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Vom Filsthal, 3. Juli. Sowohl in einigen Filsthal- als auch Albgemeinden sind gegenwärtig verhältnismäßig zahlreiche Typhus- Erkrankungen zu konstatieren. Nicht selten nimmt die Krankheit dabei einen tätlichen Ver- lauf. Der Umstand nun. daß die Reservoire aller von Typhus heimgesuchten Gemeinden aus ein und demselben, nämlich dem Mühlhausener Wasserwerke gespeist werden, hat ein paar Aerzte auf die Vermutung gebracht, daß das Trink und Kochwasser auf irgend eine Weise, etwa durch Vermischung mit Abwasser, Gülle rc. inficicrt sein könnte. Angesichts der zahlreichen Erkrankungen wäre, nachdem dieser Verdacht einmal aufgetaucht ist, zur Beruhigung des Publikums eine rasche Untersuchung sehr angezeigt.
In Alpirsbach hielt am Dienstag (Peter und Paul) der Württ. Schwarzwaldverein seine jährliche Hauptversammlung ab. Unter den zahlreich erschienenen Gästen befand sich u. a. der Vorstand des Hauptvereins, Rechtsanwalt Stockmayer-Stuttgart, mit den Ausschußmit- gliedern des Hauptvereins. Zuerst wurde das Kloster und die altchrwürdige Klosterkirche, die im nächsten Jahre das 800jährige Jubiläum ihrer Gründung feiert, besichtigt Im Kreuzgange des Klosters wurden die Gäste von einer Anzahl Alpirsbacher Jungfrauen in kleidsamer Schwarzwäldertracht bewirtet und jedem derselben ein niedliches Schwarzwaldsträußchen über- reicht; eine dieser Schwarzwälderinnen bot auch in poetischer Sprache einen herzlichen Willkomm. Die Beratungen fanden im festlich geschmückten Rathaussaale statt. Der Vorstand eröffnet« die Versammlung durch eine Begrüßungs-Ansprache und einen Toast auf den König und erstattete hierauf den Geschäftsbericht» welcher sich über die in den 12 Bezirksvereinen herrschende Ein- mütigkeit und Schaffensfreudigkeit sehr erfreut und lobend ausspricht. Die Mitgliederzahl ist seit 1895 von 1540 auf 1932 angewachsen. Professor Völker aus Stuttgart erstattete sodann Bericht über die Leitung der Vereinsschrift, die sehr viel Arbeit macht. Der einzelne Jahrgang kommt minimal auf 2000 »lL zu stehen, also auf 1 vkL pro Kopf. Da der badische Schwarzwaldverein beschlossen hat, ein eigenes Organ zu gründen, so wurde, wie schon auf einer früheren Versammlung angeregt, ob nicht durch die Vereinigung beider Zeitschriften eine Verbilligung zu erreichen wäre. Nach längerer Debatte, in welcher der Vorstand des Bezirksvereins Baden-Baden, H. Bußemer ein Zu- sammengehen warm befürwortete, beschloß man, dem badischen Schwarzwaldverein seine prinzipielle Geneigheit zu gemeinsamem Vorgehen auszudrücken. Die nächste Jahresversammlung wird in Sulz auf eine von dort ergangene Einladung abgehalten. Sodann wurde auf einen Antrag des Bezirksvereins Stuttgart beschlossen, die Jahresversammlung künftig nicht an Peter und Paul, wo viele nicht abkommen können, sondern am ersten Sonntag nach Peter und Paul abzuhalten. Der Vorsitzende des Haupt- ausschufses, Rechtsanwalt Stockmayer, wurde sodann durch Akklamation wiedergewählt. Hieraus wurde beschlossen, 8 neue Karten des württ. Schwarzwaldes im Maßstab 1:50000 herzu, stellen, da die bisherigen ziemlich veraltet sind. Die einzelne Karte kommt auf ca. 1200 Um die sofortige Inangriffnahme des Werks zu ermöglichen, wurde die Erhöhung des Jahres- beitrags auf »-L 1.50 mit überwiegender Mehr- heit angenommen. An die Beratungen schloß sich um 2'/, Uhr ein gemeinsames, durch zahl- reiche Toaste belebtes Festessen im Gasthof zum Schwanen mit 120 Gedecken, währenddessen die Schramberger Musikkapelle konzertierte.
Ausland.
Zürich, 2. Juli. Im Innern der Schweiz herrschte gestern Nacht ein furchtbarer Orkan, verbunden mit Wolkenbruch. Biele Häuser wurden zerstört und die Ernte ver- nichtet. Die Rhone durchbrach einen Damm.
Pest, 3. Juli. Aus Sanjhely, Miskolcz, Iglo und Klausenburg laufen Gerüchte über furchtbare Unwetter und Hagelschläge ein, welche großen Schaden verursachten. In <lglo sind sämtliche Brücken weggeschwemmt.
Der Blitz schlug in den Klosterturm und schmolz das Kupferdach. Zahlreiche Haustiere sielen zum Opfer. In Miskolcz wurden zwei Kinder vermißt. Bei Klausenburg ist der Schaden unberechenbar.
Die durch die bekannten Sprachenverord- nungen des österreichischen Ministerpräsidenten, Grafen Badern, erzeugten Wirren in ganz Deutsch-Oesterreich rufen immer schärfere Gegen- kundgebungen und Gegenmaßregeln der deutschen Gemeinden hervor. Mehrere deutschen Gemeinden in Böhmen aber auch die Gemeindebehörden der Stadt Jnsbruck haben gegen die Regierung einen Gemeindestreik in Szenen gesetzt und verweigern für den Staat die Erhebung der direkten Steuern, die Besorgung verschiedener militärischer Geschäfte und der Amtsverhandlungen in Gewerbeangelegenheiten. welche eigentlich den Staat an- gehen. Gesetzlich verpflichtet sind die Gemeinden in den angegebenen Fragen nicht, sind also grundsätzlich im Recht, wenn sie die Mitwirkung bei den Staatsgeschäften ablehnen, die ihnen nicht durch ein Gesetz, sondern nur durch einen Ministerialerlaß zugewiesen worden sind. Was freilich bei dem Streik herauskommen soll ist nicht recht klar. Der Staat wird zunächst besondere Behörden schaffen müssen, welche Geld kosten, und dieses haben die streikenden Gemeinde- bürger mit aufzubringen.
Jetzt endlich ist man in Paris aus dem Hangen und Bangen, aus eenem Wust von Gerüchten, ernsten und witzigen Betrachtungen heraus zur Gewißheit über die Reise des Präsidenten Faure nach Rußland gekommen. Vom Zaren ist ein förmlicher Einladungsbrief eingetroffen, der nunmehr die Angelegenheit in das Bereich feierlicher amtlicher Behandlung gerückt hat. Auch da wird es noch einige Schwierigkeiten geben. Zwar werden Ministerrat und Deputiertenkammer die notwendigen Kredite ohne Zögern bewilligen, aber es werden dabei noch einige radikale und sozialistische Stürme zu beschwichtigen sein, da man auf dieser Seite befürchtet, daß vielleicht die verfassungsrechtliche Stellung des Präsidenten nicht gewahrt und Faure sich mit den äußern Eigenschaften eines Souveräns umgeben könnte. Darüber wird man um so leichter hinwegkommen, als sich in der letzten Zeit die Aussichten der Russenbrgeisterung, die eine Zell lang recht gedämpft erschien, wieder gebessert haben. Namentlich wegen der Behandlung der griechischen Frage, die sich nach russischen Wünschen und Interessen vollzog, waren neue Zweifel daran entstanden, ob nicht das sogenannte „Bündnis" immer nur dem russischen Vorteil diene. Indessen hat der elende Zusammenbruch der griechischen Hoffnungen die Griechensreunde in Frankreich ernüchtert, so daß die Regierungs- presse nur als alte bewährte Zaubermittel, Deutschland als den Störenfried zwischen Frankreich und Rußland hinzustellen, in Anwendung zu bringen brauchte, um das Vertrauen in die Kraft des russischen „Bündnisses" neu zu beleben. Einzelne Blätter thaten noch ein klebriges, indem sie versicherten, daß Faure aus Rußland endlich das sehnsüchtig erwartete, aber noch immer nicht gesprochene Wort „Allianz" aus dem Munde des Zaren mit zurückbringen werve.
Die Franzosen hören nicht aus wie ihre Flotte, so auch ihre Armee so weit als nur irgend möglich zu vermehren. Das in und bei Nancy stehende 6. Armeekorps ist nun auf die Stärke von zwei Armeekorps gebracht worden und nun erwägt man die Frage, ob nicht aus der einen Hälfte das 20. Armeekorps neu ge- Der französische Kriegsminister scheint übrigens der Ansicht zu sein, daß das Korps als Einheit belassen werden müsse, aber beide Hälften je von einem General, das gesamte Korps dagegen im Kriegsfälle von einem General-Jnspekteur befehligt werden soll.
Barcelona, 2. Juli. Während mehrerer Stunden wurde hier eine merkwürdige Erscheinung auf dem Meer beobachtet. Der Wasserspiegel hob und senkte sich alle 10 Minuten um einen Meter. Einem englischen im hiesigen Hafen liegenden Kriegsschiffe riß daS Ankertau. DaS Schiff mußte den Hasen verlassen.
Unterhaltender Ml.
Eine
Nachtvisite beim Staatsanwalt.
Von G. K e l l e t t.
„Sechs Monate Kerker mit schwerer Arbeit verschärft."
„Mit Ihnen will ich schon quitt werden." raunte der Gefangene dem Staatsanwalt zu und wandte sich dann, um in seine Zelle zurückzukehren.
Denn Johann Rumpel fühlte sich schwer verletzt. Dieser Herr Staatsanwalt — warte, wie hieß er doch? — Emil von Timpe! na, den Namen wollen wir uns merken! — und Johann Rumpel blieb stehen, um diese bedeutungsvollen Silben seinem Gedächtnisse einzuverleiben — dieser Herr Emil von Timpe hatte die Anklage mit einer Lebhaftigkeit unterstützt, gegen die Johann's Erklärung seiner nächtlichen Anwesenheit in einem fremden Hause als völlig belangslos bei Seite gesetzt worden war.
Der Herr Staatsanwalt hatte Johann Rumpel's Worte wohl verstanden, hatte den Blick gewürdigt, der diese Worte begleitet hatte. Es war kein beruhigender Blick, kein Liebesblick gewesen. Um Mitternacht, in der Beleuchtung einer Blendlaterne diesem Blick ausgesctzt zu sein — brrr! Den Staatsanwalt, Herrn Doktor Emil von Timpe überlief eine Gänsehaut.
„Unser Etnbrecherkönig im Zuchthaus!" sagte ver Sergeant in einem Tone, der von Bewunderung nicht frei war. „Dich scheelen elektrische Klingen wenig, Hänseken, was? Und durch eiserne Gitter schlüpft er, als wär'S braunes Papier!"
Dem Herrn Staatsanwalt wurde es immer bänglicher zu Sinne. Er hatte zwar nur seine Pflicht gethan, als er diesen Desperado zu« Gehorsam verhalf, aber Herr von Timpe üver- legte einen Augenblick, ob man seine Pflicht nicht allzuwohl erfüllen könne.
Er stellte sich seine abgelegene Billa, die niedrige Gartenmauer, die rostige, altersschwache Kette an der Hausthür, die tiefgelegenen Balkons und die unsicheren Fenstervergilterungen vor. Na — eines Trostes durfte er sich auf alle Fälle freu'n: des Borsprungs von sechs Monaten, in denen Ehrenrumpel nichts gegen ihn und sein Haus unternehmen konnte.
Der Schutzmann im Revier des Herr« Staatsanwalts war von dem herablassenden Gruß, der ihm heute von Herrn Doktor von Timpe zu Teil wurde, angenehm überrascht.
So hatte der gestrenge Herr denn ganz vergessen, daß er ihn neulich bei einer überflüssig zärtlichen Begrüßung seines Stubenmädchens betroffen hatte? Zürnen thal ihm der Gestrenge auf keinen Fall mehr, denn da der Schutzmann sich wie magnetisch angezogen der Timpe'scheu Villa näherte, drehte der Herr Staatsanwalt sich nach ihm um und es war kein entmutigender Blick, der ihn aus des Gestrengen Augen traf.
Die sechs Monate liefen in's Land und vergingen Herrn Johann Rumpel wett weniger vergnüglich als dem Herrn Staatsanwalt Doktor Emil von Timpe.
Johann Rumpel war schon leichteren Arbeiten abgeneigt, geschweige denn den harte» Zuchthausarbeiten. Dafür aber hatte er ausreichend Zeit und Gelegenheit, über die „rachsüchtige Schlechtigkeit" Herr von Timpe's und über eine Vergeltung derselben nachzuoenken.
Johann Rumpel war Künstler in seine» Fach und bei seinem Vergeltungsakt nahm er sich vor, sich selbst zu überlreffen. Er wollte nichts übereilen, sondern alle Vorsichtsmaßregeln rn Ruhe treffen und seine Zeit abpassen. De« Manne, der zu warten versteht, sagte er sich, wird sein Recht. Und er beschloß, Herrn Emil von Timpe feine „Aufwartung" mit aller möglichen Klugheit zu machen.
Endlich schlug die Stunde, die Johann Rumpel die Freiheit wiedergab — einstweilen wenigstens. Er sah sich nach Beschäftigung — nicht nach Arbeit um; von der hatte er i« Zuchthause genug und übergenug gehabt, hätte sie außerhalb der Kerkermauer auch schwerlich finden können, selbst wenn er sie gesucht hätte.