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erläge zu Ar. 52 des Knzthälers.
Neuenbürg, Samstag den 3. April 1897.
Württemberg.
Stuttgart. 27. März. 109 Sitzung der Kammer der Abgeordneten. Zur Verlesung kommt eine Interpellation der Fraktion der Volkspartei, welche um Auskunft bittet, wann das Gesetz betr. die periodische Wahl der Orts- Vorsteher erscheinen werde. Titel 9. Nachbar- schaftsstraßcn. Abg. Schach bittet, die Beiträge für Unterhaltung der Nachbarschaftsstraßen, die sehr wichtig seien, zu erhöhen. Es sei dies namcnt lich im Interesse der Landwirtschaft. Wo cs Kalksteine giebt, solle zu den Staatsstraßen kein anderes Material verwendet werden. Minister v. Pischek erwidert dem Berichterstatter Sachs, daß die neue Wegordnung bald vorgelegt werde. Der Titel wird genehmigt. Bei Titel 10. Beiträge zum Schneebahnen, wird die geringe Höhe der den einzelnen Gemeinden zugekommcnen Beiträge bemängelt. Präs. v. Leibbrand erörtert die Grundsätze, die hiebei maßgebend sind. Titel 10 und 11 werden genehmigt. Zu Kap. 41. Ncckarschifffahrtsfonds. giebt Abg. Sachs Erläuterungen. Abg. Schmidt Besigheim sragt an, ob man das Projekt der Schiffbarmachung des Neckars bis Cannstatt nicht ausführen wolle. Minister v. Pischek: Die Kosten hiefür würden 35 Mill. betragen, das sei zu viel. Es folgt nun der Etat des Departements der auswärtigen Angelegenheiten. Am Regicrungslisch: Frhr. v. Mittnacht. Berichterstatter ist der Domkopi tular Dr. v. Linsenmann. Kap. 16, Ministerium, 17, Gesandtschaften, 18, Haus- u. Staatsarchiv, 19, Dispositionsfonds, werden ohne Debatte genehmigt. Das Haus tritt in Punkt 3 der Tagesordnung ein (Eisenbahnkrcditgesetz). Berichterstatter ist Abg. Stockmaycr. Derselbe bespricht u. a die Angelegenheit der Eisenbahn Beilstein-Heilbronn und die verschiedenen in dieser Hinsicht aufgetauchlen neuen Projekte. Die Bottwarthalbewohner seien erregt über die Verzögerung, die die Stadt Heilbronn herbeigeführt habe. In der Sache müsse nunmehr ein entscheidender Beschluß erfolgen. Zunächst könnte man wenigstens bis nach Jlsseld bauen. Minister Dr. Frhr. v. Mittnacht giebt eine zusammen hängende Darstellung der Heilbronner Angelegenheit. Die Ansichten der Heilbronner über Leistungen und Führung der Bahn seien sehr geteilt. Bis I. Januar 1897 sei seitens der Heilbronner keine zustimmende Erklärung ringe- kommen. Das Projekt der Führung über Bückingen liege fertig vor. Die Kosten hiefür be trogen über 2 Millionen. Einige Gemeinden sind mit der Führung nach Bückingen einverstanden, andere nicht. Ein sofortiger Bau nach Jlsseld empfehle sich nicht. Abg. Frhr. von Gaisberg bemerkt, daß im Botiwarthal eine große Mißstimmung herrsche wegen der Heil- dronner Schwierigkeiten. Die Teilstrecke Beilstein Jlsseld sollte baldmöglichst gebaut werden. Die Gemeinde Austein zahle für das Böckinger Projekt nichts. Abg. Schmidt-Besigheim schließt sich dem Vorredner an, die Teilstrecke Beilstein Jlsseld muß gebaut werden, um die herrschende Mißstimmung zu beseitigen. Abg. Stockmaycr stellt den Antrag, die mehrerwähnte Teilstrecke sofort in Angriff zu nehmen. Minister Frhr. v. Miltnacht: Hiezu wäre die Einbringung eines besonderen Gesetzentwurfs notwendig. Abg. Stockmayer ist damit einverstanden, daß sein Antrag an die Kommission verwiesen wird. Abg. Krauß sragt an, wie es mit der Eisenbahn Münsingen - Schelklingen stehe. Minister von Mntnacht giebt eine Uebersicht über den Stand der Angelegenheit. Es wären zur Grunderwerb- ung noch 180000 Staaiszuschuß erforderlich, das sei zu viel. Die Gegend sei dünn bevölkert und ohne Industrie. In Bayern verlange man auch, daß der nötige Grund und Boden von den Interessenten kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. In Baden sei es ähnlich. Abgg. Betz und Münzing beantragen statt Beilstein- Jlsfeld im Antrag Stockmaycr zu sagen: Beil- stein-Sontheim. Dieser Anlragwird abgelehnt und
der Antrag Siockmayer an die volkswirtschaftliche Kommission verwiesen. — 110. Sitzung. DasEisen- bahnbaugesetz wird wegen Krankheit des Ministerpräsidenten von der Tagesordnung abgesetzt. Beratung des Etats des Departements des Kirchen- und Schulwesens. Referent Dr. Hartranft- Böblingen (Volksp.) giebt einen allgemeinen Ueberblick über den Kultusctat. indem er die einzelnen Positionen aufführl, in welchen der Aufwand gegen das Vorjahr sich vergrößert hat. Haußmann-Balingen (Vp ) wünscht Auskunft darüber, ob die Regierung dieFrageder Reversalien noch als dringlich ansieht und ob sie derEcledigung der Frage in Bälde näher zu treten gedenke. Minister Dr. Sarwey kann die beruhigende Versicherung geben, daß die Regierung sowohl als das Kirchenregiment die Revcrsalienfragc nicht einschlafen lassen werde. Es besteht die Absicht, die evangelische Landessynode auf der Grundlage der in der Kammer gefaßten Beschlüsse noch im Laufe dieses Jahres, voraussichtlich im Oktober, einzubcrufen. Man genehmigt sodann eine Reihe von Kapiteln des Etats.
S t u t t g a r t, 2. Apr. In der Kammer der Abgeordneten ist der Etat des Mini steriums des Innern durchberaten worden, wobei verschiedene Wünsche zu Gunsten der Landwirt schasl geäußert wurden. Die Regierung will diesen Wünschen, so weit es eben geht, entgegen- kommen, aber das darf man freilich nicht von ihr verlangen, daß sie alle und jede Ausgaben der Ausgaben auf die Staatskasse übernimmt, sogar den Bau und die Unterhaltung der Nachbarschaftsstraßen.
Abstcmpelung der 4°/o württemb. Schuldscheine von 1 8 7 5/1 8 8 7. Im Anschluß an den auf I. März d. I. erfolgten Aufruf der Schuldscheine Lit. 1^. U. kl. 0. mit den Zinsterminen 1. Februar/1. August und 1. März/1. Sept. werden nunmehr weiter die Inhaber der 4°/o Staatsschuldscheine Lit. I> N.
0. mit den Zinsterminen 1. April/l. Okt., welche die Umwandlung in 3*/r°/o nicht abgc- lehnt haben und deren Schuldscheine nicht etwa schon früher zur Rückzahlung gekündigt worden sind, gemäß dem Gesetz vom 20. Dez. 1896 aufgefordert, vom 7. April 1897 an die Schuld- scheine zur Abstempelung auf 3'/,°/» vorzulegen. Der Aufruf der weiter abzustempelnden Schuldscheine von 1875/87 mit anderen Zinsterminen wird später erfolgen.
Ulm, 23. März. Unsere Stadt hat Aussicht, sich von der Festungsum- Wallung zu befreien und einer Entwicklung entgegenzugchen, der sie ohne die fortisikatorischen Hindernisse bei ihrer günstigen Lage und dem reichen in sie einmündenden Bahnnetze längst fähig gewesen wäre. Nachdem der Ulmer Magistrat ein erneutes Gesuch an das preußische Kriegsministerium um Niederlegung der inncrn Umwallung eingereicht hat, ist der Bescheid erfolgt, das Ministerium werde der Frage näher treten, nur müsse es die Summe wissen, die ihm für nötige Eisatzanlagcn angeboren werde. Darauf hin bot die Stadt drei Millionen Mark. Es ist gegründete Hoffnung, daß Ulm sich donauwärts ausbreiten wird, wo es sich um ein Gebiet von 250 Hektar vermehren kann, während durch Niederlcgung der Umwallung der Stadt weitere 70—80 Hektar zusielen.
Tübingen, 27. März. Trotz des außerordentlich milden Winters halten sich auch die diesjährigen Holzpreisc auf der alten Höhe, was dem auswärtigen Holzabsatz in die verschiedenen Holzstoff- rc. Fabriken zuzufchreiben ist. Für He>zungszwccke wird deshalb auch immer mehr die Kohlen- resp. die Coaksheizung der Holzheizung vorgezogen. Auch in den städtischen Kanzleien, den Schulen rc. soll vom nächsten Herbst ab Kohlenheizung eingerichtet werden.
Wüsten roth, 29 März. Gestern abend ist es den beiden hier stationierten Forstwarten
Kächele und Kmttschnik gelungen, 2 Wilderer, nämlich Gemcindepfleger Schäfer und Bauer Warthmann in dem Momente festzunehmen als dieselben eine kurz vorher von ihnen erlegte, hochträchtige Rehgaife im Staatswald Lauterwald abholen wollten. Unmittelbar vorher legten die beiden Wilderer ihre scharf geladenen, gejpanntcn Doppelflinten am Waldessaum ab, und nur diesem Umstand ist es zu verdanken, daß ein größeres Unglück verhütet wurde. Am Tage zuvor wurde durch die Wilderer ein Rehbock angeschossen, welcher später von einem Holzmacher gefunden und hieher gebracht worden ist, auf dieses hin wurden die nötigen Anordnungen getroffen. Eine sofort in den Wohnungen der Wilderer vorgenommcne Durchsuchung förderte nicht weniger als 5 Gewehre. Munition, Messingdrahtschlingen, sowie 5 Rehköpfe an den Tag. ein Beweis des gewerbsmäßigen Betriebs ihres unsauberen Geschäfts.
Brackenheim, 31. März. Bei der Stadlschultheißenwahl wurde heute Gottlieb Bendel, Spitalverwalter in Hcilbronn, ein geborener Brackenheimer, mit 211 von 227 abgegebenen Stimmen gewählt.
Aalen, 31. März. Nachdem schon vor längerer Zeit die Ueberreste eines römischen Bades u. in den !>tzten Jahren die Fundamente eures römischen Kastells westlich von der Stadt blosgelegt worden sind, hat man nun bei der Anlage eines Leichenhauses sehr schön erhaltene Grundmauern und Betone östlich vom Kastell ausgegraben.
Ein neuer humanitärer Zweig der Znvalidiläts- und Altersversicherung.
Gemäß tz 12 des Jnvalrditäts- und Alters- gesetzes vom 22 Juni 1889 sind die Jnvaliditätsi- und Altersversicherungsanstaltcn (für Württemberg dieJnvaliditäts- u.Altersversicherungsanstalt in Stuttgart) befugt, für versicherungspflichtige Personen die Heilsürsorge. mit anderen Worten die Wiederherstellung erkrankter Personen zu übernehmen, sofern als Folge der Krankheit Erwerbsunfähigkeit zu erwarten ist, welche einen Anspruch auf Invalidenrente begründen würde.
Diesem Zweige der Fürsorge für ihre Versicherte, hat sich nun die Württembergische Jn- validitäts- und Altersverstcherungs Anstalt in Stuttgart in der denkbar humansten Weise zugewendet und zwar wird von dieser Anstalt das Heilverfahren auch in den Fällen fortgesührt. in/ welchen die betr. Krankenkassen bereits am Ende ihrer Leistungen angekommen sind.
Es ist dies gewiß eine dankenswerte Ausgabe, welche die Anstalt übernommen hat, wird doch durch dieses Verfahren vielfach erreicht, daß den Ernährern von so und so viel Familien ihre Gesundheit erhalten bezw. wiederhergestellt wird ohne daß den Betreffenden irgend welche Kosten erwachsen und was dies zu bedeuten hat, wird derjenige wohl am leichtesten ermessen, welchem schon Gelegenheit geboten war Einblick in die Verhältnisse weniger bemittelter Familien zu lhun, wenn das Familienoberhaupt längere Zeit krank darniederlag.
Die Leistungen der Krankenkassen gehen mit ^ einigen Wochen zu Ende und wenn dann die : vielleicht früher ersparten wenigen Mittel zu Ende sind, kehrt bittere Not in so manche Familie ein.
Um so dankenswerter muß nun aber diese große Fürsorge der Jnvaliditäts- und Alters- Versicherungsanstalt ausgenommen werden, als eine g,s tzliche Verpflichtung zur Durchführung der Heilsürsorge nicht besteht, sondern der Vor- stand der Anstalt aus freiem Entschlüsse sich diesem humanen Wirken zugewcndet hat und es ist jetzt wohl an der Zeit — da sich die verschiedenen Heilbäder u. s. w. wieder öffnen — einiges aus den Grundzügen dieses in sozialer Beziehung gewiß hochstehenden Wirkens der genannten Anstalt anzuführen.
Das Heilverfahren wird von der Anstalt