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Aeii'clge zu Wr. 86 des Gnzthäters.
Neuenbürg, Donnerstag den 3. Juni 1897.
Unterhaltender Heil.
Falsche Spuren.
Criminal-Novelle von Ferdinand Hermann- (Fortsetzung.)
Ihre Wut war so grenzenlos, Laß ihr die Worte nicht mehr genügten, um dieselben zum Ausdruck zu bringen, und daß sie in ein kram pfiges Schluchzen ausbrach, welches wenigstens den einen Vorteil hatte, daß nun mehr auch Tronow endlich sprechen konnte. Er verwies der Frau in sehr ernstem Tone ihr brutales Auftreten gegen einen anscheinend schwer kranken Menschen, und als sein Blick auf einen irdenen Teller mit einigen trockenen Brodschnittcn fiel, fragte er strenge, ob der Kranke zur Genüge mit entsprechend leichter und doch kräftigender Kost versehen worden sei. Erst diese ihrer Meinung nach unerhörte Frage löste die Zunge der Frau von Neuem, und mit einem giftigen Blick aus den Fremden, welcher dem armen Opfer noch obendrein beizustehen wagte, fuhr sie aus:
„Das wäre mir am Ende das Rechte! — Soll ich ihm vielleicht Austern und Champagner Vorsitzen, oder Hühnerbouillon und Gänsepasteten — wie? Wovon hat er sich denn seine Krankheit zugezogen, wenn nicht vom Schlemmen und Prossen? Wie er zum letzten Mal in dieser verrufenen Weinstube gewesen war. hat er sich wahrscheineich toll und voll getrunken; denn ein Nachtwächter hat ihn ohne Besinnung aus Straße aufgelesen und hat ihn hier herauf geschafft, weil er ihn kannte und ihn sich auf die bequemste Art vom Halse schaffen wollte. Natürlich darum, was ich mit ihm anfangen soll, kümmert sich Niemand! Da liegt er nun seit jener Nacht und kann nicht leben und nicht sterben. Wenn ich hartherzig wäre, würde ich mich gewiß nicht um ihn kümmern; denn er hat es wahrhaftig nicht um mich verdient, daß ich ihn noch weiter füttere. Aber ich bin zu gutmütig, das ist von jeher mein Unglück gewesen. Freilich, wenn ihm mein Brod und meine Kartoffelsuppe nicht gut genug sind, so mag er zusehen, wo er etwas Besseres herkriegt!"
Der Kranke stöhnte tief auf. Seine Entkräftung rührte jedenfalls ebensosehr von dem Mangel an ausgiebiger Nahrung als von seinem Leiden her und Tronow empfand das innigste Mitgefühl für den Unglücklichen. Er griff in die Tasche, um seine Börse zu ziehen, gleichzeitig aber erinnerte er sich der Erzählung des Mädchens von dem Tausendmarkschein, welcher dem Giftmischer bei seinem letzten Besuch in der Weinstube ohne sein Borwissen in die Rocktasche praktiziert worden sein sollte, einer Erzählung, die unter den obwaltenden Umständen immerhin glaubwürdig genug erschien, um eine nähere Prüfung zu rechtfertigen.
„Wir werden sogleich sehen, Frau, ob Sie ein Recht haben. Ihre Mieter zu beschimpfen. Wo ist der Rock, welchen Herr Fredersdorf bei seinem letzten Ausgange getragen?"
Verwundert schaute das Weib auf den Sprechenden, aber sein ruhiges bestimmtes Auftreten imponierte ihr genugsam, um sie zur Erfüllung seines Wunsches zu veranlassen.
„Da hängt er ja, das elende Ding," sagte sie verdrießlich, auf die betreffende Stelle an der Wand deutend. „Ich wollte ihn schon heute an einen Hausierer verkaufen: denn der da wird ihn doch in diesem Leben nicht mehr anziehen; aber der Mann wollte mir nicht mehr als acht Groschen geben, weil der Rock schon einmal gewendet und überall an den schäbigen Stellen mit Tinte aufgcfrisckt ist!"
„Nun, Sie haben vielleicht sehr weise daran gkthan , diesen Verkauf zu unterlassen! Geben Sie mir den Rock einmal her!
Widerwillig und mit einem ärgerlichen Brummen leistete die Frau dem Gebot Folge, während Fredersdorf den Fremden mit weit
ausgerissenen Augen anstarrte und sich mit der schwachen zitternden Hand ein paar Mal über die schweißbedeckte Stirn fuhr, als wolle er sich überzeugen, ob er träume, oder wache.
Tronow nahm das Kleidungsstück, und untersuchte zum grenzenlosen Erstaunen der beiden Anderen die Taschen. Erst förderte er einige recht wertlose Dinge zu Tage, eine zerdrückte Zigarre, ein altes vergilbtes Zeitungsblatt und den Kork einer Champagnerflasche; dann aber, als er schon im Begriff war, das Suchen einzustellen, fühlte er ein kleines, völlig zer knittertes Papier zwischen den Fingern, das zu einer kleinen Kugel zusammengeballt war und das wohl in Wahrheit keines Menschen Aufmerksamkeit erregt hätte, dem es in die Hände gefallen wäre. Tronow sah auf den ersten Blick, daß er den gesuchten Kassenschein gefunden habe: er breitete ihn auseinander, glättete ihn, so gut es gehen wollte und hielt ihn dann der verblüfft dreinschauenden Frau vor die Augen.
„Wollen Sie jetzt noch länger zweifeln, daß Herr Fredersdorf doch im Stande sein wird. Ihnen seine Schuld zu bezahlen?" fragte er. „Kennen Sie den Wert dieses Papiers?"
„Warum sollte ich ihn nicht kennen?" brachte das Weib stotternd hervor. „Ist doch mein seliger Mann ein Kaffenbote gewesen. Das — das sind ja — tau — tausend Mark!"
„Ganz recht! Es sind tausend Mark! — Ich zweifle sehr, daß Ihre Forderung an Herrn Fredersdorf so viel ausmacht."
„Der Himmel soll mich bewahren! Nicht den vierten Teil davon! Aber wie ist es denn nur möglich? — Und dieses ganze Kapital hat er wie einen lumpigen Fetzen in der Tasche getragen — und hat mir kein Wort davon gesagt und hat sich von mir heruntermachen lasten wie ein Schulbube! Ach, der arme Mensch!
Sie war plötzlich wie umgewandelt und schickte sich eben an, den „Giftmischer", der stumm und mit gleichsam versteinerten Zügen dalag. in aller Form um Verzeihung zu bitten.
Aber Tronow hinderte sie daran, indem er ihr ein Goldstück aus seiner Börse in die Hand drückte und ihr befahl, aus einem nahe gelegenen Hotel eine Flasche guten Wein und ein gebratenes Hühnchen zu holen, damit der bedauernswerte Mann, dessen Entkräftung sicherlich bereits einen sehr hohen Grad erreicht hatte, wenigstens notdürftig gestärkt werde. Unter wiederholten Ausrufen der Verwunderung und Entschuldigung für ihr irriges Benehmen rauschte die Frau denn auch endlich zum Zimmer hinaus, den Referendar mit seinem Bekannten allein lassend.
Tronow war an das Lager des „Gift- Mischers" getreten, und dieser bemühte sich, ihm seine fleischlose Hand entgegen zu strecken.
„Wer sind Sie, mein Herr?" — hauchte er. „Ist es denn Wahrheit, was ich da erlebe?"
„Es ist Wahrheit," erwiderte der junge Mann freundlich. „Aber Sie sollen nicht sprechen, ehe Sie sich von der eben überstandenen Aufregung erholt und Etwas zu sich genommen haben! Wir werden dann ia aller Ruhe weiter darüber reden!"
Fredersdorf fügte sich willig, und Tronow benutzte die Pause bis zur Rückkehr der Wirtin, um sich das sonderbare Laboratorium etwas genauer anzusehen nnd in die chemischen Buch- stabenzeichen bestehenden Aufschriften auf Flaschen und Gläsern zu lesen.
In seiner Beurteilung von Fredersdorf's Zustand hatte er sich nicht getäuscht; denn als der Kranke in langsamen Zügen mit unverkennbarem Wohlbehagen ein Glas des guten feurigen Weines geleert und ein wenig von den mitgcdrachten Speisen genommen hatte, ging eine ganz erstaunliche Veränderung mit ihm vor. Seine halb erloschenen Augen gewannen wieder einen Schimmer von Leben, und er war im Stande, sich ohne Hilfe im Bette aufzurichtcn und in sitzender Stellung zu verharren. Als
die Wirtin abermals entfernt war. was immerhin eine nicht unerhebliche Mühe kostete, konnte Tronow zu dem eigentlichen Zwecke seines Besuches kommen, und er ging ohne viele Umstände geradeswegs auf sein Ziel los.
Im Verlauf von einer kleinen Viertelstunde hatte Tronow Alles erfahren, was er zu wissen wünschte. Der Alte war in der Thal ein Sonderling, ein Narr, der um einer fixen Idee willen seine Stellung, sein Vermögen, sein ganzes Leben geopfert hatte und der nun auf dem Punkte stand, geistig und körperlich völlig zu Grunde zu gehen. Tag und Nacht mischte, braute und destillierte er an seiner geheimnisvollen, unmöglichen Erfindung herum, und seine einzige Leidenschaft, seine einzige Lebensfreude war der Besuch jener Weinstube gewesen, in welcher er freilich nur ein ganz geringes Quantum von der wohlfeilsten Sorte zu trinken pflegte, wo er aber, seiner Meinung nach, stets wackere und menschenfreundliche Leute antraf, mit denen er über die Erfindung reden konnte, und die seinen Projekten ein williges Ohr liehen. Daß diese Leute stets nur ihren Scherz trieben, hatte er in seiner grenzenlosen Harmlosigkeit und Naivität niemals bemerkt. Er hatte ihre spöttische Bewunderung stets für bare Münze genommen, und darum hatte es ihn immer wieder, Abend für Abend dorthin getrieben, obgleich die kleine Ausgabe für seine Verhältnisse in der Thal eine maßlose Verschwendung bedeutete. Der Doktor Rellinghausen hatte anfänglich keine Notiz von ihm genommen, und er hatte ihn darum für sehr stolz und hochmütig gehalten. Eines Abends aber hatte sich ihm der elegante Lebemann plötzlich in der liebenswürdigsten Weise genähert, sich nach seinen Bestrebungen erkundigt und ihn seiner Teilnahme in einer Weise versichert, welche von der Art der Anderen so sehr abwich» daß der alte Chemiker sogleich eine an abgöttische Verehrung grenzende Zuneigung für den Doktor empfand.
(Fortsetzung folgt.)
Eine Straßburger Studentenwette erzählt ein Mitarbeiter der „K. B.": Das römische Erbrecht mittels eines Frühschoppens hinunterspülend, saßen wir. neun Mann hoch, eines schönen Montags zwischen 12 und 1 Uhr im Luxhof, als ein uns bekannter Mediziner ins Lokal trat, sich zu uns fitzte und rief: „Kellner, die Speisekarte, ich habe Hunger wie ein Wolf!" „Aber nicht so, wie mein Muckl da," antwortete einer der Anwesenden, der erst im dritten Semester stand und sich, um die Wirkung seines Auftretens auf Straßburger akademischem Boden zu erhöhen einen mächtigen Bullenbeißer zugelegt halte. Seine Mittel erlaubten ihm dies. „Der arme Kerl hat seit gestern Mittag nichts mehr zu fressen gekriegt," setzte er noch hinzu. „Hm", meinte der Mediziner, ein lustiges und äußerst gerissenes Herrchen, indem er uns zublinzelte, „das käme darauf an." „Oho", machte der andere, „nur nicht aufschneiden!" Ein Wort gab das andere und schließlich kam zwischen den beidrn eine Wette zu stände, wonach der Mediziner sich verpflichtete, jetzt gleich mehr im Essen zu leisten als Muckl im Fressen. Die Auswahl der Gerichte durfte er selbst treffen; aber alles, was für einen Hundemagen nicht paßte, wie Kaviar und dergleichen, war ausgeschlossen. Wer verlor, mußte die gesamten Unkosten einer nachher von der ganzen Korona zu unternehmenden Spritzfahrt nach Kehl nebst Bowle dort bezahlen. Und nun gings los. Zunächst wurde Muckl seines Maulkorbes entledigt, was ihn ersichtlich zu freuen schien. Sodann begann der Mediziner die Speisekarte bedächtig durchzulesen und bestellte ein Beefsteak mit gebratenen Kartoffeln; für den Hund natürlich das gleiche, denn so war es ausgemacht. Unterdessen war die Sache im Saale bekannt geworden; es hatten sich noch mehr Bekannte herangeschlängelt und es herrschte allgemeine Spannung. Daß