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daß sie zu dem gemeinsamen Beten und Hören auch das gemeinsame Singen gesügt hat, und wer unter uns möchte unsere herrlichen Choräle, unsere machtvollen Glaubenslieder und unsere köstlichen Trostge- sänge, im gottesdienstlichen Zusammensein jemals wieder vermissen? Nein, wir möchten sie mmmer hergeben, diese Psalmen des neuen Bundes, die aus dem Geiste geborenen Lieder eines Luther, eines Gerhard, eines Hill er und wie sie alle heißen, sie sind allzu tief hineingewoben und hineingewachsen in unser gesamtes religiöses Leben und Empfinden, in unser ganzes evangelisches Glauben und Lieben und Hoffen!
Aber wo Choralgesang ist in der feiernden Gemeinde, da darf auch die Orgel nicht fehlen, diese Königin der Instrumente, um den Gesang zu begleiten und die gesamte Stimmung zu tragen. Wenn das Geläute der Glocken verhallt ist, das die vom Herrn der Kirche geladenen Gäste zum Gotteshause ruft mit der ernsten und doch so frisch fröhlichen Mahnung: „Kommet, denn es ist alles bereit!" so fällt die Orgel ein mit ihren Herz und Gemüt zur Andacht stimmenden und himmelwärts lockenden Klängen, bald in mächtigen Accorden das fromme Empfinden überwältigend mit der Ahnung des Ewigen und Unendlichen, bald in sanften, lieblichen Weisen einladend zu stillem Genießen der Ruhe in Gott dem Herrn! Wenn alsdann durch des Vorspiels stimmungsvolle Klänge die Herzen und i Gemüter in die rechte Andacht versetzt und also zubereitet sind zu willigem und würdigem Preis des Herrn, dann heißt es erst recht:
„Kommt zuhauf,
Psalter und Harfe, wacht auf,
Lasset den Lobgesaug hören!"
Es schallt der Gesang der feiernden Gemeinde durch die heiligen Hallen, und als die ausgleichende, jeden Mißton verbannende Macht klingt der Orgel Klang mit. Und wenn Gebet und Wort Gottes zu Ende, so sammelt die Orgel noch einmal die Eindrücke des Gehörten im Schlutzgesang, und ist der Schlußgesang vorüber, so begleitet die Orgel als die letzte ermunternde Stimme, die ihr Hausrecht behält im Gotteshaus, den Aus- ang aus der geweihten Stätte mit dem belebenden trom ihrer Töne, als wollte sie noch einem jeden die Mahnung mit nach Hause geben: „Seid T Hüter des Worts und nicht Hörer allein!"
Möge denn auch unsere neue Orgel in ihrer Art ein Herold und Werkzeug sein im Dienste des Höchsten, daß sie die Gemüter wecke und stimme zu wahrhaftiger Andacht, daß sie die Herzen erhebe aus der Zerstreuung der diesseitigen Dinge zu dem Empfinden und Erleben des Ewigen, daß sie der Gemeinde zuruse von einem Kirchenjahr zum andern und von einem Sonntag zum andern: „Wie lieblich find Deine Wohnungen, Herr Zebaoth!"
Dieser trefflichen, eindrucksvollen Ansprache folgte der Gesang des Schülecchors (4stimmtg) „Tochter Zion freue dich" und hierauf zum HauplgortcSdlenst das allgemeine Lied Nr. 270: „Thur mir auf dir schöne Pforte."
Zu dem auf den Nachmittag angesetzten Kirchen-Konzert fanden sich Zuhörer von hier und auswärts in großer Zchl ein. Neben dem Gemischten Chor unter Leitung des Hrn. Schull. Schramm, hatten sich mehrere musikalische Kräfte von hier, worunter ein schon seit längerer Z-lt zu Besuch hier weilendes Fräulein zur Verfügung gestellt. Sie wetteiferten im Dienste der guten Sache und bereiteten damit den Freunden religiöser Musik einen hohen Ge- nuß Dem Präludium auf dem neuen Orgelwerk folgte der gemischte Chor „Preis und Anbetung", darauf wechselten Sopran-Arien mit Violin- und Cello-Stücken und Streichquartetten, sowie mit 2 weiteren gemischten Chören in an ziehender Weise ad. Das Fräulein sang zunächst die große Arie: „Höre Israel" v. Mendelssohn mit tüchtig geschulter, schöner Stimme. Die Herren bewiesen mir ihren Cello- und Violinjoli wie auch im präzisen Zusammenspiel ebenfalls schönes Können. Greifen wir einzelne Nummern heraus, so dürften wohl am Vesten gefallen haben: Neäitation für Sopran mit Violin., Cello- und Ocgelbegleitung von Bach-Gounod sowie „Mein gläubiges Herze", Arie für Sopran mit Cello- und Ocgelbegleitung ebenfalls von Bach. Doch möchten wir auch noch dazu rechnen: Nr. 6 das Cellosolo: ^.uckauts von Goltermann und die vorletzte Nr. Imrgo für 2 Violinen von Händel. Vortrefflich wirkten dazwischen die gemischten Chöre, worunter auch die frischen Schülerstimmen besonders anspcachen. Dirigent Schramm hatte die Ocgelbegleitung zu sämtlichen Stücken in den Händen und führte solche mit Geschick aus. und dies verdient um so mehr Anerkennung. als ihm ja zu einer Uebung oder Probe auf der eben erst übernommenen Orgel auch gar keine Zeit und Gelegenheit zu Gebot stand. Geradezu von ergreifender und überwältigender Wirkung war das Schlußstück des Konzerts, das Postludtum, namentlich die darin in verschiedenen
Tonstärken und Variationen gegebene Melodie von „Ein feste Burg ist unser Gott". Der Orgelrevident, Mustkoberlehrer Hegele. hat dabei, wie auch schon beim Vormittagsgottesdienst. das trefflich gelungene Orgelwerk und sein meisterhaftes Spiel am besten gezeigt. So half alles zusammen zu dem vorzüglichen Gelingen des Konzerts. Gewiß sind all die zahlreichen Zuhörer hochbefriedigt und den Veranstaltern und Mitwirkenden von Herzen dankbar für den musikalischen Genuß, der so recht zur Weihnachtswoche stimmte.
Nach dem Konzert sammelte sich eine statt liche Zahl von Teilnehmern mit Damen um den Kirchenchor im „Sonnesaal", wo unter Gesang und Reden des schönen Werks und all Derer nochmals gedacht wurde, welche es anzuschoffen möglich machten. Von einem der gütigen Stifter, Hrn. Hotelbesitzer Const. Kraft, traf aus Turin ein telegraphischer Glückwunsch ein.
Neuenbürg. Für die werten evang. Kirchengenossen, welche sich dafür interessieren, geben wir eine nähere Beschreibung unserer neuen Orgel. Dieselbe ist erbaut von der weltberühmten Orgelbauanstalt Gebrüder Walckcr in Ludwigsburg als deren 776. Werk. Bei der Vergebung des Orgelwerks an diese Firma handelte es sich gleich um die Frage, ob man nicht das Gehäuse der allen Orgel, welches, sehr schön im Rokokostil erbaut, so gut in unsere schön restaurierte Kirche hineinpaßt, zur neuen Orgel be nützen könnte. Das Gehäuse wurde untersucht und noch so gut befunden, daß es noch der neuen Orgel dienen kann. Dies ersparte uns eine Mehrausgabe von mindestens 600 Da die neue Orgel etwas m:hr als den doppelten Raum der alten einnimmt, so muß das Gehäuse nach hinten gegen den Turm hin erweitert werden Nun zum Orgelwerk selber. Dasselbe ist nach dem neuen System der Röhrenpneumalik mit Kegelladen erbaut sind funktioniert in allen Teilen nur mittelst gespannter Luft. Deshalb ist auch der Blasbalg (Magazingebläse) so groß, daß er den größten Teil des unteren Raumes im Gehäuse emnimmt. Im oberen Raum sitzen über den Windröhren die Pfeifen der einzelnen Register auf schweren Windladen, die überaus pünktlich und namentlich luftdicht gearbeitet sind. Die Orgel besteht aus 16 klingenden Registern, welche auf 2 Manuale und auf I Pedal ver teilt sind; sie hat 3 Kopplungen mit pneumatischen Druckknöpfen und 3 Registerkomvinations- züge mit pneumatischen Pedalhebeln, welch letztere sich gegenseitig ouslöscn. Dem I. Manual dienen folgende Register: Bourdon, Prinzipal, Hohl- flöte, Gamba, Aeoline, Clarineite, Oktave, Traversflöte und Mixtur; dem II. Manual: blanko awabilm, Salicional, Lieblich Gedeckt unb Geigenprrnzipal. 3 Register versorgen das Pedal: Subbaß, Biolonbaß und Oktavbaß. Durch die obengenannten Kopplungen können beide Manuale und das Pedal miteinander verbunden werden. Die vordere Pfeifenrcihe (Prospekt- pfeifen) ist nicht klingend gemacht sondern nur zur Zierde ausgestellt. — Nach dem Urteil des staatlich für unsern Bezirk bestellten Orgel- reviventen, Mustkoberlehrer Hegele in Nagold, ist das Orgelwerk in allen seinen Teilen wohlgelungen. Es zeichnet sich vor allen Dingen in dem Punkt aus, der dem Organisten sehr wichtig ist, nämlich durch eine sehr präzise Ansprache und eignet sich auch für solche Orgelstücke, welche größere Geläufigkeit erfordern, recht gut. An- genehm weich und sanft klingen die kiano- register, frisch und kraftvoll die kortereglster, und eine imposante Tonfülle zeigt das volle Orgelwerk. Die einzelnen Register zeigen ganz charaktristische Färbung; die Flötenstimmen z. B. sind so gelungen, daß man glaubt einen wirklichen Flötenbläser vor sich zu haben Das ganze Werk kostet 5021 ^ Daß diese Summe durch hochherzige Stiftungen und freiwillige Beiträge zusammengebracht wurde, ist in diesem Blatte schon berichtet worden. Allen werten Gebern sei auch an dieser Stelle herzlicher Dank gesagt. — Möge unsere neue Orgel, von deren Dauerhaftigkeit wir die besten Hoffnungen hegen dürfen, die Herzen der Kirchgänger 'zur Andacht stimmen und der Kirchengemeinde zum Segen gereichen.
Deutsches Aeich.
Gegenüber der durch die Presse gehenden Mitteilung, daß dem Bundesrat demnächst die neue Grundbuchordnung zugehen werde, erinnern die „Berl. Pol. Nachr." daran, daß diese Grundbuchordnung bereits in der Plenarsitzung des Bundesrats vom 10. Dezbr. an die Ausschüsse zur Vorberatung überwiesen ist. Die Grundbuchordnung gehört zu den G.setzen, welche gleichzeitig mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch am 1. Janur 1900 in Kraft treten sollen.
Karlsruhe, 19. Dez. Man liest zur jüngsten Krankheit unseres Großherzogs in bad. Blättern: Wie nachträglich bekannt wird, ist der Krankheitszustand unseres Gcoßherzogs etwa 4 Ta'ge lang gefährlicher gewesen, als dies die offiziellen Berichte erkennen ließen. Da die Tochter des Großherzogs, die Kronprinzessin von Schweden, welche ja selbst fortwährend leidend ist, Karlsruher Zeitungen liest, erfolgten die möglichst beruhigenden Veröffentlichungen auf Wunsch des hohen Patienten, um seiner Tochter gefährliche Aufregungen zu ersparen. Der Großherzog hat sich seine Krankheit offenbar durch die Strapazen, denen er sich bei seiner Jubelfeier und bei den gleichzeitigen Manövern unterzog, zugezogen. Schon im Jahre 1891 verfiel er durch eine heflige Erkältung, die er sich bei den Manövern im Kreis Lörrach holte, in eine lebensgefährliche Krankheit. Vollständig durchnäßt erbat er sich damals in dem Wirtshaus des Dorfes Mappach ein Zimmer zum Umkleiden, er wurde aber, da der Wirt den hohen Gast nicht kannte, abgewtesen, weil das Z-.mmer besetzt war und ein anderes angeblich — nicht zur Verfügung stand. Im strömenden Regen und vom Winde durchschültelt rnt er dann, ganz vornüber auf das Pferd gebeugt, nach Lörach zurück, worauf fast unmittelbar die Krankheit einsetzte, die ihn hart an den Rand des Grades brachte, so daß eines Tages die „Karlsr. Ztg." schon glaubte, die Bevölkerung auf sein Hinscheiden vorbereiten zu sollen.
Konstanz, 21. Dez. Die „Konstanzer Ztg" schreibt: Nicht 350000 sondern 610000 Mark Bankgelder hat der flüchtige Direktor der hiesigen Reichsbanknebenstelle, L. Hegele, unterschlagen. Davon wurden 260000 Mark, die Hegele als Reisegeld mitnahm, nicht vor letzten Mittwoch veruntreut. Die übrigen 350 000 »lL fehlen mindestens schon 2V» Jahre. Es wurde nämlich in der Bankkaffe ein Brief, datiert vom Juli 1894, gefunden, worin Hegele etwa erklärt, er stehe infolge unglücklichen Börsenspiels vor dem finanziellen Zusammenbruch und habe zur Deckung seiner Verluste sich unrechtmäßiger Weise 350000 »ik angeeignet; er trage darau ganz allein die Schuld; seine nächsten Angehörigen wissen davon nicht das Geringste. Das Fehlen der 350000 olL verhüllte Hegele bisher durch Wechselreiterei, sodaß die Unterschlagung bisher, auch bei der vor einem Monat von Karlsruhe aus vorgc- nommenen Revision der Kasse, unentdeckt blieb. Letzte Woche aber stieß man in der Reichsbank zu Berlin auf den Fehlbetrag und fragte bei der hiesigen Reichsdanknebenstelle über den Verbleib der 350 000 an. Hegele antwortete, das Geld sei unterwegs nach Berlin. Als sich dies nicht bestätigte, wurde die Karlsruher Reichs- bankstelle mit der Untersuchung der Sache betraut. Direktor Dc. v. Löwenich kam am Samstag Vormittag hier an; die Staatsanwaltschaft wurde sofort unterrichtet. Aber der Vogel war bereits ausgeflogen. Nachdem Hegele die Anfrage aus Berlin erhalten, witterte er Unrat und machte sich mit den 260 000 vlS am Freitag Vormittag aus dem Staub. Er entfernte sich um 8 Uhr von Hause, ging nach Ermatingen und stieg dorr in den Schweizeczug, der um 9,10 Uhr von hier abgeht. Im Coupe traf er mit zwei Konstanzer Herren zusammen und fuhr in deren Begleitung bis Etzweilen. Auf den Vorschlag, mit ihnen in Schaffhausen zu Mittag zu speisen, erwiderte Hegele. er mache eine Fußtour von Etzweilen nach Frauenseld und müsse um 5 Uhr abends wieder in Konstanz sein. Seitdem fehlt jede Spur von dem Flüchtigen,