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zum Sedantage trafen in Leipzig etwa 500 Deutsch-Böhmen zum Besuch ein. Die Stammes­genossen aus dem Böhmerlande fanden in der alten Pleißestadt eine wahrhaft begeisterte Auf­nahme, wie solche ihnen aber auch schon vorher auf der Durchfahrt in Plauen, Reichenbach i. V., Werdau u.s.w. bereitet worden war, als Zeichen, wie sehr sich die Reichsdeutschen, speziell in Sachsen eins mit ihren böhmischen Brüdern in deren gegenwärtiger nationaler Bedrängnis fühlen.

Die militärischen Schauspiele am Main und Rhein werden auch den auswärtigen Beziehungen Deutschlanüs zu gute kommen, da das italienische Königspaar sich aus Anlaß derselben nach Deutschland begeben und mit unserm Kaiserpaar eine Begegnung und Aussprache haben wird. Dieser geschichtliche Vorgang durch kreuzt die Berechnungen aller derer, welche auf die Erschütterung des alten Dreibundes spekulieren und Italien möglichst bald an Frankreich ketten möchten. Der Dreibund steht in ungeminderter Kraft da und wird seine friedenerhaltende Macht auch fernerhin zur Geltung bringen.

Friedrichsruhe, 2. Sept. Als Fürst Bismarck mit dem König von Siam das Schloß verließ, um den König nach dem Bahn­hof zu begleiten, wurden diesen durch eine zahl­reiche Menschenmenge, welche sich an dem Schlosse eingefunden hatte, herzliche Ovationen darge­bracht. Fürst Bismarck verabschiedete sich auf dem Perron mit wiederholtem Händedruck von dem König und verließ den Perron erst, nach- dem der Zug mit einiger Verspätung abge­gangen war.

Berlin, 2. Sept. Auf dem Sportplatz zu Friedenau, woselbst heute abend ein Fest zu Gunsten der notleidenden Ueberschwemmten statt- finden sollte, ist das sogenannte Ausstellungs- gebäude heute nachmittag infolge eines Wind­stoßes in sich zusammengebrochen. Ein Flaschner, der auf dem Dache beschäftigt war, ist ver­unglückt.

Breslau, 2. Sept. Ein Vortragender Rat im Kultusministerium hat sich nach Beuthen i. Oberschl. begeben, um sich über die dortige Typhusepidemie zu unterrichten.

Berlin. (Getreidemarkt-Bericht.) Die Halmfrüchte dürften nunmehr fast völlig geborgen sein. Im allgemeinen hat Roggen der Menge nach eine gute Miltelernte geliefert; hinsichtlich seiner Beschaffenheit weisen indes einzelne Provinzen schlechte Ware auf. Dennoch soll das Korn trotz des Auswuchses voll und mehl- reich sein. Ob es ohne Zusatz fremder Ware aber backfähig sein wird, bleibt abzuwarten. Die Weizenernte scheint an Menge und Be­schaffenheit weit besser ausgefallen zu sein, infolge dessen sich eine lebhafte Ausfuhr in den Ostseehäfen nach dem Rhein und dem Auslande

besonders nach Böhmen vollzieht. Ueber Kartoffelfäule werden Klagen bisher nur in Ostpreußen als Folge der anhaltend regnerischen Witterung laut, sonst lassen die Aussichten für Kartoffeln bis jetzt noch eine gute Ernte erwarten. Sonniges Wetter ist für diese Hauptfrucht der Bolksernährung erwünscht. Der Handel in Brotfrüchten in Berlin folgte vorherrschend in Weizen dem Aufwärtsbewegungstaumel des Auslandes weniger in Roggen, welcher an­fänglich zurückblieb, später aber auch um etwas stieg. Die Preisschwankungen waren heftig, der Absatz in effektiver Ware hat nachgelassen, und sür guten trockenen inländischen Roggen trat zuletzt ein Unterwert von mehreren Mark ein. Hafer blieb ruhig und neigte eher zur Mattigkeit,

sür guten Mais wurden dagegen höhere Preise erzielt. Nach neuesten privaten Ermittel- ungen stellten sich die Preise für 20 Ztr. von Weizen auf 189,25 Mk.» von Roggen auf 141,50 Mk,, von Hafer auf 150,50 Mk.

Die vierundzwanzigste Mastvieh- Ausstellung in Berlin findet am 11. und 12. Mai 1898 in den Räumen des Zentral- viehhofes statt. Auf Antrag des Ministers sür die Landwirtschaft hat der Kaiser wieder eine goldene Staatsmedaille als höchsten Ehrenpreis für züchterische Leistung in einer noch näher zu bestimmenden Abteilung bewilligt.

Hamburg, 2. Sept. Hier wird, wie es heißt, am 12. September der am 1. August aufgelöste Cirkus Renz wieder eröffnet werden. Direktor Franz Renz hatte sich am 1. August zur Ruhe gesetzt. Ende August hat nun der Neffe Ernst Renz den Cirkus übernommen. Dadurch wird zahlreichen Künstlern dastägliche Brot" gesichert. Der verflossene Monat August war für diese Leute recht eigentlich ein kritischer Monat erster Ordnung, oder wie der neueste Manögewitz besagt, derdumme August."

Aus der Pfalz, 2. Sept. Wie all­jährlich, wurde bereits in Maikammer. Diedes­feld und St. Martin Ende August die Wein­lese durch das Einbringen der Malingretrauben eröffnet. Der Ertrag war im ganzen geringer,- als man es hoffte. Der gesamte Ertrag dieser Trauben in den 3 Orten belief sich auf etwa 800 Loge! zu 40 Liter. Im Durchschnitt wurde für das Logel 7 ülL bezahlt. Der Most wies ein Gewicht von 7078 Grad nach Oechsle auf.

Aus Baden, 31. Aug. Infolge der fruchtbaren Witterung entwickelten sich die Trauben in ihrer Reife gut und die Frühlese dürfte bald ihren Anfang nehmen. Der Stand der Weinberge ist im allge­meinen gut; über Blattkrankheiten treten nur vereinzelte Klagen auf. Der Ertrag wird durch­schnittlich auf einen halben Herbst geschätzt. Nach den bestehenden Aussichten wird die Beschaffenheit des Herbstes wohl dem 1895er Jahrgang gleichkommen.

Württemberg.

Ueber die Frage, ob die Gemeinden die staatlichen Steuern einziehen sollen oder nicht, wird gegenwärtig in den Blättern viel­fach hin und wider geschrieben. Die Lösung dieser Frage erscheint aber doch so einfach wie nur möglich. In mittleren und kleineren Gemeinden kann der Gemeindeacciser die Steuern recht wohl erheben, ohne daß man deswegen die Leute zu belästigen braucht, daß sie ihre Staats­steuer oft 23 und noch mehr Stunden zum Kameralamt tragen sollen, oder daß man um­gekehrt seitens der Kameralämter bestimmte Steuereinzugstage in einzelnen Gemeinden ab­hält und so den Beamten Gelegenheit giebt, Diäten verrechnen zu können, welche die Steuer­zähler doch auch aufbringen müssen. Bekanntlich ist aber nicht jeder in der Lage, auf einen be­stimmten Tag hin das Geld für die Steuer liquid zu machen, und so empfehlen sich auch in dieser Beziehung die Steuereinzugstage nicht. In größeren Städten dagegen, wo ohnedies die staatlichen Steuerbehörden sind, ist die Bei­behaltung einer Zwischenstelle zu dem Steuer­einzuge seitens der Gemeinde durchaus unver­ständlich.

Durch die allgemein dankbar aufgenommene Tarifermäßigung für Telephon- gespräche in Entfernungen bis zu 50 km hat sich ein Mißstand herausgestellt, der schleunig behoben werden sollte. Die Telephonanrufe zu den billigen Tarifsätzen haben sich nämlich so ungeheuer vermehrt, daß man häufig Ungebühr- lich lange warten muß, bis man endlich an die Reihe kommt. Es sollten deshalb ohne Rück­sicht darauf, ob die Mittel hiezu seitens des Landtags schon bewilligt sind oder nicht, unver­züglich nicht nur je eine, sondern gleich mehrere neue Leitungen auf den verschiedenen Strecken gebaut werden. Für die Etatsüberschreitung bekommt unsere Postverwaltung seitens des Landtags ganz zweifellos gerne Indemnität, denn kein Abgeordneter wird etwas dagegen haben, wenn man notorischen und dauernden Bedürfnissen des Verkehrs auch so schnell als nur irgend möglich die erforderlichen Verkehrs­mittel zur Verfügung stellt.

Die Wirte in den verhagelten Distrikten des Unterlandes empfinden das allgemeine Unglück auch durch den stark verminderten Weinkonsum seitens ihrer Gäste. Sie haben nun um Aufhebung der Umgeldsaccorde gebeten und ihrem Gesuch ist seitens der Steuerbehörden bereitwilligst entsprochen worden.

Bietigheim, 3. Sept. Viehmarkt­bericht. Zngetrieben waren 1150 Stück samt dem hiesigen Vieh. Der Handel ging in Kälber­

kühen, fetten Rindern und Zugstieren sehr gut, wobei man einen mäßigen Aufschlag bemerkte. Der Handel in Zuchtvieh und Räuplingen war flauer. Bei festen Mastochsen ging der Preis zurück, da die Großhändler von Mainz, Frank­furt, Berlin, Magdeburg fehlten.

Kirchheim, u. T., 2. Sept. Trotzdem in der Tagespresse schon oft davor gewarnt worden ist, Verkäufe nach einem anderen als dem üblichen Modus abzuschließen, finden sich immer wieder Leute, die erst durch Schaden klug werden, was folgender Fall aufs neue beweist. Am Montag brachte nämlich ein Bauer aus Köngen Kartoffeln zum Verkauf hieher. Von 2 Spaßvögeln wurde ihm bei Abnahme des ganzen Quantums pro 100 Stück 15 geboten und im Nu war der Handel perfekt. Die vor­genommene Zählung ergab 1298 St., wofür der Bauer 1 95 L erhielt, während das

Gewicht der Kartoffeln. 1 Ztr. 53 Pfd., einem reellen Wert von 4 viL 50 L entspricht. Der Mann wird seine Kartoffeln künftig jedenfalls wieder dem Gewicht nach verkaufen.

F r e u d e n st a d t. 1. Sept. Letzten

Montag hielten hier die Uhrmacher von Alten­steig, Calw, Calmbach, Freudenstadt, Nagold, Neuenbürg, Herrenberg, Wildbad und Wildberg ihren V. Berbandstag ab. Den geschäftlichen Verhandlungen, welche längere Zeit in Anspruch nahmen, schloß sich im Gasthof zur Sonne eia Mittagessen an. dem später ein gemeinsamer Spaziergang durch die Stadt und tags darauf ein Ausflug auf den Kniebis folgten. Der nächste Verbandstag findet in Herrenberg statt.

Ausland.

Wien, 2. Sept. Eine vom Verein der Deutschnationalen hier gestern abend veranstaltete Sedanfeier wurde wegen heftiger Angriffe des Abgeordneten Wolf auf das Vorgehen der Behörden und der Gendarmerie in Eger gegen die Deutschen infolge Einspruches des Regierungs. kommissars vorzeitig geschlossen. Der Saal wurde durch die Wache geräumt.

In Oesterreich scheinen die schwersten Zeiten für die Deutschen jetzt erst heraufzuziehen. Ministerpräsident Graf Badern hat vom Kaiser Franz Josef die Vollmacht erhalten, gegen die deutsche Opposition nach Gutdünken vorzugehen. Infolgedessen will sich Badeni künftig einschließ, lich auf die klerikale Rechte und die slavischen Clubs stützen; am Mittwoch fand deshalb in Wien eine stundenlange Beratung zwischen Badeni und dem Clubprästdenten der Rechten statt. Wie das osfiziöseFremdenblatt" erfährt, hatte dieselbe ein für beide Teilebefriedigendes" Resultat, es soll also nun ein fröhliches Jagen gegen die Deutschen losgehen. Man wird ja sehen, wie weit Meister Badeni das Kunststück, gegen die Deutschen zu regieren, fertig bringt.

Die englischen Blätter suchen aus der Be­geisterung der Franzosen über die nunmehr öffent« lich proklamierte französisch, russische Allianz für ihre Zwecke Kapital zu schlagen, und geben sich alle Mühe, den Franzosen zu beweisen, daß der Zweibund speziell zur Un- schädlichmachung des Dreibundes und zur Auf- Hebung der seit 27 Jahren in Europa ausge­übten Diktatur Deutschlands bestimmt sei. Damit verraten die Engländer nur ihre Angst vor den wirklichen Zielen des Zweibundes, der sich mög­licher- ja wahrscheinlicherweise mit dem Dreibund vereinen wird, um den ungenannten, aber aller­seits sehr bekannten Friedensstörer in Europa in die Schranken zu weisen. Und dieser Friedensstörer ist, was die Engländer selbst sehr genau wissen, einzig und allein England. Die englischen Blätter haben übrigens ihren Landsleuten eine böse Suppe eingebrockt, denn in Frankreich regen sich bereits sehr einflußreiche Stimmen, welche verlangen, der französisch, russische Zweibund möge auch noch die Ver. Staaten von Nordamerika als Dritten heran- ^ ziehen, denn der gemeinsame Feind sei stets England, nicht nur am Bosporus und in Aegypten, sondern überall in der ganzen Welt. Damit den Engländern gleich zum Bewußtsein komme was ihnen droht, breitet sich der Aufstand der nord-indischen Stämme gegen die englische Herrschaft immer weiter aus, was zunächst eine