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„schneiden- kann. In Neckarsteinach ist bei dem Fischfang ein Bäckergeselle, der in eine Untiefe kam, ertrunken.
Württemberg.
Weinsberg. 6. Juli. Dieser Tage nahmen die Herren Staatsrat v. Moser und Regierungs, rat Fa Ich als Vertreter der Zentralleitung des Wohlthätigkeitsvereins Augenschein von den Ber» Wüstungen des Unwetters in unserm Bezirk. Gestern fanden gemeinschaftliche Beratungen zur Gründung eines Hilfskomitcs hier statt, woran sich Herr Regierungsrat Falch wiederum be. teiligte An derselben nahmen teil: Der Aus- schuß des Bezirkswohlthätigkeitsvereins. die Herren Geistlichen und Ortsvorsteher, der Landw. Be- zirksvcrcins-Ausschuß. Der Schaden wurde weit über 4 Mill. festgestellt. II. HH. Prinz und Prinzessin Weimar sandten an den Stadtschult- heißen Seufferheld ein Beileidstelegramm wegen der furchtbaren Verheerungen in unserm Bezirk.
Neckarsulm, 5. Juli. Die „Reblaufer-. welche heute eintreffen sollten zur Untersuchung unserer Weinberge, sind wegen der Katastrophe vom 1. Juli abbestellt. — Gestern durchzogen Hunderte von Fremden die Stadt und Umgegend — Neckargartach, Obereisesheim, Binswangen, Erlenbach, um von der schrecklichen Verwüstung Augenschein zu nehmen. — Von der Militär. Verwaltung sind der hiesigen Stadt 50 Mann zur Verfügung gestellt worden, um der hiesigen Bürgerschaft an die Hand zu gehen.
Oehringen, 6. Juli. Für st Hugo zu Hohenlohe-Oehringen hat zu Gunsten der Hagelbeschädigten eine vorläufige Summe von 10000 gespendet. Der Schaden, der die Herrschaft selbst betroffen, beträgt über 100000
In Stuttgart sieht man jetzt neben den Pferdedroschken die „Motordroschke-. Die Droschke ist möglichst elegant gebaut, der Motor ist hinten angebracht, dicke Gummibänder überkleiden die Räder; die Maschine hat 4 Pferdekräfte. Inner- halb der Stadt fährt der Wagen im Trabtempo, auf der Landstraße um vieles rascher. Der im Gegensatz zur Leistung der Pferde unermüdlich gleichmäßige Gang der Maschine ermöglicht es, bei Außenfahrten größere Wegstrecken in erstaunlich kurzer Zeit zurückzulegen. Das Bild des Straßenlebeus wird durch die Motordroschke nicht eben verschönert. Trotz ihrer eleganten Ausstattung wirkt sie schwerfällig und unschön, und trotz der Gummiräder und sonstiger Hilfsmittelt rasselt und poltert sie etwas.
Künzelsau, 7. Juli. Ein hiesiger Unternehmer beabsichtigt, vom nächsten Frühjahr ab einen regelmäßigen Verkehr vermittelst eines Daimlermotorwagens zwischen hier und Mergentheim einzurichten. Der Verkehr ist für Sommer und Winter geplant und soll 3 mal täglich stattfinden.
Ein bestialisches Ehepaar stand dieser Tage vor der Strafkammer Heilbronn. Der Schuster Friedrich Klein von Unterschlechtbach und seine Frau hatten den 11jährigen Knaben der Frau, den sie in die Ehe gebracht hatte, in fürchterlichster Weise mißhandelt. Am 1. Febr. d. I. entlief der Junge aus Furcht vor Miß. Handlungen den beiden Angeklagten. Die beiden entmenschten Eltern beschlossen nun, den Knaben exemplarisch ourchzuhauen. Der Angeklagte Friedrich Klein legte zu diesem Zwecke einen ca. 80 em langen, stark daumensdicken knorrigen Haselnußstock ins Wasser und befahl dem Knaben sich vollständig auszuziehen. Alsdann band er den nackten Knaben mit den gekreuzten Armen und Füßen auf einer Schranne fest; und ver- setzte demselben eine große Anzahl wuchtiger Schläge auf Rücken. Hinterleib und Oberschenkel. Die Mutter war mit dem Vorgehen ihres Mannes ganz einverstanden und hielt während des Zufchlagens ihres Mannes den Knaben am Kopfe fest, um ihrem Manne das Zuschlägen zu erleichtern und den Widerstand des Knaben zu brechen. Während des Zuschlagens rief die Mutter „nur drauf, der verreckt nicht-. Dann nahm der bestialische Klein den nackten Knaben in die Küche, löste in einem Hafen Wasser Salz auf, befeuchtete mit dem Salzwasser eine Bürste und rieb mit derselben den Knaben am Rücken,
an den Armen und Knieen, sowie im Gesicht ab, infolge dessen der Knabe fürchterliche Schmerzen empfand und blutende Verletzungen davontrug. Leider verurteilte die Strafkammer die beiden Bestien nur zu verhältnismäßig geringen Strafen. Klein erhielt 4 Monate, seine Frau 6 Monate Gefängnis.
Stuttgart. ILandesproduktenbörse. Bericht vom 5. Juli von dem Vorstand Fritz Kreglinger.s In der letzten Woche blieb die Stimmung im Getreide-, geschäft eine gute für alle Fruchtgattungen, die Klagen über Schädigung der der Reife entgegen gehenden Ernte in den Produktionsgebieten mehrerer Länder Europas mehrten sich. Die schwach beschickten süddeutschen Märkte verkehrten in ruhiger Haltung. — Mehlpreise pr. 100 Kilogr. inkl. Sack: Mehl Nr. 0 : 29 -4L 50 4 , bis 30 -4L — Nr. 1: 27 bis
28 -4L — , Nr. 2: 25 50 4 , bis 26 -4L 50
Nr. 3: 24 bis 25 Nr. 4: 21 -4L SO ^
bis 22 Suppengries 30 -4L — Kleie
8 -4L —
Ausland.
Paris, 6. Juli. Wie aus Epinsl gemeldet wird, haben die letzten Gewitterstürme unv Hagelschläge in den Bezirken NeuschLleon und Mirecourt furchtbare Verheerungen angerichtet. Man schätzt den in beiden Bezirken angerichteten Schaden auf nahezu 4'/, Millionen.
Paris, 6. Juli. Ja der heutigen Sitzung der Deputiertenkammer wurde die von dem Berichterstatter Krantz befürwortete Kreditvorlage von 500000 Frcs. für die Reise des Präsidenten Faure nach Petersburg mit 447 gegen 29 Stimmen bewilligt.
Konstantinopel, 5. Juli. Die aus» wärts verbreitete Nachricht über angebliche Meinungsverschiedenheiten unter den Botschaftern bei den Verhandlungen über den türkisch, griechischen Friedensschluß sind unbegründet. Der gestrige Schritt der Botschafter beweist im Gegenteil, daß die Einigkeit unter ihnen fortdauert. Wie bestimmt versichert wird, ist man bereits im Jldiskiosk überzeugt, daß die Mächte über die für den Friedensschluß festgesetzten Grundsätze nicht hinausgehen werden.
Bei einem Brande in Haiming bei Jnsbruck wurden 63 Häuser eingeäschert, 15 Häuser blieben erhalten. Eine 25jährige Taubstumme ist, obwohl schon zweimal in Sicherheit gebracht, in das brennende Haus zurückgelaufen und verbrannt.
ZlnLerhattender Teil.
Ein Zeugnis.
Von Rechtsanwalt Dr. von Maasberg.
In meiner Anwaltspraxis ereignet sich Mancherlei, was den ergiebigsten Stoff zu romantischen Entwicklungen hergeben würde, und zwar geht das mir nicht allein so, sondern meine geehrten Herren Amtsgenossen werden wohl alle dasselbe von sich behaupten dürfen. Eigentlich ist es daher zu verwundern, daß verhältnismäßig wenig Rechtsanwälte Romanschreiber geworden sind, und ich wüßte wahrhaftig keinen andern Grund dafür, als den, daß die Rechlsanwaltspraxis am Ende doch noch einträglicher ist als das Romanschreiben — durchschnittlich wenigstens. Ich habe es denn auch fein lassen, wie die überwiegende Mrhrzahl meiner Herren Kollegen, lege aber ein Pröbchen meiner reichen Erfahrung einem geneigten Publikum vor.
Bor etwa zwanzig Jahren hatte ich einen jungen Mann auf dem Schwurgericht zu verteidigen, der des räuberischen Ueberfalls auf einen Postwagen angeklagt war. Wie Herr Benting mir auSeinanderjetzte, war er total unschuldig und nur das Opfer eines tollen Einfalls, den seine Zechkumpane in trunkener Laune beim Anblick eines Postwagens bekommen hatten. Aus der Charlottenburger Chaussee rumpelte der gelbe Kasten unter der schwachen Beleuchtung der Gaslaternen dahin und er kam um so schwerer von der Stelle, als die Straße nach einem langen Regenwetter ourchweicht war und der zähe Kot sich an die Räder setzte. Herr Benting sowohl wie seine Gefährten befanden sich hoch zu Roß, und ihre, von einem Champagnersouper erzeugte Stimmung gab sich
in den verrücktesten Ausbrüchen kund. De« Postwagen zu überfallen und auszurauben, erschien den edlen Herren als ein „famoser Ulk-, wie der Eine, als ein „schneidiger Sport-, wie der Zweite, als eine „jöttliche Komödie-, wie der Dritte sagte. Nur Herr Benting wich von dieser Auffassung des wahnsinnigen Streiches ab und behauptete, seine Zechgenoffen dringend von der Ausführung desselben adgeraten zu haben. In ihrer sich so eigentümlich geberdende« Sektlaune hörten die Herren aber auf keinerlei Vorstellungen, sondern gefielen sich immer besser darin, ein Pröbchen des prächtigen MittelalterS in Szene zu setzen. Jeder dünkte sich alsbald ein Götz von Berlichingen oder Franz von Sickingen oder ein Quitzow zu sein und hurtig fielen sie über den Postillon her, rissen ihn vom Bock, knebelten ihn, banden ihm die Augen z« und koppelten ihn an einen Baum fest. Nach diesem ersten Heldenstreich schritten sie zum zweiten, der darin bestand, daß sie in ei« benachbartes Wäldchen ritten, alldort vom Pferde stiegen und den Postsack umstürzten, um sich deS Inhalts zu bemächtigen. Er bestand auS ungefähr zweitausend Mark Banknoten, die auf die verschiedenen Briefe verteilt waren, eine Beute, welche die Kerle unter sich teilten. Nur Benting, der sie allerdings begleitet hatte, lehnte jede Bethätigung an dem Verbrechen ab. Aber gerade ihn hatte der Postillon erkannt und während die Uebrigen am andern Morgen das Wette gesucht hatten, wurde Benting der Hand der Gerechtigkeit übergeben.
Der Briefbeutel war gefunden worden und ebenso die Briefe. Von den Wertbriefen, die ihres Inhaltes beraubt worden waren sandte« die Postbeamten unter Darlegung des Vorfalls Kopien an die Adressaten. Die Originalschreibea halte man mir zur Prüfung überlassen und danach stellte ich sie dem die Sache führende« Staatsanwalt zurück.
Bis Mittag hatte ich in meinem Privat» bureau zu thun und da der Fall erst am nächsten Tage zur Verhandlung kam. begab ich mich nachmittags auf das Kriminalgericht, um mich dort umzuthun. In der ersten Sache, die zur Erledigung gelangen sollte, handelte eS sich um einen Diebstahl, den ein siebzehnjähriges Dienstmädchen, namens Luise Schmidt, begange« zu haben bezichtigt war.
Die Gefangene war sehr hübsch und ihr Blick trug einen Ausdruck von Sanftmut und Unschuld, wie man ihn bei Verbrecher schwerlich findet.
Luise Schmidt sollte ihrer Dienstherrin, einer Witwe Fahrland, dreihundert Mark entwendet haben. Mit den leidenschaftlichsten Worte« beteuerte Luise ihre Unschuld und ries Gott zum Zeugen an, daß sie lieber sterben als stehle« würde. Leider zeugten die Umstände gegen sie. Aus dem Zimmer der reichen Witwe waren die dreihundert Mark in Banknoten gestohlea worden und Niemand als Luise hatte Zutritt zu diesem Zimmer.
Gerade wurde Frau Fahrland selbst als Zeugin vernommen, als ein junger Mensch sich mir näherte und meinen Arm ergriff.
„Wie ich höre, sollen Sie ein ausgezeichneter Rechtsanwalt sein-, flüsterte er mir zu.
„Ein Rechtsanwalt bin ich-, sagte ich. Sie wünschen . . . ?
„O dann retten Sie sie-, bat der junge Mensch. „Sie ist unschuloig.-
„Hat sie denn keinen Verteidiger?- fragte ich.
„Keinen, der was taugt — überhaupt keine« Menschen, der sich einen Pfifferling um sie kümmert. O retten Sie sie doch — ich zahle Ihnen Alles, was ich kann. Ich besitze zwar nicht viel, aber ich bekomme geborgt. -
Ich überlegte mir die Sache einen Augenblick. Ich sah zu der Gefangenen hinüber, deren Blicke mich gleichfalls suchten. Ihre Augen schwammen in Thränen und sahen so beschwörend, so demütig flehend auf mich, daß ich mich kurz entschloß. Ich stand auf, ging z« dem Mädchen hin und fragte sie, ob sie mich zum Verteidiger wünsche. Sie sagte „ja- und ich benachrichtigte alsbald den Vorsitzenden, daß ich bereit sei, in die Sache einzutreten .. . Ma« ließ mich sofort zu.