Stück Arbeit wurde in der bis V» 3 Uhr dauernden Ver­sammlung, dank der umsichtigen Leitung des Vorsitzenden geleistet. Äer dritte Punkt der

Tagesordnung:Reiseerinnerungen aus Pa­lästina" . welche Schullehrer Häberlen von Sprollenhaus zum besten geben wollte, mußte auf die nächste Konferenz verschoben werden. Beim gemeinsamen Mittagsmahle imBären" widmete der Herr Bezirksschulinspektor den drei aus dem Bezirk bezw. aus dem Amt scheidenden Lehrern herzliche Worte des Abschieds.

Pforzheim, 23. Septbr. Nach einer soeben fertiggestellten Statistik über die hiesige Goldwaren-Jndustrie einschließlich der Hilfsgeschäfte existieren in unserer Stadt nun­mehr 505 Betriebe mit 12 410 männlichen und 5933 weiblichen, zusammen also 18343 Arbeits­kräften. 1895 waren es 11 230 männliche und 4981 weibliche, zusammen also 16 211 Arbeits­kräfte. Die Zahl der letzteren hat demnach eine Zunahme von über 2000 erfahren, ein Beweis für das stetige Wachstum unserer heimischen Industrie. Die Zahl der Betriebe hat ebenfalls um 17 zugenommen. Fabriken mit über 100 Arbeitern befinden sich hier ca. 20. Der diesen Sommer durch die orientalischen Wirren beein­trächtigte Geschäftsgang ist jetzt wieder ein zufriedenstellender.

Pforzheim, 22. Septbr. Einen sehr dankenswerten Beschluß hat der Stadtrat gefaßt: er genehmigte 5000 »-L zur Unterstützung be­dürftiger T y p h u s k r a n k e r. Da die Zahl der Bedürftigen fast 200 beträgt, so genügte das bisherige Ergebnis der veranstalteten öffent­lichen Sammlung nicht.

Neuenbürg. 25. Sept. Rote Kartoffeln kosten 2 70, weiße 3 pr. 50 Kilo,

pfundweise 3*/,

Neuenbürg, 25. Sept. Schweine- markt. Zugefühcte 40 St. Milchschweine wurden zu 1521 »-L pr. Paar verkauft.

Deutsches Aeich.

Das Zarenpaar wird in Darmstadt vom 1. bis Ende Oktober verweilen. Darauf begiebt es sich direkt nach Livadia, um dort am 1. November, dem Todestage des Zaren Alexander III., mit der ganzen Familie zu­sammenzutreffen. Am 2. Oktober findet in Darmstadt die Grundsteinlegung der russischen Kapelle statt, am folgenden Sonntage der Besuch der russischen Kapelle in Wiesbaden. Da Kaiser Wilhelm am 18. Oktober und vielleicht die folgenden Tage in Wiesbaden weilt, wird eine Kaiser-Zusammenkunft wie im vorigen Jahre vermutet.

Berlin, 21. Sept. Zu der Anfang Oktober im Reichspostamt stattfindenden Konfe­renz höherer Postbeamten sind, nach derNationallib. Korr"., sämtliche Oberpost­direktoren geladen. Unter anderem wird» wie verlautet, erwogen, den gesamten Schalterdienst, also den Geschäftsverkehr mit dem Publikum, möglichst durch der niederen postalischen Lauf­bahn angehörige Beamte (Gehilfen, Assistenten u. s. w) wahrnehmen zu lassen, wodurch Er­sparnisse herbeigeführt werden, und in größerem Umfang als bisher Militäranwärter Verwendung finden sollen. Der neue Reichspostmeister von Podbielski soll sich mit dem Gedanken tragen, eine eigene Postakademie für die Post­beamten vom höheren Dienste einzurichten. Das kann dann gemütlich werden, namentlich für das Publikum, welchem mancher höher geprüfte Postbeamte mit einem Hochmut entgegentritt, der seinesgleichen nicht leicht findet. Ueberdies sollen die Kandidaten des höheren Postfaches dem Staate 6 Jahre lang umsonst dienen. Daraus würde ein neuer Zweig des Affefforismus aufblühen, den Herr von Podbielski, wie er ausdrücklich erklärt, vermeiden möchte.

Berlin. (Getreidemarkt-Bericht.) Inden letzt vergangenen Tagen standen die deutschen Märkte nach eingelaufenen Nachrichten unter dem Einflüsse großer Geschäftsstille. Bei ver­minderter Nachfrage und geringer Kauflust ge­nügten die Landzufuhren vollauf zur Befriedig- ung des lokalen Bedarfs, und die Vermittlungs- thätigkeit der großen Handelsplätze wurde nur unbedeutend in Anspruch genommen. Unter solchen Umständen haben die Preise für Brot­getreide nach kleinen Schwankungen eine Ver­änderung erfahren. Die Qualitätsverschlechter.

ung in Hafer hat zu einer Höherbewertung der guten Sorten geführt, welche nur spärlich an­geboren sind. Guter» trockener Mais erfuhr eine Preisaufbesserung. Nach jüngsten Privat­nachrichten notierten für 20 Ztr. von einheim­ischem Brotgetreide am Berliner Markte: Weizen 188,00 Roggen 143,00 Gerste . Hafer 149,50 «-L

Die angebliche Frau des Erzherzogs Franz Ferdinand von Oesterreich, Marie Husmann, hat jetzt einen Brief veröffentlicht, worin sie er­klärt, daß ihr Mann weder Erzherzog, noch Mädchenagent, noch Heiratsschwindler, vielmehr nur ein gewöhnlicher Sterblicher" sei, und daß sie sich mit Rücksicht auf ihre materiellen Ver­hältnisse im Auslande in aller Stille habe trauen lassen.

Gegen die Streikenden, die die Arbeit­enden bedrohen und beschimpfen, gehen die Ge­richte jetzt auch in Sachsen streng vor. In Leipzig wurden an einem Tage fünf solche Falle verhandelt; die Schuldigen wurden zum Teil mit empfindlichen Gefängnisstrafen belegt.

Forst (A. Bruchsal), 11. Sept. Die An­gehörigen des Landwirts Isidor Böser hier fanden neulich bei ihren Feldgeschäften eine stark angerostete Kanonenkugel, welche ein Ge­wicht von nahezu 12 Pfund und einen Durch­messer von 11 Centimeter hat. Man nimmt allgemein an, daß die Kugel aus einem preußi­schen Geschütz im Jahre 1849 von der Berg- straße gegen den Eisenbahndamm abgeschossea wurde, aber das Ziel verfehlt hat. Wie dieser eiserne Körper, der wohl 48 Jahre im Erdreich gelegen haben muß, an die Oberfläche kam, ist nicht festgesteüt.

Es machen sich Kennzeichen dafür bemerk­bar, daß die mit der Sozialdemokratie fraterni­sierende Richtung, die durch den Pastor Nau­mann der national-sozialen Partei verliehen worden ist, einer Gruppe von Mit­gliedern nachgerade fatal zu werden beginnt. Diese Gruppe beabsichtigt daher, auf dem nächsten Parteitage gegen die Naumannsche Politik Front zu machen, was mittelst des folgenden Antrages geschehen soll:

Wir erklären, daß wir das Eigentümliche und Richtunggebende unserer Bewegung nicht in der Bekämpfung der konservativen oder sonst einer national gesinnten Partei, sondern in der Bekämpfung der Sozialdemokratie erblicken, und zwar darum, weil wir in der sozialdemokratischen Partei heutzutage das größte Hindernis für die Arbeiterbewegung sehen. Die Bekämpfung der Sozialdemokratie ist Pflicht im Interesse des Arbeiterstandes nur auf dem Boden und unter dem Feldzeichen eines mächtig aufblühen­den Nationalstaates wird die Arbeiter-Bewegung zu ihrem Ziele gelangen, und ebenso im Interesse deS Deutschen Reiches; allein durch die moralische und wirtschaftliche Hebung der Arbeitermassen und deren Gewinnung und Ein­treten für die nationale Macht kann das Reich die materielle und die ideele Kraft gewinnen, deren es für sein Dasein und seine Fortentwickel­ung, für die Politik eines größern Deutschlands unerläßlich bedarf. Die Bekämpfung der Sozialdemokratie ist Pflicht im Dienst sowohl des nationalen wie des sozialen Gedankens. Der national-soziale Bertretertag protestiert da­gegen, daß unsere Bewegung als eine Spielart der Sozialdemokratie, überhaupt als eine demagogische antimonarchische Richtung aufgefaßt wird. Er erwartet vom Vorstande» daß er daS öffentliche Vorgehen des Vereins im Sinne deS vorhin dargelegten Grundgedankens unsers Vereins regelt."

Wird dieser Antrag, der ein kaum verhülltes Mißtrauensvotum in sich birgt, angenommen, so müßte er wohl den Austritt des Pastors Naumann zur Folge haben. Einer von den Antragstellern ist der Prof. Sohm in Leipzig.

Württemberg.

Unterjettingen, 24. Sept. Gestern Abend wurden 5 Leute im Alter von 2530 Jahren verhaftet und ins Nagolder Amtsgericht abgeliesert; dieselben sind beschuldigt, die neu-