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thuende General ä la. suito des Kaisers, General­major v. Kessel, zum Kommandeur der 1. Garde-Infanterie Brigade ernannt.

Berlin. 27. Jan Durch den Kaiser ist heute der Präsident des deutschen Handelstags, Geheimer Kommerzienrat Frentzel in das Herrenhaus berufen worden, desgleichen der Geheime Kommerzienrat Krupp und vier Großgrundbesitzer.

Berlin, 27. Januar. An der heutigen Gratulationscour im königlichen Schlosse nahm unter anderen auch der gestern Abend hier ein getroffene Fürst Max Egon zu Fürstenberg teil.

Kassel, 27. Jan. Der Frankfurter Nacht Courierzug sitzt bei Göttin gen im Schnee, der vorauögegangene Hamburger Personenzug ebenfalls. Die Berlin Thüringer Nachtzüge liegen hinter Bebra fest. Auf allen Linien sind mehrstündige Verspätungen zu ver- zeichnen, weshalb Vorzüge adgelass-n werden

Das Urteil über Premierlieutenant von Brüsewitz wegen der Tötung des Mechanikers Siepmann ist nunmehr, nachdem das erste vom Kaiser als obersten Kriegsherrn nicht bestätigt wurde, zum zweiten Mal gesprochen worden. Es hat auch nach den äußeren Anzeichen dies- mal die Bestätigung gefunden, da der Berur teilte bereits in das Landesgesängnis nach Frei­burg überführt wurde. Das Urteil lautet, wie man aus glaubhafter Quelle mitteilt, aus drei Jahre zwanzig Tage Gefängnis. Da die That nach dem bürgerlichen Strafgesetz abzuurteilen war, kamen insbesondere §§ 212 und 213 des R.-St.-G.-B. in Betracht; sie lauten: § 212. Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er die Tötung nicht mit Ueberlegung ausgesührt hat, w gen Totschlags mit Zuchthaus nicht unter 5 Jahren bestraft. § 213 War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugesügte Miß. Handlung oder schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur That hingerissen worden, oder sind andere mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter 6 Monaten ein. Das Militärgericht hat zwar mildernde Um- stände angenommen, es erkannte aber immer noch über das Mittel der Strafe. Das Höchst, maß ist 5 Jahre Zuchthaus, das Mindestmaß 6 Monate Gefängnis. Selbstverständlich hat Brüsewitz auch seine militärische Stellung einge gebüßt, er ist aus dem Heere entfernt worden und damit ist ihm gerade das geschehenwas er vermeiden zu können glaubte dadurch, daß er den Siepmann niederstach. Aus dem Prozeß sind Einzelnheiten nicht bekannt geworden, da der Kriegsminister jedoch in Aussicht stellte, noch Mitteilungen über die Angelegenheit im Reichstage zu machen, so wird man Details vielleicht noch erfahreu.

Konstanz, 26. Jan. Das Schwur­gericht har den Sesselmacher Burk hart, der vor einiger Zeit den Brand in der Salmanns- Weilergasse anlegte, wobei 2 Kinder das Leben verloren, zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Die Unfallversicherungs-Vorlage.

Der Reichstag beschäftigt sich zur Zeit mit der Beratung des Gesetzentwurfs, welcher einige der im Laufe der Zeit unliebsam hervorgetretenen Mängel des Unfallversicherungsgesetzes beseitigen will. Da war es natürlich, daß die Parteien desHauses dem ganzen Gebiete der Sozialpolitik des Reiches ihre Aufmerksamkeit liehen und die von ihnen gegenwärtig verfolgten sozialpolitischen Ziele erkennbar machten.

Es muß anerkannt werden, daß im großen und ganzen keine Partei, trotz des erheblichen Wandels der sozialpolitischen Neigungen und Strömungen in der Bevölkerung dem Grund- Prinzip des gewaltigen Gesetzgebungswerks, welches die Arbeiterschutzgesetzgebung darstellt, untreu geworden ist. Man ist nicht blind gegen einzelne Schwächen und Jrrtümer der Gesetze und gern bereit, der Reichsregierung auf ihrem Wege zur Aenderung unhaltbarer Bestimmungen zu folgen. Aber die große sozialpolitische That des Reiches als solche bleibt erhaben über den Streit der Meinungen, und wo die Kritik sich hrrvorwagte, da gab sie dem Gedanken Ausdruck,

daß eher zu wenig als zu viel des Schutzes der wirtschaftlich Schwachen geschehen sei.

In diesem Sinne ließ sich natürlich die Sozialdemokratie vernehmen. Sie ist von Hause aus eifriger Gegner der Reichsvcrsicherungs- Gesetzgebung gewesen. Nicht, weil sie den Ab­sichten derselben widerstrebt. Wie könnte sie ihnen abgeneigt sein, ohne mit sich selbst in unlösbaren Widerspruch zu geraten, da sie die Gründe ihrer eigenen Existenz als Volks- und Arbeiterpartei wesentlich der besondern Pflege aller Arbeiter interessen und so auch dem Schutz der Schwachen in Fällen unverschuldeter Not entnimmt! Sie ist vielmehr Gegnerin der Arbeiterschutzgesetzgebung weil dieselbe vom Reich ausgeht, und weil die Sozialdemokratie den staatserhaltenden Gewalten die Arbeiter-Fürsorge nicht gönnt. Sie will allein den Ruhm der Arbetterfreundschaft in Anspruch nehmen und fürchtet für ihr Ansehen im Volke, wenn andere ihr die Waffe entwinden, mit der sie früher große Erfolge erzielte.

Weil sie nun das sozialpolitische Prinzip der Reichsregierung an sich nicht bekämpfen kann, hält sie sich wenigstens schadlos durch Bemängelung der praktischen Gestaltung der Versicherungs gesetze, und deshalb nimmt sie auch jetzt wieder unter vielen Borwänden Stellung gegen die Regierungs-Vorlage, da dieselbe zahlreichen Wünschen der Arbeiter nicht gerecht werde.

Es ist immer das alte Spiel, welches in- dessen nicht verhindern wird, daß der Gesetz­entwurf, der vom Minister v. Boetticher aufs Wärmste befürwortet wurde, die Sympathie der übrigen Parteien findet. Die tieferen Absichten der Sozialdemokratie liegen so klar zu Tage, daß kein Verständiger ihre Klagen ernst nimmt.

Württemberg.

Se. Majestät der König hat unterm 27. Januar verfügt: v. Sick, Generalmajor und Kommandeur der 1. Gardekavallerie-Brigade, wird unter Enthebung von dem Kommando nach Preußen mit der Führung der 27. Division (2. k w.) beauftragt, v. Schnürten, General- major von der Armee, zum Kommandeur der 53. Infanterie-Brigade (3 k. w ) ernannt. Roos, Major und Abtsrlungs Kommandeur im 2. Feld artillerie Regiment Nr. 29 unter Stellung g, la. suite dieses Regiments zum Vorstand des Artillerie- Depots ernannt.

Die württ. Landesproduktenbörse wurde am Montag in gewohnter Weise gehalten; offizielle Preisnotierungen konnten vorerst noch nicht vorgenommen werden, weil die von der Regierung vorgelegte Börsenordnung noch nicht in allen ihren Teilen festgestelll ist. Der Börsen- ousschuß hatte nach Schluß der Börse eine mehr­stündige Sitzung, in welcher an der von der Regierung vorgelegten Böcseordnung einige Ab- Linderungen, die den hiesigen Verhältnissen und der vieljährigen bewährten Einrichtung der Landesproduktenbörse Rechnung tragen, vorge­nommen wurden. Diese abgeänderte Börsen­ordnung wird jetzt in einer Eingabe an die Re­gierung zur Entscheidung vorgelegt.

Stuttgart. 25. Jan. Fünftes großes Musikfest. Unter dem Vorsitze Seiner Hoheit des Prinzen Herrmann von Sachsen-Weimar versammelten sich heute im Palais Weimar diejenigen Herren, welche als Komitee für das Fünfte Stuttgarter Musikfest zusammengetreten sind. Seine Hoheit begrüßte die Anwesenden und konnte die Verhandlungen sofort mit der Mitteilung beginnen, daß Seine Majestät der König die Gnade gehabt hat. das Protektorat über das Fest zu übernehmen. In längerer Beratung wurde das Programm fest- gestellt und genehmigt. Als großen Erfolg können wir heute schon Mitteilen, daß Dr. Hans Richter aus Wien am ersten und dritten Fest- tage die Aufführungen leiten wird, während am zweiten Tage unser Dr. A Obrist die Führung übernommen hat. Das Fest wird am 15., 16., 17. Mai in der Gewerbehalle statifinden. Als Oratorium ist derMessias" gewählt worden. Weitere Mitteilungen werden in Kürze folgen.

S t u t t g a r t. 23. Jan. Eine eigenartige, aber zweifellos probate Einrichtung trifft der rührige Verband der Flaschaermeister Württem­bergs, indem er eine monatliche Ausstellung und

Prüfung von neuen Maschinen, Geräten und Materialien veranstaltet mit dem Zwecke, den Berbandsmitgliedern die Möglichkeit zu bieten l) in gemütlichem Zusammensein dem Wunsche derselben zu entsprechen: Das oder jenes möchte ich schon einmal sehen! und 2) den VerbandS- mitgliedern Gelegenheit zu geben, ihre Speziali­täten unter die Kollegen zu bringen. Der Schriftleiter des Berbandsorgans macht noch besonders darauf aufmerksam, daß namentlich auch in Baden volles Interesse für die monat­lichen Prütungstage bestehe. Der erste Prüf- ungstag findet am 1. Febr. d. I. in Cannstatt statt.

Ulm, 27 Jan. (Schon wieder!) Am Sonntag Abend fiel das dreijährige Knäbchen des Handschuhfabrikanten Rayer rücklings in einen Kübel heißen Wassers; hiebei zog es sich erhebliche Brandwunden zu; denen es heute früh erlag.

Ausland.

Frankreich und der Orient.

Schon seit längerer Zeit giebt sich in der französischen Presse eine gewisse Unzufriedenheit mit der Stellung kund, die Frankreich im Orient cinnimmt. Man hatte von demBündnisse" mit Rußland mehr Vorteile im Orient erwartet, als sich bisher in Wirklichkeit gezeigt haben, oder es ist vielleicht richtiger zu sagen, daß mit dem Selbstgefühl, das sich mit den vom Zaren der französischen Republik erwiesenen Ehren eingestellt hat. auch die Ansprüche auf Berück­sichtigung der französischen Interessen im Orient gewachsen sind.

Dem Zaren wird in einzelnen Blättern ziemlich offen vorgehalten, daß er sein in Pari- gegebenes Wort bis jetzt nicht eingelöst habe. Kaiser Nikolaus soll nämlich in den Unterredungen mit Hanolaux dem Plane, einen russischen Delegierten für die türkische Schuldenverwaltung zu bestellen, zugestimmt und später dem Wieder- fpruche des Botschafters v. Nelidow und de- Flnanzministers Witte Gehör geschenkt haben. Das finanzielle Interesse Frankreichs in der Türkei ist ja zweifellos sehr groß, und de« zahlreichen französischen Gläubigern der Türkei könnte nichts erwünschter sein, als wenn Rußland» statt die Zustände in der Türkei versumpfen zu lassen, seinen starken Arm zu einer geordneten finanziellen Melioration gebrauchen wollte. Daß dies bis jetzt nicht geschehen ist, hat französische Blätter bis zu Ausdrücken der lln- ehrerbietigkeit gegen den hohenAlliierten" verdrossen.

Ader außer den finanziellen giebt es noch starke politische Interessen. Frankreich schreibt sich den Beruf zu. in Kleinasien und namentlich in Synen eine Art Protektorsteüung einzunehmen» die über die Sorge um den Schutz der heiligen Gräber hinausgehl. Dieser Beruf geht auf eine sehr alte Tradition zurück, nämlich bis zur Zeit der Kreuzzüge. Hieran wird jetzt auch von dem Gerichtsschreiber Lavisse in einem Artikel derRevue de Paris" erinnert, der sich bitter über Hanotaux beklagt, daß er die Inte­ressen Frankreichs im Orient nicht energischer wahrnehme. Die französische Regierung habe sich einer Kraft beraubt, indem sie sozusagen im Täte-ä Täte mit der russischen Regierung ver­handelte, die öffentliche Meinung Frankreich- stumm blieb und die Kammern fast ganz schwiegen.Der Kaiser von Rußland hat schon dadurch, daß er nach Frankreich gekommen ist, und durch gewisse politische taktvolle Schritte gezeigt, daß er Frankreich für das nimmt, wa- rs ist, das heißt für ein freies und republikani­sches Land. Warum hat sich unsere Regierung nicht kühn als eine freie und republikanische Regierung benommen?" Zum Schluß fragt der Herausgeber derRevue de Paris" :Hat unsere Politik in den Ocientangelcgenheiten nicht eine untergeordnete Rolle gespielt? Ist unser Einfluß im Oriente nicht gefährdet und unsere Ehre gemindert?"

Solche Preßstimmen sind umso bemerkens­werter, als Hanotaux seit lange r Zeit der erste Minister des Auswärtigen ist, der den Versuch gemocht hat, Rußland gegenüber eine aktive Orientpolitik zu treiben.