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Nachtragsetat die einmalige Ausgabe zur Schaffung einer Reserve an Feldartil- leriematerial für Preußen 30 Millionen, für Sachsen 3 750000, für Württemberg S 600 000
Die Reichstagssitzungen haben sich seit dem Beginn der nachösterlichen Verhandlungen noch jeden Tag als außerordentlich schwach besucht gezeigt. eS mögen durchschnittlich in jeder Sitzung höchstens 50 Abgeordnete an- wesend gewesen sein. Es ist kaum zu hoffen, daß sich die ReichStagsfrequenz im weiteren Verlaufe des Sessionsabschnittes noch wesentlich bessern werde, die Mehrzahl der Reichsboten ist offenbar arbeitsuvlustig geworden und das eingetretene herrliche Frühlingswetter dürfte diese Abneigung gegen eine kräftigere Beteiligung an den parlamentarischen Arbeiten nur noch ver stärken. Unter solchen Umständen ist an eine Verlängerung der Reichstagssession über Pfingsten hinaus nicht zu denken.
Stettin, 4. Mai. Der Kaiser ist heute Vormittag 11 Uhr 20 Minuten zum Stapellauf des vom Norddeutschen Lloyd er- bauten Schnelldampfers „Kaiser Wilhelm der Große" hier eingetroffen.
Magdeburg, 4. Mai. In dem großen Kurzwarengeschäft von PinkuS brach gestern Abend im ersten Stockwerk Feuer aus. das sich mit rasender Schnelligkeit über das Treppen- Haus verbreitete. Letzteres stand bereits völlig in Flammen, als das Feuer bemerkt wurde. Die Feuerwehr rettete die Hausbewohner mit Leitern durch die Fenster. Hierbei verfehlte ein Dienstmädchen eine Sprosse und stürzte vom vierten Stock herab, wobei es ein anderes Dienstmädchen mit sich riß. Beide fanden den Tod. Ein Mann wurde bewußtlos aus dem Treppenhause fortgeschoffl.
Frankfurt, 3 Mai Die „Frk. Ztg." meldet aus Würzburg: Die 25. deutsche Forstmännerversammlung wird vom 30. August bis 2. September in Stuttgart abgehalten.
Kehl, 4. Mai. In letzter Zeit wurde ver schiedentlich von Straßburg aus vor der An- nähme falscher Einmarkstücke gewarnt. Der Zufall wollte es, daß spielende Kinder den Herstellungsort dieser Stücke zwischen dem Fort Kirchbach und dem Orte Sundheim fanden. In einem dort liegenden Faschinenhaufen entdeckten sie nämlich Metall und die Formen von falschen Einmarkstücken.
Ausland.
Zürich, 3. Mai. Ingenieur J ez wurde von dem König Menelik zum ersten Minister und Staatsrat ernant.
Aus der Schweiz, 2. Mai. Im Tunnel von St. Maurice im oberen Rhone- thal ereignete sich, wie die „N. Zür. Zig." aus Sitten meldet, heute ein Erd stürz. Fahrgäste und Gepäck mußten zu Wagen von einem Zug in den anderen übergesührt werden. Und ferner aus Samaden: Heute Nachmittag stürzte der Postwagen zwischen Ponte und Bevers, da die Pferde scheu wurden, über das zwei Meter hohe Straßenbord hinunter. Ein Reisender und ein Postbeamter sind verletzt.
Paris, 4. Mai. In dem großen Bazar, der jedes Jahr von Damen der Aristokratie in der Rue Jean Goujon zugunsten der Armen veranstaltet wird, brach heute ein Feuer aus. das den Bazar vollständiq zerstörte. Bis jetzt ist festgestellt, daß 30 Personen ums Leben gekommen und 25 schwerverletzt sind. Zahlreiche Personen werden vermißt.
Die Griechen haben soeben von französiser Seite her einen seltsamen Mitkämpfer für ihre Sache erhalten. Der in die neueste Panamaskandalaffaire verwickelte Abgeordnete Anlide Boyer hat nach seiner Behauptung vom Panama-Untersuchungsrichter die Erlaubnis erhalten, nach Griechenland zu reisen und dort mit gegen die Türken za kämpfen. Jedenfalls wird Herr Antide Boyer das Kraut für die Griechen nicht fett machen!
Athen, 4. Mai. Dem „Standard" geht von hier eine Meldung zu, nach welcher vorgestern in Achta, wo der Herzog von Sparta.
Kronprinz Konstantin ein großes Gut besitzt, feindselige Kundgebungen gegen die Dynastie vorgekommen sind. Volkshaufen, durch das Läuten der Glocken zusammengerufen, sollen in die Billa des Kronprinzen eingedrungen sein, sich der dort für die königliche Wache aufbe wahrten Waffen bemächtigt, die Möbel zer. trümmert und die vorhandenen Papiere verbrannt haben.
Athen. 4. Mai. Oberst Bassos ist von Kreta zurückberufen und durch Oberst Staiko ersetzt worden.
Konstantinopel, 3. Mai. Eine Depesche des Blattes „Jkdam" aus Larissa von heute meldet die Ankunft der Division Hairi Pascha in Kairiditscha zwischen Trikkala und Pharsalos, sowie das weitere Vorrücken derselben. Nach türkischen Angaben sind die Feldbefestigungen bei Velestino genommen worden. Der Kampf dauere noch fort. Die Verbindungen zwischen Pharsalos und Volo sind zerstört. Bon den Türken wurden 10 Geschütze erobert.
Konstantinopel, 4 Mai. Am Ausgang des Golfes von Arta ist ein griechisches Kriegsschiff gesunken; infolge dessen sind die Kriegsschiffe in den Golf eingeschlossen.
Konstantinopel, 4. Mai. Ghazi Osman Pascha ist vom Kriegsschauplatz zurückberufen worden, hat jedoch dringend ersucht, bleiben zu dürfen.
Der Versuch des englischen Premierministers Lord Salisbury eine Konferenz der Großmächte zur Regel ung deS griechisch türkischen Streitfalles ins Leben zu rufen, ist gescheitert. Wie eine Pariser Depesche versichert, liegen die Verhandlungen zwischen den Großmächten über den Salisbury'schen Konferenzplan bereits mehrere Tage zurück und gelten nunmehr als aufgcgeben. Um eigentliche Verhandlungen scheint es sich hierbei indessen überhaupt nicht gehandelt zu haben» sondern wohl nur um bloße Vorbesprechungen, welche schließlich die Aussichtslosigkeit des Salisbury'schen Vorschlages, wenigstens für jetzt, ergeben haben.
Die Engländer sind in Westafrika von einer jener Katastrophen betroffen worden, wie sie gerade auf afrikanischem Boden nicht zu den Seltenheiten gehören. Nach Meldungen, die dem englischen Gouverneur in Cape Coast Castle zugegangen sind, gilt es als fast gewiß, daß die von Lieutenant Hendersohn geführte englische Expedition, welche in Begleitung einer starken Bedeckungstruppe nach dem Hinter lande der Goldküste abgegangen war, um mit den dortigen Häuptlingen Verträge abzuschlicßen, von den Samens in Wah medergemetzell worden ist. Die englischen Behörden in Cape Coast Castle betrachten Wah als zur englischen Inte ressensphäre in Westafrika gehörig. Einzel- heilen fehlen noch.
Die Goldwährung ist vom japanischen Unterhause nach mehrtägigen heftigen Debatten mit einer knappen Mehrheit von 126 gegen 119 Stimmen angenommen worden. Da das Oberhaus bereits vorher der Vorlage der Regierung mit größerer Mehrheit zugestimmt hat, so ist die Einführung der Goldwährung in Japan als gesichert anzusehen. Sie wird nach dem Vorschläge der Regierung am 11. Oktober dieses I ihres in Kraft treten.
Pittsburg (Pennsyloanien), 3. Mai. Ein großes Schadenfeuer zerstörte dasDuquesne-Theaterundzahlreiche Geschäftshäuser, darinter das große Sioffmagazin von Horne und Cie., bei dem ein Schaden von über einer Million Dollars entstand. Der Gesamtschaden bei der Feuersbrunst wird auf drei Millionen Dollars geschätzt.
General Freiherr von der Goltz über die türki sche Armee.
Im Militär-Wochenblatt erscheint soeben der erste Artikel einer Serie „Bilder aus der türkischen Armee." Bei dem hohen Interesse, die diese Artikel aus der Feder des Mannes in Anspruch nehmen, der, wie wenige, berufen ist, ein fachmännisches Urteil über die Truppen des Halbmonds zu geben, wird es den Lesern willkommen sein, einige Stellen aus den Aufsätzen
hier wiedergegeben zu finden. Es heißt darin;
„Als ich 1883 nach Konstantinopel kam, war ich zunächst erfreut, so viel Gutes zu finden. Doch schon in der Hauptstadt begegneten mir schroffe Gegensätze. Die Truppen, welche nicht in der Nähe des Palais kaserniert waren und mit diesen nicht in Berührung kamen, zeigten vielfach das Bild arger Verwahrlosung. Ich sah mit dem preußischen Auge nur unvollkommene Kadres für eine Armee, aber keine Armee selbst. Vielfach hörte ich behaupten, daß Reserven (IcMiat.) und Landwehr (Löäik) dem Aufruf zur Fahne gar nicht folgen würden. Dann kamen die bulgarischen Wirren von 1885 und 1886, von denen das Reich fast vollkommen überrascht wurde. Nachdem die ersten Schwankungen vorüber und die Entschlüsse zur Aufstellung einer Armee gefaßt waren. erstand diese gleichsam aus dem Boden. In einer Zeit, welche man in Anbetracht der allgemeinen Verhältnisse als nicht allzulange bezeichnen kann, wurden auf der Balkanhalbinsel 22 Felddivisionen mit einer Gesamtstärke von 300 000 Mann versammelt. Ich hatte damals Gelegenheit, bei den Anordnungen mitzuarbeiten und die große Gewandtheit des Kciegsministeriums und aller höhern Militärbehörden zu bewundern, mit welcher sie sich in den unglaublich schwierigen Verhältnissen zurechtfanden und Berge von Hindernissen überwältigten.
„Wie ich nun ferner nach langem Warten und Drängen im Jahre 1894 die Genehmigung erhielt, mit einer Abteilung Generalstadsosfiziere auf einige Zeit an die griechische Grenze zu gehen, und dort Gelegenheit hatte, die Truppen im Gcenzdienste zu beobachten, gewann ich großes Vertrauen zu ihrer inneren Tüchtigkeit tm Kriege. Der Dienst, den sie thaten, war schwer und gefahrvoll. In einsamen Blockhäusern, hoch im Gebirge, lagen die kleinen Abteilungen Tag und Nacht auf der Hut gegen streifende Banden, welche gelegentlich versucht hatten, in türkisches Gebiet einzubringen.
„Von der außerordentlichen Marschfähigkeit der türkischen Infanterie konnte ich mich bald darnach auf dem Rückmärsche von Janina durch den südlichea Pindus deutlich überzeugen Durch Gestrüpp uud Wals, über Geröll und Steinblöcke hinweg liefen und sprangen die „Lämmer" (gewöhnliche Anrede an die jüngere Mannschaft) wacker und unverdroßen neben uns her. mit unfern Pferden und Maultieren Schritt haltend. Die zurückgelegte Entfernung mag 50. vielleicht 55 km betragen; auf dem Morfa Dagh hatten wir die bedeutendste Pißhöhe mit nahe an 1800 m überschritten. Früh morgens ging der Marsch wieder heimwärts. Freilich war diese Infanterie durch schweres Gepäck nicht belastet.
„Sicher ist, daß die türkische Armee nicht nach ihrer äußern Erscheinung, nicht einmal nach den vom flüchtigen Beobachter in ihrem Leben und Treiben gemachten Wahrnehmungen abgeschätzt werden darf; eine solche Schätzung wird meist unter dem wirklichen Werte ausfallen. Aehnlich steht es mit dem Reiche selbst, über dessen unrettbaren Verfall heute in Europa so viel geredet und geschrieben wird und dem doch noch eine Lebenskraft und eine Leistungsfähigkeit inncwohnt, die alle Welt, wie vor 20 Jahren überraschen würde» wenn cs zu einem Kampfe auf Leben und Tod gezwungen werden sollte."
Telegramme.
Paris, 5. Mai. Unter den Opfern des Brandunglückes im Wohlthätigkeitsbazar werden genannt: Baronin Reille, der Pfarrer von St. Hanois, Marquise Gallifet, Vicomtesse Hunolstein. Comteffe Saint Perier, Comtefse Demun, Madame Mackan, General Munier, Madame Morean. ihr Sohn und 4 Töchter und Marquise Fiires. — Dem Berliner „Lokalanzeiger" zufolge ist die Herzogin von Atenqon gerettet. Die Zahl der Toten betrage 123, der Verwundeten 200.
Paris, 5 Mai. Einer „Agence Havas"- Meldung aus Athen von gestern Abend 6 Uhr zufolge räumten die Türken nach Karditza auch Trikkala. Eine Truppenabteilung wurde zur Besetzung der Stadt abgesandt.
Mit einer Beilage.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.