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Jahrhunderten bestehende enge Zusammenhang I zwischen Kirche und Staat gelöst und eine Trenn- 1 ung herbeigeführt, welche der evang. Kirche nicht zum Segen gereichen würde. Aus diesem Grunde sind auch schon über 800 mit zahlreichen Unter­schriften versehene Bittschriften an die Kammer der Abgeordneten um unveränderte Annahme des von der evang. Landessynode beschlossene Reversaliengesetzes gelangt. Nun soll auch, wie die Württb. Bolksztg. erfährt, die evang. Landes­synode zu einer außerordentlichen Tagung ein­berufen werden, um zum Beschluß der Kammer­kommissionsmehrheit Stellung zu nehmen. Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß die Landes- synode auf einem engen Zusammenbleiben des Staates und der Kirche beharren wird. Wenn also die Kammer der Abgeordneten-dem Beschluß der Kommissionsmehrheit zustimmt. so könnte leicht das ganze Religions-Revcrsaliengesetz ins Wasser fallen, was in den Kreisen der evang. Bevölkerung Württembergs eine ebenso große als nachhaltige Aufregung Hervorrufen dürfte.

Die Landesversammlung der deutschen Partei am letzten Sonntag zu Heilbronn hat sowohl durch die massenhafte Beteiligung als durch die infolge der allerdings trefflichen Reden der einzelnen Referenten sehr gehobene Stimmung der Teilnehmer gezeigt, daß diese Partei sich trotz ihrer Niederlage bei den letzten Landtagswahlen noch lange nicht zu den Toten werfen läßt. Der erste Redner, Reichsgerichts­rat a. D. v. Geß, erläuterte seinen Partei­freunden in ebenso ruhiger als überzeugender Weise, was die Fraktion der deutschen Partei in der Kammer gerhan hat und weiterhin thun werde. Der zweite Redner, Professor Krimmcl von Heilbronn unterzog das Programm der anderen Parteien, namentlich der Bolkspartei, einer eingehenden abfälligen Kritik.

Stuttgart, 26. Nov. Die beim Ver- waltuvgsgerichtshofe erledigte Stelle eines Ober­verwaltungsgerichtsrats istdemOberregicrungsrat Schneider bei der Ministerialabteilung für das Hochbauwesen übertragen worden. Be- züglich der hiesigen Gemeinderatswahl hat der sozialdemokratische Verein beschlossen, mit der Volkspartei drei Namen auszutauschen.

«Stuttgart, 27. Nov. Heute früh 8 Uhr wurden die Fahnen des Grenadier-Regiments Königin Olga« von einer Fahnenkompagnie, welche von Hauptmann v. Bl ela kommandiert wurde, im Wilhelmspalast abgeholt und mit Begleitung der Musik des gen. Regiments nach der Großen Kaserne gebracht, wo sie bis nach den Jubiläumsfestlichkeiten verbleiben.

Vom 1. Dez. d. I. an tritt auf den württ. Staatseisenbahnen eine wesentliche Aenderung in den Bestimmungen über die Benützung der Abonnementskarten (Zeitkarten) ein. Die Aenderung bezweckt einerseits eine Vereinfachung in der Ausgabe von allgem. Zeitkarten für be­stimmte Bahnstrecken, andererseits eine Tax- ermäßigungen für allgemeine Zeitkarten sowohl als für Schülerzeitkarten. Hierüber finden die Interessenten Näheres im Staatsanzeiger vom Montag, den 25. Nov., Nro. 174.

R i e d l i n g e n, 27. Nov. Landgerichtsrat Gröber (Zentr.), welcher wegen dienstl. Beförder­ung sein Landtagsmandat niederlegen mußte, ist von 3755 abgegebenen Stimmen mit 3709 Stimmen wiedergewählt worden. Ein Gegen­kandidat war nicht vorhanden.

Aus dem O.A. Riedlingen, 27. Nov. Bei der gestrigen Landtagswahl für Gröber ist in dem einzigen ev. Orte des Oberamts, in Pflummern, von 109 Wahlberechtigten wieder keine einzige Stimme abgegeben worden. In den Ortschaften Bechingen, Dietershausen, Egel- fingen, Unterwachingen haben sämtliche Wahl­berechtigte, und zwar alle für Gröber abgestimmt.

(S. M.)

Tübingen, 28. Novbr. Infolge der vielen und anstrengenden Thätigkeit der hiesigen Geistlichen soll für die Stadt ein 4. evangel. Geistlicher angestellt werden, was allgemein mit Genugthuung begrüßt werden wird.

Altensteig, 27. Nov. Auf schauerliche Weise fand vorgestern ein 19jähr. Sägmüller in der Schornbacher Sägmühle den Tod. Er wurde wahrscheinlich von einem Riemen erfaßt,

in das Getriebe gerissen und furchtbar zerstümmelt. Gerichtliche Untersuchung ist eingeleitet. (S. M.)

Alten steig, 26. Nov Der heutige Adventsmarkt, der immer einer der stärksten Jahrmärkte unserer Stadt ist, war auch heute gut befahren und besucht von Käufern und Händlern, insbesondere von Israeliten. Im ganzen erfolgte auch mancher Kauf bei schwebenden Preisen. Die Schweine waren wieder sehr billig: Milchschweine per Paar 615 Läufer von 2545

Ausland.

Der Kaiser von Oesterreich hat in seiner Eigenschaft als König von Ungarn die letzten nun auch vom Magnatenhaus angenommenen kirchenpolitischcn Gesetze unterschrieben, weshalb diese demnächst in Kraft treten werden. Bei' den Landtagswahlen in Böhmen haben die Deutschen zwei unter des f Schmeykals Führung behaupteten Sitze an die Klerikalen verloren und 5 an die antisemitischen Deutschnationalen. Durch diesen Hader unter den deutschen Abge­ordneten von Böhmen können die tschechischen Abgeordneten nur gewinnen.

Bei den Gemeinderatswahlen in Belgien haben einerseits die Klerikalen und andererseits die Sozialisten zahlreiche und große Erfolge aus Kosten der Liberalen erfochten, so daß der liberale Bürgermeister von Brüssel, Buls, sein Amt bereits niedergelegt hat. Man darf be­gierig sein, wie die anderen Parteien in Belgien sich weiter entwickeln werden.

Paris, 23. Nov. Gestern ist hier die 85jährige reiche Rentiere Madame Brice plötz­lich gestorben. Sie hat ihr nach Millionen zählendes Vermögen ihren beiden Dienstboten hinterlassen.

Odessa, 28. Nov. DieTimes« meldet von hier: Durch die Stürme in Südruß­land wurde ungeheurer Schaden angerichtet. Viele Hafenplätze am Schwarzen Meer würben teilweise überschwemmt. Der am Lande allein entstandene Schaden wird auf mehr als 40 000 000 Rubel geschätzt. Mehr als 80 Menschen sind bei den verschiedenen llnglücksfällen ums Leben gekommen.

Madrid, 28. Nov. Einer Depesche des Heraldo« aus Havanna zufolge sollen 500000 Zentner Zucker in 2 Tagen verbrannt worden sein. Die Eigentümer gaben, mit dem Tode bedroht, die Ernte frei. Die Aufständischen brachten außerdem einen Eisenbahnzug zur Ent­gleisung und plünderten die Reisenden.

K o n st a n i n o p e l, 27. Novbr. Reuter meldet: Die Armenier schätzen den Sachschaden, den sie in Anatolien erlitten aus 10 Millionen Sterlin, den Menschenverlust auf 40 000 Per­sonen. Nach in Aleppo eingegangenen Nachrichten wurden bei den Metzeleien in Marasch am 19. Nov. viele 100 getötet und die Schulgebäude niedergebrannt.

Die Botschafter der fremden Mächte in Konstantinopel hatten beim Sultan um Fermans (Dekrete) nachgesucht, daß jede Bot­schaft noch ein zweites Stationsschiff nach Kon­stantinopel kommen lassen dürfe. Der Sultan hat darauf geantwortet, er bestreite dieses Recht der Botschafter nicht, bitte aber um deren vor­läufigen Verzicht auf dieses Recht, da er für die Sicherheit aller Fremden, sowie aller Christen in Konstantinopel unbedingt garantiere.

Anterhaltender Keil.

Das Krenadierregirnent Königin Olga

(1. Württembergisches) Nr. IIS

im Zleldzuge 1870/71.

Von Frhr. von Rothenburg.

II.

Die Cernierung von Paris, z

Die Aufgabe, welche den Paris umschließen­den Truppen gestellt war, erschien um so schwieriger, als die Zahl der innerhalb der Stadt befind- lichen Verteidiger derselben fast doppelt so groß war, als die der ersteren. Dazu kam der Um­stand, daß jene leicht nach jedem beliebigen Ort dirigiert werden konnten, während jede Ver­schiebung unter den Cernierungstruppen schon

des weiteren Weges halber auf nicht unbedeutende Schwierigkeiten stieß, sodann aber auch, weil stets darauf Bedacht genommen werden mußte, daß der llmschließungsgürtel an keiner Stelle bis zur Möglichkeit eines Durchbruchs geschwächt werde.

Um diesen Schwierigkeiten zu begegnen, mußte zunächst für die möglichste Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit der deutschen Stellungen Vorsorge getragen werden. An allen geeigneten Punkten wurden Schanzen errichtet und durch Niederlegen der Gehölze in der Richtung auf Paris denselben ein freies Schußfeld geschaffen. Für die Feldwachen wurden bombensichere Unter- kunftsräume hergestellt und Schützengräben aus­gehoben, die Wege durch Verhaue und Barrikaden gespert. Das Material zu den letzteren lieferte meist das Mobiliar der in der Umgegend von Paris so zahlreichen, von ihren Bewohnern ver­lassenen Villen, und es war keine Seltenheit, daß Sophas, Pianos rc. zu solchen Zwecken Ver­wendung fanden.

Die Verpflegung bot zu Klagen wenig Veranlassung. Sie war, Dank der Thätigkeit der Intendantur, bald in bester Ordnung, höchstens durch das Einerlei ermüdend. Wochenlang gab es einen Tag Hammel mit Reis, den nächsten Reis mit Hammel u. s. w. Im Anfang halfen Requisitionen nach, indessen im Lauf dieser Zeit floß diese Quelle immer spärlicher, um schließlich fast ganz zu versiegen. Nur der Rotwein blieb, fast immer in genügendem Maße vorhanden, ein treuer Gefährte bis zum Ende der Cernier­ung und trug sehr wesentlich dazu bei. den Ge­sundheitszustand der Truppen, der besonders zur Zeit der Traubenreife nicht unbedenklichen Schwankungen ausgefetzt war,, gut zu erhallen. Die damals auftretenden ruhrartigen Erkrank­ungen kamen nicht dazu, den Charakter einer Epidemie anzunehmen. Als später die Mann­schaften durch die Kälte zu leiden anfingcn, bot heißer Rotwein ebenfalls ein mit Recht sehr gern angewandtes Mittel zur Erwärmung der aus Posten in eisiger Winternacht starr gewordenen Glieder. Mehr Wirkung aber noch hatten die aus der Heimat in reichem Maß gesandten Liebesgaben an wollenem Unterzeug.

Die Forts verhielten sich anfangs ruhig und gaben nur ad und zu einmal lhre Visiten­karten in Form von Granaten ab. Allein mit dem Fortschreiten der Cernierung änderten sie diese angenehme Taktik und sandten an manchen Tagen und noch mehr in der Nacht fast unauf­hörlich die schwerenZuckerhüte« nach den Stellungen der Deutschen hinüber.

Auch der Vorpostendienst war sehr an­strengend. Es mußte bei demselben unausge- setzte Wachsamkeit obwalten, da die Franzosen unablässig Versuche machten, die Vorposten zu überfallen, und mit besonderer Vorliebe die häufigen Morgennebel des Herbstes und des Winters benutzten, um auch mit größeren Ab­teilungen sich an die deutschen Stellungen her­anzuschleichen. Hatten sie dann, was Dank der Wachsamkeit der Cernierungstruppen selten vor­kam, ihren Zweck erreicht, so zogen sie sich rasch wieder hinter den Schutz ihrer Befestigungen zurück. Auch mehrere Ausfälle in größerem Styl unternahmen sie. Bon diesen später.

Der würltembergischen Division war in der Cernierungslinie der Abschnitt von Noisy le Grand bis Chennevieres angewiesen; die erste Brigade, an deren Spitze das Infanterieregiment Königin Olga einmarschierte, nahm das 1. Treffen ein, und es war ihr das 1. Reiterregiment Königin Olga nebst der 1. Feldartillerie beige­geben. Die Einnahme der Stellung ging ohne Schwierigkeiten vor sich, dagegen schien der Feind dem 12. und dem 4. Armeekorps, deren Stellung weiter nördlich lag, Widerstand ent­gegensetzen zu wollen, und die 1. württembergische Brigade mußte deshalb unmittelbar nach Auf­stellung der Vorposten eine Bereitschaststellung bei Gournay einnehmen, ohne jedoch zum Ge­fecht zu kommen. Als die 6. Kompagnie nach Bry zurückkehrte, erhielt sie aus diesem Ort Feuer, durch welches zwei Mann verwundet wurden; der Gegner, einige Franktireurs, wurde teils niedergemacht, teils gefangen genommen.

Am 22. September warfen die Franzosen