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sei durchaus unzuverlässig. Die Sicherheit, die ihm der Dreibund schafft, sollte es dazu bewogen haben, sich mit voller Kraft der weiteren Entwicklung seines Heeres zu widmen. Anstatt dessen aber habe es sich von seinen Freunden abgewendet, um unmöglichen Trugbildern nach- zugehcn. Die Italiener seien ein zu ernster Arbeit unfähiges Volk, das auf nichts vertraue, nicht einmal auf seine Zukunft.
K o n st a n t i n o p e l, 13. Oktbr. Die Botschafter sind heute wieder zu einer Beratung zusammengetreten. — Im Kriegsministerium wurde heute mit dem Direktor des Kredit Fo n cier in Odessa, welcher bereits 600 Kavallerie- Pferde zu liefern hat, ein Vertrag auf Lieferung von 2000 Artilleriepferden unterzeichnet.
Splitter und Balken.
Sonderbar ist die Beurteilung der Pariser Festtage in der englischen Presse. In allen Tonarten kehrt der Gedanke wieder, daß daS zwar wohl nicht verbriefte, aber durch den Zarenbesuch aufs neue besiegelte enge französisch- russische Einvernehmen recht fatal für — Deutschland wäre. Der „Standard" reibt sich ordentlich die Hände in dem Wahne, daß Deutschland isoliert sei. Als die Mißerfolge der englischen Politik in Ostasien und später in Armenien und in Südafrika zu Tage traten, kam das Wort auf von der „glänzenden Isolation" des Jnsel- reichs. Jetzt wird Deutschland mit einem gewissen Mitleid eine Vereinsamung angedichtet, die gar nicht besteht. Warum denn?
Wir brauchen gar nicht zu verhehlen, daß der Revanchekitzel bei den Franzosen viel zu den Ueberschwänglichkeiten der Pariser Festtage beigetragen hat. Aber er bildet schon seit vielen Jahren einen wichtigen Faktor in unsern politischen Berechnungen und für unsere Rüstung. Unmittelbar gefährlich würde er erst dann werden, wenn Frankreich einen Bundesgenossen zur Verwirklichung der Revancheträume fände. Rußland ist dieser Bundesgenosse sicherlich nicht; sein Herrscher ist eine friedliebende Natur, es hat kein Interesse an Elsaß-Lothringen und überhaupt keine Interessengegensätze zu dem deutschen Nachbar. Das ist es, zusammen genommen mit der unerschütterlichen Festigkeit des Dreibundes, was uns veranlaßt, die Festräusche der Franzosen und ihre Sorgen darum, daß, wenn überhaupt ein Allianzvertrag existierte, er zweifellos die Anerkennung des Frankfurter Friedens einschlösse, gelassen zu beobachten.
England dagegen trifft an allen Ecken und Enden im Orient und in Ostasien auf russische Interessengegensätze. Man braucht nur Egypten zu nennen, um zu erkennen, was ein enges französisch-russtsches Einvernehmen für England bedeuten kann. Dies nicht zu sehen, eine solche Kurzsichtigkeit möchten wir der englischen Politik doch nicht zutrauen, und es mag daher nur ein vorübergehendes Vergnügen der englischen Presse sein, sich mit dem Balken im Auge über den Splitter Anderer zu freuen.
Unterhaltender Heil.
Gerettet.
Ein Revolutionsbild von Theodor Hutter.
(Fortsetzung.)
Das Gefängnis Porte Libre, in welches der Graf von Nordenne nach seiner Gefangennahme am Quai Voltaire gebracht worden, war bereits mit Gefangenen überfüllt. Alle hier internierten Personen betrachteten sich als Todeskandidaten. — Guillotinenfutter, so pflegten die rohen Wächter der vornehmen Gefangenen des uu- eienne rsZimo zu nennen. Gewöhnlich bewohnten zehn Personen, oft auch noch mehr ein Zimmer. Den Gefangenen blieb auch die Heizung und Reinigung ihres Gefängnisses überlassen. Die Wächter kümmerten sich wenig um die Wünsche ihrer Gefangenen und da an eine Flucht aus diesem streng bewachten Massenkerker nicht zu denken war, so wurden die Inhaftierten im Allgemeinen wenig beachtet. Da konnte man ergraute Offiziere Bedientenarbeiten verrichten sehen; hier trug ein königlicher Marschall Wasser in Kannen herbei, dort wusch ein Baron die
Koch- und Eßgeschirre aus, hier reinigte ein Marquis mit dem Besen den Fußboden und dort wiederum verrichtete ein Anderer das Amt eines Koches.
Wie groß die Anzahl der in Porte Libre untergebrachten Gefangenen war, geht schon daraus hervor, daß das dreistöckige Gebäude in jenem Stockwerke 32 Zimmer hatte, die alle überfüllt waren. Die Gefängnisse für die Frauen befanden sich nebenan in einem zweiten anstoß- enden, ebenfalls sehr geräumigen Gebäude, dessen Eingang gleichfalls von bewaffneten Jakobinern bewacht wurde. In den Abendstunden konnten sich in einem geräumigen Saal die Männer und Frauen zur geselligen Unterhaltung zusammenfinden. Welche ergreifenden Szenen sich hier oft abspielten, das läßt sich wohl nicht beschreiben. Da trafen sich Gatte und Gattin, Kinder und Eltern, Brüder und Schwestern, um sich auf den nahen Tod vorzubereiten und auf immer von einander Abschied zu nehmen; die wenigsten wußten eben, ob sie sich beim Auseinandergehen in diesem Leben nochmals wieder- sehen würden. Gewöhnlich erregten die Tagesereignisse, soweit dieselben eben durch Neuangekommene Gefangene bekannt wurden, das größte Interesse; denn viele hofften im Stillen doch auf Rettung, indem sie eine günstige Wendung der politischen Lage, vor Allem den Sturz der Schreckensmänner und erfolgreiches Einschreiten des Auslandes erhofften.
Auch der alte Gras Anton von Nordenne war in einem Zimmer interniert worden, in welchem er bereits mehrere Leidensgefährten vornehmen Standes vorfand. Der Wächter, welcher ihn in Empfang genommen hatte, war ein Trunkenbold, der ihn mit dem Rufe: „Nieder mit den Verrätern am Vaterlande!" begrüßte. Die erste Frage des Grafen war nach seinem Sohne Arthur, den er hier, sofern er noch lebte, vermutete; aber Niemand vermochte ihm hierüber Auskunft zu geben. Auch an den folgenden Tagen, nachdem es ihm gelungen war, einen Wächter durch Geschenke und Versprechungen zu bewegen, Nachforschungen nach dem Sohne sowie nach Jeanette anzustellen, blieben alle Bemühungen vergeblich. Die Ungewißheit über das Schicksal der geliebten Kinder bereitete dem alten Manne wahre Folterqualen und obgleich er sich den gefühllosen Wächtern gegenüber ernst und schweigsam zeigte, so übermannte ihn doch des öfteren der Schmerz derart, daß er sich weinend auf sein hartes Lager warf.
Selbst seine Leidensgefährten sprachen ihm öfters Trost zu, indem sie in ihm die Hoffnung rege zu erhalten suchten, daß ja doch nicht Alles verloren sei und der Himmel noch zur rechten Zeit Hilfe senden könne; die Mächte des Auslandes ständen bereits unter Waffen, um die große Zahl gutgesinnter Bürger gegen die Schreckensmänner zu unterstützen» weshalb sich schnell die Verhältnisse besser gestalten können.
Eine Woche war so vergangen. Da trat eines Abends ein Delegierter des Tribunals, begleitet von Beamten des Konvents und mehreren Pickcnmännern. von denen jeder einen großen Bluthund mit sich führte, in den Saal, wo sich die Gefangenen, wie üblich, zur Abendunterhalt- ung zusammengefunden hatten. Auch der Graf von Nordenne hatte sich mit seinem Zimmer- genossen, einem Marquis Letoil, mit dem er in den wenigen Tagen der Gefangenschaft innige Freundschaft geschlossen hatte, im Gesellschaftszimmer eingcfunden und soeben an einem der langen Tische Platz genommen, als die Kommissare der Republik eintraten.
Das Erscheinen der gefürchteten Männer rief selbstverständlich unter den Anwesenden eine allgemeine Bestürzung hervor, denn man wußte bereits, was jeder derartige Besuch zu bedeuten habe.
Es galt eben wiederum eine Anzahl von Opfern, die guillotiniert werden sollte, in die Conciergerie abzuholen. Der Abgesandte des Tribunals, ein Mann mit dunklem Bart und Haar und äußerst rohen Gesichtszügen trat vor. Sofort herrschte im weiten Raume lautlose Stille. Nachdem der Kommissär die Anwesenden gemustert, begann er von einer Liste eia Dutzend
Namen abzulcsen, deren Träger er aufforderte ihm zu folgen. Als letzten nannte er den Büro» Nordenne.
Ein schmerzliches Lächeln glitt über das Antlitz des Grafen, als er seinen Namen aus der Liste der Todeskandidaten nennen hörte Sofort erhob er sich und reichte dem nebenan sitzenden Freunde die Hand zum Abschiede. „Die Henker sind da — nun denn, wenn es Gottes Wille ist — ich bin zum Sterben bereit leben Sie wohl mein Freund, in einer andern Welt sehen wir uns wieder!"
Ruhigen Schrittes folgte er sodann den Kommissären und stand bald darauf mit elf anderen Gefangenen, darunter sich auch einige Damen befanden, am Eingang in die Conciergerie, in diese Hölle von Todesqual und Jammer Die Gefangenen mußten zunächst zwei kleine, kaum vier Fuß hohe Pforten passieren, an welchen bewaffnete Wächter standen. Zwischen beiden Pforten war ein Tisch ausgestellt, an welchem der Kommandant der Conciegerie, der schwarze Jaques, vordem Fleischer in der Vorstadt Saint Antoine, mit musterndem Blick faß. Dieser wilde Geselle zählte die Eintretenden, wie er als Fleischer einst die ihm zum Abschlachten sorge- führten Rinder gezählt hatte. Hierauf nannte er die Nummern der einzelnen Zellen, in denen die Gefangenen unterzubringen waren.
Wenige Minuten später befand sich der Graf von Nordenne in einer dunklen Zelle der Conciergerie, gewöhnlich dem letzten Aufent. haltsort der Verurteilten; von hier aus gab es nur noch einen Weg. nämlich den Weg zum Schaffote.
(Fortsetzung folgt.)
Das Paradies der Weintrinker. I» Bingen wird zur Zeit ein so billiger Schoppen verzapft, wie es seit länger als 20 Jahren nicht der Fall gk. wesen ist.ij In Folge der äußerst niedrigen Herbstpreift (Frühburgunder wurde zuletzt-stkoch unter 7 Ml pu Aiche verkauft und des überreichen Herbstsegens ziehe» es viele Weinbergsbesitzer vor, ihre Produkte auszu> schänken, und es wird daher in Bingen seit einige» Tagen der Neue zu 25 Pfg., in einem Hause sogar zu 20 Pfg. per Schoppen (ein halb Liter) verzapft. Als Kuriosum verdient erwähnt zu werden, daß in der letzterwähnten billigen Weinquelle der zählende Traubensaft nicht in Gläsern, sondern in irdenen Töpfen verabreicht wird, und aus diesen Gefässen als sogenannter „Dippcheswein" getrunken wird, ein Modus, der die Zahl der durstigen Zecher daselbst eher vermehrt al! vermindert. Andere Binger Bürger beabsichtigen übrigens, ihren Neuen zu 15 Pf., ja zu 12 Pf. per Schoppe» abzugeben, und ein dortiger Metzgermeister hat sich sogar entschlossen, seinen Diesjährigen bei einem Entree von 80 Pfennigen in der Weise zu verzapfen, daß Speise und Trank in beliebiger Quantität so lange abgegeben wird, als der Konsument das Zapf-Lokal nicht verläßt. Eine ähnliche Einrichtung bestand i» den 40er Jahren. Wer damals in manchen Schänke» ein Eintrittsgeld von 9 Kreuzern entrichtete, konnte während der Dauer seiner Anwesenheit im Wirtszimmer ein beliebiges Quantum Wein zur Stillung seines mehr oder weniger großen Durstes beanspruchen.
(Seine Ansicht.) Lehrer: „Nun, kann mir einer sagen, warum Cortez die Schiffe hinln sich verbrannte?" —Der kleine Moritz: »Weil er war hoch versichert!"
Telegramme.
Berlin, 15. Okt. Nachmittag wurde die Ausstellung geschlossen. Der Kaiser ließ sein Bedauern ausdrücken, verhindert z» sein, dem feierlichen Schlußakte der so großartig angelegten und so schön verlaufenen Ausstellung beiznwohnen. Staatsminister Brefeld erklärte die Ausstellung für gejchlosien.
Karlsruhe. 15. Oktober. Nach der „Karlsruher Zkg." hat das Ministerium des Innern den Gewerbexat auf den 22. ds. nach Karlsruhe einberufen. Gegenstand der Tagesordnung ist die Organisation des Hand' Werks, bezw. die Beratung des Gesetzentwurf für dieselbe. Zum Gewerberat haben auch au > übende Handwerker Einladungen erhalten.
Mit einer Beilage:
Revierpreisliste für 1897.
Von derselben sind noch einige Exemplare ZU haben und werden Bestellungen hierauf a
Red. u. Verl, des EnziM^
Redaktion, Druck uud^Berlag von L. Meeh in N«,uenbürg.