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erläge zu Wr. 78 des KnzLhälers.
Neuenbürg, Donnerstag den 20. Mai 1897.
Ausland.
London, 17. Mai. Wie die „Times« vom 15. d. Mts. aus Konstantinopel meldet, drängt Deutschland den Sultan, auf der euro- päischen Kontrole der griechischen Finanzen als dem einzig wirksamen Mittel zur Sicherung der Zahlung der Kriegsentschädigung zu bestehen.
London, 18. Mai. Daily News führen aus, daß die Erreignisse den Blockadevorschlag des deutschen Kaisers gerechtfertigt hätten und daß die Annahme dieses Vorschlags den Krieg verhindert haben würde.
London. 18. Mai. Mit beträchtlicher Erleichterung wird hier in politischen Kreisen die Nachricht begrüßt, daß gestern in Konstan- tinopel ein einstimmiger Einspruch gegen die türkischen Friedensbedingungen tatsächlich erhoben wurde und.Deutschland entschieden die Ansicht der übrigem Mächte teilt.
Konstantinopel, 18. Mai. Edhem Pascha ist der Befehl erteilt worden, die Feindseligkeiten sofort einzustellen.
K o n st a n t i n o p e l, 17. Mai Das gesamte diplomatische Korps bezeichnet das Verlangen der türkischen Kriegs- eytschädigung als übertrieben hoch und unerfüllbar. Die verlangte Gebietsabtretung , ausgenommen eine militärisch notwendige Grenzberichtigung, wird mit dem Grundsatz der Erhaltung des 8tatu8 guo für unvereinbar geglaubt. Der vierte Teil der beanspruchten Kriegsentschädigung sei mehr als genügend. Dagegen sei die türkische Besatzung Thessaliens bis zur Zahlung der Kriegsentschädigung oder der Leistung einer anderen Bürgschaft zu erwarten. Die Straßb. Post bemerkt dazu, die Türken sollten doch nicht zu sehr auf Bürgschaften für die Kriegsentschädigung pochen; sie selbst haben ja noch nicht einmal die Kriegsentschädigung an Rußland seit 1878 voll abgezahlt.
Athen, 18. Mai. (Havasmeldung) Abends 5 Uhr. Die Türken vor Arta haben die weiße Flagge gehißt, der Waffenstillstand wird als erledigt angesehen.
Athen, 18. Mai. Eine Depesche aus Domo ko von gestern Abend 9'/- Uhr meldet, daß trotz der Abbiegung nach rechts die Türken zurückgeworfen seien.
Athen, 18. Mai. Bei dem Angriffe der Türken aufDomoko befehligte der Kronprinz das griechische Zentrum. Man befürchtet, die Türken beabsichtigten, zwischen den griechischen Heeresteilen hindurch zu dringen und den Paß, welcher die Straße durch das Othrysgebirge beherrscht, zu nehmen. In Athen hat die Erregung denHöhe- punkt erreicht. Die Minister waren gestern Nachmitag im Marinemintsterium versammelt, wo die telegraphische Verbindung mit dem Kriegsschauplätze endet. — Infolge des gestrigen Kampfes und des R ü ck z u g e s d e r griechischen Armee auf den Kamm des Othrysgebirges fordert dasMorgenblart „Empros« den König auf, das ganze Volk zu den Waffen zu rufen, und ermahnt die Regierung die äußersten Mittel zur Verteidigung aufzubielen. Auch andere Blätter bringen kriegerische Artikel. „Akropolis« sagt, die Türkei habe mit den Friedensverhandlungen Griechenland und die Mächte betrogen.
Domoko, 18. Mai. Da die Türken sich in Ritiki, nördlich der Linie von Domoko- Armyros, festgesetzt hatten, zogen sich die Griechen auf die Gebirgsausläufer an der alten Grenze im Othrys-Gebirge zurück. — Das Endergebnis all dieser Nachrichten ist, daß die Griechen in Thessalien auf der ganzen Linie geschlagen sind, ihre letzte einigermaßen haltbare Stellung nach heißem Kampfe aufgegeben und nun den Rückzug angetreten haben. Das Othrysgebirge wird die türkische Verfolgung einigermaßen aufhalten. Die Türken haben nunmehr die alte Landesgrenze von 1881 erreicht.
lieber das schwere Eisenbahnunglück beiDorpat werden nunmehr bestimmte Einzel- Heiken bekannt. Man zählt bis jetzt 56 getötete oder ihren Verletzungen inzwischen erlegenen Soldaten, 2 getötete Schaffner, 43 schwerver- mundete Soldaten und einen schwerverwundeten Schaffner. 3 leichtverwundete Offiziere und 37 leichtverwundete Soldaten. Die Katastrophe wurde dadurch herbeigesührt, daß ein starker Gewitterregen den Bahndamm bei Station Bockenhof derart unterspült hatte, daß der Mili- tärzug entgleiste.
Warschau, 17. Mai. Bei Pensa ist infolge Unterwaschung des Bahndammes durch einen Wolkenbruch ein Personenzug entgleist. Drei Wagons wurden zertrümmert und viele Passagiere schwer verletzt.
Russische Reformen. Die üble wirt- schaftliche Lage der russischen Beamten ist bekannt. Ihre Gehälter sind so gering beschaffen, daß sie sich Nebenverdienst schaffen müssen. Viele Beamte befinden sich in den Händen von Wucherern, die nicht nur 500—1000 Prozent Zinsen für das Jahr nehmen, sondern auch die Zwangslage der Beamten zu allerlei verbotenen Geschäften ausnutzen. Diesem Uebclstande will man jetzt dadurch begegnen , daß die Gehälter aufgedesserl werden sollen. Gegen Veruntreuungen der Beamten wird in letzter Zeit nachfichtslos eingeschritten.
Die Schweizer Landesausstellung, die letztes Jahr in Genf stattfand, erzielte ein Defizit von 600000 Frs., das Genf selbst deckt. Das Wetter — nur 35 regenfreie Tage — beeinträchtigte den Erfolg. Die Einnahme in Genf war doppelt so groß, wie 1883 in Zürich, die Auslagen dafür dreimal so groß. Der Vergnügungspark warf 300000 Frs. weniger ab. als veranschlagt war. Im übrigen bedeutet die Ausstellung für Genf und die Schweiz einen großen Erfolg, namentlich auch als Vorübung für die Pariser Ausstellung von 19 000.
Unterhaltender Heil.
Falsche Spuren.
Criminal-Novelle von Ferdinand Hermann.
(Fortsetzung.)
Auch Tronow war einigermaßen überrascht beim Anblick des ziemlich beträchtlichen Schatzes, welchen der Doktor da in der Tasche trug, zwischen den seidenen Maschen der ungewöhnlich großen, altmodisch gearbeiteten Börse, die bis zum Zerreißen gefüllt war, blitzten überall die blanken Goldstücke hindurch, und Paul warf eine Handvoll davon auf die Platte seines Schreibtisches mit der Miene Jemandes, der ungehalten ist, seine Zeit mit der Erledigung so kleinlicher und unbedeutender Affairen hinbringen zu müssen. Dem Referendar entging diese erkünstelte Nonchalance ebensowenig als das verblüffte Gesicht des noch immer auf der Schwelle stehenden Dienstmädchens, und während der unter vielen Bücklingen näher gekommene Schneider die Höhe seiner Rechnung nannte und den Betrag für dieselbe abzählte, hefteten sich seine Blicke unwillkürlich auf diese wohlgefüllte Börse, die Paul achtlos neben sich gelegt hatte. Ihre verschossene Farbe ließ darauf schließen, daß sie schon von sehr ehrwürdigem Alter sei. Auch trug die ziemlich kindliche Art, in welcher sie durch Perlstickerei mit den Symbolen von Glaube, Liebe und Hoffnung verziert war, keineswegs dazu bei, ihr ein gefälligeres Ansehen zu geben, so daß es fast befremdlich erschien, den sonst so eleganten Doktor im Besitz eines so wenig schönen und geschmackvollen Gegenstandes zu sehen. Als sich Paul plötzlich umwandte und dabei den ernsten prüfenden Blicken seines Bekannten begegnete, wurde er abermals sichtlich verlegen und bat um Entschuldigung, daß er ihm nicht eine größere Aufmerksamkeit zuwenden könne; aber er sei jetzt jo mannigfach
in Anspruch genommen und überdies in so hohem Grade ermüdet, daß er selbst aus dre angenehmste Gesellschaft werde verzichten müssen. Der Wink ließ in Wirklichkeit nichts zu wünschen übrig, und Tronow entfernte sich, ohne irgend welche Empfindlichkeit zu verraten, denn er war entschlossen seinen Besuch selbst auf die Gefahr hin zu wiederholen, damit seinem ehemaligen Studienfreunde lästig und unangenehm zu werden.
Während er langsam nach seiner Wohnung zurückkehrte, mußte er sich sagen, daß er durchaus keine Ursache habe mit dem Ausfall seiner ersten Nachforschungen sonderlich zufrieden zu sein, und noch einmal stieg vor seinem Geiste die Frage auf, ob die Verhafteten denn vielleicht dennoch schuldig sein könnten, ob ihn nicht Theresens bestrickende Schönheit verführt habe, sein Herz und seine Phantasie über den ruhig prüfenden Verstand den Sieg davontragen zu lassen. Aber er brauchte sich nur die heutige Verhörszene ins Gedächtnis zurückzurufen, um jene Frage sofort auf das Entschiedenste zu verneinen. Die unschuldvollen Augen des tiefgebeugten Mädchens konnten wahrlich nicht gelogen haben.
Am nächsten Vormittage fand die durch eine nochmalige eingehende Untersuchung der Leichenteile nur einen Tag über die gewöhnliche Frist hinaus verzögerte Beerdigung der irdischen Hülle der Ermordeten statt; die Beteiligung an dieser traurigen Feierlichkeit war eine sehr große; denn das Schicksal der alten Dame hatte überall in der Stadt die innigste Teilnahme hervorgerufen und namentlich die Gemüter vieler Armen, die in der Verstorbenen eine ver- schwiegene und warmherzige Wohlthäterin verehrten, in aufrichtige Betrübnis versetzt. Rellinghausen war zum allgemeinen Erstaunen der eingeweihten Personen von der Begräbnis- ceremonie fern geblieben. Er hatte am Morgen bereits an den Notar, der ihn zur Eröffnung des Testaments der Verstorbenen eingeladen hatte, ein Billet gelangen lassen, in welchem er sein Ausbleiben mit einem heftigen Unwohlsein entschuldigte, und es war begreiflich, daß er aus dem nämlichen Grunde auch zur Beerdigung der Tante nicht hatte erscheinen können.
Fräulein Elvira Hegemeier hatte ihre letztwilligen Verfügungen vorsorglicher Weise schon vor mehreren Jahren getroffen; aber sie hatte erst vor wenigen Monaten ihrem Testament ein Kodizill hinzugefügt, welches, wie man heute ersehen sollte, den Inhalt des ersten fast vollständig null und nichtig machte.
Unter lautloser Stille der wenig Anwesenden» zu denen auch der Referendar Tronow gehört, hatte der Notar die sehr eingehenden Verfügungen und Anordnungen des ersten Testaments vorgelesen. Es ergab sich zunächst, daß die Verblichene ein viel beträchtlicheres Vermögen besessen habe, als man bisher angenommen hatte, und daß sie den größeren Teil desselben in aller Sülle bei einem bekannten Bankhause der Hauptstadt deponiert habe. Zum Universalerben war hier ihr Neffe Paul Rellinghausen eingesetzt, allerdings mit der in den herzlichsten Worten ausgesprochenen dringenden Ermahnung, sein bisheriges leichtfertiges Leben aufzugeben und die großen Summen, welche nunmehr zu seiner Verfügung in seine Hände kämen, in rechtschaffener und Gvtt wohlgefälliger Weise zu verwerten. Dann folgte eine lange Reihe sehr eingehender Bestimmungen über Legate an Stiftungen, Wohlthätigkeirsvereine und einzelne Personen, die sich jemals das Wohlwollen der Erblasserin verdient hatten, oder die ihr als bedürftig und würdig bekannt waren. Den Schluß bildete eine kleine Anzahl von Gegenständen ihres Nachlasses, von denen sie wünschte, daß sie ihr entweder ins Grab mitgegcben oder auf der Stelle vernichtet werden sollten, so daß sie von Niemanden nach ihr in Gebrauch genommen werden könnten. Sie motivierte diese Bestimmung damit, daß diese Gegenstände die