Meitclge zu Wr. i4i des KnzthäLers.

Neuenbürg, Donnerstag den 9. September 1897.

Die Getreidepreise.

Beim Erlaß des Börsengesetzes wurde auch die Hoffnung gehegt, daß das Verbot des börsen- mäßigen Terminhandels die Preisbildung der Körnerfrüchte in bessere Bahnen lenken werde. Aus diese Weise sollte der naturgemäße Zustand herbeigesührt werden, daß wieder Vorrat und Bedarf die maßgebenden Faktoren der Preis' bildung sein würden. Der Erfolg zeigt, daß diese Erwägungen richtig waren. Die Preise für die wichtigsten Halmfrüchte, Roggen und Weizen, sind heute durchschnittlich 40 pro Tonne höher als vor einem Jahre. Diese für unsere schwer leidende Landwirtschaft erfreuliche Thatsache ist hauptsächlich eine Folge des Ver­bots des Terminhandels in Getreide.

Es soll nicht geleugnet werden, daß auch andere Umstände zu der Steigerung der Ge- treidepreise beigetragcn haben, beispielsweise un- günstige Berichte aus einigen körnerzeugenden Ländern, ferner die Ueberschwemmungen, durch die hier und da unsere heimische Ernte gelitten hat. Da wir aber andererseits eine gute Mittel- ernte haben, die die Preise drücken müßte, so muß noch ein anderer Umstand bestehen, der den großen Preisunterschied zwischen diesem und dem vorigen Jahre erklärt. Und dieser Um­stand ist das Verbot des Getreide-Terminhandels.

Vor dem Erlaß des Börsengesetzes wurden die Getreidepreise zur Zeit der Ernte unter der Herrschaft des Differenzgeschäftes künstlich ge- drückt. Den Schaden trugen die Landwirte, die, um bares Geld zum Bezahlen ihrer Schulden zu erhalten, in den meisten Fällen gezwungen waren, ihr Getreide so schnell wie möglich zu verkaufen. In aller Erinnerung dürsten noch aus vorletztem Herbst die Machenschaften der Firma Cohn ynd Roscnberg in Berlin sein. Der frühere Handclsminister Frhr. v. Berlepsch hat ausdrücklich den durch die Sachlage völlig un­berechtigten Druck festgestellt, welchen diese Firma zu rein spekulativen Zwecken auf die Gelreide- preise übt, sowie den schweren Schaden, welcher dadurch den Landwirten erwachsen ist. Dieselbe Erscheinung wiederholte sich jährlich. Der durch einen solchen Preisdruck den Brotverzehrern erwachsene Vorteil wurde später wieder dadurch ausgeglichen, daß die Preise künstlich durch Terminspekulationen in die Höhe getrieben wurden. Die Brotverzehrer hatten also an dem Termin­handel auch kein Interesse, ebenso wenig der reelle Händler, der wirkliches, lieferbares Ge­treide in Händen hat. Denn unter der Herr­schaft des Termingeschäfts wurde sein Interesse von den Spekulanten unterdrückt. Produzenten, Konsumenten und auch die reellen Händler stehen also heute besser als früher.

Den Nachteil von dem Verbot des Termin- Handels haben allein die Spekulanten. Ihre Einnahmkquelle ist verstopft. Ihr Aerger da­rüber ist um so größer, als die früheren Preis- . Notierungen der Berliner Produktenbörse weder , von den Landwirten noch von den reellen Ge- treidehändlern, die das Getreide kaufen, weil sie cs brauche«, und nicht, weil sie damit wetten wollen, vermißt werden. Die Notierungen der Zentralhalle der Landwirtschastskammern, die sich, wie der aufmerksame Beobachter erkennt, täglich verbessern, genügen den Ansprüchen.

Das Ende eines Tranmes.

In einem schweizerischen Verlage ist neulich unter dem TitelUtopie und Experiment- ein Buch erschienen, worin die Erfahrungen geschildert werden, die der italienische Sozialdemokrat Dr. Giovanni Rosst mit einer nach sozialistischem Rezept gegründeten Kolonie gemacht hat. Dr. Rosst hatte sich als Schriftsteller und Agitator in seiner Heimat einen Namen gemacht, als er sich im Anfang der neunziger Jahre nach Süd­amerika einschiffte, um hier den Beweis zu liefern, daß der Sozialismus kein Ding der Unmöglich­keit, sondern der zur Wirklichkeit gewordene Himmel auf Erden sei. Daß dieser Beweis

mißlingen würde, war unschwer vorauszusagen. I Das Bemerkenswerte ist. daß Dr. Rosst die Ur­sachen, an denen sein Unternehmen gescheitert ist. selbst der Oeffentlichkeit übergeben hat. Seine ohne Tusche und Schminke hergestellte Geschichte der Kolonie Cccilia ist die vernichtendste Wider­legung, die den Zukunftsplänen der sozialistischen Weltverbesserer zu teil geworden ist.

Das Landstück, welches die Kolonisten unter Rosst's Führung im April des Jahres 1890 besetzten, lag im südlichen Brasilien in der Pro­vinz Parana. Hier, in den jungfräulichen Ein- öden eines von der Natur überreich bedachten Landes, wollten die von sozialistischen Glücks­träumen erfüllten Menschen versuchen, wie man ohne Privateigentum, Gesetze und Regierung leben könne. Die Kolonisten waren mit wenigen Ausnahmen Italiener, darunter die meisten durch Rosst's goldene Versprechungen ans der alten Heimat weggelockt; in der Zeit ihrer größten Ausdehnung zählte die Kolonie 250 Personen. Wir hatten-, so erzählt Rosst,keinerlei soziale Organisation, weder Statuten noch Häupter. Oft verständigten wir uns gemeinsam wie gute Freunde, ein anderes Mal handelte jeder nach eigenem Gutdünken. Streitigkeiten blieben natür­lich nicht aus. aber sie nahmen nie einen ernst­haften Charakter an!-

Es dauerte ein Jahr, da war die Kolonie verkracht, und die Bewohner waren in alle Richtungen der Windrose zerstreut. Wie das kam, schildert Rossi in folgenden Sätzen:Wie konnte der Egoismus in einem anarchistischen Gemeindewesen funktionier^? Nur durch Ver- gleichen des Ertrages der eigenen Arbeit mit dem der andern. Dieser Vergleich war leicht anzustellen und zwar zu Ungunsten der Nicht- bauern unter den Genossen. Das Ergebnis war, daß einige Bauern das Gemeinwesen verließen und sich auf eigenem Grund und Boden als un­abhängige Kolonisten ansiedclten. Andere blieben. Aber von diesen spornten die meisten ihrer Ge- nosscn schweigend oder offen, zu größerer Tätig­keit an. Hieraus ergab sich die eigenartige Erscheinung, daß in jener anarchistischen Gesell­schaft ein jeder die Kontrolle seines Genoffen auf stch lasten fühlte, eine, wenngleich schweigende und verkappte, so doch in Wahrheit viel schwerere und unerträglichere Kontrolle als die eines Werk- führers in einer europäischen Fabrik. Da das Recht zum Müßigang fehlte, so war die An­archie ein leeres Wort geworden: der Aufenthalt in Cecilia war für manche moralisch peinlich geworden.... Meine arme Freiheit, in was für einen Schraubstock bist du da hineingeraten!-

Wie man sieht, ist hier von dem früher so oft verkündeten Satze, daß die Menschen im so­zialistischen Gemeinwesen Engel würden und daß die Faulheit von selbst verschwinden werde, wenig zu spüren, ja an einer andern Stelle heißt es sogar:Man möge stch nicht der Täuschung hingebcn, in irgend einer sozialistischen Kolonie das Paradies auf Erden finden zu können; der Mensch verliert daselbst nicht durch ein Wunder seine eselhaften Eigenschaften. -

Aehnliche Bestrebungen wie die, die im Jahre 1890 zur Gründung der Kolonie Cecilia geführt haben, sind auch in Deutschland hervor­getreten. Wer sich von sozialistischen Ariwand- lungen nicht frei weiß und eines kräftigen Schutz- mittels bedarf, der lese das BuchUtopie und Experiment-, das ihn mit einem heilsamen Ab­scheu erfüllen und gegen die Gefahr einer so- zialistischen Ansteckung nachhaltig festen und feien wird.

In Bergedorf bei Hamburg ist eine sozialdemokratische Gründung zusammengebrochen. Vor mehreren Jahren gründeten dort Arbeiter einer Glasfabrik nach einem erfolglosen Ausstande eine eigene Glashütte. Sie traten zu einer Produktiv-Genossenschaft zusammen, gaben An­teilscheine aus und erhielten von den Gewerk­schaften der Glasarbeiter sehr erhebliche Geld- zuwendungen. Das Unternehmen mißglückte

infolge dauernden Absatzmangels vollkommen und konnte auch nicht durch neue Darlehen, die von der Leitung des Gewerkschaftsverbandes noch vor einem Jahr eingenmächtig gewährt wurden, am Leben erhalten werden. Schon im Juni kam es auf der Jahresversammlung der Glas­arbeiterverbände in dieser Angelegenheit zu ärger­lichen Auseinandersetzungen, und man beschloß, die Glashütte eingehen zu lassen. Die Genossen­schaft trat in Liquidation, und jetzt ist aus An­trag der beteiligten Gewerkschaften der Konkurs eröffnet. Die Arbeiter haben bei diesem Ver- suche, selbständig als Produzenten aufzutreten, ein um so schmerzlicheres Lehrgeld zu zahlen, da zahlreiche Anteilscheine der Glashütte von bescheidenen Ersparnissen erworben wurden, die für die Arbeiter wahrscheinlich ganz verloren gehen.

Unterhaltender Heil.

Herzens-Adel.

Von R. B e y e r.

(Nachdruck verboten.^ (Fortsetzung)

Der junge Mann Drückte sein Taschentuch an die Augen, seufzte und sprach:

Verzeihung, Herr Baron, Verzeihung dem Verblendeten, der, taub für die Sprache der Vernunft, sich bethören ließ von dem süßen Drang seines Herzens, daß er, sich hinauswagend aus der Sphäre seiner Niedrigkeit, ein Glück zu ergreifen suchte, wonach er nicht die Hand aus­strecken durfte.

Ich erkenne meine Schuld, ich habe Ihr Vertrauen getäuscht und Leid über Ihre Tochter gebracht. Und darum strafen Sie mich, Herr Baron, durch Entziehung Ihres väterlichen Wohlwollens, das ich nicht verdiene. -

Der Baron schüttelte den Kopf.

Ihre tiefe Reue, mein Sohn, über eine eingebildete Schuld,- sagte er innig gerührt, liefert mir einen neuen Beweis für die Vortresflichkcit Ihres Charakters, und wenn Gisela's Hand zur Zeit noch frei wäre, beim Himmel ich würde kernen Augenblick zögern, sie in die Ihrige zu legen. So aber- er hielt einen Moment inne, gleichsam, als koste es ihm Selbstüberwindung, etwas zu sagen, was dem jungen Mann jede Hoffnung für immer rauben mußte ,so aber besitze ich über die Hand meiner Tochter kein Verfügungsrecht mehr.

Es ist ein Verhängnis, daß Gisela die Gattin ihM Kousins, des Grafen Richard von Stolzenbech, werden muß.-

Der junge Lehrer zuckte zusammen und stieß einen bangen Seufzer aus.

WaS der Baron noch weiter erzählte, wie er einst seiner stexbenden Schwester in die bereits erkaltende Rechte»tzelobt. daß ihr Richard und seine Gisela ein Paar w«Aen sollten, das ver­nahm Eugen in seiner Schmerzversunkenheit kaum noch.

Der Baron erhob sich und mit ihm zugleich der Lehrer.

Und nun, mein junger Freund, leben Sie wohl, und reisen Sie mit Gott!- sagte der Baron und erfaßte die Hände Eugen's.

Mögen Sie Gisela wie ein Traumbild vergessen und über kurz oder lang in der^Niebc eines edlen Herzens Ersatz finden.-

Der Jüngling schüttelte traurig daß Haupt und über seine Wangen glitten zwei große Thränen.

Bemühen Sie sich, ohne Bitterkeit an die Stunde der schweren Enttäuschung zurückzudenken; denn : So war es bestimmt in Gottes Rat, und .es hat nicht sollen seinl-

Der Baron wandte sich schnell ab und trat an's Fenster.

Lautlos verließ der junge Mann den Salon.

Er begab sich hinaus, um den Wagen zn bestellen, der ihn zur Bahnstation fahren sollte.

Durch einen mit bunten Läufern ausgelegten