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eitage zu Ar. 192 des AnzLbäters.

Neuenbürg, Donnerstag den 5. Dezember 1895.

Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.

Neuenbürg, 4. Dez. Bezüglich der Sonntagsruhe im Handelsgewcrbe. wollen wir ! nicht verfehlen, wieder darauf aufmerksam zu machen, daß gemäs der Verfügung des K. Ober- ! amts vom 3l. Mai 1892 an den letzten drei ^ Sonntagen vor Weihnachten der Geschäfts­betrieb in allen Verkaufsstellen und die Be­schäftigung von Gehilfen, Lehrlingen u. Arbeitern in allen Handclsgewerben während 8 Stunden und zwar in der Zeit von 8A Uhr vormitt, und von 11 Uhr vormitt, bis k Uhr abends gestattet ist. Es wird also an den genannten Sonnntagen (2. 3. 4. Advent) ausgedehntere Kaufsgelegenheit geboten. In allen Geschäften, welche auf einen guten Weihnachtsverkehr ihre Hoffnungen setzen, sind die Warenlager komple­tten in reichhaltiger Auswahl. Jetzt, wo die Bedürfnisse für den Winter gekauft werden, um zum großen Teil zugleich als Weihnachts­geschenke zu gelten, dürfte die wiederholte Mahn­ung, möglichst die ansäßigen Geschäfts­leute zu berücksichtigen, eine besonders praktische Bedeutung haben. Aber auch für die übrige Jahreszeit ist dieser Appell an das kaufende Publikum berechtigt, zumal da auch in Folge der Einführung der Sonntagsruhe im Handels­gewerbe der den seßhaften Gewerbetreibenden entgehende Umsatz den Hausierern und Detail­reisenden zu gut kommt. Wenn das kaufende Publikum Rücksicht auf seine Mitbürger nimmt, so wird damit am wirksamsten Stellung gegen die Hausierer, Detailreisende und fremde Versandtgeschäfte genommen.

Pforzheim, 2 Dez. Eine nicht gerade freudige Ueberraschung wurde unlängst einer hies. Familie zu teil. Dieselbe erhielt nämlich aus Lyon die Nachricht, daß einer ihrer Angehörigen, ein Metzger K., welcher früher in der Fremden­legion in Algier 5 Jahre diente und nachher in Stellung getreten war, vom dortigen Schwur­gericht wegen Mordes zum Tode verurteilt worden sei. K., der mit einer Restaurateurs- Wittwe Beziehungen unterhielt, hatte aus Eifer­sucht einen Gast derselben, m welchem er einen begünstigten Nebenbuhler vermutete, erstochen. Ein Gnadengesuch des Verurteilten wurde vom i Präsidenten Faure abschlägig beschicken und die Hinrichtung vor einigen Tagen vollzogen. Ein Bruder des K. reiste vor derselben noch von hier nach Lyon, um von dem Verurteilten Abschied zu nehmen. Da sonst bei Eifersuchts-Dramen die französischen Geschworenen gerne Milde walten lassen, so ist anzunehmen, daß K. seine deutsche Abstammung verhängnisvoll geworden ist.

Pforzheim, 29. Novbr. Durch Ver­mittlung des Güteragenten L. Metzger ist das GasthausZum schwarzen Bären" hier aus dem Besitz der Witwe Bauer in denjenigen des Herrn Lorenz Schmidt hier übergegangen. Der Kauf­preis beträgt 120 000

Deutsches Keich.

Berlin, 3. Dez. Kurz nach 12 Uhr erschien der Reichskanzler Fürst Hohenlohe, ge- folgt von dem Minister Dr. v. Bötticher, den Mitgliedern des Bundesrates und des preußischen Staatsministeriums, im Weißen Saale des könig­lichen Schlosses, wo gegen 100 Reichstagsmit- glieder versammelt waren. Die Hof- und Diplo- maten-Logen waren schwach besetzt. Der Reichs­kanzler verlas die Thronrede. Die Stellen betreffend das bürgerliche Gesetzbuch, das Mar- garinegksetz. das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, die Börsenreform. ferner die Stellen betreffend die Beziehungen zu den auswärtigen Mächten, die Zuversicht der Erhaltung des Friedens wurden von der Versammlung mit lebhaftem Beifall ausgenommen. Nachdem der Reichskanzler den Reichstag als eröffnet erklärt, brachte Präsident Frhr. v. Buol ein dreifaches Hoch auf den Kaiser aus, in das die Versamm­lung laut einstimmte.

B e r l i n , 3. Dez. Deutscher Reichstag. Der Präsident Frhr. von Buol eröffnet die Sitzung um 2 Uhr 30 Minuten mit einigen begrüßenden Worten. Er beruft die provisorische Schriftführer, welche die Namen der neu ein­getretenen Mitglieder verlasen. Hierauf wurden die eingegangenen Vorlagen bekannt gegeben, nämlich: Der Etat nebst Anleihegesetz, die Rechnungsvorlagen, das Börsengesetz und Depot- gesetz. Der Namensaufruf ergiebt die Anwesenheit von 208 Mitgliedern. Das Haus ist also be­schlußfähig. Am Mittwoch um 1 Uhr findet die Wahl des Präsidiums statt. Zur Beratung gelangt ein Antrag Zimmermann (Reformp.) betr. die Einstellung des Strafverfahrens gegen Werner.

Der erfolgte Wiederzusammentritt des Reichstages lenkt erneut das Interesse der Partei-Zusammensetzung des Hauses zu. Die einzelnen Fraktionen erscheinen zu Beginn der neuen Session in folgender Stärke im Reichs­tage, wobei die Ergebnisse der seit Schluß der letzten Reichstagssession definitiv vollzogenen Ersatzwahlen mit berücksichtigt sind: Konservative 60, Reichspartei 28. Reformpartei (Antisemiten) 14. Zentrum 100, Polen 19, Nationnalliberale 47, Freist Vereinigung 15, süddeutsche Volks Partei 13, Sozialdemokraten 47 Mitglieder; außerdem giebt es 26 fraktionslose Abgeordnete. Erledigt sind augenblicklich die Mandate für Halle Herford, für die Stadt Köln, für Metz und für Diedenhofcn. Wie sich diese verschiedenen Fraktionen und Fraktiönchen bei der Präsidenten­wahl verhalten werden, bleibt abzuwarten.

Berlin, 3. Dez. Die Meldung vom Rücktritt des Ministers v. Köller bestätigt sich und kann als feststehend betrachtet werden. Er hatte gestern Vortrag beim Kaiser und soll dabei seine Entlassung bereits erhalten haben. Ueber den unmittelbaren Anlaß zu seinem Rück­tritt verlautet verschiedenes, doch tritt noch nichts als voll verbürgt hervor. Man spricht in erster Linie von zweifelsohne thatsächlich bestehenden Meinungsverschiedenheiten mit dem Kriegs- minister, sodann aber auch von seinem angeblich ohne vorheriges Anfragen beim Reichskanzler angeordneten Vorgehen gegen die Sozialdemo­kraten. Daß Herr v. Köller bei der Reichstags­eröffnung noch in Uniform erschien, beweist nur, daß sein Rücktritt noch nicht in aller Form er­folgt ist.

Der Kaiser zeichnete, wie schon tele­graphisch gemeldet, das am Samstag stattge- fundene Diner des Osfizierkorps des Lehr- Jnfanterie-Bataillons in Potsdam durch seine Gegenwart aus. Der Monarch hielt hierbei in Erwiderung der Begrüßungsansprache des Lehr- Bataillons-Kommandeurs Oberstlieutenants von Uslar eine längere Ansprache, in der er nament­lich der glänzenden Leistungen der Württem- berger in der Schlacht bei Villiers gedachte. Der erlauchte Redner schloß mit einem Hoch auf dietapferen württcmbergischen Kameraden."

Aus Berlin wird gemeldet: Auf Befehl des Kaisers werden sich Hauptmann v. Strantz vom Alexanderregiment, ein Feldwebel und drei Grenadiere nach Petersb urg begeben um sich dem Kaiser Nikolaus in dem neuesten feld­marschmäßigen Gepäck vorzustellen.

B r e s l a u. 3. Dez. Der Kaiser nahm heute mittag auf dem hiesigen Palaisplatze eine Parade über alle Truppen der Garnison ab. Der gestrige Besuch des Kaisers beim Kardinal Kopp währte zwei Stunden.

Berlin, 1. Dez. Der sozialdemokratische Parteivorstand erklärt, infolge der bekannten Ver­fügung des Polizeipräsidenten von Berlin seine Thätigkeit vorläufig einzustellen, wodurch die Parteileitung bis auf weiteres auf die sozial­demokratische Reichstagssraktion als erwählte Parteivcrtrelung übergehe.

Der Oberreichsanwalt beim Reichs­gericht, v. Tessendorff, ist am Montag vor­mittag einem Schlagansalle erlegen.

Straßburg, 2. Dezbr. Einen gleich glänzenden Verlauf wie die Regimentsfeiern in den württ. Garnisonen hat auch am Samstag die Gedenkfeier der Schlacht Villiers Champigny beim 8. württ. Infanterie-Regiment ge­nommen. Die Feier erhielt eine besondere Weihe dadurch, daß der Chef des Regiments, Groß­herzog Friedrich von Baden, persönlich teilnahm. Es fanden Festgottesdienst, Festspiele, Regimentsapell rc. statt. Der Großherzog ge­dachte beim Festessen in trefflichen Worten des Großen Kaisers Wilhelm I. und brachte ein Hoch auf den Kaiser Wilhelm II. aus. Der Kaiser telegraphierte an den General v. Wölckern, den tapferen Kommandeur des II. Bataillons, unter dessen Führung sich das Bataillon Lor­beeren geholt hat. Oberst v. Stohrer hielt eine zündende Ansprache; ebenso der Kaiser!. Statthalter Fürst Hohenlohe und der kom­mandierende General v. Blum. Beim Regi­mentsappell unterhielt sich der Großherzog in leutseligster Weise mit den einzelnen Veteranen.

Aus Schlesien, 28. Nov. Die Hälfte des großen Loses der preußischen Klassenlotterie ist nach Wüstegiersdorf gefallen. An 12 Per­sonen haben den Betrag von 210 500 Mark aus Breslau geholt und unter sich verteilt. Die niedrigsten Gewinne betrugen 6577 »IL. Die Gewinner sind durchweg Arbeiter. Die meisten von ihnen haben ihre bisherigen Arbeitsstellen innegehalten, einige haben jedoch die Arbeit aus- gegeben.

Aus dem bayerischen Algäu, 27. Nov. Ein seltenes Jagdglück wird aus Gerstruben bei Oberstdorf berichtet. Der Pächter der dortigen Hochgebirgsjagd, Hr. Speiser, brachte ein Rudel von 5 Stück Gemsen mit 4 Schüssen zur Strecke. Das ist eine wahre Thatsache, und kein Jäger­latein.

Württemberg.

Das Württ. Mil.Ver O.Bl. enthält folgenden kgl. Erlaß: Verleihung von Fahnen- und Standartenbändern. Im Einverständnisse mit Sr. Maj. dem Kaiser verleihe Ich den Fahnen und Standarten Meines Armeekorps, welche während des Feldzugs 1870/71 in Schlachten und Gefechten rc., bezw. bei Belager­ungen geführt worden sind, nämlich den Fahnen I. und II. Bataillone des Grenadierregiments Königin Olga Nr. 119, Infanterie-Regiments Kaiser Wilhelm, König von Preußen Nr. 120, Jnf.-Regts Alt-Württemberg Nr. 121, Grenadier- Regiments König Karl Nr. 123, Jnf.-Regts. Kaiser Friedrich, König von Preußen Nr. 125, 8. Jnf.-Regts. Nr. 126, Großherzog Friedrich von Baden, sowie den Standarten des Dragoner- Regiments Königin Olga Nr. 25, Ulanen-Regts. König Karl Nr. 19, Ulanen-Regts. König Wil­helm I. Nr. 20, das Band der für diesen Feldzug gestifteten Kriegsdenkmünze mit dem Namen der in Betracht kommenden kriegerischen Vorfälle. Das Kriegsministerium hat hiernach das Weitere zu veranlassen. Stuttgart den 30. Nov. 1895. Wilhelm. An das Kriegsministerium Schott v. Schottenstein.

Ferner enthält das Mil.Vcr.O Bl. folgenden kgl. Erlaß: Stiftung von Gedenktafeln. Heute bei der fünfundzwanzigsten Wiederkehr der glorreichen Siegestage von Villiers Champigny will Ich das Andenken der in den Feldzügen 1866 und 1870/71 für das Vaterland gefallenen und verstorbenen Württcmbergischen Krieger dadurch ehren, daß deren Namen zum dauerdcn Vorbild für die lebenden und kommenden Ge­schlechter in der Garnisonkirche zu Stuttgart auf Marmortafeln verewigt werden. Ich werde diese Marmortafeln als Stiftung der Pfarrgemeinde überweisen und habe bezüglich der Ausführung und Anbringung derselben die erforderlichen Bestimmungen getroffen. Sie haben diese Meine Ordre dem Armeekorps bekannt zu geben. Stutt­gart den 30. November 1895. Wilhelm. An den Kriegsminister.