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erläge zu Ar. 128 des Gnzthälers.

Neuenbürg, Donnerstag den 19. August 1897.

Friedensklänge.

In Hamburg hat in diesen Tagen der Weltfriedenskongreß" getagt. Ihm waren die Sitzungen derinterparlamentarischen Friedens­konferenz" in Brüssel vorausgegangen. An beiden Orten wurde über Mittel und Wege be­raten, den allgemeinen Weltfrieden anzubahncn: fürwahr ein schönes und edles Ziel! Wäre es möglich, das den Friedensfreunden vorschwebende Bild zu erfassen und zu verwirklichen, so würden ungeheure Opfer den Völkern erspart bleiben, und unendlich viel Herzeleid würde vermieden werden. Die Gerechtigkeit erfordert deshalb, bei der Beurteilung der Friedensbewegung diesen Punkt im Auge zu behalten. Das Streben der Friedensfreunde ist ebenso anzucrkennen, wie die Begeisterung, mit der die Mitglieder der Friedens- organisation für ihre Ideen eintreten. Aber die Hoffnung, daß die Zukunft dem Friedensgedanken dereinst zum Siege verhelfen, daß den Losungen Die Waffen nieder!" undFriede auf Erden!" ein Erfolg zu teil werde, ist aussichtslos.

Es gab einmal eine Zeit, wo die Friedens­freunde den großen Schlachtendenker Moltke zu den ihrigen zählten. In der That findet sich in einem Briefe Moltkes die Stelle, daß ein Krieg, selbst wenn er siegreich sei, doch ein nationales Unglück bedeute; leider sei eine solche Meinung noch nicht allgemein geworden, sie könne es aber werden, wenn auch erst in Zu­kunft durch eine bessere religiöse und sittliche Erziehung der Völker. Heute beruft man sich nicht mehr aus diesen Brief, der ja ohnedies nichts anderes sagt, als daß niemals ein Volk sich leichtsinnig in einen Krieg stürzen dürfe; denn derselbe Moltke hat an den berühmten Staots- rechtslehrer Bluntschli geschrieben:Der ewige Friede ist ein Traum und nicht einmal ein schöner Traum. Der Krieg ist ein Element der von Gott eingesetzten Weltordnung. Die edelsten Tugenden entwickeln sich darin: Mut und Ent- sagung, Pflichttreue und Opferwilligkcit. Der Soldat giebl sein Leben. Ohne den Krieg würde die Welt versumpfen und sich in Materialismus verlieren!"

Die Friedensfreunde wollen durch ständige internationale Schiedsgerichte die Streitigkeiten zwischen Völkern schlichten lassen. Daß dieser Weg unter Umständen gangbar sei, wird nie mand bezweifeln. Schon wiederholt sind schweb ende Fragen dem Spruche eines Schiedsrichters unterworfen worden. Der König der Belgier und der von Schweden sind Richter gewesen in internationalen Streitigkeiten. Professor von Gneist hat den Zwist des Sultans mit dem Baron,v. Hirsch zum Auslrag gebracht. Deutsch- land hat sich in der Carolinenfrage dem Urteil des Papstes unterworfen, und kürzlich war König Albert von Sachsen oberster Richter im Lippischen Erbsolgestrcit. Aber bei allen solchen Fragen handelte es sich doch nur um die Aus­legung von Verträgen und von untergeordneten Streitigkeiten, die niemals den Anlaß zum Kriege bieten konnten. Wo aber die Volkslcidenschaft, wirtschaftlicher Zwang, Rassengegensätze und nationaler Haß, wo die Wucht historischer That- sachcn zum Kriege drängln, da werden auch keine Festsetzungen vom grünen Tisch, keine Dekrete vom Katheder herab das heiße Blut beruhigen.

Nicht Gerichtshöfe können entscheiden, was' die Lebensintcressen eines Volkes, die Ehre einer Nation, was die Würde und das Selbstgefühl als Sühne fordern, winn Interessen, Ehre und Würde verletzt wurden. Und wo dos Staals- intcresse einem hochglsttcklen Ziele zusirebt, wird der nationale Egoismus nimmer darauf verzichten, durch Anspannung der ihm zur Verfügung steh- enden Kr äste die Entscheidung der eisernen Würfel anzurufen. Wehe der Nation, die nicht bereit ist, ihr alles einzujetzen, wo es sich um die Wahrung ihrer höchsten Güter handelt.

Antery attender Heil.

Das Duzen.

Wer hätte nicht schon an sich oder Anderen die Beobachtnng gemacht, daß Duzfreundschaften, zumal bei Männern, meistens lange nicht so innige sind, als Freundschaften, bei denen das Sic" nach wie vor obwaltet. Wie wird auch die Duzsreundschaft in den meisten Fällen ge­schlossen?! Man sitzt in der Kneipe zu Dreien oder Vieren, unb wenn die Geister des Alkohols mehr oder weniger die Sinne umnachtet haben, wenn cs anfängt, so recht gemütlich zu werden, dann fällt es plötzlich einer bierfidelen Seele ein, der ganzen Corona die Duzfreundschaft anzubieten, und so sind Plötzlich ein halbes Dutzend Duzbrüder geschaffen, bei denen das Du" durchaus nicht als Beweis intimerer Freundschaft anzusehen ist. Im Gegenteil, man wird meist die Beobachtung machen können, daß dasDu" nur Gelegenheit bietet, den Ton der Höflichkeit im Verkehr etwas herabzustimmen. Es sagt sich viel leichter und schnellerDu Dummkops" alsSie Dummkops". Das gegen­seitigeSie" unter Freunden und guten Bekannten legt eine sehr angemessene, gegen­seitige Reserve auf, die wohlthuevd auf den äußeren Verkehr wirkt, aber durchaus nicht die größte Intimität ausschlicßt. Anders ist es mit dem Duzen unter Verwandten bestellt. Wenn Kinder, wie es ja besonders in vornehmen Familien noch Gebrauch ist, ihre Eltern mit dem förmlichenSie" anrcden, so mutet uns das keineswegs an. DasSie" scheint hier auch nur eine Uebersctzung des französischen Vvus" zu sein, welches letztere ober bei unserem Nachbarvolke seiner allgemeinen Gebräuchlichkeit halber eine völlig andere Stellung einnimmt, als unser deutschesSie". Treten plötzlich durch Heirat Glieder in eine Familie ein, nun so ist cs gewiß nicht nur von praktischem Wert, wenn das verwandtschaftlicheDu" zwischen den neuen Schwägern und Schwägerinnen Geltung bekommt, denn hier wird unter den bisher Fremden, die ja nun mit einander in die nahesten Beziehungen treten sollen, durch dasDu" eine sichere Brücke geschaffen, über die leicht alle fremderen und steiferen Formen entfliehen, und dasDu" suhlt leicht von verwandtschaftlichen Formen zu verwandtschaftlichen Gefühlen über.

Doch bis jetzt haben wir immer nur das gleichstkllendeDu" im Auge gehabt, bevor wir das herabsetzendeDu", mit dem wir Kinder und Untergebene anzureden pflegen, betrachten, wollen wir einmal überhaupt zuruckblicken auf frühere Zeiten und Unterredungsformen.

Bei den alten Völkern kannte man nur das Duzen. Vornehme unb Geringe, befreundete oder fremde Personen redeten sich mit Du an. Erst im Mittelalter, und zwar, wie geschichtlich nachweisbar ist, im 9. Jahrhundert, kam eine neue Sitte aus; mau redete sich mit Ihr an. Immer mehr griff dosIhr" um sich und bald hatte cs einen so weiten Spielraum sich erobert, daß Höhere von Niedern, der Vater von den Kindern, Geistliche, Fremde, vornehme Eheleute untereinander geihrzt wurden, während Niedere von Höhern, Kinder von Eltern geduzt worden, ebenso wie sich auch das gemeine Volk unter­einander mit Du anredele.

Ucbligens kommt das Letztere noch vielfach heutzutage vor. Mährend es ein Dienstmädchen schon heute beinahe als eine Beschimpfung ersieht, wenn sie von ihrer Herrin mit Du angeredel wird, und dies Letztere gewiß der Kausmann seinem Marklhelsel gegenüber nicht zu thun wagt, reden sich doch meistenteils Personen der dienenden Klasse ja auch Arbeiter unter einander mit Tu an, ohne irgendwie näher bekannt mit einander zu sein.

Im 15. und 16. Jahrhundert verbreitete sich die Sitte, daß Könige, Fürsten und hohe Würdenträger statt mit dem üblichen Ihr mit

ihren Titeln angeredet wurden. Und diese Sitte hat sich bis heutigen Tages erhallen, wir sagen Majestät, Hoheit, fürstliche Gnaden und fahren dann, wie dies auch beim Aufkommen dieser Sitte schon üblich war, in der dritten Person der Mehrheit fort: Majestät wollen geruhen u. s. w.

Dem Ende des 17. Jahrhunderts war es Vorbehalten, die feinste Höflichkeit mit der Anrede herauszubilden. Es war damals überhaupt jene Zeit, in der die Höflichkeitsregeln des persönlichen Umgangs, ausgehend vom französischen Hofe, die feinsten Formen annahmen. Zwischen den Jahren 1690, also vor gerade 200 Jahren etwa, kam die Sitte des Siezens in der heutigen Form auf, indem man die Anrede aus der dritten Person des Singulars in diejenige des Plurals übersetzte.

Ob diese Sitte nicht freilich eine Unsitte ist, bleibt dahingestellt Sprachlich bleibt es ein Unding, von einer Person in der Mehrzahl zu sprechen. Das sprachliche Gefühl sträubt sich unwillkürlich bei diesem Gebrauch, wie dies ja auch Kinder beweisen, die sich sehr schwer den Begriff des Siezens klar zu machen vermögen. So hat es denn auch ein volles halbes Jahr» hundert gedauert, ehe diese Sitte sich allgemein einbürgerte, und erst um 1740war sieAllgemeiu- gut der vornehmen Welt geworden. Uebrigens hat sich seitdem der Gebrauch des Du in vor­nehmeren Kreisen wieder verallgemeinert. Während sich zum Beginn dieses Jahrhunderts noch die nächsten Verwandten, Eheleute und Geschwister sogar, vielfach in aristokratischen Kreisen siezten, hat sich jetzt doch mehr und mehr das Tu der vornehmen Welt für den vertraulichen Verkehr eingcsührt.

Die AnredesormDu" ist auch sogar zur Glaubcnssache gewacht worden. Viele Sekten, wie die Quäker, Meuoniten und andere haben nicht nur unter sich, sondern auch im Verkehr mit Anderen, selbst mit den höchsten der Erde, die Form Du für die Anrede eingcsührt, und mitten in dem immer krasser zu Tage tretenden Streben nach Verfeinerung der Kultur, haben sich die Tiroler jene Einfachheit der Sitten und Umgangsformcn erhalten, Lcß sie untereinander sowohl, als auch im Verkehr mit andern, ja besonders sogar, wenn sie sich außerhalb ihres Landes bifinden, Alle mit Du onreden. Und sie stützen sich bei diesem Gebrauch nicht nur auf die Freiheit, welche wir Deutschen unfern Dichtern in dieser Beziehung einräumen, von denen wir uns ja gern duzen lassen, sondern auch auf jene Freiheit, welche wir uns selbst Herausnahmen gegenüber der höchsten Macht, die wir über uns anerkennen, die wir im Gebet mit Du anrufen.

Auf dem Rade um dieWelt. Der Weltumfahrer Heinrich Horstmann ist am Sonntag Abend von seiner Reise um die Welt zurückgekehrt. Bis Düsseldorf waren ihm eine Anzahl Sportfreunde entgegengesohren. In Sonnborn erwarteten ben mutvollen Radler seine Verwandten, welche ihn dann bis Barmen in das festlich geschmückte Elternhaus geleiteten. Horstmann fuhr am 20. Mai 1895 von Dort­mund ab durch Belgien, Holland, England, Schottland und Irland, die Vereinigten Staaten von Nordamerika und Texas. Japan und Hinter- indien, Ägypten und von Triest durch Oester­reich über Wien, Linz. München, Augsburg, Stuttgart, Frankfurt a. M.. Koblenz, Köln und Düsseldorf. Als er durch Brüssel kam, wurde er vom König Leopold empfangen und vor einigen Wochen hatte er bei Gelegenheit eines Wettrennens in Perlach die Ehre, zur Audienz beim Prinzen Ludwig von Bayern empfangen zu werden. Elfterem mußte er versprechen, mündlich nach seiner Rückkehr über seine Reise zu berichten; letzterem durfte er einen halb­stündigen Vortrag halten. Tie Tour ist für Horstmann reich an Abenteuern und Gefahren