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Meiner Bitte um eine kurze Frist, während deren ich mit meiner Klientin sprechen könnte, gab man gleichfalls nach. Darauf nahm ich neben der Gefangenen Platz und ersuchte sie, mir den Vorfall wahrheitsgemäß vorzutragen. In kurzen Worten erzählte sie mir, daß sie bereits feit zwei Jahren in Frau Fahrland's Diensten gestanden und daß ihr während dieser ganzen Zeit nichts Unangenehmes widerfahren sei. Vor vierzehn Tagen seien aber ihrer Frau die dreihundert Mark abhanden gekommen.
„Das Geld lag in einer Schublade", fuhr Luise fort, „und Frau Fahrland fragte mich, ob ich nicht wüßte, wo es sein könnte, aber das wußte ich natürlich nicht. Dann kam die Köchin — Hanna Muttke — unv erzählte der gnädigen Frau, sie hätte durch's Schlüsselloch gesehen, wie ich über die Schublade gegangen wäre und das Geld herausgenommen hätte. Und dann gingen sie über meinen Koffer . . . und dort fanden sie einen Fünfzigmarkzettel von dem fehlenden Gelde. Aber ich habe das Geld nicht hineingelegt — ich nicht — ein Anderer muß es mir hineingethan haben."
„Haben Sie Jemanden im Verdacht?" fragte ich.
„Ja", sagte sie zaudernd, „die Einzige, die es gethan haben könnte, wäre nur H^mia Muttke. Sie kann mich nicht ausstehen, weil sie sich einbildet, daß gnädige Frau mich besser behandelt als sie."
Sie zeigte mir Hanna Muttke, die als Zeugin erschienen war: ein Mädchen von großer Figur mit roten Wangen, die zuweilen einen bläulichen Anflug bekamen, Backen, die platzen zu wollen schienen und listigen kleinen, graublauen Augen.
„Ach bitte, bester Herr", flüsterte meine neue Klientin mir ängstlich zu, „können Sie mir helfen?"
„Hanna Muttke heißt sie?" fragte ich überrascht. Wo war mir denn der Name schon begegnet? Ach ja . . . — ja . . .
„Ich werde mir die größte Mühe geben", sagte ich zu Luise Schmidt. Suchen Sie sich zu beruhigen."
Damit verließ ich den Gerichtssaal, suchte den Staatsanwalt aus, dem ich die erbrochenen Wertbriefe zurückgegeben hatte, und erbat mir dieselben auf einen Augenblick zurück. Darin blätternd, fand ich alsbald, was ich suchte, und auf meine Bitte gestattete mir der Staatsanwalt, den einen Brief zurückzubehalten, wenn ich ihn binnen Kurzem zurücksenden wolle. Ich versprach, das noch vor Einbruch der Nacht zu thun, verfügte mich in den Gerichtssaal zurück und die Verhandlung nahm ihren Fortgang.
(Fortsetzung und Schluß folgt.)
Die Wetterprophezeihungen Falbs sind eingetroffen — d. h. das Büchlein, in welchem er seine Wetterprognosen nun auch für dos zweite Halbjahr 1897 kundgiebt. Eigentlich darf man über dieselben nicht mehr scherzen, denn in einer eingehenden „Witterungsgeschichte vom November 1896 bis Mai 1897" weist der der Verfasser nach, daß sich in dieser Zeit fast alle seine Voraussagen erfüllt haben. Mit einer Unmenge von Zeitungsnotizen und Privatnachrichten belegt er es insbesondere, daß der als kritischster Tag des Jahres 1897 angekündigte 18. März Falbs Prophezeihung auf das glänzendste gerechtfertigt hat; allenthalben gab es Sturm, Gewitter und Hagelschlag. Man wird also doch einigen Respekt vor der Unordnung haben müssen, die solche kritischen Tage erster Ordnung anrichten können. Auch im zweiten Halbjahr 1897 haben wir wieder eine Anzahl kritischer Termine zu erwarten, welche der Verfasser in drei Ordnungen teilt. Kritische Tage zweiter Ordnung sind: Der 24. Dezember, 12. August, 11. September, 14. Juli, 29. Juli, 10. Oktober. Kritische Tage dritter Ordnung sind der 9. November und 9. Dezember. Von den Wetterprognosen für die einzelnen Monate interessieren wohl am meisten die für die Ferien- und Erntezeit. Vom Juli soll das erste Drittel jm allgemeinen ziemlich trocken verlaufen, wofür
es bei den Gastwirten desto feuchter hergehrn dürfte. Für die in diesen ersten Tagen auszu- stehende Hitze wird man nachher reichlich ent- schädigt, denn während der letzten zwanzig Tage genießen wir mit einer kurzen Zwischen- pause ein dauerndes Regenwetter. Man möge daher bei der Abreise in die Sommerfrische den Regenschirm nicht vergessen. Der August hingegen verspricht wieder mit Ausnahme der ersten fünf Tage eine bedeutende Trockenheit, nach welcher erst der 28. als kritischer Tag erster Ordnung die ersehnte Abkühlung bringt. Der September wird in der ersten Hälfte naß, in der zweiten sehr naß sein und zwischen durch giebt es manchmal schönes Wetter, wohingegen wieder vom Oktober ab die erste Hälfte ganz und die zweite Hälfte teilweise verregnet. Der November führt sich, weil es bis dahin noch nicht geregnet hat, ebenfalls mit Regen ein, bildet aber bald eine willkommene Abwechslung, indem es so um den 8. herum zu schneien anfängt. Für späterhin sind trockene Kälte, trockene Wärme, Regen und Schnee in so raschem Wechsel ungesagt, daß das Wetter wahrscheinlich konfus werden und sich schließlich nach eigenem Belieben einrichten wird. Der Dezember erscheint anfänglich ein etwas trockener Herr mit kalier Miene, zeigt aber dann ein milderes und sogar rührungsfeuchtes Gesicht, besonders um die Weihnachtszeit. Der 23. ist ein kritischer Termin, der voraussichtlich der Menschheit viele Unkosten bereiten dürfte. Nachher wird der Dezember wieder sehr trocken und sehr kalt, sodaß man sich besonders am Jahresschlüsse zu einem bedeutenden Punschkonsum genötigt sehen wird. Erwähnt sei noch, daß das Wetterbüchlein auch eine herzliche Danksagung Falbs an das Komite der Falbspende, an die Presse und an die Geber für die dem Verfasser in schwerer, durch Krankheit hervorgerufener Notlage ge- wordene materielle Hilfeleistung enthält.
(Röntgenstrahlen u. Lautphysiologie.) Von hervorragender Bedeutung sind die jüngst erschienenen Mitteilungen eines Berliner Arztes, Dr. M. Scheier, welche die Verwertung der Röntgenstrahlen für das Studium der Physiologie der Stimme und Sprache darthun, die noch immer Gegenstand lebhafter Forschungen bildet, weil sie noch nicht vollständig aufgeklärt ist. Dr. Scheier hat, wie die Post berichtet, zunächst festgestellt, daß das Gaumensegel beim Sprechen auf dem Fluoreszenzschirm zu sehen sei und seine Bewegungen genau beobachtet werden können. Durchleuchtet man den Kopf seitlich, so sieht man auf dem Schirmbilde den Hinteren Rachenraum als einen Hellen Schatten hervortreten, der von der dahinterliegenden dunkelschwarz erscheinenden Halswirbelsäule abgegrenzt ist. Läßt man die zu untersuchende Person einen Vokal sprechen, so steht man wie das Gaumensegel sich hebt, und zwar ganz verschieden in den Hinteren Rachenraum sich hin- einlcgt, je nach dem Vokal, den man aussprechen läßt. Dieser Fortschritt in der Verwendung der Röntgenstrahlen ist erst durch die verbesserte Technik möglich geworden, die das störende Flimmern des Bildes auf dem Schirm verhütet. Am deutlichsten sieht man die Bewegungen des Gaumensegels bei erwachsenen Personen. Bei hohen Tönen erhebt es sich höher als bei tiefen, bei laut gesprochenen mehr als bei leise gesprochenen, — Thatsachen, die von Fachmännern bisher noch viel umstritten waren. Man kann auf dem Schirmbilds auch sehr genau die Veränderungen der Gestalt der Mundhöhle bei den verschiedenen Buchstaben erkennen, auch die Lage der Zunge, z. B. bald am Boden der Mund- höhle, bald am harten Gaumen, die Zusammenziehung der Zunge beim Buchstaben A u. a. m. Man sieht ferner die Stellung der Lippen und der Kiefer zu einander und kann die Bewegungen des Kehlkopfs, namentlich des Kehldeckels gut verfolgen. Schließlich ist noch zu erwähnen, daß man mittels der Röntgenstrahlen sich auch über das Verhalten des Gaumensegels beim Atmen, bei den Schlingbewegungen, Schnarchen, Bauchreden u. s. w. unterrichten kann.
Den Damen, welche sich für die Natur- geschichte der Dienstboten interessieren, teilen wir folgendes Bild aus dem Dienstbotenleben mit, das sich in der Kolmarer „Els.-Lothr.-Volksp." befindet: Eine Dame be- gab sich nach der Mägdeherberge, um ein Dienst, mädchen zu suchen, fand auch eins, das ihr zusagte, und nahm es sofort mit. Als die Magd mit ihrer Herrin unterwegs war, erkundigte sie sich, ob es noch weit wäre. „Nur noch eine kleine Strecke," war die Antwort. Man ging weiter; da hielt das Mädchen an und sagte: „Nein, Madame — so weit gehe ich nun doch nicht!" „Ja, warum denn nicht?" „Wissen Sie, Madame, ich habe nämlich hier einen Schatz, und dem kann ich unmöglich zumuten, daß er jeden Tag diesen weiten Weg machen soll; suchen Sie sich gefälligst eine Andere, Adieu." Der Dame blieb nichts übrig, als nochmals nach der Herberge zu gehen, um „eine Andere zu suchen." Kaum war sie angekommen, als es an die Thür klopfte und zwei Mädchen in Sportkleidung eintraten. Sie erzählten; „Wir kommen gerade auf dem Rade von Schlett- statt und wollten uns Umsehen, ob vielleicht eine Stelle für uns frei wäre?" Das war der Dame aber zu „modern". Sie verzichtete auf die radelnden Dienstmädchen und will warten, bis sie eine findet ohne Schatz und ohne Rad, was unter Umständen lange währen wird.
Aus der Schweiz, 1. Juli. Aus Muri im Argau wird berichiet, daß auf dem dortigen Bezirksgefängnis die weiße Fahne zum Zeichen weht, daß es keine Gefangene beherbergt. Ein so seltenes Ereignis, daß man schon deß Urkund nehmen muß.
(Zu der Blitzgefahr auf freiem Felde), die in diesem Jahre außergewöhnlich gesteigert erscheint, da schon jetzt zahlreiche Meldungen über Unglücksfälle durch Blitzschlag oorliegen, ist folg- endes beachtenswert: Mit eindringlicher Warnung mahnen die verhältnismäßig ganz außerordentlich häufigen Fälle, daß die Menschen bei der Arbeit auf offenem Felde oder bei der Heimkehr von derselben vom Blitze getroffen werden, zur größeren Vorsicht. Diese Gefahr mehrte sich mit der fortschreitenden Melioration der Feldmarken, mit der Beseitigung der Bäume und hohen Hecken re. — weithin ist jetzt ein anfrechtstehender bezw. gehender Mensch der höchste Punkt für den Ausgleich der Erd- und Wolken-Elektrizität der Ex- pornirteste im Gelände. Darum denke man bei den jetzt so häufigen Gewittern rechtzeitig an Heimkehr oder lege sich, wenn keine andere Sicherung möglich, im Gelände nieder. Daß man bei Gewittern, unter einzelstehenden Bäumen stark gefährdet ist, weiß wohl Jedermann, dagegen bietet ein selbst kleiner Wald leidlichen Schutz.
Ein seltsames Strafmandat hat ein Bürger in Siegen erhalten: „Sie haben Ihren Hahn durch Unterlassung der Abhaltung vom Krähen in ungebührlicher Weise rnhe- störenden Lärm verursachen lassen. Es wird deshalb gegen Sie auf Grund des § 360 Nr. 11 des Strafgesetzbuches eine bei der Stadtkasse zu entrichtende Strafe von drei Mark festgesetzt.
(Das Ende vom Lied.) Zeitungsanzeige: „Heute abend findet im Zirkusrestaurant das letzte Auftreten des dressierten Schweines Pugi in Form von Würsten und Koteletten statt, wozu ergebenst einladet der Besitzer.
(Lnkunb tsrriblo.) Assessor: „Magst Du mich auch, kleine Elsa?" Kleine Elsa: „O ja, aber Mama hat Sie für die Schwester Klara bestimmt."
Charade.
Die erste Silb' bezeichnet einen Raum,
Der, von der Erde schon gar oft durchflogen, Hier bei des Menschen kurzem Erdentraum Von Manchem nicht mit Weisheit wird erwogen. Die zweite Silb' nennt euch ein handelnd Wesen, Von dem das Ganze eine Art nur ist.
Das wohl das siebente Gebot mag lesen,
Doch die Erfüllung leider oft vergißt.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neue nbürg.