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Kaiser Wilhelm l. ist in langer, ernster Lebensschule herangereist, ehe Gottes Hand ihn aus seinen hohen Platz gestellt hat. Unvergeßlich fürs ganze Leben blieben im Gedächtnis des jungen Knaben die Thränen seiner schönen un­glücklichen Mutter, der Königin Luise, als sie in den Unglücksjahren 1806 und 1807 mit ihren Kindern vor dem Feinde fliehen mußte bis in den äußersten Winkel des Landes, und das Reich und der Ruhm Friedrichs des Großen für immer verloren schien. Nach 7 Jahren stand der junge Prinz mit dem preußischen Heere selbst auf französischem Boden und erhielt in siegreicher Schlacht seine Feuertaufe. In seinen reifen Mannesjahren, in der Zeit von 1848, mußte er den tiefen Schmerz erleben, der Gegenstand des Mißtrauens und der Abneigung für das ver­blendete Volk zu sein, und der, welcher der Held und die Hoffnung der deutschen Nation werden sollte, mußte vor seinem eigenen Volke nach England entweichen. Und wieder im An­fänge seiner Regierung mußte er für die uner­läßliche Verstärkung der Armee den schweren Konflikt mit dem Abgeordnetenhaus« durchkämpfen, das die weitschauende nationale Politik der Regierung nicht verstehen konnte. Und dann erst im Greisenalter, wo andere Menschen an den Feierabend denken und mit der Lebensarbeit abgeschlossen haben, begann der letzte, thaten- reichste und glorreichste Abschnitt seines Lebens, wo er endlich die Früchte einer langen geduldigen, pflichttreuen und vielverkannten Arbeit schauen durfte, eine reiche Ernte an Er­folgen und Triumphen, aber auch an Hochacht­ung und dankbarer Liebe bei seinem Volke, wie sie wenigen Fürsten zu Teil geworden ist. Und wer konnte würdiger und geeigneter erscheinen, die zerrissenen Siärnme Deutschlands zu einigen und ihre alte Kaiserkrone zu tragen, als das ehrwürdige Haupt dessen, der unter den deutschen Fürsten durch reise Lebensweisheit wie ein Vater dastand.

Schöner als aller Glanz der Krone und Siege schmückt ihn in unseren Augen die sittliche Hoheit seiner ganzen Persönlichkeit. Nie ist aus seinem Munde ein prahlerisches Wort gehört worden.Alle Kränze und Ehren, die ich empfangen habe, lege ich demütig nieder vor dem Herrn", hat er wenige Jahre vor seinem Tode öffentlich bekannt. Nie ist an ihm ein Gefühl des Neides gegen die großen Männer, die ihm zur Seite standen, bemerkt worden. Und daß er neben Männern wie Bismarck und Moltke nicht übersehen werden konnte, ist der beste Beweis für die Bedeutung, die seiner schlichten Persönlichkeit inne wohnte. Als 1870 die fran­zösischen Siegesdepeschen beständig den deutschen Nachrichten widersprachen, pflegten die Engländer sprüchwörtlich zu sagen:Wenn Du zweifelst, glaube König Wilhelm." Das unbedingte Vertrauen und die hohe Achtung, die sein Wort weit über den Kreis des Vaterlandes bei Fürsten und Völkern genoß, wenn er sich für den Frieden verbürgte, wenn er ein Wort des Rates oder der Mahnung in die Wagschale legte, hat den Frieden in der Welt, den inneren und äußeren, erhalten helfen. Seine Persönlichkeit hat der Welt gezeigt, was ein Volk an einem christlichen König haben kann. Wir ehren dankbar die göttliche Fügung, die an den An­fang des neuen deutschen Reiches diese edle Fürstengestalt gestellt hat, unter dem das junge Reich die schwere Zeit des Anfanges glücklich überstchen und innerlich zusammenwachsen konnte. Darum segnen wir an diesem Gedenktage sein Gedächtnis. Sein Name wird als der besten einer unter uns fortleben bis zu späten Geschlechtern.

Es ist ein alter Zug im deutschen Volke, daß es seine großen und frommen Könige nicht sterben läßt. Es will nicht hergeben, was es einmal lieb gehabt hat. Noch soll Karl der Große im Unterberge bei Salzburg wohnen und Kaiser Friedrich Barbarossa soll seine Stätte im Kyffhäuser haben. So mag Kaiser Wilhelm der Große seinen Platz im Herzen eines jeden treuen Deutschen behalten und weiter regieren als Führer unserer Gedanken.

AuS Stadt, Berirk und Umgebung.

Höfen, 18. März. Heute Nachmittag wurde unter sehr zahlreicher Teilnahme einer unserer besten und edelsten Bürger, Holzhändler Wilhelm Lustnauer zu Grabe getragen. Er verschied vorgestern nach kurzem Kranksein im Alter von 77 Jahren, betrauert von einem großen Kreis von Familienangehörigen und Freunden. Der Verstorbene war eine ebenso überaus sympatische Erscheinung, wie ein tüchtiger Geschäftsmann und liebenswürdiger Gesellschasiei und deshalb eine allezeit und überall hoch­geachtete Persönlichkeit. Schon vor mehreren Tagen von der bösen Influenza befallen, wollte der Verstorbene dieses Kranksein nicht so ernst nehmen und ging noch am letzten Samstag aut sein Sägewerk; es war das letztem«! Die tückische Krankheit nahm rasch einen entzünd- lichen Charakter an, die dann auch ihr Opfer torderte. Der Wunsch des Verstorbenen, es möchte ihm ein kurzes Krankenlager beschieden sein, ist in Erfüllung gegangen. Ein dauerndes, ehrenvolles Andenken ist ihm gesichert.

Neuenbürg, 20 März. (Schweine markt) Zufuhr 55 Stück Milchschwetne, welche per Paar zu 18 -27.50 raschen Absatz fanden.

Deutsches Aeich.

Die festlichen Tage der Jahr- hundcrtfeier für Kaiser Wilhelm I sind herangekommea, sie heben mit diesem Sonn tag an, der namentlich die kirchlichen Gedenk- feierlichkeiten dringt. Erfreulicherweise wird sich die Begehung des 100 Geburtstages des ver­ewigten großen Kaisers zu einer wahrhaft nationalen Feier für ganz Deutschland gestalten, dies läßt sich auf Grund der in allen Gauen des Reiches getroffenen Vorbereitungen zuversichtlich be­haupten, wenn hierbei gewisse Kreise und Ele. mente des deutschen Volkes grollend bei Seite stehen, so wird hierdurch die allgemeine patrio tische Festfreude gewiß keine tiefere Beeinträchtig­ung erfahren. An der Spitze aller Centenar sestlichketten im deutschen Bakerlande wird natür­lich die Festfeier in Berlin stehen, wo wiederum die am 22. März vormittags 11 Uhr erfolgende Enthüllung des Nationaldenkmals kür Kaiser Wilhelm I. als Mittelpunkt aller son stigen Fest. Iichkeiten erscheint. Der Denkmalsfc er wird die Gegenwart zahlreicher Fürstlichkeiten einen er- höhten Glanz verleihen, außer dem Kaiserpaare selbst, den kaiserlichen Prinzen und Prinzessinnen des preußischen Königshauses sind als fürstliche Teilnehmer an den Festlichkeiten zu erwarten fast sämtliche Bunüessürsten und die Vertreter ausländischer Höfe. Als solche sind bis jetzt an gemeldet worden: der Kronprinz Gustav Adolf von Schweden, der Großiüist Wladimir von Rußland, der Herzog von Connaught, der Erz Herzog Friedrich von Oesterreich, der Prinz Thomas von Savoyen, der Herzog von Genua und der Thronfolger Prinz Ferdinand von Ru- mänien.

Die Budgetkommission des Reichs­tags beendigte am Mittwoch die Beratung des Etats; es wurden nur noch einige zurückgestellle Kapitel und die üblichen Schlußpositionen er­ledigt und genehmigt. Ob nun jedoch der Etat in dritter Plenarlesung noch rechtzeitig bis zum I. April, dem verfassungmäßig zuläßigen äußer- sten Zeitpunkt, fertiggestellt werden kann, dies erscheint recht fraglich, zumal der Reichstag seine Sitzungen am 22., 23. und 24. März wegen der Kaiser Wilhelm Feier aussctzc. Ihre nächste Sitzung, mit der Besoldungsvorlage als Tages­ordnung, hält die Budgetkommission am 30. März ab.

Der Reichstag erledigte in seiner Mitt- wochssitznug von den auf der Tagesordnung stehenden verschiedenen Anträgen nur den von konservativer Seite gestellten, von den Abge- ordneten v. Kardorff und v. Manteuffel einge brachten Antrag auf Abänderung der Bäckerei­oerordnung vom 4. März 1896. Abg. Graf Stolberg begründete den Antrag, namentlich durch den Hinweis darauf, daß die Verordnung den kleinen Bäckereien sehr geschadet habe und daher höchstens nur für die großen Bäckereien bestehen bleiben dürfe. Staatssekretär Dr. von

Bötticher gab einen Ueberblick über die bis- herigen Wirkungen der Bäckereiverordnunq, die sich ungemein verschieden darstellen, weshalb nach den Erklärungen des Staatssekretärs die ver- bündeten Regierungen sich vorläufig zu keiner Aufhebung der Bäckerei Verordnung entschließen können Dann folgte eine lebhafte Geschäfts­ordnungsdebatte. hervorgeruien durch den Antrag des Zentrumsabgeordneten Dr. Hitze, die weitere Beratung des Antrags Kardorff-Manteuffel bis zum Eingänge des vom Staatssekretär v. Bötticher in Aussicht gestellten amtlichen Materials aus- zusetzen, schließlich entschied sich das Haus für Fortsetzung dieser Debatte. Abg. v Stumm (treck) betonte entschieden die Notwendigkeit dir Bäckereiverordnung abzuändern, in welchem Sinne sich auch die Abgg. Augst (südd. Volksp.j, Dr. Hasse (natl), Dr. Vielhagen (Antis.) und von Pndbielski (kons.) äußerten, während die Abgg. Hilpert (bayr. Bmernb.) und Dr. Hitze (Zrr.) den Antrag v. Kardorff Manteuffel bekämpften. Dazwischen wies Abg. Bebel den ihm vom Abg. Vielhagen gemachten Vorwurf, er habe als früherer Arbeitgeber seine Arbeiter schlecht be- zahlt und schlecht behandelt, scharf zurück Nach persönlichen Abstimmungen wurde zur Abstim- mung geschritten, welche dem vom Zentrums­abgeordneten Pichler gestellten Antrag auf lieber- gang zur Tagesordnung galt. Derselbe wurde nebst einem von freisinniger Seite gestellten Unterantrage in namentlicher Abstimmung mit 148 gegen 104 Stimmen angenommen, womit der Antrag v. Kardorff von selbst erledigt, d. h. beseitigt ist. Am Donnerstag begann der Reichs­tag die zweite Lesung des Marineetats.

Berlin. (Getreidemarkt-Bericht) Die Anregung, welche der Verkehr durch die Un­sicherheit über die weitere Entwicklung der politischen Lage eine Zeit lang erfahren hatte, wurde durch die gesteigerte Hoffnung auf eine endliche friedliche Lösung schnell wieder verwischt. Mit dem Wegfall dieser Anregung sank der Getreideverkehr allenthalben in jeme frühere beschauliche Stille zurück. Fast alle tonan­gebenden Getreidemärkte des In- und Auslandes weisen nur geringe llmiätze auf und brachten keine Anregung für den Berliner Platz. Die Nachfrage verhält sich andauernd zurückhaltend und abwartend. Nicht wenig trägt zu dieser Haltung das milde Wetter mit bei, welches die Saaten zu schnellerer Entwicklung treibt.

Berlin, 19. März. Gestern abend wütete ein heftiger, an vielen Orten von Gewitter und Hagelschlägen begleiteter Sturm, der sich vom Rheingebiet bis Berlin und darüber hinaus erstreckte und teilweise erheblichen Schaden an- richtele. In Solingen wurde ein Mädchen vom Blitze erschlagen, ein anderes gelähmt.

Aschaffenburg, 19. März. Vor dem hiesigen Bahnhof stieß gestern Abend eia einlaufender Personenzug aus Frankfurt mit dem auslaufenden Güterzug zu­sammen. weil die Signallichter infolge deS heftigen Sturmes erloschen waren. Vier Personen wurden schwer, sechs leicht verletzt.

Essen, 18. März. Der Geheime Kommerzienrat Krupp hat anläßlich der Jahrhundertfeier für ein zu errichtendes Kaiser Friedrich Kinderhospital 100 000 «iL gespendet.

Württemberg.

Stuttgart, 17. März. Sitzung der Kammer der Abgeordneten. Tagesordnung: Finanzetar. Frhr. v. Hermann bringt bei dem TitelNotariate" die landwirtschaftlichen Erb­teilungen zur Sprache. Unsere Erbgesetzgebung sei nicht die richtige. Er sei gegen das Gelreide- monopol, diegroßen" Mittel zur Abhilfe des landw. Notstandes seien unmöglich, desto mehr müssen die kleinen Mittel angewendet werden. Die Grundstücke werden bei Todesfällen an die Kinder verteilt. Dieselben reichen dann nicht zum Lebensunterhalt, weitere Grundstücke werde« dann weit über den Nutzungswert bezahlt, dann beginnt die Verschuldung. Wenn einer Ab­änderung der Erbgesetzgebung zunächst nicht näher getreten werde, dann sollten wenigstens die Notare instruiert werden, bei Erbteilungen den