Den Franzosen hängt der politische Himmel z Z'. voller Baßgeigen. Auf Befehl deS Zaren kommt bekanntlich der neue russische Minister des Aeußern. Graf Murawiew, auf mehrere Tage nach Paris, um den Präsidenten Faure und die französischen Minister kennen zu lernen, wie die offizi.lle Mitteilung lautet. Wahrscheinlich handelt es sich aber nicht blos um eine persönliche Vorstellung, sondern um irgend welche politische V rhandlungen und wäre es auch nur zu dem Zweck, um den Franzosen den mehr und mehr um sich greifenden Gedanken, als ob sie eine Droh'puppe in der Hand Ruß lands seien, ouszureden, damit sie sür etwaige neue russische Anleihen behufs Vollendung der russischen Pacific-Bahn, die von Petersburg bis an das Gelbe Meer, darunter zum Teil durch chinesisches Gebiet geführt werden soll, geneigt zu machen. Daß Gras Murawnw den von den Franzosen lang ersehnten russisch französischen Bündnisvertrag nach Paris Überbringer! w<rde, ist wohl kaum anzunehmen, denn sonst hätte der Zar bei seinem Besuch in Paris einen solchen unterzeichnet. Ein Wermutstropsen fällt freilich den Franzosen schon j-tzt wieder in ihren Freudenbecher durch die Ankündigung, daß Gras Murawiew, der zuerst nach Kopenhagen sein Abberusungsschreiden überbracht hat. noch vor seiner Abreise nach Paris ein Gabelfrühstück bei dem deutschen Gesandten v, Kiderlen Wächter eingenommen hat und nach seiner Rückkehr von Poris auch dem deutschen Kaiser seine Aufwartung machen und mit dem deutschen Reichskanzler, Fürst n Hohenlohe, konferieren Wird. Die Haupisoche sür die Franzosen bleibt in- d.ssen immer, daß ein maßgebender Russe noch Paris kommt.
Den Engländern graut cs bei dem Gedanken an die spätere Vollendung der sibirischen Eisenbahn bis an einen Hafen am Gelben Meer. Daß diese Eisenbahn den englischen Handel in Ostasien schädigen werde, ist zwar auf mehrere Menschenalter hinaus nicht zu fürchten, um so mehr aber die strategische Wirkung dieses Bahnbaues; denn Rußland könnte eines schönen Tages den Engländern den Handel mit China überhaupt verbieten, bezw. die Chinesen zu einem solchen Verbot zwingen und da die Engländer nicht allein das Geld haben, so sehen sie auch gar kein Mittel, dem kommenden Unheil vorzubeugen. — Cecil Rhodes, der „ungekrönte König von Afrika", weilt bereits in London und es ist bezeichnend, daß nicht nur einige liberale Blätter, sondern sogar liberale Parlamentarier darauf hinzuarbciten suchen, daß man die Untersuchung wegen des Jameson'schen Putsches gegen Transvaal einfach Niederschlagen solle. Der englische Minister Chamberlain hat jedoch erklärt, daß die Untersuchung durch- geführt werden müsse. Viel wird aber trotzdem dabei nicht herauskommen, das englische Kabinel hat bloß Rücksichten auf die anderen Mächte zu nehmen, um wenigstens die äußere Form der Legalität zu wahren.
Unterhaltender Teil.
Das Los eines Helden.
Von Georg v. Rohrscheidt.
„In den fünfziger Jahren", erzählte bei einer Abendgesellschaft Herr Mühle, ein reicher Waffcnhändler, „strich ich noch als Reisender für eine berühmte Solinger Firma in der schlechten Welt umher. Ich könnte gerade nicht sagen, daß mir dieses Herumliegen in den Postkasten, Bahnwagcn und Gasthöfen sonderlichen Spaß gemacht hätte, aber der Verdienst war gut und ließ mich hoffen, in ein paar Jahren genug zu einem selbständigen Geschäft zurückzulegen. So kam ich im Januar zweiundfünfzig auch nach der Landstadt Neuenburg, die einen unserer vortreff, liebsten Kunden beherbergte. Das Nest war nicht groß, aber ringsum von Gütern umgeben, die dem allen Theodor Steinweg für seine Büchsen- mocherei nebst Stahlladen tüchtige Arbeit und reichlichen Absatz schafften. Der Ruhm seiner soliden und sachverständigen Werkstatt klang weit in die Runde, und er saß dick in der Wolle. Als Vertreter meiner hochangesehenen Firma
wurde ich von dem freundlichen Monn sehr rücksichtsvoll empfangen und gleich zum Mittagstisch dabehalten, wie ich's, nebenbei gesagt, schon so ziemlich überall gewöhnt war. Für eine „Rausschmeißstelle" hätte ich mich überhaupt nicht finden lassen.
Wir standen noch so im Gespräch in seinem Magazin, als von der Straße her lauter Lärm hereintönte. Der Alte horchte einen Augenblick, und ich bemerkte, wie plötzlich seine Stirnabern d ck aufgeschwollen. Er griff nach einem der um- herstehenden Putzstöcke und war wie ein Donner- Wetter zur Thüre hinaus, ich pflichtschuldigst hintendrein. Bei unserm drohenden Anblick zer- stob mit wildem Geschrei eine Kinderschaar, nur ein paar Frauen mit Sprößlingen auf den Armen und halbwüchsiges Gesindel behaupteten halb verlegen, halb trotzig den Platz Aus all dem Gewirr löste sich jetzt eine lächerliche Jammergestalt und ging langsam auf Steinwegs Haus zu. Der Mensch war von großer Gestalt und anständig gekleidet, aber seine linke Hand zuckte unter dem Rockkragen wie ein Hammer auf und ab, und das Gesicht war bei der scharfen Kälte von dicken, blauen, wunderlichen Strichen durchzogen; dazu lachte er auf der einen Seite in der komisch pfiffigsten Weise, während die andere tiefernst dreinschaute. Herr Steinweg verabreichte einem sechszehnjährigen Burschen, der ihm gerade im Wege stand, eine ungeheure Ohrfeige, nahm den Arm des unfreiwilligen Komikers mit geradezu zärtlicher Behutsamkeit, und wir ver- schwanden nunmehr zu dritt hinter der Thür des gastlichen Hauses Im Vorzimmer schälte er seinen Schützling höchsteigenhändig aus dem Mantel, wobei zu meiner lleberraschung die preußische Rettungsmedaille am Bande zum Vor- schein kam, und geleitete ihn dann ohne Weiteres an die Mittagstafel.
Die dort bereits anwesende Frau Steinweg nebst ihrer bildhübschen achtzehnjährigen Tochter", hier räusperte sich Herr Mühle und sah zu seiner Gattin hinüber, die ihm lächelnd mit dem Finger drohte, „empfingen den wunderlichen Gast mit so auffallender Herzlichkeit, daß ich sofort besondere Beziehungen vermuten mußte Papa Steivweg stellte uns vor; Georg Ries hieß der Invalide Ich muß zu meiner Schande bemerken, daß ich während der Unterhaltung mehrere Male in die Gefahr kam, über das ursputz'ge Mienen- spiel des Herrn Ries zu lächeln, doch unterdrückte ich noch jedesmal rechtzeitig derartige ungezogene Anwandlungen. Fräulein Steinweg zerschnitt, als ob sich das von selbst verstände, die Speisen des neben ihr sitzenden Inhabers der Rettungsmedaille, da seine linke Hand gänzlich unbrauchbar zu sein schien, und ich erlaubte mir gegen Ende des Mahles die unbescheidene Frage, bei welcher Gelegenheit dies schöne Ehrenzeichen erworben sei. Der Gefragte, welcher sich übrigens sehr verständig am Gespräch beteiligte, warf mir nun einen seiner halb lachenden, halb ernsten Blicke zu, in welchem eine stille Bitte lag und schwieg. Steinweg nickte und machte die Pantomime des Rauchens; das hieß etwa soviel: „Bei der Zigarre will ich's Ihnen erzählen !"
Ries blieb nach Tisch bei den Frauen, mich dagegen lockte der Hausherr in sein Privatstübchen, wo wir bei einer Taffe Kaffee unsere üblichen Berdauungszüge rauchten. Dort de- gann der Alte: „Der Mann mit der zerfetzten Visage und dem zappelndem Arm ist ein edler Held, dem nicht nur ich, sondern auch viele andere Menschen in diesem Nest zu tiefer Dank» barkeit verpflichtet sind. Er kam vor sechzehn Jahren, nachdem er in Münster seine Miiilär- zeit abgemacht hatte, hierher zum Uhrmacher Felß als Gehilfe und war ein fleißiger und sehr geschickter Mann. Vier Jahre später Verlobte er sich mit der Tochter eines wohlhabenden Ackerbürgers und sollte bald selbst ein Geschäft auflhun. Da brach das Unglück über ihn herein, und zwar durch seine besten Eigenschaften, feine herrliche Opferwilligkeit, seinen Löwenmut.
Im September 1840 schlug ein wandernder Tierbudenbesitzer hier sein Zelt auf. Der Zu- spruch von unserer reichen Landumgebung war bedeutend und die Fleisch- und Futterpreise
billig; infolge dessen beschloß der Mann, hier zu überwintern, mietete eine massive, leerstehende Scheune, setzte einen sogenannten Reiter aufs Dach, Ocfen in die vier Ecken und siedelte im Oktober mit sehr bereitwillig erteilter Genehmigung der Behörde dorthin über, denn der dadurch vermehrte Besuch von außen kam dem Nest auch nicht ungelegen.
Unter dem für damalige Verhältnisse reichhaltigen Tierbestand bildete ein prachtvoller algerischer Schwarzpanther eines der Havptan- ziehungsstücke. Der Bursche mußte erst vor kurzem eingefangen worden sein, denn er ge- berdetc sich zeitweise wie unsinnig und erkannte weder Herrn noch Wärter an. Der schwarze Panther soll ja überhaupt nie zahm werden, und ihm gegenüber hat der bengalische Tiger ein harmloses Kindergemüt; behaupten doch Kenner allen Ernstes, daß die Bestie nicht von unserm Herrgott, sondern vom Satan erschaffen wäre, und Araber und Katylen fürchten ihn mehr als den sogenannten König der Tiere. Während der Löwe sich mit einem Herdenstück begnügt, würgt der Panther so lange, wie er noch Leben in seiner Nähe spürt. Also solch eine Ausgeburt der Hölle nannte auch Meister Dschbcck, der Menagerieonkel und Tierbändiger, ein eigen und war stolz darauf.
(Schluß folgt.)
Pariser Weltausstellungslose werden gegenwärtig durch zahlreiche ausländische Agenten dem Publikum angeboten Namentlich die Firma „Henri Boufils, Brüssel, Boulevard Botanique 4". preist unter den schönsten Redensarten die Lose zu dem horrenden Preis von 25 Mk. pro Stück an und versendet zugleich Aufforderungen zum ratenweisen Ankauf der berüchtigten Prämienlose. Leider fallen noch immer Leichtgläubige derartigen Arier- bietungen, vor denen nicht eindringlich genug gewarnt werden kann, zum Opfer.
(Frommer Wunsch) Erster Reiter: „Herr des Himmels, Meyer. Ihr Pferd geht durch; verlieren Sie nur nicht die Geistesgegenwart!" — Zweiter Reiter: „Körperabwesenheit wäre mir jetzt lieber, als Geistesgegenwart!"
Auflösung der Rätselfrage in Nr. 14.
Durch richtige Zusammenstellung der Buchstaben aus denen die gegebenen Wörter bestehen, erhält man:
„Reden ist Silber, Schweigen ist Gold."
Rechen-Aufgabe.
Die Zahlen 1, 2, 3. 4 sind so in die vorstehenden 16 Quadrate zu setzen, daß alle vier Zahlen in in allen senkrechten und allen wagrechten Reihen gefunden werden; ebenso in den beiden Diagonalen. Die Summe einer jeden Zahlenreihe senkrecht und wagrecht muß die Zahl 10 ergeben, ebenso wie die Summe der Zahlen aus den Diagonalen. II 1?.
Telegramme.
Berlin, 28. Jan. Der Kaiser empfing heute Mittag den inaktiven Staats- Minister v. Köller, ehemaligen preußischen Minister des Innern, in Audienz.
Berlin, 28. Jan. Im Auswärtigen Amt hat heute zwischen dem Staatssekretär Frhrn. v. M a r s ch a l l und dem französischen Botschafter Noailles ein Austausch von Ratifikationen zu dem Abkommen zwischen dem Reich und Frankreich betreffend dieRegelungderVertragsbeziehungen zwischen Deutschland und Tunis stattgefunden.
Kstellmgen ms heil „CilMer"
für die Monate Ieöruar und März
werden noch von sämtlichen Postanstalten und Postboten angenommen. In Neuenbürg abonniert man bei der Exped. d. Bl.
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Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.