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Berlin, 12. Mai. Einen neuen Beweis für die engen Beziehungen, welche zwischen der Türke, und Deutschland bestehen, gibt folgende Nachricht: Der Sultan hat nachträglich zur Gedächtnisfeier an den hundertsten Geburtstag Kaiser Wilhelm I. Waffen verschiedener Truppen, gattungen dem Berliner Zeughaus als Geschenk überwiesen, welche demnächst in Berlin ein- treffen werden.

In dem Prozeß wegen des Haberfeld- treibens zu Miesbach in der Nacht zum 8. Oktober 1893 sind 94 Angeklagte zu Ge­fängnisstrafen verurteilt worden, und zwar einer zu 4 Jahren, einer zu 3 Jahren, drei zu 2 Jahren 3 Monaten, zwei zu 2 Jahren, neun zu 1 Jahr 6 Monaten, vier zu 1 Jahr 3 Monaten. 69 zu 1 Jahr und fünf zu 9 bis 1 Monat. Drei Angeklagte wurden freigesprochen.

Philippsburg, 11. Mai. Heute mittag ereignete sich in der hiesigen katholischen Kirche ein schwerer Unqlücksfall Der Tochtermann des Meßners, Buchbinder Schleicher, war um 12 Uhr mit dem Ausziehen der Kirchenuhr be­schäftigt. bei welchem Geschäft ihn das 13jähr. Töchterchen des Bäcker Breitner begleitete. Ein Gewicht der Uhr hängte sich aus und fiel dem Kind auf den Kopf, was den sofortigen Tod zur Folge hatte, da der ganze Kopf vollständig zer- trümmert war.

Württemberg.

Stuttgart, 12. Mai. Der Befehls­haber der Hanseaten in der Schlacht von Loigny- Poupry, General der Infanterie z. D. Baron Hugo Kottwitz, zuletzt Kommandeur der 26. Division, ist im Alter von 89 Jahren hier ge­storben.

In Stuttgart ist die, wie man vielfach glaubte erledigte Rathausbaufrage von neuem in Fluß gebracht worden, da man auf dem Rathaus, wie es scheint, eingesehen hat, daß die Herstellung eines genügend großen Rat­hauses an der bisherigen Stelle unverhältnis­mäßig viel Geld kosten würde. Man geht jetzt mit dem Gedanken um, an die Stelle des bis- herigen Rathauses eine große Markthalle zu setzen und von der Staatsregierung die alte Legionskaserne an der oberen Königsstraße an­zukaufen, um dort ein der Landeshauptstadt würdiges Rathaus herzustellen. Da Suttgart ohnehin einen unverhältnismäßig großen Teil der Gesamtsteuern des Landes ausbringt, so wäre zu wünschen, daß die Regierung nicht allzuhohe Forderungen für die Legionskaserne stellt. Ein schönes Rathaus an dieser Stelle wäre eine neue Zierde der Landeshauptstadt.

Stuttgart, 7. Mai. Gestern abend waren die Vorstandsmitglieder der hiesigen 5 Innungen zu einer Besprechung über das neue Hand- Werkerorganisationsgesetz versammelt, wobei die zunächst zu dem deutschen Handwerker- tag in Berlin delegierten Herren Häußermann und Kälberer über den genannten Handwerker- tag und die anschließende Handwerkerkonferenz und ihre eigene Thätigkeit dabei eingehend re- ferierten. Auf Grund der bekannt gewordenen Abstimmungen der Reichstagskommiffion über die Handwerkervorlage wurde in sichere Aussicht ge­nommen, daß im Reichstagsplenum ein sicher noch einigermaßen brauchbares Handwerkergesetz angenommen würde und deshalb der Beschluß gefaßt, den Wortlaut des vom Reichstag ange­nommenen Gesetzes abzuwarten, um dann als­bald in Beratungen darüber einzutreten, wie dieses Gesetz zum Vorteil des ganzen Hand- Werkerstandes in die Praxis übersetzt werden könne. Mehrere Redner hoben dabei hervor, daß man den, den Innungen bisher unfreundlich gegenüberstehenden Handwerkern freundlich ent- gegenkommen und es ihnen so ermöglichen soll, Hand in Hand mit den Jnnungshandwerkern für das Handwerk nützliche Einrichtungen auf Grund des neuen Gesetzes zu schaffen. Demge- mäs will man auch mit den Gewerbevereinen in möglichst freundschaftliche Fühlung treten, obgleich man sich andererseits nicht verhehlt, dort noch immer möglichster Abneigung gegen jede Handwerkerorganisation zu begegnen. Ein- gehend wurde namentlich die Lehrlingsfrage be­sprochen und konstatiert, daß ohne obligatorische

und durch Fachleute vorzunehmende Lehrlings« Prüfungen eine Besserung in der Heranziehung tüchtiger Handwerker absolut nicht zu erreichen sei, weshalb auch alle Bestrebungen der Ge- Werbevereine in dieser Beziehung ganz minimale Erfolge erzielen konnten, indem die große Mehr­zahl der Lehrlinge zu den Prüfungen einfach nicht herging In einem sehr spannenden Vor- trage eines Anwesenden wurde die Interessen­gemeinschaft zwischen den einzelnen Gruppen des Mittelstandes, also auch zwischen den Bauern und den städtischen Handwerkern überzeugend nachgewiesen.

Stuttgart, 8. Mai. Auf dem Ende dieses Monats in Rottweil stattfindenden Bundestag des württ. Kriegerbundes wird u. a. auch ein Antrag des Mililärvereins Freudenstadt verhandelt werden. Derselbe geht dahin:an den Bundesrat eine Eingabe zu richten, die Reichsregierung wolle einen Gesetzes- entwurf einbringen, durch welchen die im Ge setze vom 22. Mai 1895 verwilligte Summe von 1800000 »fL in einer Weise erhöht wird, daß nicht blos einer bestimmteu Anzahl, sondern allen in diesem Gesetze genannten Feldzugsteil­nehmern unter den gleichen Voraussetzungen der dauernden gänzlichen Erwerbsunfähigkeit und unterstützungsbedürftigen Lage eine Beihilfe von 120 vtL jährlich verwilligt werden kann.«

Die zehnte Hauptversammlung des Allge- meinen deutschen Sprachvereins findet in den Pfingstragen vom 6. bis 8 Juni d. I. in Stuttgart statt. In der öffent lichen Festsitzung am 7. im großen Saale des Museums, in der auch die staatlichen und städt ischen Behörden den Verein begrüßen wollen, wird Professor Dr. Wunderlich aus Heidelberg die Festrede über dasSprachleben in der Mundart« halten.

Tuttlingen, 11. Mai. Vorgestern machten die hiesigen Albvereinsmitglieder über Nendingen und über das Urselenthal einen Aus- flug auf den Dreifaltigkeitsberg und Spaichingen. Auf 27. Juni wurde ein gemeinschaftlicher Aus- flag nach Schwenningen beschlossen zur Besichtig­ung der Neckarquelle und der unweit davon befindlichen größten Tanne Deutschlands.

Maulbronn, 10. Mai. Ungenügende Beaufsichtigung von Kindern hatte im hiesigen Oberamtsbezirke kurz hinter einander 2 Todes­fälle zur Folge. Am Freitag abend siel in Freudenstein ein zwei Jahre altes Kind >n ein unbedecktes Kalkloch und ertrank, und heute fiel in Knittlingen ein vier Jahre altes Mädchen, das über einen schmalen Steg gehen wollte, in einen See und erlrank ebenfalls.

Anstand.

Im österreichischen Landtag kam es in voriger Woche anläßlich des eingebrachten Dringlichkeitsantrags wegen der Sprachenver- ordnung des Ministeriums Badeni zu mehr­tägigen, derartig stürmischen Auftritten, daß man wohl sagen kann, daß solche von derartiger Heftigkeit und Dauer noch in keinem Parlament der Welt vorgekommen seren. Der Justizminister Graf Gleispach mußte unter dem tobenden Lärm der Abgeordneten, welche jeden Augenblick Lust zeigten, mit einander handgemein zu werden, seine Rede den Stenographen mit lautester Stimme diktieren, damit diese nur wenigstens die Rede, als in der Kammer wirklich gehalten, in die Protokolle bringen konnten, lieber die Dringlichkeitsanträge ging die Mehrheit des Landtags schließlich zur Tagesordnung über, aber diese Abstimmung bedeutet für das Kabinet Badeni einen förmlichen Pyrrhus-Sieg, wenn es noch einen zweiten solchen Sieg erringt, ist es verloren. Dazu kommen noch die Schwierig­keiten bezüglich des Ausgleichs mit Ungarn, die immer größer werden, je näher der Termin heranrückt, an welchem die letzte Ausgleichs­periode zu Ende geht. Der Kaiser von Oester­reich kann angesichts solcher Vorgänge nur die Empfindung haben, daß er eine Dornenkrone trage.

Peinliches Aufsehen erregte anläßlich der Totenfeier für die Opfer des Brandunglücks eine Predigt des derzeit berühmtesten Kanzel- redners Pater Ollivier. Derselbe bezeichnte

die Brandkatastrophe als eine Strafe Gottes für die Verderbtheit Frankreichs, wie auch der 70er Krieg eine solche Strafe gewesen sei. Da­mals seien die Männer gestraft worden, diesmal die Frauen. Sogar die klerikalen Blätter halten sich über dieses Zelotentum auf.

Athen, 12 Mai. In Sparta wurde gestern abend 7'/, Uhr ein 30 Sekunden dauern­des Erdbeben verspürt.

Athen, 12. Mai. Nach einer Meldung aus Skiathos hat gestern ein griechisches Kriegsschiff und das Torpedoboot 14 bei der Insel Tenedos einen die türkische Flagge führenden Dampfer der Hadjidanti- Gesellschaft gekapert. Der Dampfer beförderte etwa 100 türkische Soldaten und 6 Offiziere, darunter einen Major. An Bord desselben be­fanden sich außerdem ungelähr 300 Martini- Gewehre, mehrere tausend Patronen, sechs Mitrailleusen und Proviant. Der türkische Major wurde im Besitz von 4000 Pfund ge­funden. Der gekaperte Dampfer wurde nach Skiathos gebracht.

Konstantinopel, 12. Mai. Eine Depesche des BlattesSabah« aus Ianina von gestern meldet: Infolge des .Borrückens der türkischen Truppen flohen alle noch iu Epirus befindlichen griechischen Truppen nach Arla und ließen 3000 Gewehre, 300 Kisten Patronen und ein Gebirgsgeschütz zurück.

Im englischen Unterhaus hat Marquis Salisbury eine Erklärung abgegeben betr. die Haltung Englands in der türkisch- griechischen Streitfrage. Ton und Inhalt dieser Erklärung weisen darauf hin, daß die Engländer es bedauern, daß eine andere Macht (Deutschland) im Rate der Völker ausschlaggebend ist, und sie es trotz diesem Aerger nicht riskieren können, von dem europäischen Konzert abzuschwenkeu. Die englischen Blätter sind außerdem sehr ver­schnupft über ein Danksagungsschreiben, das die muhamedanischen Notabeln von Egypten an den deutschen Kaiser für seine Unterstützung der Türkei gerichtet und ihn gebeten haben, sich doch auch der Muhamedaner in Egypten anzu­nehmen. Wenn die türktschgriechlfche Frage erledigt sein wird, kann allerdings leicht die egyptische Frage auftauchen. Ohnedies herrscht bei den Türken große Erbitterung über England und seitdem die Türken gesehen haben, was ihre Landarmee wert ist, können sie unter Umständen leicht auf den Gedanken verfallen, die Engländer für ihre perfide Unterstützung aller Aufstände gegen die türkische Regierung dadurch zu be­strafen, daß sie die Engländer aus Egypten hinauswerfen, was auf dem Landwege gar nicht so schwierig ist. Vielleicht entleidet eben diese Aussicht den Engländern die Kriegsgelüste gegen die Transvaalrepublik.

Der argentinische Kongreß ist mit einer Botschaft eröffnet worden, welche die Be­ziehungen zu den auswärtigen Staaten als aus­gezeichnet bezeichnen. Die Botschaft hofft, daß die ganze schwebende Schuld prompt eingelöst werde und empfiehlt Sparsamkeit im Budget. Die Devise müsse sein: Ordnung, Sparsamkeit, Arbeit.

Unterhaltender Heil.

Falsche Spuren.

Criminal-Novelle von Ferdinand Hermann.

(Fortsetzung.)

Der junge Referendar war vollständig hin­gerissen von der überzeugenden Gewalt der Wahrheit, die in ihren einfachen und trotzdem so beredten Worten lag, und erwartete nichts Anderes, als daß der Untersuchungsrichter sofort erklären würde, ec sei nunmehr von der Unschuld des jungen Mädchens überzeugt und könne ihr eine alsbaldige Freilassung in Aussicht stellen.

Aber die kalte, strenge Stimme Pürwald's des Untersuchungsrichters, ries ihn noch recht­zeitig zur Besinnung zurück, und zu seiner Uebcrraschung waren cs keineswegs jene von ihm erwarteten freundlichen und wohlwollenden Worte, welche über die Lippen des Beamten kamen.

Es ist eine sehr rührende und erbauliche