380
der den Anderen zum ersten Mal in seiner Wohnung aufsuchte, nicht ohne eine gewisse Ueberraschung die elegante Einrichtung derselben musterte, begann er in etwas unsicherem Ton von seiner Verzweiflung und seinem maßlosen Schmerz über das Geschick seiner teueren Verwandten zu sprechen. Er ahnte nicht, daß der Referendar von allen Einzelheiten desselben auf das Genaueste unterrichtet war. und Tronow selbst hielt es für angezeigr, ihm von feiner Beteiligung an der Untersuchung über die Urheber des Verbrechens vorläufig noch nichts zu verraten.
„Der Verlust ist für mich ein geradezu unersetzlicher," jammerte Paul; „die Verstorbene war mir mehr als eine bloße Verwandte und ältere Freundin. Sie war mir im wahrsten Sinne des Wortes eine Mutter!"
Tronow räusperte sich, seine Teilnahme für den Schmerz des Doktors war im Sinken, denn die Uebertreibung berührte ihn unangenehm, Wußte er doch aus den Aussagen der Frau Mertens, daß das Verhältnis des Fräulein Hegemeier zu ihrem leichtsinnigen Neffen keineswegs ein so inniges und liebevolles gewesen war. als es Paul jetzt darstellen wollte. Aber das kümmerte ihn im Grunde sehr wenig, und nicht deshalb war er hieher gekommen.
„Man hat die Schneiderin Ihrer Tante verhaftet, weil sie im Verdacht steht, gemeinschaftlich mit ihrem Bruder das Verbrechen ausgeführt zu haben." sagte er. „Glauben auch Sie an eine solche Möglichkeit?"
Paul schaute vor sich nieder und räusperte sich stark, als fühle er irgend ein Hindernis in der Kehle.
„Ich habe darüber natürlich kein Urteil." meinte er nach einer Pause. „Die Untersuchung wird es jedenfalls an's Licht bringen."
„So wollen wir hoffen! Und ich bin überzeugt, daß sich die Unschuld des armen Mädchens erweisen wird."
Der Doktor fuhr empor, und ein unheimliches Feuer flackerte in seinen unsteten Augen auf.
„Woher kommt Ihnen diese lleberzeugung?" fragte er hastig. „Warum zweifeln Sie daran, daß diese Menschen die Thäter gewesen seien? — Sie waren es ohne Zweifel! Verlassen Sie sich darauf! Es ist ganz gewiß, daß Sie es waren!"
Tronow war fast betroffen von dem leidenschaftlichen Eifer, welchen Paul urplötzlich an den Tag legte; aber er erklärte sich denselben mit dem begreiflichen Wunsche, den Tod der Tante, die seinem Herzen ja immerhin näher gestanden haben mochte, als es den Anschein gehabt, möglichst bald gerächt zu sehen. Nichtsdestoweniger wünschte er noch eine nähere Er klärung zu erhalten, und er forschte darum nach den Gründen, welche den Doktor so sicher machten, daß die Mörder wirklich bereits gefunden seien. Die Antwort Pauls war eine neue Ueber- raschung für ihn, da sie abermals mit dem, was durch die bisherige Untersuchung festgestellt worden war. im schärfsten Widerspruch stand. Jener erklärte nämlich, die Tante habe bei seinem letzten Besuch ihrem Mißtrauen gegen die Schneiderin Ausdruck gegeben und die Befürchtung ausgesprochen, daß dieselbe wohl nicht ganz ehrlich sei. wenngleich sie diesem Verdacht wegen Mangels an vollwichtigen Beweisen anberen Personen gegenüber vorläufig noch nicht äußern wolle. Während dieser Mitteilung hatte der Doktor seinen Besucher ebensowenig angesehen, als während des ganzen bisherigen Verlaufs ihrer Unterhaltung, und erst jetzt nahm der Referendar wahr, daß die nervöse Unruhe und Unstätigkeit in seinem Wesen und in all' seinen Bewegungen viel eher für ein Symptom hochgradiger Angst und Aufregung als für einen Beweis tiefen und aufrichtigen Schmerzens gelten konnte. Wenn er eben noch nahe daran gewesen war, dem Doktor mitzuteilen, in welchen Beziehungen er selbst zu der Untersuchung der Angelegenheit stehe, so schloß ihm jetzt eine beinahe unwillkürliche Regung den Mund, und es war ihm. dem nichts so sehr am Herzen lag als der Wunsch, die Beweise für Theresens Unschuld zu sammeln,
plötzlich, als habe er es in Paul Rellinghausen mit einem Mann zu thun, der mit unehrlichen Waffen kämpfte. Er machte ihn nicht auf die Unwahrscheinlichkeit seiner letzteren Erzählung aufmerksam, aber er fragte weiter und weiter, und er hatte bald die Ueberzeugung gewonnen, daß Paul ein starkes Interesse daran habe, die Belastung der beiden Inhaftierten selbst auf Kosten der Wahrhaftigkeit zu mehren und ihre Schuldigsprechung unter allen Umständen herbei- zuführen.
Bei der ohnedies ziemlich hoffnungslosen Lage der Angeschuldigten mußte ein solches Bestreben von verhängnisvollster Tragweite für sie sein, und es galt daher vor allem, festzustellen, welche Beweggründe den Doktor bei seinem so überaus gehässigen Verhalten leiten könnten. Darüber aber war für den Augenblick eine Aufklärung nicht zu erhalten; denn Paul gab bereits sehr deutlich zu erkennen, daß der Gegenstand ihrer Unterhaltung ihm peinlich sei, und daß er die Fragen seines Bekannten als eine Aeußerung lästiger Zudringlichkeit und Neugier empfinde. Wenn er nicht sein Mißtrauen oder geradezu seinen Zorn wachrufen wollte, mußte der Referendar jetzt wohl auf ein weiteres Vorgehen verzichten, und so erhob er sich denn um sich zu empfehlen. Noch ehe aber die Verabschiedung wirklich erfolgt war. trat das Dienstmädchen wieder in das Zimmer und meldete, draußen sei der Schneider des Doktors, der denselben notwendig sprechen müsse. Paul hatte keine Zeit, dem Mädchen einen Bescheid zu erteilen; denn der Schneiderkünstler, welcher wohl daran gewöhnt sein mochte, unter allerlei Vorwänden abgewiesen zu werden, wenn er sich mit seinen Rechnungen vorstellte, war dem Mädchen fast auf dem Fuße gefolgt und betrat wenige Sekunden nach ihr das Zimmer. Er hatte, wie es schien, ein nicht sehr freundliches Wort auf den Lippen, aber seine brüske und wenig respektvolle Haltung änderte sich sofort, als er sah, daß der Doktor hastig in die Tasche griff und eine wohl gefüllte Börse zum Vorschein brachte.
(Fort setzung fo lgt.)
Durch Kreuzotterbiß getötet. Ein Soldat des 76 Infanterie-Regiments, das sich z. Z. im Lokstedter Lager bei Hamburg befindet, wurde bei einer Felddienstübung von einer Kreuzotter in den Arm gebissen. Trotzdem ärzliche Hilfe alsbald zur Stelle war und versucht wurde, den Arm abzubinden, schwoll er immer mehr an. Nach einer kleinen Stunde war der bedauernswerte Mann eine Leiche.
(Eine Brücke) von über acht Kilometer Länge befindet sich in China und führt dieselbe über einen Arm des gelben Meeres. Wie uns das Intern. Patentbureau von Heimann u. Co. in Oppeln mitteilt, ist diese Brücke, welche 8 Kilometer und 500 Meter lang ist, ganz aus Stein hergestellt und ruht dieselbe auf 300 Brückenpfeilern. Die Breite der Straße, welche über diese Brücke führt, beträgt 19 Meter und wird dieselbe durch einen aus Marmor ausgehauenen Löwen geziert. (Obengenanntes Patentbureau erteilt den geschätzten Abonnenten dieses Blattes Auskünfte und Rat in Patentsachen gratis.)
Auflösung der Aufgabe in Nr 74.
9 2 9 2 2 9 2 9
Richtig gelöst von F. Wrrbach, Emilie Müller und Luise Weßinger in Neuenbürg: Maria Toussaint in Wildbad.
Viersilbige Charade.
Die dritte Silbe liegt im Sekt.
Doch auch im Gerstensaft versteckt, Wenn sie die beiden ersten netzt, Sich Mund und Herz daran ergötzt. Das Letzte einst zur Wehr gebaut. Man jetzo meist als Zierde schaut. Das Ganze aber, daß Jhr's wißt Ein hoher Fürstenname ist.
Ein Ländchen und ein Nebenfluß Die Namen dazu geben muß.
(Leuchtende Tapeten.) Der Amerikaner Edison will die Zimmertapeten mit einer Masse versehen, welche unter der Einwirkung von Wechselströmen zu leuchten beginnt. Eine Leuchtkraft von einer Kerze wird von einer Wandfläche von 0,092 Quadratmeter ausgestrahlt. Jedenfalls wäre dies eine sehr bequeme Art der Lichterzeugung, und die Tage der Petroleum-, Gas- und Bogenlampen würden wieder einmal gezählt sein — oder auch nicht.
(Um so besser.) Junge (zu seinem im Studierzimmer sitzenden Vater): „Papa, Du möchtest gleich herüberkommen! Das Essen wird sonst kalt." — Vater: „Umso besser! Dann ist's auch nicht so verbrannt, wie gewöhnlich.
(Annonce.) „Letzte Neuheiten in Antiquitäten!"
Telegramme.
Wiesbaden. 17. Mai. Das Kaiser, paar erschien um 7 Uhr abends im Theater, von Trompetenfanfaren und Hochrufen begrüßt. Die Festaufführung des Lauff'schen Dramas „Burggraf" ist glänzend verlaufen. Die prachtvolle Inszenierung namentlich des Minnehofes, der Kaiserwahl und des Lagers Rudolf von Habsburg wurde allgemein bewundert. Die Worte des Burggrafen „ein Reich, ein Kaiser, eine Treue" begleitete brausender Beifall. Das großherzogliche Paar von Hessen war anwesend. Unter stürmischen Hochrufen fuhr das Kaiserpaar nach dem Schlosse zurück. M^Konstantinopel, 16. Mai. Die Pforte antwortete gestern auf den letzten Schritt der Mächte, sie mache die Einstellung der Feind-- seligkeiten von der Annahme folgender Grundprinzipien für den Waffenstillstand und den Friedensabschluß abhängig: Zahlung einer Kriegsentschädigung von 10 Mill Pfund, Wiederherstellung der alten Landesgrenze; Erneuerung der Verträge für die griechischen Unterthanen in der Türkei auf Grund des internationalen Rechts; Abschluß eines Kartellvertrags für die Auslieferung gemeiner Verbrecher; ferner Freilassung der Häfen von Bolo und Prevesa für den Verkehr mit dem Beginn des Waffenstillstandes. Die Bevollmächtigten haben in Pharsalos zusammenzutreten.
K o n st a n t i n o p e l. 16. Mai. Der
Kommandant von Epyrus erhielt den Befehl, energisch vorzugehen. Ebenso erhielt Edhem Pascha neuerdings dringend den Befehl, den Vormarsch bis zur alten griechisch-türkischen Grenze zu beschleunigen. — Das Eindringen der Griechen in Epycus kam der Pforte gelegen, um ihre Bedingungen für den Waffenstillstand und den Friedensabschluß, an welchen die diplomatischen Kreise sehr überrascht stad, zu modifizieren. — In diplomatischen Kreisen ist man der Ansicht, daß der Pforte nur eine entsprechende Kriegsentschädigung, einige kleinere Grenzberichligungen und eine Aenderung der den Griechen in der Türkei zustehenden Ber> tragsrechte gewährt werden können.
Athen. 16. Mai. Eine zweite Abteilung griechischer Truppen ist aus Kreta zurückberufen worden. Die Zurückderufung der letzten Abteilung soll demnächst erfolgen. Die Adjutanten des Kronprinzen, welche vom Kriegsschauplatz zurückberufen worden waren, sind gestern im Pyräus eingetroffen. Einige Zuschauer wohnten ihrer Aussch ffung bei und empsiengen sie mit höhnischem Beifall.
Athen, 17. Mai. Die griechische Armee in Epycus mußte sich auf Arta zurückziehen, hält jedoch noch einige Stellungen jenseits der Brücke über den Artafluß besetzt. Dem Vernehmen nach befahl die griechische Regierung den Truppensührern in Thessalien und Epycus, sich streng in der Defensive zu halten.
Larissa, 16. Mai. Von gestern abend 6 */s Ühr. Der vom türkischen Oberkommando gefaßte Entschluß Domokos zu nehmen, wird trotz der anscheinenden Unthätigkeit eifrigst verfolgt. Zahlreiche Bataillone als Verstärkung passieren Larissa fortwährend.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.