LSI

Meitcrge zu Wr. 59 des GnzLHcrLers.

Neuenbürg, Donnerstag den 15. April 1897.

Württemberg.

Stuttgart, 8. April. 118. Sitzung der Kammer der Abgeordneten. Zu Punkt 1 der Tagesordnung berichtet Abg. Hoffner über einige formelle Aenderungen, welche die Erste Kammer an dem Farrenhaltungs-Gesetz vorgenommen hat. Das Haus tritt diesen Be schlüssen bei. Es folgt sodann die Beratung des Antrags v. Wöllwarlh betr. Förderung der Hagelversicherung. Berichterstatter ist Abg. Schick. Minister v. Pischek bringt einige Be denken zur Sprache, will jedoch der Annahme nicht widersprechen. Die Kommissionsanträge lauten: Die Kammer der Abgeordneten wolle beschließen1. Das K. Ministerium des Innern zu ersuchen, die 10 °/o Zuschlag zur Vorprämie, die nach Z 5 Abs. 3 der Uebcreinkunft zwischen dem K. Ministerium und der Norddeutschen Hagel- Versicherungsgesellschaft von den württ.Versicherten als Präzipinalleistung bezahlt werden müssen, aus dem staatlichen Hagelfonds zu bezahlen. 2 Reicht der verfügbare Teil dieses Fonds nicht aus, um die etwa eintretende Nachschußpflicht zu erfüllen, so ist nichts zu erinnern, wenn der Fehlbetrag ebenfalls dem Hagelfonds entnommen wird, so- fern die Erhebungskosten in keinem Verhältnis stehen zu dem zu erhebenden Nachschuß." Die selben werden mit großer Mehrheit angenommen. Das Haus nimmt sodann die gestern verhandelte Umgeldsfrage wieder auf. Berichterstatter v. Balz spricht für Verweisung des Antrags Maurer an die Steuerkommission. Auf das Um­geld selbst will Redner nicht näher eingehen, die Gründe für und wider sind genugsam er- örtert worden. Eine Erledigung dieser Ange­legenheit vor der Beendigung der Steuerreform sei wohl kaum möglich. Die Bedenken des Vizepräsidenten gegen den Antrag Maurer und Gen. seien sehr erwägenswert. Abgesehen von den Wirten drücke das Umgeld niemand. In erster Linie sei das Kontrolsystem lästig. Der Wein werde jedenfalls von den Wirten nicht billiger verschenkt, auch wenn das Umgeld abge schafft würde. Man könnte die 2 Millionen Umgeld auch durch Wirtschafksspocteln ersetzen, dann würden die anderen Steuerpflichtigen nicht mehr belastet. Dieser Vorschlag habe wie Redner zugeben müsse auch wesentliche Be­denken. Es soll ernstlich geprüft werden, ob und wie das Umgcld abgeschafft bezw ersetzt werden könne. Redner schlägt eine andere Fassung des Maurer'ichen Antrags vor. Abg. Sachs: Die Finanzkommission sei einig gewesen, daß man zur Zeit die Umgeldfrage nicht erledigen könne. Es gebe vielleicht noch lästigere Steuern als das Umgeld. Das Umgeld belästig? den Weingärtner nicht. Für denarmen Mann" sei die Malzstcuer und Branntweinsteuer mehr belästigend. Bei einer kürziichen Wirts­versammlung habe ein Wirt selbst gesagt, daß bei Aushebung des Umgelds der Wein nicht billiger werde. Er stehe dem Wirtsstand wohl­wollend gegenüber, aber man dürfe demselben nicht auf Kosten des andern Teils dis Volkes entgegenkommcn. Eine Art Sportel, bezw. Exira- stcuer für die Wirte sei sehr schwielig, fast un. möglich. Auch die Einkommenssteuer könne un­möglich ohne weiteres um eine Million erhöht werden, was Redner eingehend nachweist. Die Ergebnisse der neue» Einkommenssteuer müssen abgewariet werden. Ergebe die Einkommenssteuer einen Ueberschuß, so sei eine Reihe von Sporteln und Steuern da, welche auch sehr lästig wirken. Man könne deshalb nicht heute schon einen et­waigen Ueberschuß einseitig zur Aufhebung des Umgelds bestimmen. Redner ist für eine Be­seitigung des lästigen Umgelds, heute kann aber die Angelegenheit noch nicht erledigt werden. Abg. v. Geß: Das Umgeld kann auf die Dauer nicht bcidehalten werden. Die Belästigung der Wirte ist zu groß. Der vorliegende Antrag Maurer müsse vorurteilsfrei geprüft werden. Eine Schanksteucr bezw. erhöhte Gewerbesteuer für die Wirte sei gerechtfertigt. Verweisung an

eine Kommission erscheint zweckmäßig. Abg. Haußmann Balingen: Der Abg. Sachs habe alle Gründe, welche gegen die Abschaffung des Umgelds stimmen, zusammengetragen, sich schließ­lich aber für Abschaffung desselben erklärt, nur jetzt nicht, da der Zeitpunkt nicht geeignet sei. Die Wirte müssen einen unverhältnismäßig hohen Teil der Staatssteuer aus ihrer Tasche bezahlen (Oho! Dazwischenrufe: Nachdem sie das Geld bereits von den andern eingenommen haben). Im weitern erörtert Redner die Notwendigkeit der Abschaffung des Umgelds. Der Zeitpunkt I sei ganz passend, jetzt wo man vor der Steuer­reform stehe. Die Einkommenssteuer werde sicher einen Ueberschuß von 2 Mill. ergeben. Eine erhöhte Schanksteuer (Sportel) lasse sich recht­fertigen. Im Wirtsgewerbe werde übermäßige Konkurrenz gesetzlich durch den Staat verhindert. Die Höhe dieser Schanksteuer betreffend, wäre eine Einteilung in 46 Klassen zweckmäßig. Der ganze Antrag Maurer sei an die Kommis­sion zu verweisen. Bei gutem Willen müsse cs auf dem vorgeschlagenen Wege gehen. Man solle das Umgeld nicht zur Agitation bei den Wahlen machen. Minister Dr. v. Ri ecke: Zu einer Acnderuvg bezw. Abschaffung des Um­gelds habe die Regierung schon früher den guten Willen gezeigt. Versuche in dieser Richtung seien schon mehrfach gemacht worden. Der Minister geht sodann über zur Besprechung des Antrags Maurer. Die Erhebung einer beson­deren Schanksteuer (Sportel) habe ihre Be­denken. Eine Kommissionsveratung ist em­pfehlenswert. Material hiezu wird er zur Ber- fügung stellen. Schließlich warnt der Minister davor, die vorliegende Frage mit der Steuer­reform zu verquicken. In nächster Zeit werde wohl das Umgeld nichl abgeschafft werden können. Abg. Kloß: Das Umgeld sei ohne weiteres ganz abzuschaffen, weil es eine ungerechte Steuer sei. Die Wirte wollen allerdings das Umgeld nicht deswegen abgeschaffl haben, sondern wegen der Belästigung u. ihrem eigenen Geldbeutel. Die Schanksportel sei nicht zu rechtfertigen und durch aus unzweckmäßig, ohne Aufsicht und Kontrolle seien Ungerechtigkeiten nicht zu vermeiden. Ge- rade mit der Steuerreform sei die Erledigung dieser Angelegenheit zu verbinden. Abg. von Balz: Die Verweisung an die Steuerkommis­ston wäre zweckmäßiger als die an die Finanz kommission. Die Debatte wird geschlossen. Es erfolgt sodann die Uebcrweisung des Antrags Maurer an die Steuerkommission. Abg. Schmidt-Besigheim bemängelt die Verschieden­heit der Beamtenbezüge. Die Steuerwächter haben mindestens den gleich schweren Dienst wie z B. die Landjäger. Das erzeuge selbstver­ständlich Unzufriedenheit. Redner weist auf die Unzulänglichkeit der Bezüge der Steuerwächter hin. Präs. v. Wintterlin konstatiert, daß die Steuerverwaltung den Bediensteten und Beamten immer Wohlwollen entgegengebrocht habe. Die Klagen seien nicht durchaus berechtigt. Auf die einzelnen Beschwerden könne er jetzt nicht ein- gehen.

Unterhaltender Heil.

Die Zuckerzange.

Erzählung von Doris Freiin v. S p ä t g c n.

(Nachdruck verboten.)

Thce oder Bier, lieber Onkel?"

Bitte um Thee, da ich Deine exquisite Sorte kenne und zu würdigen verstehe, liebes Kind "

Befiehlst Du Rum? Zucker?"

Natürlich Zucker. Man muß dieses jämmerliche Leben doch nach Möglichkeit ver­süßen."

An einem, mit allem Luxus der modernen Geschmacksrichtung und mit größter Zierlichkeit arrangierten Thcetisch, in einem bis auf's Tipfelchcn stilvoll eingerichteten Speisezimmer, saßen zwei Personen: ein ziemlich korpulenter,

alter Herr, dessen flott aufgedrehter Schnurrbart und das noch immer scharf und durchdringend blickende Auge den einstigen Militär verrieten, und eine wirklich schöne, in ein reizend modernes Salonkostume gekleidete junge Frau. Im Eifer ihrer Hausfrauenpflichten kam sie dem ausge- sprochenen Wunsche nach und nahm einen massiv silbernen Zuckerkorb, auf dessen süßem Inhalt eine Zange von feiner durchbrochener Silber- arbeit ruhte, vom Tische und reichte sie dem Gaste zu.

Der gerade Weg ist immer der beste!" versetzte der alte Herr lachend und ergriff 8LN8 A6N6, ohne die Zange zu berühren, zwei Stückchen Zucker mit den Fingern.

Aber, Onkel!" Das hübsche Frauen- ontlitz wurde merklich länger und mit einem halb spöttischen, halb zornigen Ausdruck um die frischen Lippen, setzte die junge Dame ihre Bürde rasch und etwas heftig bei Seite.

Wie beliebt?" fragte der Gast, indem er ein Monokle ins Auge klemmte und scheinbar herausfordernd sein Gegenüber musterte.

Ich ich begreife nicht, wie Du, der Du fast Dein halbes Leben am Hose verbrachtest, Adjutant Prinzenerzieher und Gott weiß, was noch alles gewesen bist, Dich von einer so üblen Angewohnheit beherrschen lassen kannst, den Zucker mit den Fingern anzufassen, lieber Onkel!" brach es ziemlich erregt von der reizenden Hausfrau Lippen, welche lebhaft fort­fuhr:Sei mir für die Bemerkung nicht döse; unter so nahen Verwandten, wie wir es sind, darf man schon offen reden, und ich muß Dir ehrlich gestehen, ich finde das Ntchtbenutzen der Zuckerzange, diese allen Ostdeutschen eigentümliche Untugend jedes bessere Gefühl verletzend!"

Der alte Herr zerschnitt während dieser mit steigender Erregung gesprochenen Worte in größter Seelenruhe die Brust eines kalten Fasanen, legte aber plötzlich Messer und Gabel beiseite und brach in lautes Lachen aus.

Ucble Angewohnheit! Untugend aller Ostdeutschen! Gefühl verletzend!? Hahaha! Du bist köstlich, Barbara! Glaubt Ihr denn in Eurem Bierlande etwa die Vornehmheit ge­pachtet zu haben? Nimm mir's nicht übel," fügte er einlenkend hinzu,aber ich sollte denken, die guten ehrlichen Bayern, die ihren Maßkrug am ungedeckten Tische trinken und dazu ihren Radi mit dem Taschenmesser schälen, könnten getrost den Zucker mit der bloßen Hand anfassen. Bei uns grebt cs hier und da auch noch solch altväterischcs Jnvenrarstück aus der guten allen Zeit," damit wies er nach dem unschuldigen Gegenstand des kleinen Streites, doch dann liegt es wohl meistens nur auf der Parade Zuckerdose der Frau Pastor vom Lande! Hahaha!"

Du wirst mich doch nicht zu Deiner Ansicht bekehren, Onkel; schon vom ästhetischen Stand­punkte aus habe ich ganz recht!" gab die junge Frau mit trotziger, überlegener Mienezur Antwort.

Aesthelijcher Standpunkt! Famos! Ich hoffe doch, an Deinem Tische nur Leute von zweifelloser Reinlichkeit bewirtet zu sehen!" scherzte der alle Herr in unverwüstlichem Humor.

Gleichviel, Oik.lchen, verspotte mich nur. Das aber will ick Dir sogen, ganz abgesehen von Dir, über dessen Thun und Lassen ich mir kein Urteil anmaßen darf, den Bildungsgrad des Mensch?»-"

Bemiss st Du nach der Zuckerzange!" fiel ihr der Gast pustend vor Lachen in die Rede.

D> bist garstig. Onkel! Nein, den Bildungsgrad der Menschen bemesse ich darnach, wie sie essen," erwiderte Frau Barbara mit Nachdruck.

Sapperment! Na, da möchte ich beinahe schadenfroh genug sein, um Dir einmal einen gründlichen Hineinfall zu wünschen, Kindchen. Ich halte auch auf gute Manieren und setze dieselben bei Leuten, mit denen ich umgehe, auch voraus. Allein wenn ich jemanden Spargel