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Kaiser Wilhelm I. den Hof zu einem g r o ß e n K o st üm f e st um sich zu versammeln, für das schon jetzt größere Vorbereitungen ge troffen werden. Die Trachten und Uniformen des Jahres l7S7 sollen in getreuer Nachbildung für die Kostüme aller zu dem Fest Geladenen maßgebend sein.
Am Berliner Hofe fand am Sonntag das historische Krönungs- und Ordensfcst in der herkömmlichen prunkvollen Weise statt, worauf am Montag ein vom Kaiser abgehaltenes Kapitel vom Schwarzen Adlerorden nachsolgte. Graf Goluchowski. der in voriger Woche einge troffene österreichisch-ungarische Minister des Auswärtigen, nahm an beiden Festlichkeiten teil Die Aufnahme des genannten Staatsmannes in Berlin ist übrigens auch diesmal eine sehr auszeichnende gewesen, in den politischen Kreisen der Reichshauptstadt wird es besonders bemerkt, daß Kaiser Wilhelm den Grafen Goluchowski ohn Zeugen in halbstündiger Audienz empfing Nach der am Samstag abend stattgesundcnen Tafel im königlichen Schlosse lud der Kaiser den Grasen Goluchowski. den österreichischen Botschafter Grafen Szöayni und noch mehrere? andere Herren zur Unterhaltung beim Glase Bier ein. Dieselbe dauerte bis Mitternacht. I denfalls darf man annehmen, daß der jüngste B such des Leiters der auswärtigen Angelegenheiten Oesterreich Ungarns am deutschen Kaiserhofe trotz seines zeremoniellen Anlasses der politischen Bedeutung keineswegs so völlig entbehrt, wie hie und da versichert wird, nur sind von dem Ereignis? schwerlich irgendwelche politische Folgen und Entscheidungen zu erwarten.
Der Reichstag hat in vergangener Woche die Spezialberatung des Etats des Reichs amtes des Innern trotz der hierauf schon ver wandten vier Sitzungen noch immer nicht abzu schließen vermocht. Allerdings ist dies einer der umfangreichsten Spezialetats, dessen Erörterung ' von jeher mehr oder weniger Zeit erforderte, dennoch wogt diesmal die Debatte über die ver schiedenen Forderungen des Reichsamtes des Innern besonders breit einher. Sollte der Reichstag auch die übrigen größeren Abschnitte des Reichshaushaltsetats in der jetzt beliebten breitspurigen Art erörtern, da könnte bis zur Beendigung dieser parlamentarischen Arbeit aller dings leicht der März herankommen. Am Sams- tag wurde die Diskussion über den genannten Spezialetat durch die Beratung des Antrages des freisinnigen Abgeordneten Lenzmann unterbrochen, wonach künftig die Rcichsgesctzgebung die Be stimmungen über die Aufnahme u. s w. von Geisteskranken in Irrenanstalten regeln soll. Mit den Zielen des Antrages erklärte man sich auf allen Seiten des Hauses einverstanden; mn Einstimmigkeit wurde dann der Antrag in der bestimmteren Fassung, die vom nationalliberalen Abgeordneten Dr. Kruse beantragt worden war, angenommen.
Der auch im neuen Jahr fortgesetzt sehr schlechte Besuch derReichstagssitzung seitens der verchrlichen Abgeordneten har zur Androhung der — „Demission" des Reichslags- restauraleurs Schulze geführt. Herr Schulze be- hauptet, die dünne Besetzung der Reichstagsfitzungen und der hiemit zusammenhängende schwache Besuch der Reichstagsrestauration habe ihm in dem am 10. November eröffneten neuen Sessionsabschnitt bereits einen Schaden von ca. 2500 ^ verursacht. Er wandte sich daher mit einer Eingabe an den Reichstagsoorstand, in welcher er um einen Zuschuß von 4000 ^ jährlich aus dem Dispositionsfonds für sein Re> staurationsgeschäft ersuchte. Der Vorstand hat aber dieses Ansuchen rundweg abgelehnt, und sich lediglich bereit erklärt, einen täglichen Zuschuß von einer Mark zu den Kosten der Unterhaltung eines jeden Reichstagskellners zu be- willigen, worauf Herr Schulze erklärt haben soll, die Reichstagsrestauration aufzugeben, wenn es inzwischen mit deren Besuch durch die Herren Abgeordneten nicht besser werden sollte. Die Angelegenheit besitzt offenbar ihre komische Seite, aber daneben weist sie ebenso unverkennbar auch einen ernsteren Hintergrund auf, wir meinen, der eigenartige Zwischenfall müßte die große Masse der „Reichstagsschwänzer" unter den
Reichsboten doch endlich an ihre Parlamentärs, t sehen Pflichten mahnen, mögen sie nun .im Uebrigen eifrige Mitglieder der „Fraktion Schulze" sein oder nicht.
B er li n, 19. Jan. Im Abgeordnetenhause entgegnete heute der Reichskanzler Fürst Hohenlohe auf die gestrigen Ausstellungen des Abg. Grafen Limburg-Stirum über das Verhältnis des Auswärtigen Amtes zur Presse: Das Auswärtige Amt, das, wie gestern auch anerkannt wurde, mit der Presse in Verbindung stehen muß, kann unmöglich die einzelnen Journalisten auf ihre Hoffähigkeit prüfen. Ueber das Verhalten der Beamten der politischen Polizei will Redner sich vorläufig, bis zum Abschluß der Untersuchung, eines Urteils enthalten. Er, der Reichskanzler, sei damals verpflichtet gewesen, die fragliche Angelegenheit vor Gericht an die Oeffentlichkeit zu bringen, weil ein Minister beleidigt wurde. Er werde in einem ähnlichen Falle künftig ebenso handeln. Dies widerspreche keineswegs den preußischen Traditionen. Der Reichskanzler schloß: Der Staatssekretär Frh. v. Marsch all sei in dem ganzen Prozeß nicht vorgegangen, ohne fortlaufend das Staatsministerium in Kenntnis zu setzen. Er habe vom Ministerium die Zustimmung zu seinem Vorgehen erhalten. Ueber alle politischen Grundanschauungen bestehe vollkommene Uebereinstimmung im Ministerium.
Regensburg, 18. Jan. Der hier verstorbene österreichische Kämmerer, Graf Ernst Dörnberg, vermachte sein gesamtes Vermögen von 15000 000 »kL der Stadl Regensburg zu wohlthätigen Zwecken.
Württemberg.
Landesproduktenbörse Stuttgart, 18. Jan. Nach einem Beschluß des Börsen ausschusses wurden heute Preisnotierungen nicht > ausgegeben, da die neue Börsenordnung noch nicht festgestellt ist.
Stuttgart, 19. Jan. Die Stuttgarter Landesproduktenbörse scheint nunmehr auch in eine Art Krisis hinsingeratcn oder vielmehr — treiben zu wollen. Seil Neu fahr unterliegt diese Börse auch den neuen Börsengesetzen und sie hat demzufolge ihre Statuten an das Ministerium des Innern ein- gereicht, in der Zwischenzeit aber bisher an standslos jeden Monlag ihre Preisnotierungen ausgegeben. Da die Statuten bis jetzt noch nicht zurückgekommen sind, so hat die Mehrheit dir Böcsenbesucher entgegen dem Willen des Börsenvorstandrs gestern beschlossen, keine Preis Notierungen mehr bekannt zu geben. Es ist indes zu erwarten, daß diese Angelegenheiz bald wieder in Ordnung kommt, wenn nicht etwa einzelne Heißsporne die Mehrheit der Börsenbesucher für sich gewinnen, um eine gütliche Uebereivkunft mit der Regierung >auf Grund des Börsengcsetzes schließlich doch noch zu Hintertreiben. Klug wäre ein solcher Schritt freilich nicht und unsere Landwirte werden ihr Getreide immer noch verkaufen können, auch wenn die Stuttgarter Börsenbesucher streiken sollten. Stark auf dem Holzweg sind jedenfalls diejenigen jüngeren Getreidehändler, welche der Meinung sind, die Verproviantierung des Landes gerate ins Stocken, wenn sie „nicht mehr liefern." Die Deckung des etwa nötigen Bedarfs an fremdem Getreide könnte unschwer von der Reichsregierung ausgeführt werden, was eines Nachweises nicht bedarf.
Langenau, 18. Jan. Der Bund der Landwirte veranstaltete gestern hier eine Versammlung, die gut besucht war und folgende zwei Resolutionen beschloß: 1) Die heutige Versammlung erklärt sich mit der Petition des Bundes der Landwirte an den Reichskanzler wegen Sperrung der Grenzen vollkommen einverstanden und bittet das Kgl. württembergische Ministerium des Innern, diese Eingabe auch seinerseits einer wohlwollenden Würdigung zu unterziehen. 2) Die heute in Langenau versammelten 200 Landwirte halten nach wie vor fest an den Forderungen des Bundes der Landwirte vor allem an der Durchführung der Börsenreform; sie erwarten von der Staats- und Reichsregicrung die gründliche Durchführung
t des Börsenqesetzes und die Zurückweisung der I unloyalen und gesetzwidrigen Versuche dcrBörscn- interesfenten, das Gesetz unwirksam zu machen.
Nürtingen, 19. Jan. Gestern Abend brannte das dem in Haft befindlichen Besitzer der abgebrannten Kunstmühle gehörige Gartenhaus auf dem Steinenberg, wurde aber durch einige in der Nähe arbeitende Leute gelöscht. Brandstiftung ist zweifellos.
Die „Geislinger Zeitung" berichtet: Wie verlautet, haben die hiesigen Malermeister anläßlich der vom hiesigen Stadtbauamt in letzter Zeit einverlangten Preislisten zwecks Regelung des Submissionswesens auch für die Kundschaft einen einheitlichen Preis - tarif aufgestellt, um die vielfach zu niederen Preise etwas zu heben, bezw. zu verhindern, daß dieselben durch gegenseitige Konkurrenz nicht noch weiter herabgedrückl werden. Da die Klagen des Kleinhandwerks über Geschäflsnieder- gang wohl als berechiigt anerkannt werden müssen, so dürfte das einheitliche Vorgehen der hiesigen Malermeister bald auch in anderen Handwerkerkreisen Nachahmung finden.
Ausland.
Wien, 18. Jan. Die „Politische Corresp " meldet aus Petersburger leitenden Kreisen, daß der neue Minister des Auswärtigen Graf Murawiew dem Geiste der vom Fürsten Lobanow vorgezeichneten Politik durchaus treu bleiben werde.
Die russische Regierung wendet der von Bombay aus auch besonders den russischen Besitzungen in Asien drohenden Pest ge fahr ihre ernste Aufmerksamkeit zu. Das Medizinal- Departement in Petersburg hat in dieser Hinsicht eine ganze Reihe von Vorsichtsmaßregeln ungeordnet.
Paris, 18. Jan. Gegen die hieß Asphaltkompagnie, welche seit Jahren von der Stadtgemeinde mit einem Teil der Pflasterungsarbeiten betraut ist, wurde die Untersuchung eingeleitet, weil seitens mehrerer Gemeinderäte die Beschuldigung ausgesprochen wurde, die Gesellschaft hälte durch Lieferung minderwertigen Materials die Stadt Paris um einen Betrag von 3—5 Millionen benachteiligt.
In Nancy wurde am 18. Jan. früh der 18jährige luxemburgische Unterthan Dominik Harsch hingerichtet, welcher am 4. Nov. 1895 das aus dem Elsaß stammende 14jähr. Dienstmädchen, Margarethe Flesch, in der Nähe von Brieg ermordet hat.
(Im Zoologischen Garten.) Der kleine Max (vor dem Elefantenzwinger: „Papa, sind das die Tiere, die aus Mücken gemacht werden?"
Telegramme.
Berlin, 20. Jan. Die nationalliberalen Fraktionen des Reichstags und des Abgeordnetenhauses veranstalteten gestern im Kaiserhof ein Festmahl zu Ehren des Professors Marquardsen, welcher unlängst das 70., und des Abgeordneten Seer, welcher das 80 Lebensjahr vollendete. Es nahmen etwa 100 Personen daran Teil, Der Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, Krause, brachte das Hoch auf den Kaiser aus. Bennigsen toastete auf Marquardsen, Hcchrecht auf Seer.
London, 20. Januar. (Unterhaus. Adreßdebatle.) Balfour erhofft von dem Untersuchungsausschüsse über den Transvaaleinfall die Vermehrung des gegenseitigen Ver, trauens der Südafrika bewohnenden Rassen. Der Sudanzug vermehre nicht die Schwierigkeiten der ägyptischen Politik, nicht die ägyptische Frage verursache Englands erhöhte Richtungen, sondern die Weltlage und die Notwendigkeit, das Reich gegen die Möglichkeit eines Zusammenstoßes mit seinen Nachbarn in verschiedenen Weltteilen zu verteidigen. Redner fuhr fort: Die Nachrichten aus dem Orient geben ihm Grund zu der sanguinischen Hoffnung, das gemeinsame Vorgehen der Mächte werde ein segensreiches Ergebnis für das türkische Volk haben, ohne den europäischen Frieden zu gefährden.
Mit einer Beilage.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meehin Neuenbürg.