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Als er so in Gedanken durch das Chaos von Menschen sich durchwand, fiel plötzlich etwas vor ihm nieder. Er fuhr zusammen, als wäre er aus einem Verbrechen ertappt, bückte sich schnell, um den zu Boden gefallenen Fächer aufzuheben und übergab ihn der Eigentümerin mit einer stummen Verbeugung, dann setzte er aber schnell seinen Weg zum Ausgang des Saales fort. Doch hier blickte er noch einmal zurück auf diese anscheinend so fröhlichen Menschen. Da sah er seinen Freund mitten unter diesen, neben ihm stand eine junge, hübsche Dame, dieselbe, der er soeben den Ritterdienst geleistet. Er blieb und schaute weiter zu. Es war Pause.
Abermals setzte die Musik ein und er hörte die Stimme des Tanzordners: Damenwahl!" Er sah, wie „seine" Dame — in Gedanken nannte er sie so, da sie die Einzige war, mit der er an diesem Abend in nähere Beziehungen gekommen war — seinen Freund aufforderte und mit diesem dahin wirbelte. Wie Eifersucht zogs durch seine Seele, Eifersucht gegen den Freund und auch gegen die Anderen, die sich hier so nach Herzenslust amüsierten, während er verlassen dastand.
„Oh. da ist ja Ihr Freund, stellen Sie ihn doch vor!"
Otto Kern ging auf seinen Freund Willy zu und führte ihn einige Schritte vor» um ihn vorzustellen.
„HerrFleischhauer — Fräulein von Langen!"
Gleich darauf wurde Otto von einer anderen Dame aufgefordert und verschwand mit ihr im Gewühl der Tanzenden.
„Wollen Sie, mein Herr, als Dank für Ihren Ritterdienst, mit mir der Göttin Terp- sichore huldigen?"
Der Ritter hatte bereits bei der Vorstellung sein schüchternes Erstaunen durch eine sehr tiefe Verbeugung verheimlicht, doch dieses Erstaunen wuchs zur fürchterlichen Aengstlichkeit, als er! die Aufforderung zum Tanz vernahm. Vom j Ritter war keine Spur augenblicklich an ihm zu i bemerken. Er machte ein sehr trauriges Gesicht. ^
„Oder wollen Sie nicht tanzen?" Asta von Langen richtete einen fragenden Blick auf ihr vis-L-vis.
„Ja — nein, mein sehr geehrtes Fräulein, ich, ich — will natürlich, doch — ich kann nicht tanzen." Noch wehmütiger wurde dem armen Willy zn Mute.
Fräulein von Langen empfand Mitleid. „Nun, Herr Fleischhauer, wenn Sie nicht tanzen, so können wir etwas plaudern, kommen Sie, wir wollen uns ein Plätzchen suchen, mir wird die kleine Ruhe auch gut thun."
Sie zog ihren Begleiter mit sich fort, sicher durch das Gewühl der Tanzenden hindurch zu einigen leerstehenden Stühlen. Diese Auszeichnung benahm dem armen Willy beinahe vollends die Besinnung. Asta besaß aber das Talent, sich mit Jedem unterhalten zu können. Sie wußte auch hier den richtigen Ton anzuschlagen, um ihren sonderbaren Tänzer zum Sprechen zu dringen, war sie doch bereits durch Otto Kern über seine Eigenheiten unterrichtet. Er ihat ihr leid, weil er unter den Vielen so einsam war, aus diesem Grunde hatte sie ihn auffordern wollen. Nun saß sie neben ihm und sah seine hilfloßen Blicke. Sie redete unbefangen mit ihm, indem sie zunächst von seinem Freunde sprach. Ihre freundlichen, einfachen Fragen beantwortete er, und als die Rede auf seinen Freund kam, da konnte er erzählen, was das für ein Prachtmensch fei, und wie er ihm dankbar sei, daß er ihn zu zerstreuen suche. Auch wurde er don seiner schönen Nachbarin über sich selbst befragt. So erzählte er von seiner Jugend und gab auch zuletzt die Gründe an, warum er so wenig in Gesellschaft ging.
Inzwischen war die Damentour zu Ende. Tänzer kamen, um Fräulein von Langen aufzufordern. Sie verabschiedete Willy mit einem freundlichen: „Auf Wiedersehen!"
Als die sogenannte Kaffeepause begann, und die langen Tafeln hergenchtet wurden, an denen der edle Mocca kredenzt werden sollte, kam sein Freund zu ihm. „Mensch, Du bist ja
ein Teufelskerl, Du hast entschieden Eroberung gemacht. Na warte, Du Duckmäuser! Doch komm jetzt, wir werden Beide neben der Schönsten unter den Schönen sitzen." Willy folgte, höher röteten sich seine Wangen, als sein Freund ihn binführte zu dem ersten und einzigen weiblichen Wesen, das es verstanden hatte, Willy Fleischhauer zum Sprechen zu bringen. Er saß an der Kaffeetafel neben ihr. Wenn auch hier Otto die Kosten der Unterhaltung trug, so hörte Willy doch andächtig zu und mit freudestrahlendem Gesicht warf er manchmal ein. „Ja, jawohl, sehr verehrtes Fräulein", mitin die Unterhaltung. Wenn aber Asta lachte, was häufig bei der spaßhaften Konversation seines Freundes geschah, dann lachte er aus vollem Halse mit.
Nach Aufhebung der Tafel wurde Asta wieder von den Tänzern entführt; doch Willy war selig, hatte sie ihn doch wiederholt auf- gefordert, seinen Freund, der im Hause ihrer Mutter verkehrte, einmal zu begleiten, wenn derselbe wieder zu ihnen käme. Den Rest des Abends brachte er wieder auf seinem Beobachter. Posten an der Thür zu und ging mit Otto nach Schluß des Balles ganz trunken vor Wonne nach Haus.
Jetzt, nach zwanzig Jahren, stehen die Bilder jener Zeit dem dicken Fleischhauer noch voll und ganz vor Augen. Er sieht Asta von Langen noch ebenso deutlich, wie damals, wie sie in ihrem rosa Mullkleide aus ihn zukam, um ihm zum Tanz aufzufordern, er hört noch ihre liebe, freundliche Stimme: „Wir wollen uns ein Plätzchen sucher, mir wird die kleine Ruhe auch gut thun." Wie freundlich war sie zu ihm, wie wußte sie ihn, den schüchternen Menschen, zum Sprechen, ja zum Erzählen zu bringen! — Oh, sie war ein reizendes, ein gutes Geschöpf. — Der dicke Willy blickt eine Weile ganz stumm vor sich hin, seine Augen füllen sich mit Thränen. „Asta, Asta, warum hast Du so an mrr gehandelt!" entringt sich seiner Brust. Die frühere Zeit zieht weiter an seiner Seele vorüber.
Sein Freund Otto Kern hatte, dem Wunsche der schönen Asta entsprechend, eines Sonntags seinen Freund mitgebracht in das traute Heim ihrer Mutter. Auch von dieser wurde der schüchterne Jüngling freudig empfangen. Es war kein großer Kreis, der sich im Hause der Frau von Langen eingefunden hatte. Nur noch ein alter Oberst a. D. und eine ältliche Jungfer, Stiftsfräulein, die ledigen Geschwister der Hausfrau, waren anwesend. Diese verstanden es, den unbeholfenen Willy aufzutauen, nicht zum mindesten Asta selbst, welche ein wenig Interesse für den schüchternen, aber sehr höflichen und dankbaren Zuhörer zu empfinden schien. Wie gesagt, er lebte auf und beim Abschied versprach er wiederzukommen. — Er kam wieder fast jeden Sonntag, und während sich Asta vornehmlich mit Otto unterhielt und mit ihm musizierte, unterhielt Willy sich vorwiegend mit den älteren Herrschaften, von deren Seite er hochgeschätzt wurde. Bor Allem er- kündigte sich Frau von Langen sehr eingehend nach den Familienverhältniffen des jungen Fleischhauer. Es war dies nicht ein indiskretes Ausfragen, ach nein, sie berührte dieses Thema, wohl, wie Williy annahm, nur, um ihm Gelegenheit zu geben, an der Unterhaltung Teil zu nehmen, denn über diesen Gegenstand konnte er doch sprechen, ohne zu stottern und zu erröten. So erzählte er nach und nach von seinen Eltern und seinen Pflegeeltern, wie er in seinen Knaben- fahren hatte arbeiten müssen, um sich, so schnell als möglich, sein Geld selbst zu verdienen, wie er dann wieder hatte arbeiten müssen und darben, um zu leben, und mit freudestrahlendem Gesicht berichtet er, daß er jetzt eine sehr geachtete Vertrauens-Stellung in einem großen Hause einnahm, eine Stellung, deren Einnahmen ihm gestatteten, sich in den Strudel des geselligen Lebens zu stürzen. Er hört noch Frau von Langen sagen: „Bei diesem Einkommen können Sie ja heiraten, lieber Herr Fleischhauer." Dieses Wort wollte ihm nicht mehr aus dem Sinn. —
(Fortsetzung folgt.)
Schlettstadt, 16 . Juni. Die „Schlett- stadter Zeitung" erzählt folgende hübsche Ge- schichte: Als das hiesige Jägerbataillon kürzlich in dem benachbarten R. auf einer Schießübung war, kam eine Abteilung desselben zur Einquartierung in's Dorf und wurde vom „Herrn Maire" empfangen. Letzterer richtete an den Hauptmann folgende Worte: „'s isch ken Art, as mer ins Blättel macht, 's komme drisig Mann, und do sieh ich schon e Stücker vierzig ohne das, was noch d'rum un d'ran hängt (er meinte die Oberjäger). Ihr müeffet Euer Sach e ander Mol besser mache!" Die umstehenden Mannschaften hatten Mühe, bei dieser verblüffenden Bgrüßungsrede des gestrengen Herrn ernst zu bleiben. Hauptmann B., ein leutseliger Offizier, erwiderte freundlich lächelnd: „Sie haben recht, Herr Maire, wenn wir wiederum kommen, machen wir's besser!" „Na", sagte der Herr Maire, indem er dem „reumütigen" Offizier die Hand hinstreckte, „schlafe Sie jetzt numme güet, Herr Hauptmann!"
(Dem „Krampf" im Wasser) fallen jährlich viele Personen, darunter vorzügliche Schwimmer, zum Opfer. Der bis zum letzten Augenblicke noch muntere Schwimmer macht plötzlich ungewöhnliche Bewegungen mit den Armen, sinkt lautlos in die Tiefe und verschwindet zum Schrecken der Badenden — der „Krampf" hat ihn befallen! In Wirklichkeit aber ist es niemals Krampf im gewöhnlichen Sinne, der den Schwimmer befallen hat. Das schnelle Nachlassen der Muskelkraft wird dadurch erzeugt, daß Schaum oder Wasserstaub in den Schlundkopf mit der Einatmung gelangt und in die Luftröhre eindringt, oder, wie cs im Bolksmunde heißt, in die „falsche Kehle" gerät, wodurch eine fast augenblickliche Stockung sämtlicher Atmungsorgane eintritt. Kommt das Wasser bei Beginn einer Atmung in die Luftröhre, wenn die Lungen ganz luftleer sind, so sinkt der Körper sofort. Wenn daher die Mitbadenden bemerken, daß jemand beim Baden ungewöhnliche Bewegungen macht, so müssen sie sofort Hilfe leisten, weil der Betreffende unter den beschriebenen Umständen keinen Hilferuf ausstoßen kann.
fVerschnappt.j Gast: „In solch' einem großen Restaurant muß doch viel übrig bleiben?" — Wirtin: „I bewahre — einmal wirds doch aufgegessen!"
Auflösung des Zitaten-Rätsels in Nr. 95. Des Lebens ungemischte Freude ward keinem Irdischen zu teil. Schiller, Gedichte,
Der neuen in diesem Bl. schon mehrfach empfohlenen Zeitschrift „Schwabenland" (Stuttgart, Verlag von Brügel und Pfister) entnehmen wir nachstehendes
„Altes Rätsel"
in der Mundart wie sie um Stuttgart gesprochen wird.
Gang naus ins Feld, sieh hin uff d' Flur, Dort findschst du vo zwoi Silba d' Spur. Gang naus in Wald, lueg rom und schau, Dort findschst du's au.
Do stoht es ufrecht hi' so nett,
As ob's a Tänzle mache wett.
Es horcht und lueget rom und nom,
Ob niema komm.
Und wenn es ebbes hört und sieht,
Wie des noh flicht!
Do goht cs über Stock und Stoi,
Doch bricht's derbei net leicht a Boi.
Wenn's Mädle'S Dritte nimme hätt,
Noh möcht i seah, wie's tanze wett.
As Ganze ischt a g'späfsigs Ding,
Es fürcht't en jeda Pfifferling.
Wenn no am Bohm a Blatt se regt,
Isch schau verschreckt.
MurjoH : öunjgffniz
««daktto», »m« mld vm L. M««» i« »«»«»bürg.
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